Besonders schwere räuberische Erpressung zum Nachteil einer Supermarktkette: Abgrenzung vor Vorbereitungshandlung und Beginn der Tatausführung bei Zünden einer Rohrbombe in einer Supermarkt-Filiale
Gesetze: § 22 StGB, § 23 StGB, § 250 Abs 2 Nr 1 StGB, § 253 StGB, § 255 StGB
Instanzenzug: LG Bochum Az: 7 Ks 25/16
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und besonders schwerer räuberischer Erpressung, wegen räuberischer Erpressung, versuchter räuberischer Erpressung und wegen versuchter Erpressung in zwei Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von zehn Jahren verurteilt. Hiergegen richten sich die jeweils mit der nicht ausgeführten Sachrüge begründeten Revisionen der Angeklagten. Die Rechtsmittel führen zu einer Änderung der Schuld- und Teilaufhebung der Strafaussprüche; im Übrigen sind die Revisionen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Nach den zu den Fällen II.4 und 5 der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen brachten die Angeklagten, die vorhatten, von der Firma L. die Zahlung eines Geldbetrags in Höhe von 1 Mio. Euro zu erpressen, am in einer L. -Filiale in H. eine vom Angeklagten D. gebaute Rohrbombe zur Explosion, wodurch eine Mitarbeiterin verletzt wurde und erheblicher Sachschaden entstand. Entsprechend des von vornherein gefassten Tatplans übersandte der Angeklagte D. am eine E-MailNachricht an L. , in welcher die Verantwortung für den Rohrbombenanschlag übernommen, die Zahlung von 1 Mio. Euro verlangt und für den Fall der Nichterfüllung dieser Forderung weitere Anschläge in Verkaufsräumen während der Geschäftszeit angekündigt wurden. Die Zahlung sollte durch Überweisungen auf Konten von Prepaid-Kreditkarten erfolgen, auf welche die Angeklagten mittels der Kreditkarten zugreifen konnten. In drei weiteren per E-Mail übermittelten Schreiben wiederholten die Angeklagten ihre Forderung und Drohung. Da die Verantwortlichen von L. einen weiteren Anschlag auf eine ihrer Filialen befürchteten, veranlassten sie Überweisungen in Höhe von insgesamt mindestens 9.000 Euro auf die von den Angeklagten genannten Kreditkartenkonten. In der Zeit vom 9. Juni bis erlangten die Angeklagten bei sechs Geldabhebungen unter Verwendung der Kreditkarten insgesamt 1.800 Euro (II.4 der Urteilsgründe). Zuvor war am der erstmalig unternommene Versuch, Geld mittels einer der Kreditkarten abzuheben, trotz Kenntnis der zutreffenden PIN-Nummer gescheitert. Da beide Angeklagten die Fehlabhebung auf ein Verhalten der Vertreter von L. zurückgeführt hatten, hatte sich der Angeklagte D. noch am selben Tag mit einer E-Mail-Nachricht an L. gewandt und unter Androhung weiterer Anschläge die Korrektur des Fehlers und die Mitteilung der richtigen Geheimzahl gefordert. Auf diese Aufforderung war seitens L. nicht reagiert worden, da die bereits eingerichtete PIN den Forderungen der Angeklagten entsprach (II.5 der Urteilsgründe).
3Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten im Fall II.4 der Urteilsgründe jeweils als versuchten Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und besonders schwerer räuberischer Erpressung gewertet. Im Fall II.5 der Urteilsgründe hat es jeweils eine Strafbarkeit wegen tatmehrheitlich begangener versuchter räuberischer Erpressung bejaht.
42. Die Schuldsprüche in den Fällen II.4 und 5 der Urteilsgründe halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Im Fall II.4 der Urteilsgründe haben sich die Angeklagten jeweils lediglich der räuberischen Erpressung nach § 253 Abs. 1, § 255 StGB schuldig gemacht, die zu der Tat des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion gemäß §§ 22, 211 Abs. 2, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5, § 308 Abs. 1, § 52 StGB in Tatmehrheit steht. Ferner begegnet die Annahme einer rechtlich selbständigen Tat der versuchten räuberischen Erpressung nach §§ 22, 253 Abs. 1, § 255 StGB im Fall II.5 der Urteilsgründe durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5a) Der Qualifikationstatbestand der besonders schweren räuberischen Erpressung nach §§ 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt voraus, dass die Waffe oder das andere gefährliche Werkzeug bei der Tat verwendet werden. Erforderlich ist ein Einsatz der Waffe oder des gefährlichen Werkzeugs im Zeitraum zwischen Versuchsbeginn und Tatbeendigung. Ein Verwenden lediglich im Vorbereitungsstadium der räuberischen Erpressung reicht zur Verwirklichung des Qualifikationstatbestands des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht aus (vgl. Eser/Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 250 Rn. 6 f., 30; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 250 Rn. 18; vgl. auch , BGHSt 31, 105, 106 f.).
6Der Versuch der räuberischen Erpressung beginnt, wenn der Täter im Sinne des § 22 StGB nach seinen Vorstellungen von der Tat unmittelbar zur Nötigungshandlung ansetzt (vgl. Sander in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 253 Rn. 41; Eser/Bosch aaO, § 253 Rn. 23-27). Dies war hier erst mit Absenden der Nachricht an L. am der Fall. Das vorausgegangene Zünden der Rohrbombe diente nach den Vorstellungen der Angeklagten dazu, der tatplanmäßig erst zu einem späteren Zeitpunkt vorgesehenen Drohung gegenüber L. ein größeres Gewicht zu verleihen. Ein irgendwie gearteter, auf die Willensfreiheit des Geschädigten abzielender Erklärungsgehalt war mit dem ohne jede Vorankündigung verübten Anschlag nicht verbunden, sodass ihm nicht bereits die Bedeutung einer konkludenten Drohung zukam (vgl. , BGHSt 41, 368, 370 f.). Bezogen auf die nachfolgend ins Werk gesetzte räuberische Erpressung stellt sich der Rohrbombenanschlag als Vorbereitungshandlung dar, welche die Qualifikationsnorm des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht erfüllt (vgl. , NJW 1992, 2581; vom - 5 StR 465/95 aaO). Die Angeklagten haben sich daher jeweils lediglich der räuberischen Erpressung gemäß § 253 Abs. 1, § 255 StGB schuldig gemacht, die zu der Tat des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion im Verhältnis der Tatmehrheit steht. Allein die zwischen beiden Taten bestehende Mittel-Zweck-Verknüpfung vermag diese nicht tateinheitlich zu verknüpfen (st. Rspr.; vgl. nur , NStZ 2014, 162; Beschluss vom - 5 StR 526/96, BGHSt 43, 317, 319).
7b) Die Annahme eines neuerlichen tatmehrheitlich begangenen Versuchs der räuberischen Erpressung gemäß §§ 22, 253 Abs. 1, § 255 StGB im Fall II.5 der Urteilsgründe hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die mit dem am übersandten Schreiben vorgenommene Drohung und das vorangegangene Erpressungsgeschehen gehören vielmehr zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit.
8Eine Tat im Rechtssinne liegt vor, wenn die der Tatbestandsvollendung dienenden Teilakte einen einheitlichen Lebensvorgang bilden, wobei der Wechsel des Angriffsmittels nicht von entscheidender Bedeutung ist. Ein einheitlicher Lebensvorgang in diesem Sinne ist gegeben, wenn die einzelnen Handlungen in engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen. Für die Erpressung ist anerkannt, dass mehrere Angriffe auf die Willensentschließung des Opfers als eine Tat im Rechtssinne zu werten sind, wenn dabei lediglich die ursprüngliche Drohung den Umständen angepasst und aktualisiert, im Übrigen aber dieselbe Leistung gefordert wird. Die rechtliche Bewertungseinheit endet in diesen Fällen erst, wenn der Täter sein Ziel vollständig erreicht hat oder nach den insoweit entsprechend heranzuziehenden Wertungen des Rücktrittsrechts von einem fehlgeschlagenen Versuch auszugehen ist (st. Rspr.; vgl. , BGHSt 41, 368, 369; vom - 3 StR 551/99, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Konkurrenzen 5; Beschlüsse vom - 4 StR 81/08, NStZ-RR 2008, 239; vom - 4 StR 480/11, NStZ-RR 2012, 79).
9Nach diesen Grundsätzen bilden die neuerliche Drohung in der Nachricht vom , mit der das ursprüngliche Bedrohungsszenario ohne Zäsur zum Vorgeschehen lediglich fortgeführt wurde, und das vorangegangene Erpressungsgeschehen eine tatbestandliche Handlungseinheit, sodass die Angeklagten in den Fällen II.4 und 5 der Urteilsgründe jeweils nur eine einheitliche räuberische Erpressung gemäß § 253 Abs. 1, § 255 StGB begangen haben.
10c) Der Senat ändert die Schuldsprüche entsprechend. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich die zur Erpressung umfassend geständigen Angeklagten nicht wirksamer als geschehen hätten verteidigen können. Die Schuldspruchänderung hat die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen II.4 und 5 der Urteilsgründe und der Gesamtstrafenaussprüche zur Folge.
11Für die Bemessung der Einzelstrafen durch den neu zur Entscheidung berufenen Tatrichter verweist der Senat mit Blick auf das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO auf die Senatsentscheidung vom - 4 StR 144/91 (BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 5; vgl. auch Quentin in MüKo-StPO, § 331 Rn. 34 f. mwN).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:111017B4STR322.17.0
Fundstelle(n):
IAAAG-78479