Neumasseverbindlichkeit - unwirksame vorzeitige Kündigung
Gesetze: § 615 BGB, § 611 BGB, § 209 Abs 2 Nr 2 InsO, § 209 Abs 1 Nr 2 InsO
Instanzenzug: ArbG Trier Az: 4 Ca 644/15 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Az: 7 Sa 76/16 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die insolvenzrechtliche Einordnung von Annahmeverzugsansprüchen.
2Die Klägerin war seit 2001 bei dem späteren Schuldner, der bundesweit zahlreiche Drogeriegeschäfte betrieb, zuletzt als Filialleiterin zu einem Bruttomonatsentgelt iHv. 2.344,80 Euro beschäftigt. Sie hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 40 und ist schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Über das Vermögen des Schuldners wurde am das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser stellte die Klägerin zum von der Arbeitsleistung frei.
3Der Beklagte zeigte am die drohende Masseunzulänglichkeit an. Bereits zuvor hatte er das Arbeitsverhältnis der Klägerin ordentlich mit Schreiben vom 6. August zum gekündigt. Diese Kündigung wurde mit Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom (- 4 Ca 1223/12 -) rechtskräftig für unwirksam erklärt. Das Arbeitsverhältnis endete am nach einer weiteren, am 28. August zum erklärten Kündigung des Beklagten aufgrund eines im dagegen angestrengten Kündigungsschutzprozess geschlossenen Vergleichs.
4Mit ihrer am erhobenen Klage verlangt die Klägerin Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit vom 1. Februar bis abzüglich erhaltenen Arbeitslosengelds in rechnerisch unstreitiger Höhe.
5Sie hat die Ansicht vertreten, der Beklagte sei rechtlich nicht gehindert gewesen, nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit im Laufe des Monats Oktober 2012 die formalen Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung, die zum hätte erklärt werden können, herbeizuführen. Er habe diese Möglichkeit versäumt, so dass die vom an bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstandenen Annahmeverzugsansprüche Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO seien.
6Die Klägerin hat zuletzt beantragt,
7Der Beklagte hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags geltend gemacht, § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO zwinge den Insolvenzverwalter zur Vermeidung von Neumasseverbindlichkeiten nur, ein zum erstmöglichen Termin nach der Masseunzulänglichkeitsanzeige noch nicht gekündigtes Arbeitsverhältnis zu diesem Termin zu kündigen. Eine rechtzeitige Kündigung könne bereits vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit erfolgen. Es bestehe dann kein ungekündigtes Arbeitsverhältnis mehr. Auf die Wirksamkeit dieser Kündigung könne sich der Insolvenzverwalter verlassen.
8Die Vorinstanzen haben der Zahlungsklage stattgegeben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision begehrt der Beklagte unter Vertiefung seiner rechtlichen Argumentation weiterhin Klageabweisung.
Gründe
9Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben mit Recht angenommen, dass die geltend gemachten Annahmeverzugsansprüche als Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO zu berichtigen sind.
10I. Die Klage ist zulässig. Ihr liegt die Annahme zugrunde, die streitbefangenen Ansprüche seien Neumasseverbindlichkeiten iSv. §§ 53, 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO, die nicht den Vollstreckungsverboten des § 210 InsO und des § 123 Abs. 3 Satz 2 InsO unterfallen. Ergibt die rechtliche Prüfung, dass die erhobene Forderung tatsächlich im Rang einer Altmasseverbindlichkeit steht, ist die Klage nicht unzulässig, sondern unbegründet (zuletzt - Rn. 13 mwN, BAGE 158, 376). Auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis besteht. Der Beklagte hat den Einwand der Neumasseunzulänglichkeit, bei dem auch die Neumassegläubiger ihre Ansprüche nur noch im Weg der Feststellungsklage verfolgen können, nicht erhoben ( - aaO).
11II. Die Klage ist begründet. Die streitbefangenen, rechnerisch unstreitigen Ansprüche auf Zahlung des Entgelts vom 1. Februar bis zum aus §§ 611, 615 BGB sind für die Zeit nach dem als dem ersten Termin, zu dem der Beklagte aufgrund der mit der Revision nicht angegriffenen Feststellung des Landesarbeitsgerichts unter Beteiligung des Integrationsamts nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kündigen konnte, entstanden. Sie sind daher so zu behandeln, als wären sie vom Beklagten nach der Anzeige neu begründet worden. Unerheblich ist, dass der Beklagte mit der Kündigung vom vergeblich versucht hat, das Arbeitsverhältnis vor dem zu beenden. Diese Kündigung war zwar rechtzeitig iSv. § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO erklärt. Gleichwohl gelten die Annahmeverzugsansprüche, die für die Zeit nach dem erstmöglichen Kündigungstermin bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden sind, gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO als Neumasseverbindlichkeiten iSv. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO, weil die Kündigung unwirksam war.
121. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom (- 6 AZR 868/16 -) ausführlich begründet, dass der Insolvenzverwalter von einer weiteren (vorsorglichen) Kündigung zum erstmöglichen Kündigungstermin nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit absehen kann, wenn er oder der Schuldner das Arbeitsverhältnis bereits vor der Anzeige gekündigt hat und er davon ausgeht, die bereits erklärte Kündigung werde das Arbeitsverhältnis zum selben oder einem früheren Zeitpunkt beenden, als es die nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit erstmögliche Kündigung könnte (vorzeitige Kündigung). Der Senat hat weiter ausgeführt, dass der Insolvenzverwalter bei einem solchen Vorgehen das Risiko trägt, dass die vorzeitige Kündigung wie im vorliegenden Fall unwirksam ist. Dann sind die Annahmeverzugsansprüche, die nach Ablauf der Kündigungsfrist der erstmöglichen Kündigung entstanden sind, die nach der Anzeige hätte erklärt werden können, Neumasseverbindlichkeiten nach § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 InsO. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf das Urteil vom (- 6 AZR 868/16 - Rn. 11 ff.) Bezug und sieht von weiteren Ausführungen ab.
132. Soweit der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat vortragen lassen, Integrationsämter stimmten einer Nachkündigung schwerbehinderter Menschen nicht zu, solange über die Wirksamkeit einer früheren Kündigung nicht rechtskräftig entschieden sei, handelt es sich um neuen Sachvortrag, der in der Revisionsinstanz keine Berücksichtigung mehr finden kann. Darüber hinaus wäre der Insolvenzverwalter verpflichtet, gegen einen Bescheid, der die Zustimmung zu einer vom Verwalter für erforderlich gehaltenen, nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu erklärenden Nachkündigung versagt, die rechtlich möglichen Rechtsbehelfe einzulegen. In der Zeit bis zur bestandskräftigen Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung besteht ein rechtliches Hindernis für die Nachkündigung, das den Termin der von § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO verlangten erstmöglichen Kündigung hinausschiebt.
143. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dass der Beklagte an dem von ihm im Interessenausgleich vom erklärten Verzicht auf die tarifliche Ausschlussfrist festzuhalten sei und es der Klägerin nicht verwehrt sei, sich auf diesen Verzicht zu berufen. Diese Ausführungen greift die Revision nicht an.
15III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2018:220218.U.6AZR95.17.0
Fundstelle(n):
BB 2018 S. 1139 Nr. 20
NJW 2018 S. 1628 Nr. 22
GAAAG-81688