BGH Beschluss v. - 1 StR 374/18

Steuerstrafverfahren: Schätzung der Besteuerungsgrundlagen; Wirkungen eines allgemein gehaltenen Geständnisses

Gesetze: § 18 Abs 3 UStG, § 149 Abs 2 AO, § 370 AO, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Würzburg Az: 741 Js 21898/17 - 6 KLs

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in fünf Fällen unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten aus einer anderweitigen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Daneben hat es die Einziehung eines Geldbetrages in Höhe von 289.345 Euro als Wertersatz angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2Nach den Feststellungen des Landgerichts vertrieb der Angeklagte ab August 2008 über einen von ihm betriebenen Web-Shop sowie über die Internet-Handelsplattformen eBay und eGun Softairwaffen samt Zubehör. Seiner ihm bekannten Verpflichtung, gemäß § 18 Abs. 3 UStG, § 149 Abs. 2 AO bis zum 31. Mai des Folgejahres für das jeweils vorangegangene Kalenderjahr eine Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben, kam er in den Jahren 2009 bis 2013 pflichtwidrig nicht nach. Für die Jahre 2009 bis 2011 reichte er zwar verspätet noch Umsatzsteuerjahreserklärungen beim Finanzamt ein. Darin gab er seine Umsätze aber jeweils wahrheitswidrig mit 0 Euro an. Insgesamt wurden hierdurch nach der Berechnung des Landgerichts 289.345 Euro an Umsatzsteuer nicht festgesetzt.

II.

3Die Feststellungen des Landgerichts zur Höhe der von dem Angeklagten verschwiegenen Nettoumsätze werden von der Beweiswürdigung nicht getragen. Dies gefährdet hier zwar den auf dem Geständnis des Angeklagten beruhenden Schuldspruch nicht, zieht aber die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs einschließlich der zugehörigen Feststellungen nach sich.

41. Im Ansatz zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Feststellungen über die von einem Unternehmer getätigten Umsätze auf dessen Geständnis gestützt werden können, wenn der Unternehmer den Umfang der Umsätze kennt. Dies ist jedoch hier nicht der Fall. Vielmehr hat der Angeklagte lediglich eingeräumt, dass die den Tatvorwürfen zugrunde liegenden Zahlen „dem Grunde nach“ so zutreffen. Da er aber keine Geschäftsbücher geführt habe und die Geschäftsführung chaotisch verlaufen sei, seien die Umsätze für ihn nicht mehr im Einzelnen nachvollziehbar (UA S. 14). Letztlich hat der Angeklagte damit lediglich seinen Hinterziehungsvorsatz eingeräumt, weil er die Verkürzung von Umsatzsteuer in dem ihm zur Last liegenden Umfang für möglich gehalten und in Kauf genommen hat. Die genaue Höhe der Umsätze konnte er aber mangels Kenntnis nicht gestehen. Sein Geständnis konnte daher auch keine ausreichende Grundlage für die Feststellung der Höhe der von ihm getätigten Umsätze darstellen.

52. Die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch die als Zeugin vernommene Finanzbeamtin W.      , der das Landgericht folgt, stellt ebenfalls keine tragfähige Grundlage für die Feststellung der Höhe der vom Angeklagten getätigten steuerpflichtigen Umsätze dar.

6a) Allerdings lagen die Voraussetzungen einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen vor.

7Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt eine Schätzung im Steuerstrafverfahren dann in Betracht, wenn zwar feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, aber ungewiss ist, welches Ausmaß die Besteuerungsgrundlagen haben (st. Rspr.; vgl. nur , HFR 2017, 970, 971 Rn. 14; Jäger in Klein, AO, 13. Aufl., § 370 Rn. 96 mwN). So verhält es sich hier. Der Angeklagte hat eingeräumt, durch den Handel mit Softairwaffen Umsätze getätigt zu haben, deren Umfang er aber wegen seiner chaotischen Geschäftsführung und dem Fehlen von Geschäftsbüchern nicht mehr im Einzelnen nachvollziehen könne.

8Auch ergibt sich aus der Beweiswürdigung des Landgerichts, dass hier ausreichende Anknüpfungspunkte für eine tragfähige Schätzung vorlagen. So habe etwa die S.    AG, welche die Domain für den Web-Shop des Angeklagten betrieben hatte, die Daten über die dort registrierten Umsätze des Angeklagten zur Verfügung gestellt. Zudem seien in der Wohnung des Angeklagten Auszüge über bei der Handelsplattform eBay getätigte Verkäufe vorgefunden worden. Schließlich seien auch Daten über Barabhebungen des Angeklagten von seinem Bankkonto vorhanden gewesen (UA S. 15).

9c) Die vorgenommene Schätzung der Besteuerungsgrundlagen ist jedoch für den Senat nicht nachvollziehbar.

10Die Schätzung obliegt dem Tatrichter selbst. Einer Verurteilung dürfen nur diejenigen Beträge zugrunde gelegt werden, die der vollen Überzeugung des Gerichts entsprechen. Eine Übernahme von Schätzungen der Finanzverwaltung kommt daher nur in Betracht, wenn der Tatrichter von ihrer Richtigkeit auch unter Berücksichtigung der vom Besteuerungsverfahren abweichenden Grundsätze des Strafverfahrens überzeugt ist. Dies muss er in den Urteilsgründen nachvollziehbar darlegen (st. Rspr.; vgl. nur , NStZ-RR 2005, 209, 211; Jäger in Klein aaO Rn. 96a mwN).

11Daran fehlt es hier. Das Landgericht hat weder dargelegt, welche Schätzungsmethoden angewandt worden sind, noch werden die Schätzgrundlagen genannt. Der Senat kann daher nicht nachprüfen, ob die vom Landgericht als Besteuerungsgrundlagen zugrunde gelegten Umsätze rechtsfehlerfrei bestimmt worden sind. Die bloße Mitteilung in den Urteilsgründen des angefochtenen Urteils, die von der Finanzbeamtin vorgenommene Schätzung sei objektiv nachvollziehbar, da sie auf tatsächlich festgestellten Zahlen für andere Zeiträume basiere und offensichtlich möglichst zurückhaltend erfolgt sei (UA S. 15), führt zu keinem anderen Ergebnis, da auch dies für den Senat nicht nachprüfbar ist.

123. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Feststellung des Umfangs der vom Angeklagten hinterzogenen Steuern auf einer rechtsfehlerhaften Schätzung beruht und das Landgericht deshalb bei der Strafzumessung von einem zu hohen Schuldumfang ausgegangen ist. Der Strafausspruch hat daher keinen Bestand. Aus demselben Grund kann auch der am Verkürzungsumfang anknüpfende Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c StGB) keinen Bestand haben. Der Rechtsfolgenausspruch ist daher insgesamt aufzuheben.

134. Demgegenüber hält der Schuldspruch revisionsgerichtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand. Angesichts des Geständnisses des Angeklagten kann der Senat für jeden der verfahrensgegenständlichen Besteuerungszeiträume ausschließen, dass bei rechtsfehlerfreier Schätzung der Besteuerungsgrundlagen eine Steuerverkürzung gänzlich entfiele.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:290818B1STR374.18.0

Fundstelle(n):
AO-StB 2019 S. 22 Nr. 1
BFH/NV 2019 S. 95 Nr. 1
HFR 2018 S. 991 Nr. 12
NJW 2019 S. 869 Nr. 12
PStR 2018 S. 304 Nr. 12
wistra 2019 S. 205 Nr. 5
NAAAG-98289