BGH Beschluss v. - 1 StR 88/18

Strafverfahren: Ablehnung eines Beweisantrages wegen einer aufs Geratewohl ins Blaue hinein aufgestellten Beweisbehauptung

Gesetze: § 244 StPO

Instanzenzug: Az: 6 KLs 154 Js 55435/06

Gründe

1Der Angeklagte war im ersten Rechtsgang wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung, Betrugs in sechs Fällen, davon in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Untreue, sowie wegen Untreue in zwei weiteren Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem Bankrott, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Davon hatte das Landgericht drei Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt.

2Dieses Urteil hatte der Senat auf die Revision des Angeklagten mit Beschluss vom mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Betrugs in sechs Fällen, in zwei Fällen davon in Tateinheit mit Untreue, verurteilt worden war, sowie im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.

3Die nunmehr zuständige Strafkammer hat die Betrugsstraftaten nach §§ 154, 154a StPO behandelt und den Angeklagten wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung, Untreue in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem Bankrott, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und davon (insgesamt) sechs Monate als vollstreckt erklärt.

4Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

51. Der Angeklagte beanstandet zutreffend, dass die Strafkammer im Fall III. 1 der Urteilsgründe (Tatkomplex Eheleute H.      ) einen Beweisantrag mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt hat.

6a) Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

7Im Hauptverhandlungstermin vom hat der Angeklagte beantragt,    O. als Zeugen zu vernehmen. Dieser werde in seiner Eigenschaft als (vormaliger) Aufsichtsratsvorsitzender bestätigen, dass die aus der Versteigerung der Immobilie mit dem vormaligen Restaurant P. erzielten Erlöse vollständig an die Gläubiger der J.     AG geflossen seien, somit aus dem Erlös keine Beträge oder Teilbeträge beim Angeklagten persönlich verblieben seien. Weiter werde er bestätigen, dass der Geschädigte H.      aus dem vorgenannten Versteigerungserlös eine Teilzahlung in Höhe von 40.000 € erhalten habe.

8Diesen Antrag hat die Strafkammer mit der Begründung zurückgewiesen, es handele sich nur scheinbar um einen förmlichen Beweisantrag, da die insoweit unter Beweis gestellte Tatsache ohne jede tatsächliche Grundlage aufs Geratewohl ins Blaue hinein behauptet worden sei. Auch unter Berücksichtigung der Aktenlage und des bisherigen Beweisergebnisses bestehe kein Anhaltspunkt dafür, dass der Geschädigte H.      aus der Versteigerung 40.000 € erhalten haben könnte. Der Geschädigte habe in seiner Zeugenvernehmung vielmehr ausdrücklich und glaubhaft dargelegt, aus der Zwangsversteigerung des Restaurants letztlich faktisch nichts erhalten zu haben. Auch unter Aufklärungsgesichtspunkten sehe die Kammer keine Veranlassung, dem Antrag nachzugehen.

9b) Die Verfahrensrüge ist begründet. Bei dem gegenständlichen Beweisbegehren handelt es sich um einen Beweisantrag, nicht nur um einen Beweisermittlungsantrag.

10Zwar muss einem in die Form eines Beweisantrags gekleideten Beweisbegehren ausnahmsweise nicht oder allenfalls nach Maßgabe der Aufklärungspflicht nachgegangen werden, wenn die Beweisbehauptung ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt und ohne jede begründete Vermutung aufs Geratewohl ins Blaue hinein aufgestellt wurde, so dass es sich nur um einen nicht ernstlich gemeinten, zum Schein gestellten Beweisantrag handelt. Für die Beurteilung, ob ein aufs Geratewohl gestellter Antrag vorliegt, ist die Sichtweise eines verständigen Antragstellers entscheidend. Es kommt nicht darauf an, ob das Tatgericht eine beantragte Beweiserhebung für erforderlich hält (vgl. mwN, NStZ 2013, 536, 537).

11Nach diesem Maßstab lässt sich die Beweisbehauptung nicht als aufs Geratewohl aufgestellt ansehen. Die Beweisbehauptung hatte einen tatsächlichen Anhaltspunkt, da die Eheleute H.       jedenfalls einen nicht konkret bezifferten Betrag aus der Versteigerung des Restaurants erhalten haben („geringfügiger Betrag“, UA S. 44; „letztlich faktisch nichts“, ablehnender Beschluss RB S. 3). Sie konnte deshalb ungeachtet der Gründe, die die Strafkammer in ihrem Beschluss nach Würdigung des gesamten Beweisergebnisses gegen die Zahlung von 40.000 € an die Geschädigten H.      aus der Versteigerung des Restaurants angeführt hat, nicht als nicht ernstlich gemeint gewertet werden. Jedenfalls hat das Landgericht mit seiner Erwägung, dass die unter Beweis gestellte Tatsache ohne jede tatsächliche Grundlage behauptet worden sei, die Grenzen der vorgenannten Rechtsprechung missachtet. Danach kann es dem Antragsteller grundsätzlich nicht verwehrt sein, auch solche Tatsachen zum Gegenstand eines Beweisantrags zu machen, deren Richtigkeit er lediglich vermutet oder für möglich hält (st. Rspr.; vgl. mwN, NStZ 2013, 536, 537).

12c) Auf der rechtsfehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags kann der Strafausspruch im Fall III. 1 (Eheleute H.     ) beruhen. Das Landgericht hat zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass der Schaden in Höhe von 40.000 € durch die Abtretung von Forderungen und Übertragung einer Eigentümergrundschuld nachträglich vermindert worden ist. Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass die Strafkammer eine niedrigere Einzelstrafe verhängt hätte, wenn es den beantragten Beweis erhoben und sich die Beweisbehauptung, die Geschädigten H.      hätten weitere 40.000 € als Schadensausgleich erhalten, bestätigt hätte.

13Mit der Aufhebung dieser Einzelstrafe ist auch dem Gesamtstrafausspruch die Grundlage entzogen.

142. Die Entscheidung des Landgerichts über die Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung enthält keine dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler, bedarf aber der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Neufassung.

15Die Strafkammer hat zwar nicht übersehen, dass sie lediglich über eine Kompensation für eine nach dem Urteil im ersten Rechtsgang eingetretene Verfahrensverzögerung zu entscheiden hatte, hat aber dennoch eine einheitliche, auf die gesamte Verfahrensdauer bezogene - den Angeklagten aber nicht belastende - Entscheidung über die Kompensation der Verfahrensverzögerung getroffen.

16Der Ausspruch im landgerichtlichen Urteil vom , dass drei Monate der dort verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gelten, war bereits in Rechtskraft erwachsen. Der Aufhebungsbeschluss des Senats betraf lediglich den Schuld- und Strafausspruch hinsichtlich der Betrugsstraftaten nebst der hiermit in Tateinheit stehenden Untreuedelikte und der zugehörigen Feststellungen. Dazu gehört die Entscheidung über die Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung durch die Anordnung, dass ein Teil der Strafe als vollstreckt gilt, nicht (, wistra 2016, 486, 487 f. und vom - 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135; Beschlüsse vom - 3 StR 381/13 und vom - 1 StR 79/15, NStZ 2016, 428, 429). Daher konnte das Landgericht lediglich noch über die zusätzliche Kompensation für die danach eingetretene Verzögerung entscheiden. Hierfür hat die Strafkammer eine Kompensation von drei Monaten für erforderlich erachtet. Sie hätte daher eine weitere Kompensation von drei Monaten anordnen müssen. Der Anregung des Generalbundesanwalts folgend hat der Senat eine entsprechende Klarstellung des Tenors des angefochtenen Urteils vorgenommen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:060418B1STR88.18.0

Fundstelle(n):
KAAAG-97642