(Landwirtschaftliche Unfallversicherung - Verletztenrente - mitarbeitender Familienangehöriger - Mindest-MdE-Höhe von 30 vH gem § 80a Abs 1 S 1 SGB 7 - Verfassungsmäßigkeit - Eigentumsgarantie - Schutzbereich - durch Eigenleistungen erworbene Anwartschaft - Gleichheitssatz - sachlicher Grund - Beitragsstabilisierung und Haushaltskonsolidierung - geringere Schutzwürdigkeit bei gesonderter Einbeziehung in den Unfallversicherungsschutz - Wie-Beschäftigung - Sonderbeziehung zum landwirtschaftlichen Unternehmer)
Leitsatz
Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Anspruch auf eine Verletztenrente eines nicht nur vorübergehend mitarbeitenden versicherten Familienangehörigen eines landwirtschaftlichen Unternehmers eine Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht nur von 20 vH, sondern von mindestens 30 vH voraussetzt.
Gesetze: § 80a Abs 1 S 1 SGB 7, § 56 Abs 1 S 1 SGB 7, § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst b SGB 7, § 2 Abs 2 S 1 SGB 7, § 2 Abs 1 Nr 1 SGB 7, § 8 Abs 1 SGB 7, Art 3 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 GG
Instanzenzug: SG Fulda Az: S 4 U 156/10 Urteilvorgehend Hessisches Landessozialgericht Az: L 3 U 231/12 Urteil
Tatbestand
1Die Kläger ist der Schwager der Ehefrau eines landwirtschaftlichen Unternehmers, sog Schwippschwager. Er wendet sich dagegen, dass ihm wegen der Sonderregelung in § 80a Abs 1 S 1 SGB VII kein Anspruch auf eine Verletztenrente zusteht, weil die gesundheitlichen Folgen eines während seiner Mitarbeit in dem landwirtschaftlichen Unternehmen erlittenen Arbeitsunfalls nur eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) unter 30 vH bedingen.
2Der Kläger half regelmäßig, teilweise zwei- bis dreimal pro Woche, im landwirtschaftlichen Unternehmen des Ehemanns der Schwester seiner Ehefrau, seines Schwippschwagers, aus. Zu seinem Schwippschwager bestand neben dieser familiären auch eine freundschaftliche Beziehung. Der Kläger erlitt am einen Unfall, als er mit einer Bandsäge Weidezaunpfähle anspitzte, die für das landwirtschaftliche Unternehmen seines Schwippschwagers bestimmt waren. Er verletzte sich an der linken Hand, weshalb später der Mittelfinger des Klägers in Höhe des Grundgliedes amputiert werden musste. Die Beklagte erkannte den Unfall als Arbeitsunfall an. Die Gewährung einer Verletztenrente lehnte sie ab, weil die Erwerbsfähigkeit nicht um wenigstens 30 vH gemindert sei und abweichend von § 56 Abs 1 SGB VII § 80a SGB VII für nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst b SGB VII versicherte, in landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige ein Rentenanspruch eine MdE von 30 vH voraussetze (Bescheid vom und Widerspruchsbescheid vom ).
3Das SG hat die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide verurteilt, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH ab dem zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Es hat den Kläger als mitarbeitenden Ehegatten iS des § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a SGB VII angesehen und ausgeführt, die MdE betrage zwar nur 20 vH, § 80a Abs 1 SGB VII verstoße jedoch gegen Art 3 Abs 1 GG, soweit diese Vorschrift für den Rentenanspruch - anders als nach § 56 Abs 1 SGB VII - eine höhere MdE als 20 vH voraussetze. Der Anwendungsbereich des § 80a Abs 1 SGB VII sei in verfassungskonformer Auslegung auf die Fälle zu beschränken, in denen der Lebensunterhalt des jeweils versicherten Verletzten allein durch die versicherte landwirtschaftliche Tätigkeit gesichert werde (Urteil vom ). Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe zum Unfallzeitpunkt Sägearbeiten für das landwirtschaftliche Unternehmen seines Schwippschwagers als nicht nur vorübergehend mitarbeitender Familienangehöriger und damit nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst b SGB VII Versicherter verrichtet. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit betrage weniger als 30 vH, sodass gemäß § 80a SGB VII kein Rentenanspruch bestehe. § 80a Abs 1 S 1 SGB VII verstoße nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. Die Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst b SGB VII trage dem Umstand Rechnung, dass es in der Landwirtschaft selbstverständlich sei, dass Familienmitglieder unentgeltlich mitarbeiten. Dieser Personenkreis stehe deshalb unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn er nicht nur vorübergehend für das landwirtschaftliche Unternehmen tätig werde. Seien in einem landwirtschaftlichen Unternehmen Tätige dagegen Beschäftigten nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII oder Wie-Beschäftigte nach § 2 Abs 2 SGB VII, werde ihnen weiterhin gemäß § 56 SGB VII eine Verletztenrente bereits ab einer MdE in Höhe von 20 vH gewährt. Zu diesen Versicherten gehöre der Kläger allerdings nicht (Urteil vom ).
4Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung des Art 3 Abs 1 GG. Er werde als in einem landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitender Familienangehöriger ohne rechtfertigenden Grund schlechter gestellt als sonstige Versicherte. Insbesondere könne die mit der Regelung des § 80a Abs 1 S 1 SGB VII bezweckte finanzielle Entlastung der landwirtschaftlichen Unternehmer die Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen.
5Der Kläger beantragt,das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom zurückzuweisen.
6Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
7Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Gründe
8Die zulässige Revision ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG das der Klage teilweise stattgebende Urteil des SG aufgehoben und die Klage im vollen Umfang abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom ist rechtmäßig, soweit die Beklagte in ihm die Gewährung einer Verletztenrente abgelehnt hat. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Verletztenrente, weil bei ihm die von § 80a Abs 1 S 1 SGB VII geforderte MdE von 30 vH nicht vorliegt.
91. Zu entscheiden war im Revisionsverfahren über die Rechtmäßigkeit der Verfügung in dem Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom , mit der die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente abgelehnt und die der Kläger mit einer zulässigen Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) angegriffen hat, sowie über den Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH ab dem , den er zulässig mit einer kombinierten Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) verfolgt hat. Nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 30 vH, die der Kläger erstinstanzlich beantragt hatte. Insoweit hat das SG die Klage rechtskräftig abgewiesen und der Kläger im Berufungs- und Revisionsverfahren dieses Begehren nicht mehr verfolgt.
102. Der Kläger hat gemäß § 80a Abs 1 S 1 SGB VII keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente, weil seine Erwerbsfähigkeit infolge des von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls vom nicht um wenigstens 30 vH gemindert ist. Anspruch auf Verletztenrente haben gemäß § 56 Abs 1 S 1 SGB VII Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist. Abweichend von § 56 Abs 1 S 1 SGB VII haben gemäß der durch Art 1 Nr 7 des Gesetzes zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung (LSVMG - vom , BGBl I 2984) mit Wirkung zum geschaffenen Regelung des § 80a Abs 1 S 1 SGB VII Versicherte nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a und b SGB VII nur Anspruch auf eine Rente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 30 vH gemindert ist. Gemäß § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a und b SGB VII versichert sind Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens und ihre im Betrieb mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner (Buchst a) sowie die im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitenden Familienangehörigen (Buchst b). § 80a SGB VII ist auf Versicherungsfälle anzuwenden, die nach dem eingetreten sind (§ 221 Abs 2 SGB VII). Die für einen Anspruch auf Verletztenrente erforderlichen Voraussetzungen dieser Vorschriften erfüllt der Kläger nicht.
11Der Kläger hat zwar am einen Arbeitsunfall nach § 8 Abs 1 SGB VII und damit einen Versicherungsfall erlitten. Dessen gesundheitliche Folgen bedingten jedoch keine MdE von wenigstens 30 vH. § 80a Abs 1 S 1 SGB VII schließt einen Anspruch des Klägers auf Verletztenrente damit aus. Der Kläger gehörte zum Unfallzeitpunkt als nicht nur vorübergehend mitarbeitender Familienangehöriger zum Kreis der Versicherten gemäß § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst b SGB VII, die nach § 80a Abs 1 S 1 SGB VII einen Anspruch auf Rente erst ab einer MdE in Höhe von mindestens 30 vH haben, sodass ein Anspruch auf eine Verletztenrente nicht besteht (dazu unter a). Die Regelung des § 80a Abs 1 S 1 SGB VII begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (dazu unter b).
12a) Der Arbeitsunfall des Klägers gemäß § 8 Abs 1 SGB VII ist am eingetreten, was aufgrund des insoweit nicht angefochtenen Bescheides vom für die Beteiligten bindend feststeht (vgl § 77 SGG). Nach den Feststellungen des LSG bedingten die Folgen des Arbeitsunfalles eine MdE von weniger als 30 vH. Diese tatsächlichen Feststellungen des LSG zum Grad der MdE sind für den Senat gemäß § 163 SGG bindend, weil sie nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen worden sind (vgl dazu - BSGE 122, 232 = SozR 4-2700 § 56 Nr 4, RdNr 15 f mwN). § 80a Abs 1 S 1 SGB VII ist im vorliegenden Fall auch gemäß § 221 Abs 2 SGB VII anwendbar, weil der Versicherungsfall nach dem eingetreten ist.
13Der Kläger hat den Arbeitsunfall als nach § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst b SGB VII Versicherter erlitten. Er war zum Unfallzeitpunkt nicht nur vorübergehend mitarbeitender Familienangehöriger in einem landwirtschaftlichen Unternehmen iS des § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst b SGB VII, weil er nach den bindenden Feststellungen des LSG im landwirtschaftlichen Unternehmen seines Schwippschwagers nicht nur vorübergehend mitarbeitete und den Unfall bei dieser Tätigkeit erlitt.
14Als Schwippschwager des landwirtschaftlichen Unternehmers war der Kläger Familienangehöriger iS des § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst b SGB VII. Familienangehörige im Sinne dieser Vorschrift sind gemäß § 2 Abs 4 Nr 2 SGB VII Verschwägerte bis zum zweiten Grade der Unternehmer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner. Nach § 1590 Abs 1 S 1 BGB sind Verwandte eines Ehegatten mit dem anderen Ehegatten verschwägert. Familienangehörige eines Unternehmers in diesem Sinne ist damit auch der Schwager des Ehegatten eines Unternehmers und damit der sog Schwippschwager des Unternehmers. Der Kläger war zum Zeitpunkt des Unfalles der Schwippschwager des Unternehmers, denn er war mit dessen Ehefrau verschwägert. Diese war die Schwester seiner Ehefrau.
15Der Kläger erlitt den Unfall während einer nicht nur vorübergehenden Mitarbeit im landwirtschaftlichen Unternehmen seines Schwippschwagers. Nicht nur vorübergehend ist eine Mitarbeit in einem landwirtschaftlichen Unternehmen iS des § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst b SGB VII, wenn sie auf eine gewisse Dauer ausgerichtet ist (Riebel in Hauck/Noftz, SGB VII, Stand Juli 2017, § 2 RdNr 60). Eine nicht nur vorübergehende Mitarbeit liegt in der Regel bei 21 vollen Arbeitstagen im Jahr vor, ohne dass dies die absolute Mindestanzahl an Tagen darstellt (vgl - BAGUV RdSchr 3/84; - SozR Nr 1 zu § 780 RVO). Maßgebend ist das Verhältnis der Mitarbeit zu den Erfordernissen des landwirtschaftlichen Unternehmens im Wirtschaftsjahr. Demgegenüber kommt es weder auf die tägliche Arbeitszeit noch auf den absoluten Umfang der Tätigkeit im Allgemeinen entscheidend an. Die regelmäßige Mitarbeit kann auch neben einer Hauptbeschäftigung und in geringem Umfang erfolgen (vgl Kruschinsky in Krasney/Becker/Burchardt/ Kruschinsky/Heinz/Bieresborn, SGB VII, Stand 10/17, § 2 RdNr 412; vgl - BSGE 47, 137 = SozR 2200 § 573 Nr 9). So handelt es sich nur um eine vorübergehende Mitarbeit, wenn die objektiven Umstände dafür sprechen, dass die Mitarbeit von vornherein zeitlich begrenzt und nicht regelmäßig sein soll (vgl Bieresborn in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl 2014, § 2 SGB VII RdNr 124). Durch die regelmäßige Tätigkeit, mit welcher der Unternehmer ständig rechnen kann, unterscheidet sich der mitarbeitende Familienangehörige von einem Familienangehörigen, der nur vorübergehend, etwa während der Ernte, im elterlichen landwirtschaftlichen Unternehmen tätig wird (vgl - SozR Nr 1 zu § 780 RVO).
16Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Rügen angegriffenen und deshalb für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG) half der Kläger wegen der Erkrankung der Schwester seiner Ehefrau regelmäßig zwei- bis dreimal pro Woche im landwirtschaftlichen Betrieb seines Schwippschwagers aus. Aufgrund dieser regelmäßigen Tätigkeit lag eine nicht nur vorübergehende Mitarbeit im landwirtschaftlichen Unternehmen vor.
17Der Kläger erlitt den Unfall auch nicht aufgrund einer anderen versicherten Tätigkeit, die möglicherweise nach § 135 SGB VII der Versicherung gemäß § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst b SGB VII vorgehen könnte, sodass in der Folge auch § 80a Abs 1 S 1 SGB VII nicht zur Anwendung käme. Der Kläger war während der zum Unfall führenden Verrichtung insbesondere nicht als Beschäftigter gemäß § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII und auch nicht als Wie-Beschäftigter iS des § 2 Abs 2 S 1 SGB VII tätig.
18Eine Beschäftigung iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII ist nach § 7 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Eine Beschäftigung liegt zunächst immer dann vor, wenn ein Arbeitsverhältnis besteht. Sie kann aber auch ohne Arbeitsverhältnis gegeben sein, wenn der Verletzte sich in ein fremdes Unternehmen eingliedert und seine konkrete Handlung sich dem Weisungsrecht eines Unternehmers insbesondere in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Verrichtung unterordnet (vgl - BSGE 111, 37 = SozR 4-2700 § 2 Nr 20, RdNr 31 ff). Dabei kommt es auf die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse an ( - SozR 4-2700 § 2 Nr 33 RdNr 16; vgl - BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr 17, RdNr 16 mwN und vom - B 2 U 15/12 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 27 RdNr 14). Den Feststellungen des LSG sind keine Anhaltpunkte dafür zu entnehmen, dass zwischen dem Kläger und seinem Schwippschwager ein Arbeitsvertrag bestand oder er in dessen landwirtschaftlichen Betrieb eingegliedert war. Vielmehr beruhte seine Mithilfe nach den bindenden Feststellungen des LSG allein auf einem verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Verhältnis.
19Der Kläger war aber auch nicht als Wie-Beschäftigter iS des § 2 Abs 2 S 1 SGB VII tätig, als er die Weidezäune für den Betrieb seines Schwippschwagers anspitzte. Voraussetzung einer Wie-Beschäftigung nach § 2 Abs 2 S 1 SGB VII ist, dass eine einem fremden Unternehmen dienende, dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht wird, die ihrer Art nach von Personen verrichtet werden könnte, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen. Arbeitnehmerähnlichkeit setzt nicht voraus, dass alle Voraussetzungen eines Beschäftigungsverhältnisses erfüllt sein müssen. Das Gesamtbild der Tätigkeit muss aber in einem größeren zeitlichen Zusammenhang eine beschäftigungsähnliche Tätigkeit ergeben ( - in HVBG-INFO 2002, 2818). Der Senat hat dabei in ständiger Rechtsprechung das Vorliegen einer Wie-Beschäftigung nach § 2 Abs 2 SGB VII (bzw zuvor nach § 539 Abs 2 RVO) verneint, wenn die konkrete Tätigkeit durch eine Sonderbeziehung des Handelnden zu dem Unternehmer geprägt war (vgl hierzu auch zuletzt mwN). Eine solche Sonderbeziehung, die eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit iS des § 2 Abs 2 SGB VII ausschließt, liegt bei Erfüllung gesellschaftlicher, insbesondere familiärer, freundschaftlicher, nachbarschaftlicher, mitgliedschaftlicher, gesellschaftsrechtlicher oder körperschaftlicher Art vor (vgl - SozR 3-2200 § 539 Nr 41; - SozR 3-2200 § 539 Nr 25; - SozR 2200 § 539 Nr 134; 9b RU 18/86 - SozR 2200 § 539 Nr 123; 9b RU 68/84 - BSGE 59, 284, 287 = SozR 1500 § 45 Nr 2 = SGb 1986, 376; - BSGE 52, 11 = SozR 2200 § 539 Nr 18; - SozR 2200 § 539 Nr 49; - BSGE 17, 211, 216 = SozR Nr 30 zu § 537 RVO). - BSGE 14, 1, 3 = SozR Nr 1 zu § 798 RVO). Auch bei einer solchen "Sonderbeziehung" sind allerdings alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen, sodass die konkrete Verrichtung auch außerhalb dessen liegen kann, was im Rahmen enger Verwandtschafts- oder Freundschaftsbeziehungen selbstverständlich getan oder erwartet wird ( - RdNr 57, Juris; vgl - BSGE 18, 143 = SozR Nr 33 zu § 537 RVO, SozR Nr 33 zu § 537 RVO, RdNr 20; Kruschinsky in Krasney/Becker/Burchardt/Kruschinsky/Heinz/Bieresborn, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand 1/2018, § 2 RdNr 858; Schwerdtfeger in Lauterbach, Unfallversicherung, Stand 2/17, § 2 RdNr 644; Bieresborn in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl 2014, § 2 SGB VII RdNr 399 ff).
20Der Senat teilt insofern die Rechtsansicht des LSG, das davon ausging, dass der Kläger die Weidezaunpfähle zum Unfallzeitpunkt vorrangig aufgrund der engen verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen zwischen ihm und seinem Schwippschwager anspitzte. Das LSG hat bindend festgestellt, dass zwischen dem Kläger und seinem Schwippschwager eine intakte familiäre und freundschaftliche Beziehung bestand, welche durch ein wechselseitiges Geben und Nehmen bestimmt war. Der Kläger half in dessen landwirtschaftlichen Unternehmen aus, wenn seine Mitarbeit für besondere Arbeiten außerhalb der laufenden Betriebstätigkeit benötigt wurde. Diese Hilfeleistung war für den Kläger selbstverständlich. Damit ist der Subsumtionsschluss des LSG, dass die Hilfstätigkeit des Klägers ihr Gepräge durch die Sonderbeziehung der wechselseitig verbundenen Familien im landwirtschaftlichen Bereich fand, nicht zu beanstanden. Eine nach § 2 Abs 2 S 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als Wie-Beschäftigter gemäß § 2 Abs 2 S 1 SGB VII lag damit nicht vor.
21b) § 80a Abs 1 S 1 SGB VII verstößt nach Überzeugung des Senats nicht gegen höherrangiges Recht, sodass eine Vorlage an das BVerfG gemäß Art 100 GG ausscheidet. Ebenso bedarf es keiner verfassungskonformen Auslegung der Norm zugunsten des Klägers, denn die Regelung ist in ihrer Anwendung auf den Kläger verfassungsgemäß. Insbesondere ist er nicht in seinem Eigentumsgrundrecht (Art 14 Abs 1 GG) verletzt (dazu unter aa). Der Ausschluss der Rentenansprüche für nicht nur vorübergehend mitarbeitende Angehörige eines landwirtschaftlichen Unternehmers, deren Erwerbsfähigkeit nicht um wenigstens 30 vH gemindert ist, berührt zwar den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG. Die Regelung ist jedoch durch sachliche Gründe gerechtfertigt, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen (dazu unter bb).
22aa) Anders als Ansprüche und Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung (, 1 BvR 555/09 - BVerfGE 128, 128 = SozR 4-2600 § 77 Nr 9; ua - BVerfGE 53, 257; ua - 58, 81 <109>; - BVerfGE 70, 101 <110>; stRspr) oder Ansprüche auf Arbeitslosengeld (BVerfGE vom - 1 BvL 15/83 - BVerfGE 74, 203; - BVerfGE 72, 9), die teilweise durch einkommensbezogene eigene Beiträge der Versicherten finanziert werden, ist zweifelhaft, ob Ansprüche auf Verletztenrenten der gesetzlichen Unfallversicherung überhaupt dem Schutzbereich des Art 14 Abs 1 GG unterliegen (wie hier offengelassen , 1 BvR 593/08 - NZS 2011, 895; - SozR 2200 § 568 Nr 9; - HVBG-INFO 2002, 3454; bejahend Papier in Maunz/Dürig, GG, Stand September 2017, Art 14 RdNr 142). Der erkennende Senat hat dies hinsichtlich des Ausschlusses einer Verletztenrente bei einer MdE von weniger als 30 vH bei (selbst) versicherten landwirtschaftlichen Unternehmern offengelassen, weil selbst dann, wenn diese Unternehmer durch die langjährige Versicherung und die Zahlung von Beiträgen bereits ein durch Art 14 Abs 1 GG geschütztes Anwartschaftsrecht erworben hätten, ihr Eigentumsgrundrecht nicht verletzt wäre, weil § 80a Abs 1 S 1 SGB VII dann jedenfalls eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung iS des Art 14 Abs 1 S 2 GG darstellt (vgl Urteil vom - B 2 U 6/17 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 bestimmt).
23Die Anwartschaft des Klägers auf eine Verletztenrente der gesetzlichen Unfallversicherung berührt jedoch bereits nicht den Schutzbereich des Art 14 Abs 1 GG, weil sie nicht auf seinen Eigenleistungen beruht. Voraussetzung ist, dass der sozialversicherungsrechtlichen Position eine nicht unerhebliche Eigenleistung zugrunde liegt, wobei als eigene Leistungen des Versicherten nicht nur die von ihm selbst bezahlten Beiträge zu berücksichtigen sind, sondern in aller Regel auch solche Beiträge, die von Dritten zu seinen Gunsten dem Träger der Sozialversicherung zugeflossen sind. Hieran fehlt es im Falle der Versicherung des Klägers (vgl zur Hinterbliebenenrenten , 1 BvR 1484/86 - BVerfGE 97, 271). Die landwirtschaftliche Unfallversicherung wird nicht durch Beiträge der mitarbeitenden Familienangehörigen, sondern durch die Beiträge der landwirtschaftlichen Unternehmer (vgl § 183 SGB VII iVm § 150 SGB VII) sowie aus Steuermitteln finanziert.
24bb) Eine Verletzung des Art 3 Abs 1 GG liegt ebenfalls nicht vor. Zwar wird der Kläger und die von ihm repräsentierte Ausgangsgruppe der gemäß § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst b SGB VII versicherten Familienangehörigen eines landwirtschaftlichen Unternehmers, die nicht nur vorübergehend in dessen Betrieb mitarbeiten, durch die Regelung des § 80a Abs 1 S 1 SGB VII gegenüber den übrigen Versicherten in der gesetzlichen Unfallversicherung ungleich behandelt, weil ein Rentenanspruch erst ab einer MdE von 30 vH und nicht wie nach § 56 Abs 1 S 1 SGB VII bereits ab einer MdE von 20 vH besteht. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch im Hinblick auf die Besonderheiten der Versicherung der mitarbeitenden Angehörigen landwirtschaftlicher Unternehmer gerechtfertigt.
25Der allgemeine Gleichheitssatz iS des Art 3 Abs 1 GG gebietet zwar, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht vielmehr nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten ( - BVerfGE 117, 272 = SozR 4-2600 § 58 Nr 7 - stRspr). Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten, auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können ( ua - BVerfGE 88, 87; - BVerfGE 95, 267; ; - BVerfGE 130, 240). Vorliegend hat eine über das bloße Willkürverbot hinausgehende, an den Grundsätzen der freiheitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung orientierte Prüfung zu erfolgen. Denn die Regelung des § 80a Abs 1 S 1 SGB VII behandelt verschiedene Personengruppen ungleich.
26Gemessen am anzuwendenden Maßstab verhältnismäßiger Gleichbehandlung bestehen für die Einschränkung des Rentenanspruchs der mitarbeitenden Familienangehörigen landwirtschaftlicher Unternehmer durch § 80a Abs 1 S 1 SGB VII Gründe von solcher Art und solchem Gewicht, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen. § 80a Abs 1 SGB VII wurde durch Art 1 LSVMG vom in das SGB VII eingefügt und trat zum in Kraft. Zweck des Gesetzes war eine Weiterentwicklung und Reform des Rechts der landwirtschaftlichen Unfallversicherung mit den Zielen einer angemessenen Beitragsbelastung und innerlandwirtschaftlicher Beitragsgerechtigkeit im Hinblick auf den sich beschleunigenden landwirtschaftlichen Strukturwandel und im Gesamtkontext der Reformen der sozialen Sicherungssysteme in Deutschland. Die landwirtschaftliche Unfallversicherung erhält seit 1963 Bundeszuschüsse, um die Beiträge der zuschussberechtigten land- und forstwirtschaftlichen Unternehmer zu senken und zu einer Annäherung der Belastungsunterschiede zwischen den Regionen beizutragen (Gesetzentwurf der Bundesregierung - BT-Drucks 16/6520, S 2 f). Im Interesse der Haushaltskonsolidierung sollte das weitere finanzielle Engagement des Bundes in der mittelfristigen Finanzplanung von 200 Mio Euro auf 100 Mio Euro abgesenkt werden. Zielsetzung der gesetzgeberischen Entscheidung war somit, Spielräume zu schaffen, damit die Beiträge der Landwirtschaft ab 2011 trotz eines auf 100 Mio Euro reduzierten Bundeszuschusses zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung entweder konstant gehalten oder sogar gesenkt werden könnten. Hierbei handelt es sich um ein legitimes Ziel, das im öffentlichen Interesse liegt. Denn die Regelung dient dazu, die Funktions- und Leistungsfähigkeit der landwirtschaftlichen Unfallversicherung im Interesse der versicherten landwirtschaftlichen Unternehmer und ihrer Familienangehörigen im Kontext veränderter Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft zu erhalten (BT-Drucks 16/6520, S 1).
27Die bezweckte Einschränkung der Leistungen auf der Ausgabenseite ist geeignet, das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der kurz- oder mittelfristigen Senkung des Umlagesolls der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft trotz reduzierter Bundeszuschüsse zu erreichen. Der hinreichende Sachgrund für die Ungleichbehandlung folgt aus der Besonderheit der landwirtschaftlichen Unfallversicherung.
28Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Gruppe des Klägers durch die Sonderregelung des § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst b SGB VII erst privilegiert wird. Grundsätzlich sind in der gesetzlichen Unfallversicherung Verrichtungen, die nicht als Beschäftigter iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII vorgenommen und die - wie hier - aufgrund einer den Versicherungsschutz nach § 2 Abs 2 S 1 SGB VII ausschließenden freundschaftlichen und verwandtschaftlichen Sonderbeziehung erbracht werden, nicht versichert. Eine Ausnahme bilden die nicht nur vorübergehend mitarbeitenden Familienangehörigen in landwirtschaftlichen Unternehmen. Ohne Einbeziehung in die landwirtschaftliche Versicherung wäre diese Personengruppe nicht versichert, denn anders als die Personen, die nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII oder § 2 Abs 2 S 1 SGB VII versichert sind, wird der durch § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst b SGB VII iVm § 2 Abs 4 SGB VII erfasste Personenkreis, zu dem der Kläger gehört, regelmäßig aufgrund des verwandtschaftlichen Näheverhältnisses zum landwirtschaftlichen Unternehmer tätig. Typischerweise helfen diese Personen unentgeltlich im Betrieb mit, weil sie - ähnlich wie der Unternehmer und sein Ehegatte selbst - Interesse am Ertrag des Unternehmens haben. Folglich sind Personen, die wie der Kläger tätig werden, in der Regel weder als Beschäftigte noch als Wie-Beschäftigte nach § 2 Abs 1 Nr 1 bzw § 2 Abs 2 S 1 SGB VII versichert und erlangen Versicherungsschutz nur durch die sie insoweit privilegierende Norm des § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst b SGB VII. Dieser Personengruppe wird erst dadurch Versicherungsschutz in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung gewährt. Es handelt sich dabei um eine gemeinschaftliche Absicherung von Gesundheitsgefahren durch die bei einem Versicherungsträger zusammengeschlossenen landwirtschaftlichen Unternehmer auf genossenschaftlicher Basis (Bieresborn in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl 2014, § 2 RdNr 108; Schwerdtfeger in Lauterbach, SGB VII, Stand 6/2014, § 2 RdNr 193), die mit Steuermitteln bezuschusst wird. In deren Schutz sind durch § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst b SGB VII die andernfalls nicht versicherten Familienangehörigen - wie der Kläger - einbezogen. Dies rechtfertigt es, diese - andernfalls in der Regel überhaupt nicht versicherte - Gruppe hinsichtlich der Voraussetzungen einer Verletztenrente mit den landwirtschaftlichen Unternehmern gleich zu behandeln, deren Anspruch auf Verletztenrente ebenfalls abweichend von § 56 SGB VII eine MdE von mindestens 30 vH voraussetzt (vgl dazu - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2018:200318UB2U1117R0
Fundstelle(n):
AAAAG-90535