Strafverfahren: „Offenkundiger Mangel“ der Verteidigung bei unterlassener Rechtsmittelbegründung durch den Pflichtverteidiger
Gesetze: Art 6 Abs 3 Buchst c MRK, § 346 Abs 1 StPO
Instanzenzug: LG Essen Az: 22 Ks 12/17nachgehend Az: 4 StR 138/18 Beschluss
Gründe
1Der Senat stellt die Entscheidung über die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Fristen zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom und zur Anbringung des Rechtsbehelfs nach § 346 Abs. 2 StPO gegen den zurück.
2Die Sache ist zur Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers an das Landgericht zurückzugeben. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom - Az.: 38830/97 - liegt hier ein „offenkundiger Mangel“ der Verteidigung vor. Der bisher im Verfahren tätige Pflichtverteidiger hat nicht, wie es seine Pflicht gewesen wäre (vgl. BVerfG, NJW 1983, 2762, 2765), die Revision des Angeklagten form- und fristgerecht begründet und auch nicht rechtzeitig auf Entscheidung des Revisionsgerichts angetragen, nachdem das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel durch Beschluss der Strafkammer vom gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen worden war. Grund hierfür waren die während des Verfahrens aufgetretenen und vom bisherigen Pflichtverteidiger in mehreren Schriftsätzen näher dargelegten gesundheitlichen Beeinträchtigungen. In dieser Situation verlangt Art. 6 Abs. 3c MRK nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (aaO) „positive Maßnahmen seitens der zuständigen Behörden“, um diesem Zustand abzuhelfen (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 265/15, StraFo 2016, 382, und vom - 4 StR 610/17). Dies wird das Landgericht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 141 Rn. 6, 6a mwN) mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung durch Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers zu veranlassen haben. Der bisherige Verteidiger hat sich mit Schriftsatz vom mit dieser Maßnahme einverstanden erklärt.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:050618B4STR138.18.0
Fundstelle(n):
UAAAG-99720