BFH Urteil v. - IV R 49/01 BStBl 2003 II S. 721

Einkünfte einer Sprachheilpädagogin in Niedersachen im Jahr 1994 als gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit

Leitsatz

Im Jahr 1994 übte eine Sprachheilpädagogin in Niedersachsen noch nicht eine den in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Heilberufen ähnliche Tätigkeit aus. Möglicherweise war sie aber unterrichtend oder erzieherisch tätig.

Gesetze: EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1GewStG § 2

Instanzenzug: (EFG 2001, 1315) (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt als selbständige Diplom-Pädagogin eine Praxis für Sprachtherapie. Die Sprachheilbehandlungen führt sie nach ärztlichen Verordnungen durch. Ihre Honorare rechnet sie mit den Krankenkassen ab. Entsprechende Zulassungen hatten ihr die AOK A (Niedersachsen) und der Verband der Angestellten Krankenkassen e.V. gemäß § 124 Abs. 5 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) erteilt. Seit dem führt die Klägerin die im Land Niedersachsen mögliche Berufsbezeichnung ”med. Sprachheilpädagogin” (Gesetz über die Berufsbezeichnung der Medizinischen Sprachheilpädagoginnen und -pädagogen vom , Niedersächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt —NiedersGVBl— 1998, 126).

Für das Streitjahr (1994) setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) einen Gewerbesteuermessbetrag 1994 in Höhe von 125 DM fest.

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) begründete sein in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1315 veröffentlichtes Urteil im Wesentlichen damit, dass die für eine Anerkennung als freiberufliche Tätigkeit notwendige Berufsregelung im Streitjahr (1994) noch nicht vorgelegen habe.

Mit der —vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen— Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil sowie den angefochtenen Gewerbesteuermessbescheid 1994 und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Revision ist begründet; das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat zwar die Tätigkeit der Klägerin als Sprachheilpädagogin im Streitjahr (1994) zu Recht nicht als einen einem Katalogberuf ähnlichen Heilhilfsberuf angesehen; es hat aber rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob die Klägerin damit eine selbständige unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausgeübt hat.

1. Die Tätigkeit eines Sprachheilpädagogen war in Niedersachsen im Streitjahr (1994) keine einem Katalogberuf ähnliche freiberufliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG.

a) Ein ähnlicher Beruf liegt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) vor, wenn er in wesentlichen Punkten mit einem der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG genannten Katalogberufe verglichen werden kann. Dazu gehört die Vergleichbarkeit sowohl der Ausbildung als auch der ausgeübten beruflichen Tätigkeit (vgl. zuletzt , BFHE 191, 568, BStBl II 2000, 625; vom IV R 65/00, BFHE 197, 228, BStBl II 2002, 149; vom IV R 94/99, BFHE 199, 261, BStBl II 2002, 565, und vom IV R 45/00, BFHE 200, 317, BStBl II 2003, 21, sowie Senatsbeschluss vom IV B 156/99, BFH/NV 2001, 593, jeweils m.w.N.). Erfordert die Ausübung des Katalogberufs eine Erlaubnis oder ist sie ohne Erlaubnis mit Strafe bedroht, liegt ein ähnlicher Beruf nur vor, wenn auch diese ausgeübte Tätigkeit erlaubnispflichtig ist oder vergleichbaren Sanktionen unterliegt, wenn sie ohne Erlaubnis ausgeübt wird (, BFHE 183, 424, BStBl II 1997, 681, und in BFHE 197, 228, BStBl II 2002, 149).

b) Zu Recht hat das FG deshalb erkannt, dass die Klägerin im Streitjahr (1994) mit ihrer Tätigkeit als Sprachheilpädagogin keinen den in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG aufgeführten Katalogberufen des Heilpraktikers oder Krankengymnasten ähnlichen Heilhilfsberuf ausgeübt hat. Für die Ausübung ihrer Berufe benötigen sowohl ein Heilpraktiker (§ 1 Abs. 1 des HeilpraktikergesetzesHeilprG—, RGBl I 1939, 251) als auch ein Krankengymnast (neuerdings: ”Physiotherapeut"; § 16 Abs. 1 i.V.m. § 1 Nr. 2 des Masseur- und PhysiotherapeutengesetzesMPhG—, BGBl I 1994, 1084) eine Erlaubnis. Diese wird nur erteilt, wenn die Bewerber eine genau vorgeschriebene Ausbildung (vgl. für den Physiotherapeuten §§ 8 und 9 MPhG) erfolgreich abgeschlossen haben. Zudem unterliegen die Angehörigen dieser Berufe der Überwachung durch die staatlichen Behörden.

Dagegen konnte die Klägerin im Streitjahr (1994) ihrem Beruf als Sprachheilpädagogin in Niedersachsen noch ohne staatliche Erlaubnis nachgehen; eine Überwachung durch die zuständigen staatlichen Behörden fand mangels einer gesetzlichen Regelung dieses Berufsbildes in Niedersachsen noch nicht statt. Grundsätzlich konnte in Niedersachsen jeder diesen Beruf ergreifen und die Berufsbezeichnung ”Sprachheilpädagoge” führen, ohne dass er bestimmte gesetzliche Vorgaben zu erfüllen hatte. Das Berufsbild des Sprachheilpädagogen in Niedersachsen wies daher jedenfalls im Streitjahr noch nicht die typischen und wesentlichen Berufsmerkmale der im Gesetz genannten Katalogberufe auf, zumal neben der für die Heilhilfsberufe notwendigen staatlichen Erlaubnis die Überwachung durch die Gesundheitsämter fehlte (s. dazu BFH-Urteile in BFHE 197, 228, BStBl II 2002, 149, und vom I R 218/74, BFHE 119, 274, BStBl II 1976, 621).

Dass die Klägerin eine qualifizierte Ausbildung besitzt und kassenrechtlich zugelassen ist (zu den besonderen Zulassungsvoraussetzungen des § 124 Abs. 5 SGB V s. , SozR 3-2500 § 124 Nr. 9), steht dem nicht entgegen. Denn sie übte ihre Tätigkeit im Streitjahr (1994) —anders als ein Heilpraktiker oder Krankengymnast— unabhängig von einer staatlichen Anerkennung und einer speziellen Ausbildung für einen Heilhilfsberuf sowie einer Überwachung durch die Gesundheitsämter aus.

2. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem zwischenzeitlich in Niedersachsen geltenden Gesetz über die Berufsbezeichnung der Medizinischen Sprachheilpädagoginnen und -pädagogen vom (NiedersGVBl 1998, 126). Dieses Gesetz wirkt —wie das FG zu Recht erkannt hat— nicht auf das Streitjahr zurück. Zudem waren die —danach nunmehr mögliche— Erlaubnis und die notwendige Überwachung durch die zuständigen Behörden jedenfalls im Streitjahr (1994) noch nicht gegeben (Senatsurteil in BFHE 200, 317, BStBl II 2003, 21, sowie , BFH/NV 1989, 201; weiter Korn in Korn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 18 Rz. 87, zu Stichwort Sprachheilpädagoge; vgl. weiter Steinhauff in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 18 EStG Rn. 156, und Blümich/Hutter, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 18 EStG Rz. 185, unter Stichwort Logopäde; s. aber Brandt, Deutsche Steuer-Zeitung —DStZ— 2002, 867 ff., unter II.1.). Ungeachtet dessen hat die Klägerin auch nicht vorgetragen, dass sie (inzwischen) selbst eine Erlaubnis nach dem Logopädengesetz besitzt.

3. Die Tätigkeit der Klägerin ist auch nicht etwa wegen der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts —BVerfG— (vgl. Beschlüsse vom 2 BvR 1264/90, BVerfGE 101, 132, BStBl II 2000, 155; vom 2 BvR 1820/92, BStBl II 2000, 158, und vom 2 BvR 2861/93, BVerfGE 101, 151, BStBl II 2000, 160) und der entsprechenden Änderung des § 27 Abs. 1 a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) als ähnlicher Beruf i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG anzuerkennen. Zwar sind danach bei Erfüllung bestimmter weiterer Voraussetzungen auch die Umsätze eines Sprachheilpädagogen nach § 4 Nr. 14 UStG —ggf. auch ohne berufsrechtliche Regelung— umsatzsteuerfrei. Erkennbarer Normzweck dieser Steuerbefreiung ist aber allein die Entlastung der Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer (vgl. auch Weymüller in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, Stand: , § 4 Nr. 14 Rz. 1; Birkenfeld, Das große Umsatzsteuerhandbuch, 3. Aufl. 1998, II Rz. 457, Stand: Dezember 2002; Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf eines UStG, zu BTDrucks V/1581, S. 5, 12). Diese für die Umsatzsteuer als Verbrauchsteuer geltende Regelung ist nach der Rechtsprechung des , BFH/NV 2000, 839, und in BFHE 197, 228, BStBl II 2002, 149, sowie Beschluss vom IV B 68/99, BFH/NV 2000, 705) indes nicht auf die einkommen- und gewerbesteuerrechtliche Rechtslage der Heilhilfsberufe übertragbar (so bereits , Die Information über Steuer und Wirtschaft —Inf— 1998, 384; Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 1998, 577). Insbesondere konnte der Gesetzgeber bei der Privilegierung der im Katalog des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG genannten Berufe einschließlich der Heil- und Heilhilfsberufe berücksichtigen, dass die betreffenden Berufsträger zum Erwerb ihrer hohen und breit angelegten Qualifikation in der Regel eine längere Ausbildungszeit auf sich nehmen mussten und in dieser Zeit meist keine Einkünfte hatten (Senatsurteil in BFHE 197, 228, BStBl II 2002, 149, unter Hinweis auf die Beschlüsse des , BVerfGE 46, 224, und vom 2 BvR 460/93, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 2001, 1853; vgl. auch Senatsurteil vom IV R 156/86, BFH/NV 1991, 359). Im Übrigen hat auch das BVerfG die den Hypnosetherapeuten betreffende Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (; Schmidt/Wacker, Einkommensteuergesetz, 21. Aufl. 2002, § 18 Rz. 130).

4. Die Sache ist gleichwohl nicht spruchreif. Das FG hat nicht geprüft, ob die Klägerin mit ihrer Tätigkeit als Sprachheilpädagogin eine unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit i.S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausgeübt hat. Durch die Voraussetzungen, an die das Gesetz über die Berufsbezeichnung der Medizinischen Sprachheilpädagoginnen und -pädagogen des Landes Niedersachsen vom (NiedersGVBl 1998, 126) heute die Erlaubnis zur Ausübung dieses Berufes knüpft, wird deutlich, dass Sprachheilpädagogen weitestgehend als Pädagogen tätig sind und daher möglicherweise eine unterrichtende und/oder erzieherische Tätigkeit ausüben (Steinhauff in Littmann/Bitz/ Pust, a.a.O., § 18 EStG Rn. 156; zu diesen freiberuflichen Tätigkeiten s. z.B. , BFHE 183, 450, BStBl II 1997, 687). Das FG hat indes nicht geprüft, ob die Tätigkeit der Klägerin unter diesem Gesichtspunkt als freiberufliche Tätigkeit anerkannt werden kann. Soweit der V. Senat des BFH sich im Urteil in BFH/NV 1989, 201 bereits mit dem Berufsbild des Logopäden auseinander gesetzt und entschieden hat, dieser habe damals keine einem Heilberuf ähnliche Tätigkeit ausgeübt, betraf das nur die damalige Auslegung des § 4 Nr. 14 UStG zur Frage, ob die Umsätze eines Logopäden umsatzsteuerfrei seien.

Fundstelle(n):
BStBl 2003 II Seite 721
BB 2003 S. 1653 Nr. 32
BFH/NV 2003 S. 1264
BFH/NV 2003 S. 1264 Nr. 9
BStBl II 2003 S. 721 Nr. 13
DB 2003 S. 2208 Nr. 41
DStR 2003 S. 1433 Nr. 34
DStRE 2003 S. 970 Nr. 16
FR 2003 S. 920 Nr. 17
INF 2003 S. 646 Nr. 17
KÖSDI 2003 S. 13824 Nr. 8
RAAAA-71858