Wiedereinsetzung bei Versäumung einer Rechtsmittelfrist nach rechtzeitig gestelltem Prozesskostenhilfeantrag: Rechnenmüssen mit der Verweigerung der Prozesskostenhilfe
Leitsatz
Einer Prozesspartei, die vor Ablauf einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist lediglich Prozesskostenhilfe beantragt hat, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen schuldloser Fristversäumung nur dann zu bewilligen, wenn sie vernünftigerweise nicht mit einer Verweigerung der Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit rechnen musste. Mit der Verweigerung der Prozesskostenhilfe ist bereits dann zu rechnen, wenn das Rechtsmittelgericht auf Zweifel hinsichtlich der Bedürftigkeit der Prozesspartei hingewiesen hat und diese vernünftigerweise davon ausgehen muss, dass sie die Zweifel nicht ausräumen kann (Anschluss , NJW-RR 2010, 424).
Gesetze: § 115 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO
Instanzenzug: Brandenburgisches Az: 11 U 40/16vorgehend LG Frankfurt (Oder) Az: 14 O 81/15
Gründe
1Die Parteien streiten um Schadensersatz nach einem Glatteisunfall. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat beim Oberlandesgericht am letzten Tag der Berufungsfrist Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Berufung beantragt. Mit Verfügung vom , der Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am , hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an mangelnder Bedürftigkeit scheitern könnte, weil mit zwei Lebensversicherungen und einem Bausparguthaben das Schonvermögen übersteigende und das zweitinstanzliche Kostenrisiko deckende finanzielle Mittel vorhanden seien. Dem ist die Klägerin mit Anwaltsschriftsatz vom entgegengetreten, wobei sie geltend gemacht hat, die Verwendung der Mittel sei ihr hinsichtlich der Lebensversicherungen nicht zumutbar und hinsichtlich des Bausparguthabens mangels Zuteilungsreife noch nicht möglich. Das Berufungsgericht hat anschließend den Prozesskostenhilfeantrag mit einem der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zugestellten Beschluss zurückgewiesen. Daraufhin hat die Klägerin am Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
2Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin, die der Klägerin mit Einlegung der Rechtsbeschwerde als Nebenintervenientin beigetreten ist.
II.
3Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Denn eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache oder zur Fortbildung des Rechts erforderlich. Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Einklang.
41. Das Berufungsgericht hat die Berufung verworfen, weil diese verspätet eingelegt worden sei. Die beantragte Wiedereinsetzung sei der Klägerin zu versagen, weil sie die Wiedereinsetzungsfrist versäumt habe. Die Frist habe nicht erst mit der Zustellung des die Prozesskostenhilfe versagenden Beschlusses zu laufen begonnen, sondern aufgrund des Hinweises des Berufungssenats schon vorher, weil sie schon deswegen nicht mehr mit der Bewilligung von Prozesskostenhilfe habe rechnen können. Das ist nicht zu beanstanden.
52. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist einer Prozesspartei, die vor Ablauf einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist lediglich Prozesskostenhilfe beantragt hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen schuldloser Fristversäumung nur dann zu bewilligen, wenn sie vernünftigerweise nicht mit einer Verweigerung der Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit rechnen musste (BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 108/09, NJW-RR 2010, 424 Rn. 5; vom - XII ZB 184/05, NJW-RR 2008, 1313 Rn. 26; vom - XII ZB 116/05, NJW-RR 2006, 140, 141). Das war hier nicht der Fall. Mit Zugang des Hinweises des Berufungsgerichts vom , jedenfalls aber nach Prüfung der darin aufgeworfenen Fragen und damit spätestens mit Fertigung der Stellungnahme ihrer Prozessbevollmächtigen vom , musste die Klägerin vernünftigerweise damit rechnen, dass ihr die beantragte Prozesskostenhilfe mangels Bedürftigkeit versagt werden würde (vgl. , NJW-RR 2010, 424 Rn. 5).
6Ein etwaiges Vertrauen der Klägerin, der erstinstanzlich bei unveränderten wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt worden war, wurde mit dem hinreichend substantiierten Hinweis des Berufungsgerichts erschüttert. Die Klägerin musste seither gewärtigen, dass das Berufungsgericht die Sache anders einschätzen würde als das Gericht erster Instanz. In der Sache ist, was auch die Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom im Grundsatz nicht verkannt hat, das Bausparguthaben jedenfalls ab Zuteilungsreife zu verwerten (BAGE 118, 57; weitergehend OLG Brandenburg, FamRZ 2011, 52 zum Einsatz des Bausparguthabens vor Zuteilungsreife). Da Zuteilungsreife im Januar 2017 eingetreten ist, das Bausparguthaben das zweitinstanzliche Kostenrisiko vollständig abgedeckt hätte und damit nur noch zwei Monate zu überbrücken gewesen wären, wäre es der Klägerin zudem zuzumuten gewesen, die Kosten kurzfristig durch Beleihung einer ihrer zwei Lebensversicherungen zwischenzufinanzieren. Dies wäre nach den von der Klägerin selbst eingereichten Unterlagen zu einem monatlichen Betrag von 32,92 € möglich gewesen. Die der werktätigen Klägerin hierdurch entstehende Belastung mit insgesamt 65,84 € wäre damit geringer gewesen als die ihr nach den Berechnungen des Berufungsgerichts im Falle der Gewährung von Prozesskostenhilfe monatlich aufzuerlegende Ratenzahlung in Höhe von 88 €, so dass die Klägerin schon in Ansehung von § 115 Abs. 4 ZPO vernünftigerweise nicht mit der Gewährung von Prozesskostenhilfe hätte rechnen dürfen.
III.
7Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
8Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG. Die Klägerin verfolgt ihre ursprünglichen Klageansprüche mit der Berufung unter nunmehriger Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens lediglich zu 50 Prozent weiter. § 47 Abs. 1 Satz 2 GKG ist nicht einschlägig, weil die Frage der Fristgemäßheit von Berufung und Berufungsbegründung unmittelbar von der Bewertung des streitgegenständlichen Wiedereinsetzungsgesuchs abhängt.
IV.
9Mit der Verwerfung der Rechtsbeschwerde erledigt sich der Antrag der Beklagten zu 1 und 3 auf Einsicht in die PKH-Unterlagen der Klägerin.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2018:280818BVIZB44.17.0
Fundstelle(n):
NJW 2018 S. 3394 Nr. 46
NJW 2018 S. 9 Nr. 41
NJW-RR 2018 S. 1270 Nr. 20
TAAAG-94820