BGH Urteil v. - III ZR 267/16

Schlichtung als Prozessvoraussetzung: Auslegung einer Schlichtungsklausel; Ausschlussfrist zur Anrufung der Schlichtung

Gesetze: § 133 BGB, § 157 BGB

Instanzenzug: Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 1 U 167/15vorgehend LG Magdeburg Az: 9 O 451/14

Tatbestand

1Die Klägerin begehrt mit einer Teilklage Vergütung für anästhesiologische Leistungen bei Operationen in der Klinik der Beklagten sowie Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten.

2Sie stützt ihre Vergütungsforderung auf einen zwischen den Parteien am geschlossenen "Vertrag zur Hausanästhesie in der Praxisklinik S.        ", dessen § 15 unter der Überschrift "Schlichtung" folgende Regelungen enthält:

"(1) Sollte es aus diesem Vertrag zu Streitigkeiten kommen, so sind sich die Vertragspartner einig, dass eine Anrufung staatlicher Gerichte nur nach Durchführung einer Schlichtung stattfinden soll.

(2) ...

(3) Die Anrufung der Schlichtung hat innerhalb von drei Monaten nach Geltendmachung der Ansprüche unter gleichzeitiger Benennung des Schlichters zu erfolgen.

(4) Der Schlichtungsversuch gilt als gescheitert, wenn die Schlichtungskommission nicht innerhalb von drei Monaten nach Anrufung entscheidet."

3Ein Schlichtungsverfahren fand zwischen den Parteien nicht statt.

4Die Klägerin trat ihre Forderungen an die M.      Praxisklinik S.       GmbH ab, die auch die Klage erhoben hat. Die Zessionarin hat die Forderungen im Verlauf des Rechtsstreits an die Klägerin zurückabgetreten, die sodann anstelle der M.      Praxisklinik S.        GmbH in den Prozess eingetreten ist.

5Das Landgericht, bei dem eine Güteverhandlung vor dem Güterichter ohne Erfolg geblieben war, hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Nachdem das Oberlandesgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen hat, verfolgt die Klägerin mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision ihre Forderung weiter.

Gründe

6Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

7Das Berufungsgericht hat - dem Landgericht folgend - die Schlichtungsklausel in § 15 Abs. 1 des Vertrags dahingehend ausgelegt, dass eine Anrufung der ordentlichen Gerichte erst nach gescheiterter Schlichtung möglich sei. Die Klage sei daher auf die von der Beklagten erhobene Einrede des (noch) ausstehenden Schlichtungsversuchs als derzeit unzulässig abzuweisen. Bedenken gegen die Wirksamkeit der vertraglichen Schlichtungsregelungen bestünden auch dann nicht, wenn sie - was offen bleiben könne - Allgemeine Geschäftsbedingungen der Beklagten seien. § 15 des Vertrags sei seinem konkreten Inhalt nach weder intransparent noch undurchführbar. Die in § 15 Abs. 3 des Vertrags genannte Frist von drei Monaten sei nicht als Ausschlussfrist anzusehen, deren Verstreichen zur Folge habe, dass das Schlichtungsverfahren nicht mehr stattfinden müsse. Ein Schlichtungsversuch sei auch nicht wegen der erfolglos durchgeführten Verhandlung vor dem Güterrichter entbehrlich. Im Übrigen erscheine die Teilklage schon mangels hinreichender Bestimmtheit des Klagegegenstands im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO als derzeit unzulässig.

II.

8Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

91. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass die Parteien keinen außergerichtlichen Schlichtungsversuch unternommen haben.

10Vereinbaren die Parteien, dass vor Anrufung der staatlichen Gerichte der Versuch einer gütlichen Einigung durch Vermittlung einer Schlichtungskommission unternommen werden muss, wird damit regelmäßig die sofortige Klagbarkeit ausgeschlossen (, NJW-RR 2017, 229, 231 Rn. 36 und vom - XII ZR 165/06, NJW-RR 2009, 637 Rn. 18). Die Nichteinhaltung der Schlichtungsvereinbarung ist nur auf die Einrede des Beklagten zu beachten ( aaO und vom aaO Rn. 19). Auf diese Einrede kann sich die Beklagte im vorliegenden Fall nicht (mehr) mit Erfolg berufen. Denn die in § 15 Abs. 3 des Vertrags vorgesehene Frist von drei Monaten zur Anrufung der Schlichtung ist eine Ausschlussfrist, nach deren fruchtlosem Ablauf der in § 15 Abs. 1 des Vertrags vereinbarte dilatorische Klageverzicht entfällt.

11a) Ob es sich bei den streitigen vertraglichen Schlichtungsregelungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, die der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Nachprüfung unterliegen und vom Revisionsgericht selbst ausgelegt werden können (vgl. z.B. Senat, Urteile vom - III ZR 56/17, NJW 2018, 534, 535 Rn. 16; vom - III ZR 126/15, BGHZ 209, 52, 67 Rn. 44 und vom - III ZR 330/07, NJW 2008, 2495 Rn. 10 f), kann offen bleiben. Auch wenn man von individuell ausgehandelten Vertragsbestimmungen ausgeht, deren tatrichterliche Auslegung nur eingeschränkt revisionsgerichtlich überprüfbar ist, ist die Auffassung des Berufungsgerichts, § 15 Abs. 3 bestimme keine Ausschlussfrist für die Durchführung des Schlichtungsverfahrens, rechtsfehlerhaft. Denn sie lässt die allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätze außer Acht, dass vom Wortlaut der auslegungsbedürftigen Vereinbarung auszugehen und derjenigen Auslegungsmöglichkeit der Vorzug zu geben ist, die der getroffenen Regelung eine tatsächliche Bedeutung verleiht, wenn sie sich anderenfalls als sinnlos darstellen würde (vgl. , DStR 2005, 1018, 1019 und vom - II ZR 19/97, DStR 1998, 1274).

12b) Der Wortlaut des § 15 Abs. 3, nach dem die Anrufung der Schlichtung innerhalb von drei Monaten nach Geltendmachung der Ansprüche zu erfolgen hat, lässt sich mit der Annahme, es handele sich um keine Ausschlussfrist, nicht vereinbaren. Dass die Anrufung der Schlichtung "innerhalb" der vorgenannten Frist zu erfolgen "hat" (und nicht "soll") schließt schon nach allgemeinem Sprachverständnis aus, dass auch noch nach dem Ablauf der Frist ein Schlichtungsverfahren eingeleitet werden kann.

13c) Sähe man dies anders, wäre die Fristenregelung in § 15 Abs. 3 sinnlos und überflüssig. Dagegen ergibt sie als Festlegung einer Ausschlussfrist auch im Zusammenhang mit den übrigen, die Schlichtung betreffenden vertraglichen Regelungen Sinn. Dies gilt zunächst mit Blick auf den Wortlaut des § 15 Abs. 1 des Vertrags, nach dem eine Anrufung staatlicher Gerichte nur nach Durchführung einer Schlichtung stattfinden "soll" (aber nicht "stattfindet"). Denn diese Wortwahl lässt es zu, dass eine Schlichtung zwischen den Parteien nicht in jedem Fall zwingend der Anrufung staatlicher Gerichte vorausgehen muss, wobei auch das Wort "nur" der Anordnung eines außergerichtlichen Streitbeilegungsversuchs keinen eindeutig obligatorischen Charakter verleiht. Mangels eines solchen fehlt aber eine belastbare Grundlage für die entscheidungstragende Erwägung des Berufungsgerichts, dass es dem Anspruchsteller verwehrt sein müsse, durch Untätigkeit während der dreimonatigen Frist die Schlichtung zu "unterlaufen". Dieses Argument greift im Übrigen auch deshalb nicht, weil die Beklagte innerhalb von drei Monaten nach Geltendmachung der Ansprüche selbst eine Schlichtung hätte anrufen und so ein "Unterlaufen" der Frist hätte verhindern können. Mit der Annahme einer Ausschlussfrist ebenfalls gut vereinbar ist schließlich der Zweck der Fristvorgaben nach § 15 Abs. 3 und 4 des Vertrags, die erkennbar bewirken sollen, dass ein Schlichtungsversuch möglichst zügig unternommen wird und spätestens sechs Monate nach Geltendmachung der streitigen Forderung Klarheit über seinen Erfolg besteht.

142. Danach kommt es auf die von der Revision erhobenen Bedenken gegen die Wirksamkeit der Schlichtungsvereinbarung wegen Fehlens rechtsstaatlicher Mindeststandards für das Schlichtungsverfahren und eines berechtigten Interesses der Parteien an einer außergerichtlichen Streitbeilegung nicht an.

153. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Insbesondere hätte die Berufung gegen das erstinstanzliche klageabweisende Prozessurteil nicht wegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zurückgewiesen werden können.

16a) Zwar trifft die Einschätzung des Berufungsgerichts, der Gegenstand der Teilklage sei nicht hinreichend bestimmt, im Ergebnis zu. Diese Unbestimmtheit ergibt sich bereits daraus, dass unklar ist, ob die Klägerin einen Teil des in der von ihr vorlegten Anlage K 7 errechneten Kontokorrentsaldos aus eigenen Forderungen und Gegenforderungen der Beklagten zum Stichtag in Höhe von 53.928,63 € oder - als einen anderen Streitgegenstand - einen Teil der in diesen Saldo eingestellten Einzelpositionen "offene Forderungen an PKS Narkoseleistungen aus IV-Vertrag" für 2012 und die folgenden Kalenderjahre gemäß Schriftsatz vom geltend macht. Auf die im Berufungsurteil verlangte weitere Aufschlüsselung, in welcher Reihenfolge die einzelnen Vergütungsforderungen zur "Auffüllung" der Klageforderung herangezogen werden, kommt es daher allenfalls in zweiter Linie an. Zum Gegenstand ihrer Teilklage hat die Klägerin im bisherigen Verlauf des Verfahrens und unter anderem noch in ihrer Berufungsbegründung vom widersprüchlich vorgetragen, indem sie sich wechselweise auf den Kontokorrentsaldo und/oder die vorgenannten Einzelpositionen berufen hat.

17b) Gleichwohl hätte jedoch im vorliegenden Fall mangels hinreichender Bestimmtheit des Klagegegenstands ohne Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin weder die Teilklage als unzulässig abgewiesen noch die Berufung hiergegen zurückgewiesen werden dürfen. Denn die Vorinstanzen haben die Klägerin - was sie mit der Revision ausdrücklich beanstandet - nicht (rechtzeitig) auf diesen Zulässigkeitsmangel hingewiesen. Ein solcher Hinweis hätte noch vor Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung erfolgen müssen, um der Klägerin Gelegenheit zur Konkretisierung ihres Klagebegehrens zu geben. Tatsächlich ist sie erst im Berufungsurteil - mit nachrangigen Erwägungen - auf die ungenügende Bestimmtheit der Klage aufmerksam gemacht worden.

18Zwar sind Mängel beim notwendigen Inhalt der Klageschrift im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten. Diese führen aber dann nicht zur Zurückweisung der Revision, wenn hierzu in den Vorinstanzen kein rechtliches Gehör gewährt worden ist. Werden Mängel des Klageantrags erstmals in der dritten Instanz festgestellt, hebt das Revisionsgericht das angefochtene Berufungsurteil auf und verweist die Sache an das Berufungsgericht zurück, um der Klagepartei aus Gründen des Vertrauensschutzes und der prozessualen Fairness Gelegenheit zu geben, in der wiedereröffneten zweiten Instanz den Gegenstand ihrer Klage zu konkretisieren (vgl. , NJW 2014, 1534, 1537 f Rn. 49; vom - I ZR 55/12, NJW 2014, 775, 776 Rn. 12 und 14 und vom - I ZR 191/03, GRUR 2007, 607, 608 Rn. 15 und 609 Rn. 18).

194. Nach alldem ist das angefochtene Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO), das zunächst auf eine Klarstellung des Gegenstands der Teilklage hinzuwirken haben wird.

20In diesem Zusammenhang weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die Klage auch dann, wenn sie sich nach dem Willen der Klägerin nicht auf den Kontokorrentsaldo, sondern auf die in der Anlage K 7 saldierten Einzelpositionen beziehen sollte, nicht schon wegen fehlender Aktivlegitimation unbegründet sein dürfte. Zwar ist der Klägerin nach im Februar 2014 erfolgter Forderungsabtretung an die M.     Praxisklinik S.      GmbH im Januar 2015 nur eine Forderung in Höhe des zum Stichtag bestehenden Kontokorrentsaldos rückabgetreten worden. Allerdings dürfte bereits der Abtretungsvertrag vom Februar 2014 mangels Bestimmbarkeit des Abtretungsgegenstandes unwirksam gewesen und die Klägerin damit Inhaberin aller ihrer Forderungen gegen die Beklagte geblieben sein.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:160818UIIIZR267.16.0

Fundstelle(n):
SAAAG-97862