Leitsatz
Dem EuGH werden folgende Fragen zur Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG vorgelegt:
1. Verbietet Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG einem Mitgliedstaat, die Veranstaltung eines Kartenspiels bereits dann der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, wenn die Veranstaltung eines Kartenspiels durch eine zugelassene öffentliche Spielbank steuerfrei ist, oder muss zusätzlich feststehen, dass die außerhalb der Spielbanken veranstalteten Kartenspiele in wesentlichen Punkten, wie z.B. bei den Spielregeln, beim Höchsteinsatz und Höchstgewinn, mit den Kartenspielen in den Spielbanken vergleichbar sind?
2. Kann sich der Veranstalter auf die Steuerfreiheit nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG berufen?
I. Sachverhalt
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb von September 1987 bis 1991 in H das Spielcasino ”Monte-Carlo”. Er veranstaltete zunächst überwiegend Roulette. Spätestens ab Oktober 1989 wurden auch Kartenspiele ausgerichtet. Sämtliche Spiele durften gemäß der gewerberechtlichen Erlaubnis nur nach bestimmten Regeln lt. Unbedenklichkeitsbescheinigung des Bundeskriminalamtes gespielt werden. U.a. wurden auch Karten-Memory-Spiele für unbedenklich erklärt, die neben dem Spieltisch über eine sog. Kartentafel verfügen. In diese müssen 42 Karten eines 52er Kartenspiels mit der Rückseite nach oben gelegt werden. Anschließend wird die Kartentafel für eine Minute offen gelegt. In dieser Einsichtszeit müssen die Spieler versuchen, sich die Lage derjenigen Karten zu merken, die sie für das Spiel verwenden wollen. In maximal fünf Ziehungsdurchgängen teilen die Spieler dem Croupier durch Ansagen der jeweiligen Kartenfachnummer mit, welche Karte sie für ihr Handblatt benötigen. Ziel des Spiels ist es, mit mindestens zwei und höchstens fünf Karten eine möglichst hohe Kartenkombination mit maximal 21 Punkten zu erreichen. Der Einsatz ist auf maximal 45 DM pro Spieler beschränkt. Der Veranstalter erhält eine Spielabgabe in Höhe von 10 % des Einsatzes.
Der Kläger hielt sich in den Streitjahren (1989 bis 1991) sowohl beim Roulettespiel als auch beim Kartenspiel nicht an die Vorgaben der Unbedenklichkeitsbescheinigung des Bundeskriminalamts. U.a. wurden die Kartentafel nicht benutzt und die zulässigen Einsätze überschritten. Der Kläger führte über die Spielumsätze keine Aufzeichnungen.
Nach einer Betriebsprüfung setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) die Umsatzsteuer für die Streitjahre fest (Umsatzsteuerbescheide 1989 bis 1991 vom ). In den Bescheiden waren zunächst die nicht genehmigten Roulette- und Kartenspielumsätze berücksichtigt. Der Einspruch des Klägers hatte insoweit Erfolg, als das FA aufgrund des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom Rs. C-283/95, Karlheinz Fischer (Slg. 1998, I-3369) das Roulettespiel steuerfrei beließ. Die illegal veranstalteten Kartenspiele behandelte das FA jedoch weiterhin als steuerpflichtig; dabei schätzte es den Anteil der Kartenspielumsätze an den Gesamtumsätzen (Einspruchsentscheidung vom ).
Die daraufhin erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) kam zum Ergebnis, entsprechend den Grundsätzen des EuGH-Urteils in Slg. 1998, I-3369 seien auch die Kartenspielumsätze nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) von der Umsatzsteuer befreit; der Unternehmer könne sich insoweit unmittelbar auf diese Vorschrift berufen. Der Senat sehe keine Gründe, die vom EuGH aufgestellten Grundsätze nur auf das Roulettespiel zu beschränken.
Gegen das Urteil des FG, das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1252 veröffentlicht ist, wendet sich das FA mit der vorliegenden Revision. Es meint, die Grundsätze des EuGH-Urteils in Slg. 1998, I-3369 könnten nicht ohne weiteres auf das vom Kläger veranstaltete Kartenspiel übertragen werden; es handele sich um das Spiel ”Jeu 21”. Der EuGH habe in seinem Urteil ein echtes Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Roulettespiel in öffentlichen Spielbanken und dem von Karlheinz Fischer veranstalteten Roulettespiel unterstellt. Hieran fehle es im Streitfall; das vom Kläger veranstaltete ”Jeu 21” könne mit den in öffentlichen Spielbanken gespielten ”Black Jack” nur bedingt verglichen werden.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.
Er behauptet, nicht das Spiel, sondern lediglich das Spielgerät auf dem es gespielt werde, trage den Namen ”Jeu 21”. So wie das Spiel gespielt worden sei, entspreche es den in Spielbanken gespielten Kartenspielen.
II. Der Senat setzt das Verfahren aus (§ 74 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) und legt dem EuGH gemäß Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) die im Tenor genannten Fragen zur Vorabentscheidung vor.
III. Zur Rechtslage nach deutschem Recht
1. Die maßgeblichen Vorschriften
Für die Lösung des Streitfalles sind die folgenden Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes (UStG) maßgebend:
§ 1 Steuerbare Umsätze
(1) Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:
1. die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. ...
§ 4 Steuerbefreiungen bei Lieferungen
und sonstigen Leistungen
Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 fallenden Umsätzen sind steuerfrei:
....
9. ...
b) die Umsätze, die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallen, sowie die Umsätze der zugelassenen öffentlichen Spielbanken, die durch den Betrieb der Spielbank bedingt sind. ...
...
2. Die rechtliche Beurteilung des Streitfalls
Der Kläger hat als Veranstalter des streitbefangenen Kartenspiels Umsätze i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG gegenüber den Spielern ausgeführt. Die Umsätze waren nicht nach § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG steuerfrei, da sie nicht unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fielen und der Kläger keine öffentliche Spielbank betrieb.
Der Grund für die Steuerbefreiung ist die Vermeidung einer Doppelbesteuerung: Die zugelassenen öffentlichen Spielbanken unterliegen nach Maßgabe des Spielbankrechts der einzelnen Bundesländer einer Spielbankabgabe (in der Regel 80 v.H. der Bruttoerträge) und sind deshalb von den laufenden Steuern, die aufgrund Bundesgesetzes erhoben werden (Umsatzsteuer, Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Lotteriesteuer), befreit.
IV. Zur Rechtslage nach Gemeinschaftsrecht
1. Die maßgeblichen Vorschriften
Nach Ansicht des Senats sind gemeinschaftsrechtlich die folgenden Vorschriften der Richtlinie 77/388/EWG maßgeblich:
Artikel 2 Steueranwendungsbereich
Der Mehrwertsteuer unterliegen:
1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;
Artikel 13 Steuerbefreiungen im Inland
A. Befreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten
...
B. Sonstige Steuerbefreiungen
Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
...
f) Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz unter den Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden;
2. Die rechtliche Beurteilung des Streitfalls
Der Steuerpflichtige hat als Veranstalter des streitbefangenen Kartenspiels gemäß Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG Dienstleistungen gegen Entgelt ausgeführt.
Das FG meint, diese Umsätze seien nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei. Fraglich erscheint aber, ob dies zutrifft und sich der Kläger auf die Steuerbefreiung berufen kann.
Dem FG dürfte darin zuzustimmen sein, dass das vom Kläger veranstaltete Kartenspiel zu den ”Glücksspielen mit Geldeinsatz” i.S. des Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG gehört.
Nach dem Urteil des EuGH in Slg. 1998, I-3369 ist Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat die unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels nicht der Mehrwertsteuer unterwerfen darf, wenn die Veranstaltung eines solchen Glücksspiels durch eine zugelassene öffentliche Spielbank steuerfrei ist.
Es erscheint aber fraglich, wie weit dieses Verbot geht und inwieweit der Veranstalter eines Glücksspiels sich darauf berufen kann. In dem Urteil in Slg. 1998, I-3369 (Randnr. 11) ist der EuGH nämlich davon ausgegangen, dass Karlheinz Fischer von der ihm erteilten Spielerlaubnis derart abwich, dass das von ihm veranstaltete Spiel dem Roulettespiel gleichkam, wie es in ordnungsgemäß zugelassenen öffentlichen Spielbanken betrieben wird. Es fragt sich deshalb, ob es für die Steuerfreiheit nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG bereits ausreicht, dass Kartenspiele sowohl in öffentlichen Spielbanken als auch außerhalb der Spielbanken veranstaltet werden, oder ob —was wenig praktikabel sein dürfte— zusätzlich feststehen muss, dass die außerhalb der Spielbanken veranstalteten Kartenspiele in wesentlichen Punkten, wie z.B. bei den Spielregeln, beim Höchsteinsatz und Höchstgewinn, mit den Kartenspielen in den Spielbanken vergleichbar sind.
Daraus ergibt sich folgende Frage:
Verbietet Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG einem Mitgliedstaat, die Veranstaltung eines Kartenspiels bereits dann der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, wenn die Veranstaltung eines Kartenspiels durch eine zugelassene öffentliche Spielbank steuerfrei ist, oder muss zusätzlich feststehen, dass die außerhalb der Spielbanken veranstalteten Kartenspiele in wesentlichen Punkten, wie z.B. bei den Spielregeln, beim Höchsteinsatz und Höchstgewinn, mit den Kartenspielen in den Spielbanken vergleichbar sind?
Im Übrigen kann sich der Einzelne nur auf solche Vorschriften der Richtlinie 77/388/EWG berufen, die hinreichend klar und genau und nicht an Bedingungen geknüpft sind (vgl. z.B. , Soupergaz, Slg. 1995, I-1883 Randnr. 34). Es erscheint fraglich, ob Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG hinreichend klar, genau und unbedingt ist. Im Streitfall dürfte die Vorschrift des Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG alleine nicht hinreichend klar, genau und unbedingt sein (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs, Urteil vom Rs. C-38/93, Glawe, Slg. 1994, I-1679 Randnr. 9 ff.; EuGH-Urteil in Slg. 1998, I-3369). Es steht deshalb weniger die Berufbarkeit auf den Wortlaut des Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG als vielmehr die Berufbarkeit auf diese Vorschrift in Verbindung mit der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH —insbesondere zur Reichweite des Neutralitätsgrundsatzes— in Frage.
Daraus ergibt sich folgende Zusatzfrage:
Kann sich der Veranstalter auf die Steuerfreiheit nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG berufen?
Instanzenzug:
Fundstelle(n):
BB 2003 S. 141 Nr. 3
BFH/NV 2003 S. 273
BFH/NV 2003 S. 273 Nr. 2
BFHE S. 145 Nr. 200
DB 2003 S. 190 Nr. 4
DStRE 2003 S. 235 Nr. 4
INF 2003 S. 131 Nr. 4
KÖSDI 2003 S. 13603 Nr. 2
UR 2003 S. 81 Nr. 2
BAAAA-71898