Auslegung einer vertraglichen Bezugnahmeklausel nach Änderungskündigung - "Neuvertrag"
Gesetze: § 133 BGB, § 157 BGB, § 2 S 1 KSchG, § 611a BGB, EGRL 23/2001, Art 16 EUGrdRCh
Instanzenzug: Az: 10 Ca 2714/16 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Düsseldorf Az: 14 Sa 852/16 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Anwendbarkeit von Tarifverträgen auf ihr Arbeitsverhältnis und daraus folgende Vergütungsansprüche der Klägerin.
2Die Beklagte betreibt Duty-Free-Shops an Flughäfen. Die Klägerin ist bei der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin, der Firma H, seit 1992 in Nordrhein-Westfalen beschäftigt. In dem Arbeitsvertrag vom heißt es auszugsweise:
3Mit Schreiben vom wurde die Klägerin zur Supervisorin ernannt und unter Verrechnung der übertariflichen Zulage in die Tarifgruppe III, B. nach dem 5. Tätigkeitsjahr eingestuft. Das Schreiben schloss mit den Worten:
4Mit Schreiben vom kündigte die Rechtsvorgängerin der Beklagten das Arbeitsverhältnis der Klägerin ordentlich zum und bot ihr zugleich an, sie über diesen Termin hinaus zu veränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen. In dem Schreiben heißt es dazu unter anderem:
5Die Klägerin nahm das Angebot der Rechtsvorgängerin der Beklagten auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Arbeitsbedingungen in der Folge unter dem Vorbehalt an, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht sozial ungerechtfertigt ist. Ihre zunächst gegen die Änderungskündigung erhobene Änderungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf nahm die Klägerin später zurück.
6Die Rechtsvorgängerin der Beklagten trat mit Ablauf des aus dem Arbeitgeberverband „Rheinischer Einzelhandels- und Dienstleistungsverband“ aus. Die zum im Gehaltstarifvertrag zwischen dem Handelsverband Nordrhein-Westfalen und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft - ver.di vom (im Folgenden GTV 2011) vorgesehene Erhöhung der Vergütung in der Gehaltsgruppe II nach dem 5. Tätigkeitsjahr gab sie noch an die Klägerin weiter. Seitdem erhält die Klägerin eine Vergütung iHv. 2.641,00 Euro brutto zuzüglich einer Reinigungspauschale, vermögenswirksamen Leistungen sowie Essensgeld für eine Vollzeittätigkeit.
7Am ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Wege eines Betriebsübergangs auf die Beklagte über, die nicht tarifgebundenes Mitglied eines Arbeitgeberverbands ist.
8Die Klägerin war bis zum sowie in der Zeit vom bis zum in Vollzeit und in der Zeit vom bis zum sowie seit dem in Teilzeit (27,7 Stunden) für die Beklagte tätig.
9Die zwischen dem Handelsverband Nordrhein-Westfalen und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft - ver.di für den Einzelhandel Nordrhein-Westfalen am für die Zeit ab dem (3 %) und ab dem (2,1 %) vereinbarten Tariferhöhungen gab die Beklagte ebenso wenig an die Klägerin weiter wie eine weitere 2,5 %-ige Tariferhöhung ab dem , sondern zahlte die Vergütung unverändert auf der Basis des im Zeitpunkt des Betriebsübergangs geltenden Tarifvertrags.
10Die Klägerin machte außergerichtlich mit Schreiben vom und nochmals mit anwaltlichen Schreiben vom 7. und die Tariferhöhungen schriftlich geltend. Die Beklagte teilte ihr mit Schreiben vom mit, ihrer Auffassung nach bestehe kein Anspruch auf Weitergabe von Tariferhöhungen; der Anspruch werde abhängig vom Ausgang eines bereits vor dem Arbeitsgericht anhängigen Rechtsstreits nochmals geprüft.
11Mit ihrer der Beklagten am zugestellten Klage hat die Klägerin die - betragsmäßig zwischen den Parteien unstreitigen - monatlichen Differenzen zwischen dem ihr gezahlten Gehalt und dem Entgelt der Gehaltsgruppe II (nach dem 5. Tätigkeitsjahr) des jeweils aktuellen Gehaltstarifvertrags für die Zeit von August 2013 bis einschließlich Januar 2016 eingeklagt. Sie hat die Auffassung vertreten, nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liege ein sogenannter Neuvertrag vor, in dem der ursprüngliche Arbeitsvertrag aufgrund des späteren Änderungsvertrags und durch das mit der Änderungskündigung verbundene Fortsetzungsangebot ausdrücklich bestätigt worden sei. Die Parteien hätten die Klausel dadurch zum Gegenstand einer erneuten Willensbildung gemacht.
12Die Klägerin hat - soweit für die Revision von Bedeutung - zuletzt beantragt,
13Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags die Auffassung vertreten, sie sei nicht zur Weitergabe der geltend gemachten Tariferhöhungen verpflichtet. Die Regelung in Ziffer 2 des ursprünglichen Arbeitsvertrags sei eine sogenannte Gleichstellungsabrede im Sinne der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Mit dem Austritt der Rechtsvorgängerin aus dem Arbeitgeberverband bzw. spätestens mit dem Betriebsübergang habe die dynamische Weiterentwicklung des in Bezug genommenen Tarifvertrags geendet. Es sei auch keine neue Vereinbarung hierzu geschlossen worden. Insbesondere führe das Änderungsangebot der Änderungskündigung nicht zu einem anderen Ergebnis; in diesem Zusammenhang sei kein neuer Vertrag vereinbart worden. Die bloße Verknüpfung zum ursprünglichen Vertrag genüge nicht, um dessen Regelungen zum Gegenstand einer neuen rechtsgeschäftlichen Willensbildung zu machen. Durch den Zusatz „alle übrigen Vertragsbedingungen würden unverändert bleiben“ habe gerade nichts verändert werden sollen.
14Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den Klageantrag zu 1. und den Feststellungsantrag zu 2. weiter.
Gründe
15Die zulässige Revision der Klägerin ist überwiegend begründet.
16I. Die Klageanträge sind zulässig.
171. Allerdings bedarf der Feststellungsantrag der Auslegung. Bereits die Vorinstanzen sind - zutreffend - davon ausgegangen, die Formulierung „zu berechnen, abzurechnen und auszuzahlen“ dürfe nicht wörtlich verstanden werden. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag unter Hinweis auf die entsprechende Auslegung im Urteil der 13. Kammer des - 13 Sa 449/15 -) dahingehend interpretiert, die Klägerin wolle festgestellt wissen, dass die Beklagte ihr auch in dem nicht mehr vom Leistungsantrag umfassten Zeitraum die Zahlung einer Vergütung gemäß der Gehaltsgruppe II (nach dem 5. Tätigkeitsjahr) der Tarifverträge für die Beschäftigten des Einzelhandels NRW in der jeweils geltenden Fassung schuldet. Gegen dieses Verständnis ihres Antrags hat die Klägerin keine Einwände erhoben.
182. Mit dem so verstandenen Klageantrag wird die Feststellung begehrt, dass ein bestimmter Tarifvertrag in seiner jeweils aktuellen Fassung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet (vgl. - Rn. 16, BAGE 159, 351; insoweit kritisch Jacobs jurisPR-ArbR 2/2018 Anm. 2; zur grds. Zulässigkeit solcher Elementenfeststellungsklagen - Rn. 11 mwN, BAGE 128, 165). Für den Fall der dynamischen Anwendbarkeit des Tarifvertrags steht die Eingruppierung der Klägerin zwischen den Parteien außer Streit. Die Beklagte stellt jedoch in Abrede, dass die nach dem Verbandsaustritt ihrer Rechtsvorgängerin bzw. nach dem Betriebsübergang abgeschlossenen Entgelttarifverträge auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin Anwendung finden. Insoweit besteht - für den nicht mehr von dem Leistungsantrag zu 1. erfassten Zeitraum - ein rechtliches Interesse iSd. § 256 Abs. 1 ZPO an der begehrten Feststellung.
19II. Die zuletzt gestellten Klageanträge sind - mit Ausnahme eines Teils der begehrten Zinsen - begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin nach der Vergütungsgruppe G II (nach 5 Jahren der Tätigkeit) des zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt geltenden Entgelttarifvertrags zwischen dem Handelsverband NRW und ver.di für den Einzelhandel in NRW zu vergüten. Die Klägerin hat daher auch Anspruch auf Zahlung der begehrten 3.394,31 Euro brutto nebst Zinsen.
201. Die zuletzt im Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwendende arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel verweist unbedingt zeitdynamisch auf die - aktuellen - Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel des Landes Nordrhein-Westfalen.
21a) Der von der Klägerin mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossene Arbeitsvertrag vom Februar 1992 nimmt in Ziffer 2 auf die Bestimmungen der Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel des Landes Nordrhein-Westfalen nebst Nachfolgeverträgen in ihrer jeweils geltenden Fassung Bezug. Da die Rechtsvorgängerin der Beklagten zu jenem Zeitpunkt tarifgebundenes Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbands war, haben die Vorinstanzen zutreffend angenommen, es habe sich um eine sogenannte Gleichstellungsabrede im Sinne der früheren Rechtsprechung des Senats gehandelt (vgl. zur Auslegung von sogenannten Altverträgen - Rn. 17 f. mwN).
22b) Die unter dem und damit vor dem Stichtag des geschlossene Änderungsvereinbarung hat daran zunächst nichts geändert.
23c) Aufgrund der in Folge der Änderungskündigung vom zustande gekommenen Änderungsvereinbarung liegt dem Arbeitsverhältnis der Parteien nunmehr jedoch ein sogenannter Neuvertrag zugrunde, der die Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel des Landes Nordrhein-Westfalen dynamisch in Bezug nimmt.
24aa) Der Senat hat seine oben genannte Rechtsprechung zur Auslegung vertraglicher Bezugnahmeklauseln als Gleichstellungsabreden aufgegeben. Er wendet die Auslegungsregel lediglich aus Gründen des Vertrauensschutzes weiterhin auf Bezugnahmeklauseln an, die vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform vereinbart worden sind ( - Rn. 24 ff., BAGE 116, 326; - 4 AZR 652/05 - Rn. 29 ff., BAGE 122, 74; bestätigt durch -; - 1 BvR 784/09 -). Bei Arbeitsverträgen, die vor dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum abgeschlossen worden sind („Altverträge“), kommt die Anwendung der früheren Auslegungsregel jedoch dann nicht - mehr - zum Tragen, wenn sie nach dem geändert worden sind. Dabei kommt es für die Beurteilung, ob es sich hinsichtlich der Auslegung dieser Klausel um einen „Neu-“ oder „Altvertrag“ handelt, maßgebend darauf an, ob die Klausel - erneut - zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist. Nur wenn dies der Fall ist, wird die jeweilige Klausel von der Vertragsänderung erfasst ( - Rn. 26; - 4 AZR 691/08 - Rn. 25 mwN). Dabei ist der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass allein der Umstand einer Vertragsänderung noch nicht zwingend dazu führt, dass zugleich stets alle vertraglichen Regelungen des ursprünglichen Arbeitsvertrags erneut vereinbart oder bestätigt würden. Ob eine solche Abrede gewollt ist, ist deshalb anhand der konkreten Vertragsänderung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ( - Rn. 27). Ein deutlicher Ausdruck, dass eine zuvor bestehende Verweisungsklausel erneut zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist, liegt beispielsweise in der Formulierung, „alle anderen Vereinbarungen aus dem Anstellungsvertrag [bleiben] unberührt“ (vgl. - Rn. 31; - 10 AZR 606/07 - Rn. 49, BAGE 127, 185) oder die „dabei nicht genannten Regelungen gelten weiter“ (vgl. - Rn. 34). Eine solche Regelung hindert die Annahme eines „Altvertrags“ und eine Rechtsfolgenkorrektur unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ( - Rn. 25, BAGE 132, 261).
25bb) Rechtsfehlerhaft hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Bezugnahmeklausel in Ziffer 2 des Arbeitsvertrags sei im Zuge des Abschlusses der Änderungsvereinbarung aufgrund der Änderungskündigung vom nicht zum Gegenstand der Willensbildung der Parteien gemacht worden.
26(1) Das Landesarbeitsgericht ist noch zutreffend davon ausgegangen, eine Änderungskündigung sei ein aus zwei Willenserklärungen zusammengesetztes Rechtsgeschäft (siehe iE: KR-Kreft 11. Aufl. § 2 KSchG Rn. 14 mwN). Anders als die Ausübung des Weisungsrechts zielt die Änderungskündigung auf eine Änderung des Vertrags ( - Rn. 14, BAGE 140, 328). Zur Kündigungserklärung muss als zweites Element ein bestimmtes, zumindest bestimmbares und somit den Voraussetzungen des § 145 BGB entsprechendes Angebot zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu geänderten Bedingungen hinzukommen, wobei dieses so konkret gefasst sein muss, dass es der Arbeitnehmer ohne Weiteres annehmen kann. Ihm muss klar sein, welche Vertragsbedingungen künftig gelten sollen. Unklarheiten gehen zu Lasten des Arbeitgebers ( - Rn. 18 mwN).
27Nimmt ein Arbeitnehmer das Änderungsangebot unter dem in § 2 Satz 1 KSchG benannten Vorbehalt an, kommt die Änderung des Arbeitsvertrags zustande, die unter der gemäß § 8 KSchG auflösenden Bedingung (§ 158 Abs. 2 BGB) der gerichtlich festzustellenden Sozialwidrigkeit steht (vHH/L/Linck KSchG 15. Aufl. § 2 Rn. 100). Dabei wird regelmäßig im Ergebnis davon auszugehen sein, dass bei der Annahme eines Änderungsangebots unter Vorbehalt zwar eine Kontinuität hinsichtlich des Arbeitsverhältnisses besteht, allerdings aufgrund der zwei unmittelbar aneinandergereihten Arbeitsverträge insoweit eine Diskontinuität gegeben ist (vgl. Niemann RdA 2016, 339, 340 mwN). Das spricht dafür, im Falle der Annahme des Änderungsangebots durch den Arbeitnehmer stets insgesamt einen Neuvertrag anzunehmen, auch wenn Streitgegenstand der Änderungsschutzklage nach der Rechtsprechung des Zweiten Senats nicht die Wirksamkeit der Kündigung, sondern der Inhalt der für das Arbeitsverhältnis geltenden Vertragsbedingungen ist ( - Rn. 13, BAGE 140, 328). Dies kann im vorliegenden Fall letztlich offenbleiben, weil schon die Auslegung des konkreten Änderungsangebots ergibt, dass auch die Bezugnahmeklausel zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist.
28(2) Im Hinblick auf den revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstab kann es dahinstehen, ob es sich bei dem Angebot der Rechtsvorgängerin der Beklagten um eine atypische Willenserklärung oder um eine Willenserklärung handelte, die nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen entwickelten Grundsätzen auszulegen ist. Zwar unterliegt die Auslegung atypischer Willenserklärungen - anders als die Auslegung von AGB - durch das Landesarbeitsgericht nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Das Bundesarbeitsgericht überprüft insoweit nur, ob die Rechtsvorschriften über die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen (§§ 133, 157 BGB) richtig angewandt wurden, ob dabei gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen und das tatsächliche Vorbringen der Parteien vollständig verwertet oder ob eine gebotene Auslegung völlig unterlassen worden ist (vgl. - Rn. 24 mwN).
29(3) Selbst wenn man unterstellt, es handele sich bei dem Änderungsangebot der Rechtsvorgängerin der Beklagten um eine atypische Willenserklärung, hält die berufungsrichterliche Auslegung dieses Angebots, das die Klägerin zunächst unter dem Vorbehalt nach § 2 Satz 1 KSchG angenommen hat, welcher mit der Rücknahme der Änderungsschutzklage später erlosch (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO iVm. § 4 Satz 2, § 7 Halbs. 2 KSchG; vgl. MüKoBGB/Hergenröder 7. Aufl. § 2 KSchG Rn. 64), auch dieser eingeschränkten Überprüfung nicht stand.
30(a) Obwohl das Landesarbeitsgericht unter II 2 b aa der Entscheidungsgründe die Rechtsprechung des Senats zur Auslegung solcher Angebote referiert, nach der ein deutlicher Ausdruck dafür, dass eine zuvor bestehende Verweisungsklausel erneut zum Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Willensbildung der Vertragsparteien gemacht worden ist und die Parteien trotz der geänderten Gesetzeslage auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts am ausdrücklich an den zuvor getroffenen Abreden festhalten wollen, beispielsweise in der ausdrücklichen Erklärung liegt, dass „alle anderen Vereinbarungen aus dem Anstellungsvertrag unberührt bleiben“, hat es die im Änderungsangebot verwandte Formulierung „alle übrigen Vertragsbedingungen würden unverändert bleiben“ nicht näher darauf überprüft, ob damit nicht auch Ziffer 2 des Arbeitsvertrags zum Gegenstand der Erklärung gemacht worden ist.
31Mit dieser Formulierung hat die Rechtsvorgängerin der Beklagten in dem schriftlichen Änderungsangebot aber gerade deutlich zum Ausdruck gebracht, alle übrigen Vertragsklauseln, die aktuell keiner Änderung unterliegen sollten, seien ebenfalls geprüft worden und sollten nicht umformuliert werden. Eine solche Umformulierung der Bezugnahmeklausel wäre aber nach dem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform erforderlich gewesen, damit eine Bezugnahme auch weiterhin nur für den Fall einer Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin bestehen sollte (zu einer möglichen Formulierung einer Gleichstellungsabrede vgl. - Rn. 25, BAGE 159, 351). Dementsprechend überzeugt auch der - an sich zutreffende - Hinweis des Landesarbeitsgerichts nicht, die angebotenen Änderungen dürften sich nicht weiter vom Inhalt des bisherigen Arbeitsverhältnisses entfernen, als dies zur Erreichung des angestrebten Zwecks erforderlich ist (vgl. (F) - Rn. 44; - 2 AZR 606/16 - Rn. 11). Hätte die Rechtsvorgängerin der Beklagten eine neue Bezugnahmeklausel angeboten, die auch nach der Schuldrechtsreform als Gleichstellungsabrede anzusehen ist, so hätte dies gerade keine Änderung der bisherigen Arbeitsbedingungen dargestellt, die zur Unwirksamkeit der Änderungskündigung hätte führen können.
32(b) Die ausdrückliche Inbezugnahme aller übrigen „Vertrags“-Bedingungen musste die Klägerin als Empfängerin des Angebots auf den Wortlaut ihres Arbeitsvertrags beziehen. Anders als in dem Sachverhalt, über den der Senat im Urteil vom (- 4 AZR 811/09 - Rn. 32 f.) entschieden hat, war das Angebot damit nicht auf die bisherigen Arbeitsbedingungen bezogen.
332. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten führt der Übergang des Betriebs, in dem die Klägerin beschäftigt war, am nicht dazu, dass die Klägerin fortan nur noch die Anwendung des in jenem Zeitpunkt geltenden Entgelttarifvertrags verlangen konnte. Die Bezugnahmeklausel wirkt gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB im Arbeitsverhältnis mit der Beklagten dynamisch weiter.
34a) Gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt der Erwerber in die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis ein. Eine dynamische Bezugnahmeklausel geht als vertragliche Vereinbarung zwischen dem Veräußerer und dem Arbeitnehmer regelmäßig auf das nach dem Betriebsübergang bestehende Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB unter Aufrechterhaltung der Dynamik über (st. Rspr., ausf. - Rn. 14 ff., BAGE 132, 169). Der Erwerber wird so gestellt, als hätte er die dem Arbeitsverhältnis zugrunde liegenden Willenserklärungen, also auch die, ein bestimmtes Tarifwerk in seiner jeweiligen Fassung zum Inhalt des Arbeitsvertrags zu machen, selbst gegenüber dem übernommenen Arbeitnehmer abgegeben (st. Rspr., vgl. nur - Rn. 42 mwN).
35b) Damit ist auch die zwischen der Firma H und der Klägerin vertraglich vereinbarte dynamische Verweisung auf die Tarifverträge für die Beschäftigten im Einzelhandel des Landes Nordrhein-Westfalen Bestandteil des ab dem zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses geworden.
36c) Diesem Ergebnis steht Unionsrecht nicht entgegen. Die Bindung des Erwerbers eines Betriebs an die von dessen Veräußerer mit dem Arbeitnehmer individualrechtlich vereinbarte dynamische Bezugnahme auf einen Tarifvertrag verstößt nicht gegen unionsrechtliche Regelungen, namentlich Art. 3 RL 2001/23/EG iVm. Art. 16 GRC.
37aa) Mit Urteil vom (- C-680/15 und C-681/15 - [Asklepios Kliniken Langen-Seligenstadt]) hat der EuGH auf Vorlage des erkennenden Senats ( (A) -) entschieden, dass die RL 2001/23/EG iVm. Art. 16 GRC der dynamischen Fortgeltung einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel im Verhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Betriebserwerber nicht entgegensteht, sofern das nationale Recht sowohl einvernehmliche als auch einseitige Anpassungsmöglichkeiten für den Erwerber vorsieht.
38bb) Solche sowohl einvernehmlichen als auch einseitigen Anpassungsmöglichkeiten sieht die deutsche Rechtsordnung vor. Dies hat der Senat in seinem Urteil vom im Einzelnen ausgeführt ( - Rn. 46 ff.). Der Senat hält an seiner Rechtsauffassung fest. Die Beklagte hat keine neuen Aspekte vorgebracht, die eine andere Beurteilung der Frage veranlassen könnten.
393. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen - der Höhe nach unstreitigen - Anspruch auf Zahlung von 3.394,31 Euro brutto nebst Zinsen gemäß § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Ein Zinsanspruch besteht jedoch frühestens ab dem . Der Gehaltstarifvertrag wurde erst im Dezember 2013 abgeschlossen und sah eine rückwirkende Entgelterhöhung vor. Zur Abwicklung der rückwirkenden Erhöhung sah Teil 5 des Gehaltstarifvertrags vor, dass die Ansprüche aus der Tariferhöhung für den Zeitraum vom bis zum durch eine Einmalzahlung im Monat Januar 2014 erfüllt werden. Mit den Differenzlohnansprüchen bis einschließlich Januar 2014 war die Beklagte nach den tariflichen Regelungen zur Fälligkeit des Entgelts mithin erst seit dem in Verzug.
404. Die Ansprüche sind nicht gemäß § 24 MTV NRW verfallen, der eine schriftliche Geltendmachung innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit der Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verlangt. Die Klägerin hat die Ansprüche mit ihren Schreiben vom sowie vom 7. und schriftlich geltend gemacht. Wie sich aus dem Schreiben der Beklagten vom ergibt, war für sie erkennbar, welcher konkreter Rechtspositionen sich die Klägerin berühmte.
41III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2018:270318.U.4AZR208.17.0
Fundstelle(n):
BB 2018 S. 2228 Nr. 38
AAAAG-92891