Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - vorschriftsmäßige Besetzung - Besetzung mit abgeordnetem Richter
Gesetze: § 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 30 Abs 1 SGG, § 33 Abs 1 S 1 SGG, § 202 S 1 SGG, § 547 Nr 1 ZPO
Instanzenzug: SG Neubrandenburg Az: S 14 AS 550/13 Urteilvorgehend SG Neubrandenburg Az: S 14 AS 549/13 -II Urteilvorgehend Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern Az: L 10 AS 567/13 Urteil
Gründe
1I. Umstritten sind Leistungen nach dem SGB II für die Kläger, die das beklagte Jobcenter ablehnte. Das SG hat die auf Zahlung von Leistungen für verschiedene Zeiträume gerichteten Klagen abgewiesen (Urteile vom ), das LSG hat die Verfahren verbunden und die Berufungen der Kläger zurückgewiesen (Urteil vom ).
2Mit ihren Nichtzulassungsbeschwerden rügen die Kläger insbesondere als Verfahrensmangel eine nicht vorschriftsmäßige Besetzung des LSG, weil an dem angefochtenen Urteil der Richter am SG (RSG) S mitgewirkt habe. Dieser sei zum Urteilszeitpunkt mehr als ein Jahr ans LSG abgeordnet gewesen, obwohl die übliche Erprobung in Mecklenburg-Vorpommern nur neun Monate dauere und keine Gründe für eine längere Abordnung ersichtlich seien. Kein planmäßiger Richter am LSG sei ausgefallen und es habe keinen zeitweiligen außergewöhnlichen Arbeitsanfall oder eine unvorhergesehene Überlastung beim LSG gegeben. Der Senat hat eine Auskunft der Präsidentin des zur Abordnung des Richters und der Gründe hierfür in dem parallel gelagerten Verfahren mit dem Aktenzeichen - B 14 AS 157/17 B -, das sich gegen denselben Beklagten richtet und in dem die dortigen Klägerinnen von derselben Prozessbevollmächtigten vertreten werden, eingeholt und den Beteiligten des hiesigen Verfahrens zur Kenntnis übersandt. Die Kläger haben zur Begründung ihrer Beschwerden Auskünfte der Präsidentin des und in einem Verfahren vor dem 13. Senat des BSG vorgelegt, in dem dieselbe Rüge in Bezug auf einen anderen an das LSG abgeordneten Richter erhoben worden ist.
3II. Die Beschwerden sind zulässig und begründet. Das angefochtene ist aufzuheben und die Sache an das LSG gemäß § 160a Abs 5 SGG zurückzuverweisen. Denn die Entscheidung des LSG beruht auf einem Verfahrensmangel nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.
4Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist ua begründet, wenn ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§§ 160a, 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil die angefochtene Entscheidung des LSG unter Verletzung der Vorschriften über die Besetzung des LSG ergangen ist.
5Das LSG besteht nach § 30 Abs 1 SGG aus dem Präsidenten, den Vorsitzenden Richtern, weiteren Berufsrichtern und den ehrenamtlichen Richtern, und jeder Senat des LSG wird nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGG in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern tätig. Die Verletzung der Vorschriften über die ordnungsgemäße Besetzung des Gerichts ist ein absoluter Revisionsgrund (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO).
6Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG sehen Art 92, 97 GG zur Sicherung der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der Richter vor, dass die Gerichte, soweit Berufsrichter beschäftigt werden, grundsätzlich mit hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richtern besetzt sind; die Zahl der persönlich nicht unabhängigen "Hilfsrichter" ist so klein wie möglich zu halten, zwingende Gründe für deren Beschäftigung sind zum Beispiel gegeben, wenn für eine planmäßig endgültige Anstellung als Richter in Betracht kommende Assessoren auszubilden sind, wenn planmäßige Richter unterer Gerichte an obere Gerichte abgeordnet werden, um ihre Eignung zu erproben, wenn vorübergehend ausfallende planmäßige Richter, deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden kann, vertreten werden müssen oder wenn ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall aufzuarbeiten ist. Aber auch in solchen Fällen wäre die Verwendung von Hilfsrichtern nicht gerechtfertigt, wenn die Arbeitslast des Gerichts deshalb nicht bewältigt werden kann, weil es unzureichend mit Planstellen ausgestattet ist, oder weil die Justizverwaltung es versäumt hat, offene Planstellen binnen angemessener Frist zu besetzen ( - BVerfGE 14, 156 - juris RdNr 12 ff; zuletzt etwa - juris RdNr 7).
7Ausgehend von diesen Maßstäben war das LSG bei seinem Urteil vom aufgrund der Mitwirkung des RSG S nicht ordnungsgemäß besetzt. Ein zwingender Grund im obigen Sinne für das Tätigwerden des RSG S statt eines planmäßigen Richters am LSG lag nicht vor, wie sich aus den eingeholten Auskünften der Präsidentin des LSG ergibt.
8Die nach der Auskunft der Präsidentin des erfolgte Abordnung des RSG S zur Erprobung vom 1.1. bis zum war beendet.
9Auch die Voraussetzungen für eine der zwei anderen vom BVerfG angeführten Ausnahmen - vorübergehender Ausfall planmäßiger Richter, deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden kann, oder zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall - waren nicht gegeben.
10Ein Ausfall planmäßiger Richter ist der Auskunft der Präsidentin vom nicht zu entnehmen. In dieser wird vielmehr ausgeführt: Die Abordnung des RSG S sei zunächst bis zum und dann zum vorzeitig bis zum verlängert worden, um dem Richter eine "kleine Verwaltungserprobung" zu ermöglichen, die nach dem Personalentwicklungskonzept des Landes Voraussetzung für die Übertragung zB des Amtes eines ständigen Vertreters des Direktors eines Gerichts sei. Zur Begründung der Verlängerung der Abordnung über den hinaus wird in der Auskunft mitgeteilt, dies sei mit Blick auf die Eingangsbelastung und insbesondere die erheblichen Bestände des LSG erfolgt. Alle dem LSG zugewiesenen Planstellen seien besetzt gewesen, den wiederholten Anzeigen eines erhöhten Stellenbedarfs gegenüber dem Ministerium sei erst im Herbst 2016 durch Ausschreibung einer weiteren Stelle Rechnung getragen worden, die dann Anfang 2017 besetzt werden konnte. Im Doppel-Haushalt 2018/2019 seien dem LSG zwei weitere Stellen zugewiesen worden. Die in der Auskunft der Präsidentin vom angesprochene Abordnung eines Vorsitzenden Richters am LSG in das Justizministerium ist kein Ausfall eines planmäßigen Richters im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG, sondern eine gezielte Personalmaßnahme.
11Ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall ist der Auskunft vom ebenfalls nicht zu entnehmen. Sie spricht vielmehr für eine dauerhafte erhebliche Belastung des LSG durch entsprechende Eingänge, die durch das Zahlenwerk in der Auskunft der Präsidentin vom untermauert wird und nahezu zwangsläufig zu einer Bestandsbelastung führt, sowie eine nicht ausreichende Ausstattung des LSG mit Planstellen - zumindest in der Vergangenheit.
12Ein möglicher anderer Grund für eine Ausnahme von der Besetzung des Senats des LSG mit hauptamtlichen Richtern am LSG, der mit den verfassungsrechtlichen Maßstäben nach der Rechtsprechung des BVerfG vereinbar ist, ist nicht zu erkennen. Die Frage, ob die in der Auskunft angeführte "kleine Verwaltungserprobung" überhaupt ein Grund für eine Abordnung nach der Rechtsprechung des BVerfG ist, was schon aufgrund ihrer Länge Zweifeln unterliegt, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich, da sie erst am begann.
13Angesichts dieses Verfahrensmangels kann eine Entscheidung über die von den Klägern außerdem erhobenen Rügen dahingestellt bleiben.
14Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2018:250418BB14AS25517B0
Fundstelle(n):
TAAAG-87997