BVerwG Beschluss v. - 5 PB 2/18

Berechnung und Zuordnung der zu verteilenden Freistellungen von Personalratsmitgliedern

Leitsatz

Bei der Zuordnung der nach dem Vorsitzenden verbleibenden restlichen Freistellungen von Personalratsmitgliedern nach § 40 Abs. 3 Satz 2 HPVG (juris: PersVG HE) ist die Freistellung des Vorsitzenden nicht vorab von dem Gesamtkontingent der Freistellungen abzuziehen. Sie ist vielmehr auf den nach dem Berechnungsmodell von Hare-Niemeyer ermittelten Stimmenanteil der Gewerkschaft oder freien Liste anzurechnen, welcher der Vorsitzende angehört.

Gesetze: § 40 Abs 3 S 1 PersVG HE, § 40 Abs 3 S 2 PersVG HE, § 111 Abs 3 S 1 PersVG HE

Instanzenzug: Hessischer Verwaltungsgerichtshof Az: 22 A 2843/16.PV Beschlussvorgehend VG Wiesbaden Az: 23 K 1222/16.WI.PV

Gründe

1Die gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs gerichtete Beschwerde des Personalrats - des Beteiligten zu 1 - hat keinen Erfolg.

21. Die Rechtsbeschwerde ist nicht wegen des von der Beschwerde geltend gemachten Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage zuzulassen (§ 111 Abs. 3 Satz 1 HPVG i.V.m. § 92a Satz 2, § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

3Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 hält folgende Frage für klärungsbedürftig (S. 3 der Beschwerdebegründung):

"Ist bei der Verteilung der Freistellungen nach § 40 Abs. 3 S. 2 HPVG so zu verfahren, dass nach der Freistellung des Vorsitzenden bei der Zuteilung der weiteren Freistellungen der Vorsitzende unabhängig von seiner Gruppen- und Listenzugehörigkeit vom Gesamtkontingent der Freistellungen zunächst abzuziehen ist und die hiernach verbleibenden Freistellungen ohne Berücksichtigung des Vorsitzenden nach dem Prinzip von Hare-Niemeyer zu verteilen sind?".

4Diese Frage und das diesbezügliche Vorbringen der Beschwerde rechtfertigen die Zulassung wegen Grundsatzbedeutung nicht. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne der nach § 111 Abs. 3 Satz 1 des Hessischen Personalvertretungsgesetzes (HPVG) in der Fassung vom (GVBl. I S. 103) entsprechend anwendbaren Regelung des § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG kommt einer Rechtsfrage nur zu, wenn mit ihr eine für die erstrebte Rechtsbeschwerdeentscheidung erhebliche und klärungsfähige Frage aufgeworfen wird, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts der Klärung bedarf. Eine Rechtsfrage ist in einem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht (mehr) klärungsbedürftig, wenn sie in der Rechtsprechung des Rechtsbeschwerdegerichts bereits geklärt ist oder wenn sie sich auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und mithilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation eindeutig beantworten lässt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 6 PB 24.08 - Buchholz 251.7 § 42 NWPersVG Nr. 6, vom - 5 B 64.08 - juris Rn. 5 und vom - 5 PB 7.17 - juris Rn. 4; - BAGE 148, 337 Rn. 8 m.w.N.). So liegt es hier.

5Mithilfe der üblichen Regeln der Gesetzesinterpretation erschließt sich ohne Weiteres, dass die von der Beschwerde zu der streitgegenständlichen Rechtsnorm des § 40 Abs. 3 Satz 2 HPVG aufgeworfene Frage zu verneinen ist und sich die hierzu vom Verwaltungsgerichtshof vertretene Rechtsansicht im Ergebnis als zutreffend erweist. Der Verwaltungsgerichtshof geht - entgegen der Auffassung des Beteiligten zu 1 - zu Recht davon aus, dass bei der Zuordnung der nach dem Vorsitzenden verbleibenden restlichen Freistellungen die Freistellung des Vorsitzenden auf den nach dem Berechnungsmodell von Hare-Niemeyer ermittelten Stimmenanteil der Gewerkschaft oder freien Liste anzurechnen ist, welcher der Vorsitzende angehört. Diese Rechtsansicht entspricht auch der - soweit ersichtlich - einhelligen Auffassung der zu der landesrechtlichen Regelung des § 40 Abs. 3 Satz 2 HPVG ergangenen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (vgl. VG Frankfurt a.M., Urteil vom - 23 L 3458/04 - PersV 2005, 179 <183>; VG Wiesbaden, Beschluss vom - 23 K 1222/16.WI.PV - nicht veröffentlicht <erstinstanzliche Entscheidung im vorliegenden Verfahren>; VG Darmstadt, Beschluss vom - 23 K 1768/16.DA.PV - PersV 2018, 313 <316>). Sie liegt ferner auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. .PV - PersV 2014, 265 Rn. 58 f.) und widerspricht jedenfalls in der vorliegenden Fallkonstellation - anders als die Beschwerde meint - auch nicht der Auffassung der Kommentarliteratur (vgl. Dobler, in: v. Roetteken/Rothländer, Hessisches Bedienstetenrecht, Teilausgabe I, Personalvertretungsrecht, § 40 Rn. 236 und 240 f., Stand November 2016).

6Nach § 40 Abs. 3 Satz 1 HPVG sind Mitglieder des Personalrats auf Antrag des Personalrats von ihrer dienstlichen Tätigkeit freizustellen, wenn und soweit es nach Umfang und Art der Dienststelle zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Bei der Freistellung sind nach dem Vorsitzenden die Gruppen entsprechend ihrer Stärke und die im Personalrat vertretenen Gewerkschaften und freien Listen entsprechend ihrem Stimmenanteil zu berücksichtigen, soweit sie nicht auf die Freistellung verzichten; dabei ist der Vorsitzende anzurechnen (§ 40 Abs. 3 Satz 2 HPVG).

7Schon aus dem Wortlaut des § 40 Abs. 3 Satz 2 HPVG erschließt sich, dass der Personalrat die Freistellungen sowohl auf die Gruppen (Beamte und Angestellte) entsprechend ihrer Stärke als auch auf die Gewerkschaften und freien Listen nach Maßgabe ihres Stimmenanteils zu verteilen hat und auf dieses Verteilungsergebnis die Freistellung des Vorsitzenden anzurechnen ist. Die Verwendung des Begriffs "anzurechnen" legt dabei nahe, dass die Berechnung, wie die Freistellungen zu verteilen sind, zunächst unter der Einbeziehung des mit einer Freistellung bedachten Vorsitzenden zu erfolgen hat. Wäre dessen Freistellung - wofür sich die Beschwerde ausspricht - bereits vorab vom Gesamtkontingent der Freistellungen abzuziehen, wäre es dem Wortsinn nach schwerlich möglich, die Freistellung des Vorsitzenden, die dann nach dem Abzug schon nicht mehr Teil der weiteren Berechnung gewesen wäre, noch auf deren Ergebnis "anzurechnen" (vgl. VG Darmstadt, Beschluss vom - 23 K 1768/16.DA.PV - PersV 2018, 313 <316>). Auch die binnensystematische Stellung des in § 40 Abs. 3 Satz 2 HPVG nach dem Semikolon stehenden letzten Teilsatzes ("dabei ist der Vorsitzende anzurechnen") spricht in gewichtiger Weise dafür, dass die nach dem Vorsitzenden verbleibenden Freistellungen entgegen der Ansicht der Beschwerde nicht "ohne Berücksichtigung des Vorsitzenden" zu verteilen sind. Vielmehr bezieht sich das Anrechnungsgebot (§ 40 Abs. 3 Satz 2 letzter Teils. HPVG) seiner systematischen Stellung nach in unmissverständlicher Form auch auf den Stimmenanteil der jeweiligen Gewerkschaft oder freien Liste, welcher der Vorsitzende angehört.

8Dieses Auslegungsergebnis wird überdies - worauf sich der Verwaltungsgerichtshof zutreffend bezogen hat - durch die Entstehungsgeschichte der im Streit stehenden Regelung und ihren sich daraus erschließenden Zweck bestätigt. Satz 2 des § 40 Abs. 3 HPVG ist mit Wirkung vom durch das Zweite Gesetz zur Beschleunigung von Entscheidungsprozessen innerhalb der öffentlichen Verwaltung vom (GVBl. I S. 494) in die Vorschrift eingefügt worden und soll - in Anknüpfung an das bei der Wahl erzielte Ergebnis - eine gerechtere Verteilung der Freistellungen gewährleisten (vgl. dazu bereits .PV - PersV 2014, 265 Rn. 52 f.). In der Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktion der CDU vom (LT-Drs. 16/317) ist dazu ausgeführt worden, es solle gewährleistet werden, dass nicht nur die stärkste Liste alle Freistellungen für sich in Anspruch nehmen kann, sondern auch andere Listen zum Zuge kommen können. Deshalb sei vorgesehen, dass die Vorschlagslisten entsprechend ihrem Stimmenanteil zu berücksichtigen sind. Nach dem geltenden Wahlmodus (Hare-Niemeyer) bedeute dies, dass das Wahlergebnis der Liste mit der Gesamtzahl der möglichen Freistellungen zu multiplizieren und das Produkt durch die Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen zu teilen sei. Die Freistellungen entfielen dann zunächst auf die Listen, bei denen diese Rechnung zu ganzen Zahlen führe, sodann auf diejenigen mit dem höchsten Zahlenbruchteil. Ausdrücklich heißt es sodann: "Der Vorsitzende kommt bei seiner Liste in Anrechnung.".

9Damit soll in Fällen der vorliegenden Konstellation auch dem Gedanken des Minderheitenschutzes Rechnung getragen werden (vgl. .PV - PersV 2014, 265 Rn. 65). Die Vergabe der Freistellungen soll - wie der Verwaltungsgerichtshof in der angefochtenen Entscheidung zu Recht ausführt - anhand des erzielten Wahlergebnisses erfolgen und der Gruppe bzw. der Gewerkschaft oder freien Liste, welcher der Vorsitzende angehört, keine zusätzliche Freistellung verschaffen, sondern zur Anrechnung der Freistellung auf ihren Anteil führen. Ansonsten hätte dies gerade in Fällen der vorliegenden Art mit insgesamt zwei Freistellungen, in denen der Vorsitzende - wie hier - der Liste mit dem höchsten Stimmenanteil angehört, im praktischen Ergebnis regelmäßig das zur Folge, was ausweislich der Gesetzesbegründung gerade verhindert werden soll, nämlich dass die Liste oder Gewerkschaft mit dem höchsten Stimmenanteil nicht nur die Freistellung des Vorsitzenden, sondern immer auch die zweite Freistellung für sich in Anspruch nehmen kann. Der Einwand der Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 6), eine Verteilung der Freistellungen, so wie sie der Verwaltungsgerichtshof vorsehe, gebe bei einer Behörde mit zwei Freistellungen die Mehrheitsverhältnisse nicht richtig wieder, verfängt deshalb nicht. Das Gesetz will - wie dargelegt - gerade eine Abbildung der Mehrheitsverhältnisse unter Berücksichtigung der Listenzugehörigkeit des Vorsitzenden gewährleisten.

10Nicht durchgreifend ist auch der weitere Einwand der Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 6), die Verfahrensweise der Vorinstanz führe bei zwei Freistellungen stets zu dem Ergebnis, dass bei zwei vertretenen Listen immer die zweite Liste auch die zweite Freistellung erhielte und diese stets auf eine Liste bzw. - wie hier - auf ein Mitglied der Liste zulaufe. Diese Berechnung der Beschwerde trifft nicht zu. So wäre etwa im vorliegenden Fall die zweite Freistellung nicht auf die zweitstärkste Liste (hier Liste 4), sondern auf den Wahlvorschlag 1 jener Gewerkschaft entfallen, welcher der Vorsitzende angehört, wenn für Letztere in der Gruppe der Arbeitnehmer ein Quotient von mehr als 1,5 ermittelt worden wäre (statt des errechneten Quotienten von 1,37).

11Soweit die Beschwerde schließlich einwendet (Beschwerdebegründung S. 6), die vom Verwaltungsgerichtshof vorgesehene Verfahrensweise laufe bei der Verteilung der zweiten Freistellung stets auf ein reines Rechenverfahren hinaus und eine Wahl bzw. Beschlussfassung durch den Personalrat entfalle, greift auch dieser Einwand nicht durch. Dem hat bereits der Verwaltungsgerichtshof zu Recht entgegengehalten, dass nach dem Gesetz eine (verbleibende) Wahlmöglichkeit des Personalrats nicht zwingend vorgegeben sei, sondern dessen Beschlussfassung über die Verteilung der zu beantragenden Freistellungen den gesetzlichen Vorgaben des § 40 Abs. 3 Satz 2 HPVG zu folgen und diese nachzuvollziehen habe. Die Beschwerde lässt insoweit überdies außer Acht, dass Wahlmöglichkeiten des Personalrats gegebenenfalls auch dadurch entstehen können, dass Angehörige einer Gruppe, Gewerkschaft oder Liste auf ihre Berücksichtigung bei der Freistellung verzichten (vgl. dazu VG Frankfurt a.M., Urteil vom - 23 L 3458/04 - PersV 2005, 179 <183>; Dobler, in: v. Roetteken/Rothländer, Hessisches Bedienstetenrecht, Teilausgabe I, Personalvertretungsrecht, § 40 Rn. 240a ff., Stand November 2016).

122. Von einer weiteren Begründung wird nach § 111 Abs. 3 Satz 1 HPVG i.V.m. § 92a Satz 2 i.V.m. § 72a Abs. 5 Satz 5 Alt. 1 ArbGG abgesehen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2018:100918B5PB2.18.0

Fundstelle(n):
NJW 2019 S. 10 Nr. 1
TAAAG-96064