BVerfG Urteil v. - 2 BvE 6/12, 2 BvR 1390/12, 2 BvR 1421/12, 2 BvR 1438/12, 2 BvR 1439/12, 2 BvR 1440/12

Zur Zulässigkeit der Ratifizierung des ESM-Vertrages (ESMV) und des "Vertrags über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion" (SKS-Vertrag) sowie zur Ausfertigung der Begleitgesetze - Gewährleistung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestags erfordert völkerrechtliche Sicherstellung entsprechender Auslegungsvarianten des ESMV - Ablehnung des Erlasses einstweiliger Anordnungen im Verfassungsbeschwerde- und im Organstreitverfahren mit Maßgabe der völkerrechtlichen Vorbehalte - nach summarischer Prüfung überwiegend keine Erfolgsaussichten in der Hauptsache - teilweise Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerden

Gesetze: Art 20 Abs 1 GG, Art 20 Abs 2 GG, Art 23 Abs 1 GG, Art 23 Abs 2 S 1 GG, Art 38 Abs 1 S 2 GG, Art 79 Abs 3 GG, Art 109a GG, Art 109 Abs 2 GG, Art 109 Abs 3 GG, Art 115 GG, Art 143d GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 63 BVerfGG, § 64 BVerfGG, § 90 Abs 1 BVerfGG, Art 123 Abs 1 AEUV, Art 123 Abs 2 AEUV, Art 125 AEUV, Art 126 Abs 2 S 2 Buchst b AEUV, Art 126 Abs 2 S 3 AEUV, Art 136 Abs 3 AEUV, § 4 Abs 1 ESMFinG, § 5 Abs 2 S 1 Nr 2 ESMFinG, § 5 Abs 2 S 1 Nr 3 ESMFinG, Art 4 Abs 2 S 1 EU, Art 48 Abs 3 UAbs 1 S 2 EU, Art 48 Abs 3 UAbs 2 EU, Art 48 Abs 6 EU, EUBes 199/2011, ESMAEUVBesG, ESMVtrG, Art 3 Abs 2 SKS-Vertrag, Art 5 SKS-Vertrag, Art 7 Abs 1 SKS-Vertrag, Art 8 Abs 1 SKS-Vertrag, WWUStabVtrG

Instanzenzug: nachgehend Az: 2 BvR 1390/12 Beschlussnachgehend Az: 2 BvE 6/12 Beschlussnachgehend Az: 2 BvE 13/13 EuGH-Vorlagenachgehend Az: 2 BvE 6/12 Urteilnachgehend Az: 2 BvE 13/13 Urteilnachgehend Az: 2 BvR 1390/12 Gegenstandswertfestsetzung im verfassungsgerichtlichen Verfahren

Gründe

A.

1Die Antragsteller begehren mit ihren Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Wesentlichen, dass dem Bundespräsidenten bis zur Entscheidung über die jeweilige Hauptsache untersagt wird, die von Bundestag und Bundesrat am als Maßnahmen zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise im Euro-Währungsgebiet beschlossenen Gesetze auszufertigen und die mit ihnen gebilligten völkerrechtlichen Verträge zu ratifizieren.

I.

21. Mit dem Vertrag über die Europäische Union vom (ABl EG Nr. C 191; BGBl II S. 1253), dem sogenannten Vertrag von Maastricht, wurde eine gemeinsame Währungspolitik der Mitgliedstaaten vereinbart, die stufenweise eine Europäische Währungsunion begründen und schließlich die Währungspolitik in der Hand des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) vergemeinschaften sollte. Auf der dritten Stufe dieses Prozesses wurde der Euro als einheitliche Währung eingeführt. Um Finanzdisziplin zur Unterstützung der einheitlichen Geldpolitik zu gewährleisten, wurde gleichzeitig der Stabilitäts- und Wachstumspakt (Entschließung des Europäischen Rates über den Stabilitäts- und Wachstumspakt Amsterdam, , ABl EG Nr. C 236) beschlossen, der eine Neuverschuldung von maximal 3 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) und einen Schuldenstand von maximal 60 % des BIP vorsieht und in den Jahren 2005 und 2011 geändert worden ist.

32. Am beantragte Griechenland als Mitgliedstaat des Euro-Währungsgebietes Finanzhilfen der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds (IWF). Daraufhin gewährten die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes Griechenland koordinierte bilaterale Finanzhilfen. Um die erforderlichen Maßnahmen auf nationaler Ebene zu treffen, verabschiedete der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen zum Erhalt der für die Finanzstabilität in der Währungsunion erforderlichen Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik (Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz - WFStG) vom (BGBl I S. 537). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Zweiten Senats des (BVerfGE 125, 385 ff.) sowie das Urteil des Zweiten Senats des (BVerfGE 129, 124 <128 ff.>) verwiesen.

43. In der Folge beschlossen der Europäische Rat und der Rat für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN-Rat) die Schaffung eines europäischen Stabilisierungsmechanismus ("Euro-Rettungsschirm"), der sich aus zwei Komponenten zusammensetzen sollte: dem auf eine Verordnung gestützten Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) und der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), einer auf zwischenstaatlicher Vereinbarung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes beruhenden Zweckgesellschaft. Zur Umsetzung dieser Beschlüsse erließ der Rat am auf Vorschlag der Europäischen Kommission gestützt auf Art. 122 Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die Verordnung (EU) Nr. 407/2010 zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (ABl EU Nr. L 118 vom , S. 1). Daneben wurde am die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität, eine Aktiengesellschaft nach luxemburgischem Recht, gegründet. Ihr Zweck ist die Emission von Anleihen sowie die Gewährung von Darlehen und Kreditlinien zur Deckung des Finanzierungsbedarfs von in finanziellen Schwierigkeiten befindlichen Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes unter Auflagen. Die Garantien für die Zweckgesellschaft werden anteilig unter den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes entsprechend ihrer Beteiligung am Kapital der Europäischen Zentralbank aufgeteilt. Die Laufzeit der Zweckgesellschaft ist begrenzt auf drei Jahre. Mit dem Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (Stabilisierungsmechanismusgesetz - StabMechG) vom (BGBl I S. 627) schuf der Bundesgesetzgeber auf nationaler Ebene die Voraussetzungen für die Leistung finanziellen Beistands durch die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss des Zweiten Senats des (BVerfGE 125, 385 ff.), den Beschluss des Zweiten Senats des (BVerfGE 126, 158 ff.) und das Urteil des Zweiten Senats des (BVerfGE 129, 124 <133 ff.>) verwiesen.

54. Die fortdauernd angespannte Situation auf den Finanzmärkten veranlasste die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität mit zusätzlichen, flexibleren Instrumenten auszustatten, um eine wirksame Hilfe für die überschuldeten Mitgliedstaaten zu ermöglichen. Die Staats- und Regierungschefs beschlossen auf dem Europäischen Rat vom , die ursprünglich vereinbarte maximale Darlehenskapazität der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität von 440 Milliarden Euro in vollem Umfang bereitzustellen. Die EFSF sollte unter anderem auch Aufkäufe von Staatsanleihen sowohl auf dem Primär- als auch auf dem Sekundärmarkt vornehmen können. Mit Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus vom (BGBl I S. 1992) änderte der Deutsche Bundestag das Stabilisierungsmechanismusgesetz und passte es an die veränderte Rechtslage an. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des Zweiten Senats des - (NVwZ 2012, S. 495 ff.) verwiesen.

65. Mit Schreiben vom bat Griechenland den Präsidenten der Gruppe der Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes (Eurogruppe) um weitere Nothilfedarlehen - erstmals - aus der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität. Dem zweiten Griechenlandhilfspaket stimmte der Deutsche Bundestag am gemäß § 3 Abs. 1 StabMechG zu (BTDrucks 17/8730).

76. Bereits seit Ende 2010 streben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union - über den bisherigen "Euro-Rettungsschirm" hinaus - auch einen dauerhaften Krisenbewältigungsmechanismus an. Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 28./ einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf die Errichtung eines "ständigen Krisenmechanismus zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt" (EUCO 25/1/10 REV 1, Schlussfolgerungen, S. 2). Am vereinbarten die Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes die allgemeinen Merkmale des künftigen Krisenmechanismus.

8a) Der Europäische Rat einigte sich am 16./ grundsätzlich auf eine Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, nach der Art. 136 ein neuer Absatz 3 hinzugefügt werden soll. Am nahm der Deutsche Bundestag den Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP zur Herstellung des Einvernehmens von Deutschem Bundestag und Bundesregierung zur Ergänzung von Art. 136 AEUV an (BTDrucks 17/4880; BTPlenprot Nr. 17/96, S. 11015 C). Am beschloss der Europäische Rat den (endgültigen) Entwurf eines künftigen Art. 136 Abs. 3 AEUV mit folgendem Wortlaut (EUCO 10/11, Schlussfolgerungen, Anlage II, S. 21 ff.):

10b) Den in der Folge erarbeiteten - ersten - Entwurf eines Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESMV) unterzeichneten die Wirtschafts- und Finanzminister der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes am . Als auch im Verlauf des Jahres 2011 die erhoffte Beruhigung auf den Finanzmärkten ausblieb, kamen die Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebietes am überein, neben der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität auch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) mit weiteren Instrumenten auszustatten. Die entsprechenden Nachverhandlungen des Vertrages wurden am mit der erneuten Unterzeichnung des - zweiten - Entwurfs des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus abgeschlossen.

11Durch den Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus gründen die Vertragsparteien (ESM-Mitglieder) den Europäischen Stabilitätsmechanismus als internationale Finanzinstitution (Art. 1 ESMV). Wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar erscheint, soll der ESM einem ESM-Mitglied unter strengen, dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessenen Auflagen Stabilitätshilfe gewähren dürfen (Art. 12 ESMV); in Betracht kommen "vorsorgliche Finanzhilfen" in Form einer vorsorglichen bedingten Kreditlinie oder einer Kreditlinie mit erweiterten Bedingungen (Art. 14 ESMV), Finanzhilfen mittels Darlehen zum Zwecke der Rekapitalisierung von Finanzinstituten (Art. 15 ESMV) oder allgemein zugunsten eines ESM-Mitglieds (Art. 16 ESMV) sowie der Ankauf von Staatsanleihen eines ESM-Mitglieds am Primär- oder Sekundärmarkt (Art. 17, 18 ESMV). Für das Verfahren ist in Art. 13 ESMV vorgesehen, dass nach dem Eingang des Stabilitätshilfeersuchens von der Europäischen Kommission im Benehmen mit der Europäischen Zentralbank das Bestehen einer Gefahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt oder seiner Mitgliedstaaten, die Tragfähigkeit der Staatsverschuldung und der tatsächliche oder potenzielle Finanzierungsbedarf des betreffenden ESM-Mitglieds bewertet werden. Auf der Grundlage des Ersuchens und der Bewertung beschließt der Gouverneursrat (vgl. Art. 5 ESMV) sodann, ob dem betroffenen ESM-Mitglied eine Stabilitätshilfe zu gewähren ist. Fällt die Entscheidung positiv aus, so handelt die Europäische Kommission - im Benehmen mit der Europäischen Zentralbank und nach Möglichkeit zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds - mit dem betreffenden ESM-Mitglied ein Memorandum of Understanding (MoU) aus, in dem die mit der Finanzhilfe verbundenen Auflagen im Einzelnen ausgeführt werden. Die Europäische Kommission unterzeichnet das Memorandum of Understanding im Namen des Europäischen Stabilitätsmechanismus, vorbehaltlich der Zustimmung des Gouverneursrates. Die Europäische Kommission wird - im Benehmen mit der Europäischen Zentralbank und nach Möglichkeit zusammen mit dem Internationalen Währungsfonds - damit betraut, die Einhaltung der mit der Finanzhilfe verbundenen wirtschaftspolitischen Auflagen zu überwachen. Die für das vorliegende Verfahren wesentlichen Bestimmungen lauten (vgl. BTDrucks 17/9045, S. 6 ff.):

24Ein ausdrückliches Austritts- oder Kündigungsrecht enthält der Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht.

257. Am wurde als weitere Maßnahme zur Beilegung der Staatsschuldenkrise der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (SKSV) unterzeichnet, dessen Vertragstext auszugsweise wie folgt lautet (BTDrucks 17/9046, S. 6 ff.):

34Ein ausdrückliches Kündigungs- oder Austrittsrecht enthält der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion nicht.

358. Am stimmten der Deutsche Bundestag und der Bundesrat dem Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom zur Änderung des Artikels 136 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (BTDrucks 17/9047), dem Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus in der Fassung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses (BTDrucks 17/9045; 17/10126; 17/10172) und dem Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion in der Fassung der vom Haushaltsausschuss beschlossenen Änderungsvorschläge vom (BTDrucks 17/9046; 17/10125; 17/10171) jeweils mit Zweidrittelmehrheit zu. Der jeweilige Artikel 1 dieser Gesetze enthält die Zustimmung zu dem entsprechenden Vertrag oder Beschluss. Ergänzend bestimmt das Gesetz zu dem Vertrag vom zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus im Wesentlichen:

379. Ebenfalls am beschloss der Deutsche Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz - ESMFinG) in der Fassung der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses (BTDrucks 17/9048; 17/10126). Der Bundesrat stimmte dem zu. Gemäß § 1 ESMFinG beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland am Gesamtbetrag des einzuzahlenden Kapitals des Europäischen Stabilitätsmechanismus mit einem Betrag in Höhe von 21,71712 Milliarden Euro sowie am Gesamtbetrag des abrufbaren Kapitals mit einem Betrag in Höhe von 168,30768 Milliarden Euro. Das Bundesministerium der Finanzen wird ermächtigt, für das abrufbare Kapital in Höhe von 168,30768 Milliarden Euro Gewährleistungen zu übernehmen. Die Vorschriften des Gesetzes zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus lauten - auszugsweise - im Übrigen:

II.

42Die Antragsteller zu I. bis V. sind im Wesentlichen der Auffassung, die angegriffenen Gesetze verletzten - je für sich sowie in ihrem Zusammenwirken - ihre Rechte aus Art. 38 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG. Darüber hinaus rügen der Antragsteller zu I. die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und die Antragsteller zu II. die Verletzung von Art. 14 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 4 GG.

43Die Antragstellerin zu VI. sieht sich durch den Beschluss des Deutschen Bundestages über die angegriffenen Gesetze in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 23 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Art. 79 Abs. 3 GG und Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt und rügt eine Verletzung von Rechten des Deutschen Bundestages.

44Zur Begründung machen die Antragsteller - mit unterschiedlicher Gewichtung im Einzelnen - geltend:

451. Art. 136 Abs. 3 AEUV habe nicht nur klarstellende, sondern konstitutive Bedeutung. Durch ihn werde das sogenannte Bail-out-Verbot (Art. 125 AEUV) weitgehend entwertet und damit eine notwendige Bedingung zur Sicherung der parlamentarischen Entscheidungsfreiheit in Haushaltsangelegenheiten beseitigt. Dies bedeute nicht nur einen grundlegenden währungspolitischen Wechsel in Richtung auf eine Transfer- und Haftungsgemeinschaft, sondern stelle darüber hinaus einen weiteren Integrationsschritt dar, der den Charakter der Europäischen Union grundsätzlich verändere. Das Verbot des unmittelbaren Erwerbs von Schuldtiteln öffentlicher Einrichtungen durch die Europäische Zentralbank und das Verbot der Haftungsübernahme als entscheidende Eckpfeiler der Wirtschafts- und Währungsunion würden aus der Stabilitätsgemeinschaft herausgebrochen. Die Vorschrift sei zudem vollkommen unbestimmt. Die Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union sei überdies zu Unrecht im vereinfachten Verfahren nach Art. 48 Abs. 6 EUV erfolgt.

46Die Antragstellerin zu VI. rügt, dass bei einer Vertragsänderung von dieser Tragweite die Einberufung eines Konvents erforderlich gewesen wäre, die eine Beteiligung der nationalen Parlamente ermöglicht hätte.

472. Die Zustimmung zum Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus bewirke eine mit den Strukturprinzipien des Grundgesetzes, insbesondere mit dem Demokratieprinzip, nicht vereinbare Übertragung wesentlicher Aufgaben und Befugnisse auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus. Damit entäußere sich der Deutsche Bundestag in verfassungswidriger Weise seiner Haushaltsautonomie. Er beschneide auch die Haushaltsautonomie künftiger Bundestage, indem er einen Haftungs- und Leistungsautomatismus in Gang setze, dem sich diese nicht mehr entziehen könnten. Das Instrumentarium der Stabilitätshilfe werde gegenüber der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität wesentlich erweitert. Im Rahmen der umfassenden Aufgabenzuweisungsnorm des Art. 3 ESMV sei der Europäische Stabilitätsmechanismus befugt, weitreichende Entscheidungen mit äußerst gravierenden und nur schwer absehbaren Konsequenzen für die Haushalte der Mitgliedstaaten zu treffen. So werde er letztlich zu einer Finanzierungsbank, ohne jedoch einer Bankenaufsicht zu unterliegen. Wenn der Europäische Stabilitätsmechanismus eine Banklizenz erhalte, könne er sich in praktisch unbegrenzter Höhe gegen Hinterlegung von Staatsanleihen bei der Europäischen Zentralbank Kredit beschaffen, für deren Ausfall Deutschland mit seinem Anteil am Kapital der Europäischen Zentralbank mithafte.

48a) Vor dem Hintergrund der aus anderen Euro-Rettungsmaßnahmen bereits bestehenden Haftungsrisiken überschreite das zusätzlich durch den Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus begründete Haftungsvolumen den Rahmen des Verantwortbaren evident. Deutschland gehe Risiken in einer Größenordnung ein, die das Maß des verfassungsrechtlich Zulässigen überschritten. Zudem seien die aus dem ESM-Vertrag resultierenden Verpflichtungen mit der Schuldenbremse des Grundgesetzes (Art. 109 Abs. 3, Art. 115 Abs. 2 GG) unvereinbar.

49b) Die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen mit Haushaltsrelevanz auf Organe des Europäischen Stabilitätsmechanismus sei mit dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG nur vereinbar, wenn durch Parlamentsvorbehalt sichergestellt sei, dass deren Entscheidungen der konstitutiven Zustimmung des Bundestages bedürften. Derartige Parlamentsvorbehalte fehlten jedoch im Vertrag; soweit das Zustimmungsgesetz und das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus Vorbehalte enthielten, seien diese lückenhaft oder inhaltlich unzureichend.

50aa) Art. 8 Abs. 5 ESMV begrenze die Haftung der Mitgliedstaaten nicht. Der scheinbar eindeutige Wortlaut der Regelung stehe im Widerspruch zu den ausdrücklich in den Bestimmungen über Kapitalabruf und Verlustausgleich der Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3, Art. 25 Abs. 2 ESMV geregelten Nachschusspflichten, durch die die Beschränkung des Haftungsrisikos konterkariert werde. Werde ein Mitglied zahlungsunfähig, müssten die noch zahlungsfähigen Mitglieder erhöhte Zahlungen leisten, um den Ausfall anteilig auszugleichen. Für das Eintreten derartiger Nachschusspflichten bestehe schon jetzt eine hohe Wahrscheinlichkeit. Der Europäische Stabilitätsmechanismus führe so jedenfalls indirekt zu einer Vergemeinschaftung der Staatsschulden. Durch eine Ausgabe von Anteilen über dem Nennwert gemäß Art. 8 Abs. 2 ESMV könne zudem eine Hebelung der Mittel des Europäischen Stabilitätsmechanismus ermöglicht werden. Die tatsächlichen Risiken reichten somit weit über das ausdrücklich einzuzahlende Kapital und die abrufbare Summe hinaus. Der Umfang des von Deutschland einzuzahlenden Kapitals sei daher letztlich nicht im Vertrag bestimmt, sondern von Entscheidungen anderer Staaten abhängig.

51bb) Es gebe keine völkerrechtlichen Vorbehalte zugunsten des Deutschen Bundestages. So könnten gegen den Willen Deutschlands und ohne konstitutive Ermächtigung des Bundestages das Direktorium und der Geschäftsführende Direktor Kapitalabrufe für hohe Milliardenbeträge beschließen. Aber auch im Hinblick auf die Art und Weise der Mittelverwendung seien keine ausreichenden Kontroll- und Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages vorgesehen, obwohl die Art der Vergabe der Mittel und ihr Umfang denkbar unbestimmt seien und in Art. 19 ESMV zudem die Schaffung weiterer Finanzhilfeinstrumente vorgesehen sei. Die nationalen Parlamente gerieten so, selbst wenn ihre Zustimmung erforderlich sei, in die Rolle des Nachvollzugs.

52cc) Nach Art. 4 Abs. 8 ESMV könne das Stimmrecht automatisch entzogen werden, und zwar selbst bei einem nur kurzfristigen Zahlungsverzug oder bei extrem hohen und möglicherweise unberechtigten Kapitalabrufen. Der Verlust sämtlicher Stimmrechte sei ein grober Verstoß gegen das Demokratieprinzip. Bei einer Suspendierung des deutschen Stimmrechts könnten der Gouverneursrat und das Direktorium Beschlüsse fassen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages in schwerwiegender Weise beeinträchtigen könnten.

53dd) Der Europäische Stabilitätsmechanismus erhalte über die Mitglieder des Gouverneursrates und des Direktoriums zwar eine demokratische Rückkoppelung an die nationalen Parlamente. Es sei aber nicht sichergestellt, dass eine parlamentarische Verantwortlichkeit des deutschen Direktoriumsmitglieds bestehe. Den Organmitgliedern sei eine Schweigepflicht auferlegt (Art. 34 ESMV); so könnten sie ihre Informationspflichten aus Art. 23 Abs. 2 GG nicht erfüllen.

54c) Durch die dauerhafte Bindung an den Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus werde schließlich die Staatlichkeit Deutschlands angetastet. Der Vertrag enthalte keine Kündigungsklausel und sei damit faktisch unkündbar. Die clausula rebus sic stantibus (Art. 62 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge <Wiener Vertragsrechtskonvention - WVK> vom <BGBl 1985 II S. 926>) könne nur unter engen Voraussetzungen zur Anwendung kommen. Angesichts der langfristigen Bindung könne es zudem zu einer Änderung der Mehrheitsverhältnisse kommen, in deren Folge Deutschland seine Vetoposition verliere.

55d) Der Antragsteller zu I. macht zudem geltend, die Immunität der Mitglieder des Gouverneursrates und des Direktoriums sowie ihrer Stellvertreter nach Art. 35 ESMV verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

563. Das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus sei mangels einer Art. 76 Abs. 1 und Abs. 2 GG entsprechenden Einbringung schon formell verfassungswidrig, weil der Gesetzentwurf an der Stelle, an der Beteiligungsrechte zu regeln gewesen wären, eine Leerstelle enthalten habe. Es sichere in seinen §§ 3 bis 7 die Beteiligungs- und Informationsrechte des Deutschen Bundestages zudem nur unzureichend ab. Überdies wirke in vielen Fällen lediglich der Haushaltsausschuss mit, obwohl es sich um wesentliche Entscheidungen handele, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung berührten und für die das Plenum zuständig sei.

574. Durch den Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion verpflichte sich die Bundesrepublik Deutschland, die in das Grundgesetz aufgenommene Schuldenbremse auf Dauer beizubehalten, wodurch diese der Sache nach in den unabänderlichen Verfassungskern aufgenommen werde. Selbst wenn der Vertrag keine wesentlichen Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage enthalten sollte, erhielten die bestehenden Bindungen durch unionales Sekundärrecht sowie durch die im Grundgesetz bereits enthaltene Schuldenbremse aufgrund ihrer völkerrechtlichen Festlegung eine neue rechtliche Qualität.

58a) Der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion habe konstitutive Wirkungen. Aus Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b Satz 1 SKSV folge mit dem 0,5 %-Kriterium eine gegenüber dem Sekundärrecht strengere Vorgabe für das mittelfristige Haushaltsziel. Im Falle wesentlicher Abweichungen vom mittelfristigen Haushaltsziel oder dem dorthin führenden Anpassungspfad sei darüber hinaus ein automatischer Korrekturmechanismus vorgesehen, der auf von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen gemeinsamen Grundsätzen hinsichtlich Art, Umfang und Überwachung der zu ergreifenden Korrekturmaßnahmen beruhen müsse. Weiter sehe der Vertrag einen verbindlichen Bericht der Europäischen Kommission vor, der evaluiere, ob die Vertragsstaaten den Schuldenbegrenzungsmechanismus effektiv in nationales Recht umgesetzt hätten, sowie die Verpflichtung, sich bei der Formulierung von Ausnahmen und insbesondere hinsichtlich der Instrumente der möglichen Korrekturmaßnahmen an den Vorschlägen der Kommission auszurichten. Der Vertrag ändere zudem die materielle Verfassungslage. Eine gesamtstaatliche Verschuldungsgrenze, die Kommunen und Sozialversicherungsträger einbeziehe, kenne das Grundgesetz bislang ebenso wenig wie einen automatischen Mechanismus. Zudem müssten die Staaten, deren Gesamtverschuldung das Maastricht-Kriterium von 60 % des Bruttoinlandsproduktes überschreite, Kürzungsmaßnahmen ergreifen, mit dem Ziel den über 60 % liegenden Anteil um durchschnittlich ein Zwanzigstel pro Jahr abzubauen.

59b) Art. 4 SKSV verpflichte Deutschland zu einer jährlichen Schuldenreduzierung in Höhe von 26 Milliarden Euro. Das sei mit Art. 109 Abs. 3, Art. 115 Abs. 2, Art. 143d Abs. 1 GG unvereinbar und verlange eine Änderung des Grundgesetzes, weil die Haushaltsverfassung nur den Defizitabbau, nicht aber den Abbau der Staatsverschuldung regle.

60c) Die Haushaltsautonomie werde insbesondere durch die Regelung des Art. 5 SKSV ausgehöhlt. Dort sei vorgesehen, dass die Europäische Kommission Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramme genehmigen müsse, die über einen längeren Zeitraum als eine Legislaturperiode liefen und geeignet seien, die Entscheidungsmöglichkeiten des Parlaments einzuschränken. Dies gehe über die geltenden sekundärrechtlichen Vorgaben und Sanktionsmöglichkeiten hinaus. Auch der automatische Korrekturmechanismus werde dazu führen, dass Vorgaben der Europäischen Kommission die Haushaltshoheit der Mitgliedstaaten aushöhlten.

61d) Schließlich verstoße die Irreversibilität der Verpflichtung gegen die Verfassung. Eine Kündigung sei nicht zugelassen oder aus der Natur des Vertrages herzuleiten. Die Beendigung des multilateralen Vertrages sei daher nur einvernehmlich möglich. Der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion installiere so nicht nur dauerhaft angelegte Kontroll- und Sanktionsmechanismen, sondern enthalte auch eine unumkehrbare Festlegung der Vertragsstaaten in ihrer Wirtschaftspolitik.

625. Zu den Anträgen auf Erlass einstweiliger Anordnungen wird ausgeführt, die Folgenabwägung gebiete deren Erlass, weil die Ratifikation der Verträge völkerrechtlich nicht mehr rückgängig gemacht werden könne und Deutschland gezwungen wäre, die völkerrechtliche Verbindlichkeit zu missachten, gäbe das Bundesverfassungsgericht den Anträgen in der Hauptsache statt. Der Erlass sei unabdingbar, um zu verhindern, dass das Bundesverfassungsgericht sich bei der Entscheidung über die Hauptsache vor vollendete Tatsachen gestellt sehe.

III.

63Der Bundespräsident, der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und alle Landesregierungen haben Gelegenheit zur Äußerung erhalten.

641. Die Bundesregierung hält sowohl die Verfassungsbeschwerden als auch den Antrag im Organstreitverfahren für offensichtlich unbegründet und die Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen deshalb für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.

65a) Art. 136 Abs. 3 AEUV bewirke keine Neuausrichtung der Währungsunion und beseitige auch das in Art. 125 AEUV enthaltene Verbot des Eintretens für Verbindlichkeiten anderer Mitgliedstaaten nicht, sondern enthalte nur eine Klarstellung. Die Stabilitätshilfen der Mitgliedstaaten seien keine währungsrechtlichen Maßnahmen, für die die Europäische Union nach Art. 3 Abs. 1 Buchstabe c AEUV zuständig wäre. Bei der Gewährung von Finanzhilfen handele es sich um wirtschaftspolitische Vorgänge, für die die Mitgliedstaaten zuständig seien.

66b) Der Europäische Stabilitätsmechanismus sei im Wesentlichen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität nachgebildet, wegen seiner Kapitalstruktur aber effizienter. Für die Beteiligung des Deutschen Bundestages stellten sich somit die gleichen Fragen wie im Zusammenhang mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität nach Maßgabe der und vom . Diesen Vorgaben entspreche das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus. Ein Haftungsautomatismus sei aufgrund dieser Regelungen ausgeschlossen. Der Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sehe für Abstimmungen im Gouverneursrat entweder Einvernehmlichkeit - und damit Einstimmigkeit - oder eine qualifizierte Mehrheit von 80 % der abgegebenen Stimmen vor. Da der Bundesfinanzminister in den Gouverneursrat und ein Staatssekretär in das Direktorium entsandt würden, sei zusammen mit dem Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus sichergestellt, dass die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages gewahrt bleibe.

67Die Vorschriften des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus begrenzten die Haftung auf den Anteil eines Landes am Stammkapital, das ohne Zustimmung des Deutschen Bundestages nicht erhöht werden könne. Ausdrücklich sehe Art. 8 Abs. 5 ESMV vor, dass die Haftung unter allen Umständen auf den Anteil am genehmigten Stammkapital zum Ausgabekurs begrenzt bleibe und kein Staat aufgrund seiner Mitgliedschaft für die Verpflichtungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus hafte. Der maximale Betrag, für den Deutschland haften müsse, liege somit bei etwa 190 Milliarden Euro. Dies - wie auch das vorübergehende Hinzutreten der Gewährleistungen für die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität - führe zu keiner Überschreitung einer aus dem Grundgesetz ableitbaren Obergrenze oder einer Entleerung des Budgetrechts. Es gebe zudem keine risikolose Alternative zu diesen Hilfsmaßnahmen. So würden nach den Einschätzungen der Deutschen Bundesbank, der Europäischen Zentralbank, der Europäischen Kommission und des Internationalen Währungsfonds weit größere politische und wirtschaftliche Schäden durch die Zahlungsunfähigkeit einzelner Mitgliedstaaten entstehen. Der Europäische Stabilitätsmechanismus stelle auch keinen Einstieg in eine Transferunion dar; finanzausgleichsähnliche Dauerleistungen seien nach wie vor ausgeschlossen.

68c) Das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus sei formell verfassungskonform. Auch wenn es ohne die Regelung zur Beteiligung des Bundestages eingebracht worden sei, habe es sich doch um einen vollständigen Gesetzesentwurf gehandelt, der unter anderem die nach Art. 115 Abs. 1 GG erforderliche gesetzliche Ermächtigung enthalten habe. Die Beteiligungsrechte des Bundestages hätten nicht notwendig in diesem Gesetz geregelt werden müssen.

69§ 4 ESMFinG stelle alle Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages betreffen, unter den Zustimmungsvorbehalt des Bundestagsplenums. § 7 ESMFinG sehe umfassende Informationsrechte des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus vor. Eine doppelte Absicherung gebe es bei einer Erhöhung des Stammkapitals. Für eine Änderung der Finanzhilfeinstrumente bedürfe der deutsche Vertreter nach dem Zustimmungsgesetz einer bundesgesetzlichen Ermächtigung. Daneben sei für Änderungen der Bedingungen für Finanzhilfen, die keine Auswirkungen auf das Gesamtfinanzierungsvolumen haben, sowie bei der Bereitstellung zusätzlicher Instrumente im Rahmen bestehender Finanzhilfen eine Zustimmung des Haushaltsausschusses in § 5 Abs. 2 Nr. 2 ESMFinG vorgesehen. Der Haushaltsausschuss überwache die Durchführung der für die Gewährung von Finanzhilfen getroffenen Vereinbarungen. Schließlich sei in § 6 ESMFinG ein Sondergremium für den Aufkauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt vorgesehen, das jedoch nur bei besonderen Vertraulichkeitsanforderungen zur Entscheidung berufen sei. Der Verzicht auf ein Vetorecht für Deutschland in den Fällen des Kapitalabrufes nach Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 ESMV sei sachgerecht und sichere die Kreditwürdigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus.

70d) Der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion bezwecke eine verstärkte Stabilitätsorientierung, denn er verpflichte die Vertragsparteien in seinen zentralen Bestimmungen, das Gebot der Haushaltsdisziplin in ihrem nationalen Recht - vorzugsweise im Verfassungsrecht - festzuschreiben. Art. 3 SKSV begründe keine wesentliche neue Einschränkung der Haushaltsautonomie der Mitgliedstaaten, sondern konkretisiere die bereits bestehenden unionsrechtlichen Bestimmungen. Außerdem beuge der Vertrag übermäßiger staatlicher Verschuldung vor und verhindere somit künftige weitere Staatsfinanzkrisen, womit er auch inhaltlich-funktional den Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus ergänze. Die in Art. 5 SKSV vorgesehene Überwachung der Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogramme der Mitgliedstaaten stelle keine unzulässige Einschränkung der Gestaltungsspielräume des Haushaltsgesetzgebers dar. Auch die in Art. 5 Abs. 1 Satz 3 SKSV geregelte Pflicht zur Vorlage von Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogrammen an den Rat der Europäischen Union und die Europäische Kommission bedeute mangels damit verknüpfter Rechtsfolgen keine Einschränkung. Die Limitierung der staatlichen Kreditaufnahme sei mit dem Grundgesetz vereinbar, da es sich insoweit nur um die Vorgabe eines von den Mitgliedstaaten auszufüllenden Rahmens handele und dieser gerade dem Vorbild der deutschen Schuldenbremse entspreche. Die nach Art. 3 Abs. 2 SKSV von der Europäischen Kommission abzugebenden Vorschläge zu gemeinsamen Grundsätzen für nationale Korrekturmechanismen und zu dem Zeitrahmen für die Anpassung an das mittelfristige Haushaltsziel nach Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 SKSV seien lediglich normkonkretisierende Auslegungshilfen.

71Die unbefristete Dauer des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion - wie auch des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus - begründe keinen Verfassungsverstoß. Es sei keinesfalls unüblich, wichtige völkerrechtliche Verträge ohne Befristung oder Kündigungsklausel abzuschließen. Auch ein unbefristet geschlossener Vertrag könne jederzeit von allen Vertragsparteien einvernehmlich aufgehoben werden. Bei grundlegenden Änderungen der bei Vertragsschluss vorliegenden Umstände könne außerdem die Lösung aus der vertraglichen Bindung auf der Grundlage von Art. 62 WVK erfolgen.

72e) Die Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen seien abzulehnen. Eine deutlich verzögerte Ratifizierung der beiden Verträge sei in der derzeit fragilen Situation mit massiven Folgen für einige Mitgliedstaaten verbunden. Da auf die Bundesrepublik Deutschland ein Anteil von etwas mehr als 27 % des Kapitals am Europäischen Stabilitätsmechanismus entfalle, könne dieser ohne Hinterlegung der deutschen Ratifikationsurkunde nicht in Kraft treten. Die Bundesregierung gehe davon aus, dass es dringend geboten sei, keine mehr als nur kurzfristige Unsicherheit über den Fortgang des deutschen Ratifizierungsverfahrens entstehen zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits mehrfach in besonderen Fällen schon im Verfahren über den Erlass einstweiliger Anordnungen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache berücksichtigt; um dieses Vorgehen werde auch hier gebeten.

732. Der Deutsche Bundestag hält die Anträge in der Hauptsache für unzulässig, soweit sie sich gegen das Zustimmungsgesetz zu Art. 136 Abs. 3 AEUV richten und eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art. 14 und Art. 20 GG geltend machen; insoweit fehle es den Antragstellern an der Antragsbefugnis. Im Übrigen seien die Anträge in der Hauptsache offensichtlich unbegründet.

74a) Das Zustimmungsgesetz zu dem Beschluss des Europäischen Rates zur Änderung des Artikels 136 AEUV beeinträchtige die im Grundgesetz verankerte Stellung des Deutschen Bundestages nicht. Art. 125 AEUV stehe nach einvernehmlicher Auffassung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union einer freiwilligen Hilfsgewährleistung nicht entgegen. Art. 136 Abs. 3 AEUV stelle diese Rechtslage insoweit nochmals klar und sei hinreichend bestimmt. Die Norm diene der Sicherung der Stabilität der Währungsunion und ermögliche gerade nicht die Einführung einer umfassenden Haftungs- und Transferunion, sondern ermächtige punktuell in einer hinreichend klar erkennbaren Situation zu zeitlich begrenzten Hilfsaktionen; zudem sehe er eine strenge Konditionalität vor. Die Rüge, es hätte ein Konventverfahren durchgeführt werden müssen, gehe fehl, weil mit Art. 136 Abs. 3 AEUV keine Ausdehnung der Zuständigkeit der Europäischen Union bewirkt werde.

75b) Das Zustimmungsgesetz zu dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus beeinträchtigten nicht die Budgetverantwortung des Haushaltsgesetzgebers. Der Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus lasse hinreichend genau erkennen, welche Belastungen durch ihn entstehen. Das Bestimmtheitserfordernis schließe nicht aus, dass die Bestimmungen des Vertrages autonom fortentwickelt würden, sondern ziele darauf ab, dass das Parlament den Entwicklungsprozess hinreichend verfolgen und effektiv steuern könne.

76Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages sei nicht gefährdet. Der Europäische Stabilitätsmechanismus könne keine haushaltsbedeutsamen Entscheidungen treffen, die nicht bereits mit dem Vertrag vom Gesetzgeber gebilligt worden seien oder im weiteren Verlauf gesetzgeberischer Entscheidung bedürften. Die Befugnis zur Generierung von Fremdkapital sei daher ebenso wenig bedenklich wie die Befugnis, Finanzhilfen als Darlehen und in anderen Formen gewähren zu können. Kapitalabrufe führten lediglich zur Erfüllung einer bereits begründeten Verpflichtung. Zu einer Erhöhung der der Bundesrepublik Deutschland zugewiesenen Anteile gegen ihren Willen oder ohne ihre Zustimmung könne es nicht kommen, denn nach Art. 8 Abs. 5 ESMV werde die Haftung eines Mitgliedstaates "unter allen Umständen" auf seinen Anteil am genehmigten Stammkapital begrenzt. Diese Regelung könne insbesondere nicht durch die Bestimmungen über den revidierten erhöhten Kapitalabruf (Art. 25 Abs. 2 ESMV) überspielt werden. Auch die Folgewirkungen seien überschaubar; Einsatzzweck, Operationsbreite und das zur Verfügung stehende Eigenkapital des ESM seien eindeutig begrenzt. Die Gefahr eines Automatismus werde vertraglich und prozedural ausgeschlossen. Zwar sei der Europäische Stabilitätsmechanismus auf Dauer angelegt, nicht jedoch die Hilfemaßnahmen. Diese zielten auf eine Rückkehr zu vollständigem Selbststand und seien aufgrund der Konditionalität notwendig zeitlich begrenzt. Die von den Mitgliedstaaten zu leistenden Beträge belasteten den Haushalt nicht sofort, sondern seien allenfalls in zeitlicher Stufung zu leisten. Eine Erhöhung des Spielraums durch Überprüfung der Angemessenheit des maximalen Darlehensvolumens nach Maßgabe des Art. 10 ESMV sei zwar möglich, bedürfe allerdings der Mitwirkung des Gesetzgebers. Die Gefahr von erheblichen Verlusten bei der Durchführung von Operationen nach Art. 21 ESMV sei so gering, dass sie außer Betracht bleiben könne.

77Selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass die Bundesrepublik Deutschland ihre Stammeinlagen vollständig geleistet habe und eine schlagartige Entwertung der Kapitalanteile erfolge, würden die daraus entstehenden Belastungen das deutsche Staatsdefizit lediglich um etwa acht Prozentpunkte erhöhen. Die Bundesrepublik Deutschland hätte dann einen Schuldenstand von circa 90 % des Bruttoinlandsproduktes, was künftigen Haushaltsgesetzgebern nicht jeglichen Spielraum nähme. Eine Einhaltung der Schuldenbremse wäre unter diesen Voraussetzungen allerdings nur unter Berufung auf die Notlagenklausel möglich. Nach den Berechnungen des Bundesfinanzministeriums und des Bundesrechnungshofes ergebe sich aus allen Rettungsmaßnahmen derzeit eine denkbare Höchstbelastung von circa 310 Milliarden Euro, mit deren schlagartiger Realisierung nicht zu rechnen sei. Ein Verzicht auf die in Rede stehenden Hilfsmaßnahmen würde mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Prozess in Gang setzen, der für diesen und für künftige Haushaltsgesetzgeber gleich hohe oder höhere Belastungen mit sich bringen würde.

78Die demokratische Kontrolle der Tätigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus werde vorwiegend über Zustimmungs- und Mitwirkungsrechte entfaltet. Die grundlegenden Entscheidungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus bedürften der Billigung im Deutschen Bundestag. Die an Entscheidungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus beteiligten Amtswalter unterlägen hinreichender parlamentarischer Kontrolle und seien damit demokratisch legitimiert. Auf einer zweiten Stufe bedürfe das Handeln der deutschen Vertreter der Zustimmung des Haushaltsausschusses, wobei das Plenum die Sache jederzeit an sich ziehen könne. Die Steuerungs- und Kontrollmechanismen seien so weit vorgelagert, dass das Parlament schon zu einem frühen Zeitpunkt auf den Prozess der Entscheidung über eine Hilfegewährung Einfluss nehmen könne.

79c) Die Vorgaben des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion stellten keine Verkürzung der Budgethoheit dar, sondern dienten der Begrenzung des deutschen Haftungsrisikos. Der Vertrag beziehe sich auf das Recht der Europäischen Union, ohne dieses ändern zu sollen. So entstünden keine unmittelbaren Rechtswirkungen für die Haushalte der Mitgliedstaaten, sondern nur mittelbar über die Sanktionen; ein Haushaltsgesetz, das gegen den Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion verstoße, verliere nicht seine Rechtswirksamkeit.

80Wegen der föderalen Gliederung der Bundesrepublik Deutschland weise der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion gegenüber der Schuldenbremse im Grundgesetz Unterschiede auf, die allerdings nicht zu einem davon wesentlich abweichenden Regelungskonzept führten. Verpflichtet sei der Gesamtstaat, also Bund, Länder und Gemeinden sowie alle weiteren öffentlichen Haushalte. Sanktionen der Organe der Europäischen Union könnten sich ausschließlich an den Bund richten; für einen Durchgriff auf Länder oder Gemeinden sei kein Raum. Den im Grundgesetz vorgesehenen Pfad der Entschuldung definiere Art. 143d Abs. 1 GG, während der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion ihn der Europäischen Kommission zur Konkretisierung überlasse. Es sei zwar nicht sicher, dass die Europäische Kommission im Ergebnis zu einem identischen Entschuldungspfad kommen werde, wie ihn das Grundgesetz vorsehe; die Kommission sei allerdings verpflichtet, auf länderspezifische Risiken Rücksicht zu nehmen und dürfe sich insoweit an der Rechtslage des jeweiligen Mitgliedstaates orientieren.

81Die inhaltlichen Vorgaben des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion brächten kaum Zuwachs an materiellen Bindungen. Die Mitgliedstaaten übernähmen die Verpflichtungen aus eigenem Antrieb und würden zur Teilnahme nicht - auch nicht faktisch - gezwungen. Der Vertrag veranlasse die autonome Durchsetzung vertraglich eingegangener Selbstverpflichtungen und decke sich mit bereits bestehenden unionsrechtlichen Vorgaben. Zwar bedeute Art. 7 SKSV mit seiner "umgekehrten" qualifizierten Mehrheitsregel eine Neuerung, die jedoch ohne verfassungsrechtliche Relevanz für die Budgethoheit der nationalen Parlamente bleibe; die Vereinbarung eines bestimmten Abstimmungsverhaltens modifiziere das Defizitverfahren inhaltlich nicht. Es finde auch keine Übertragung von materiellen Definitionskompetenzen auf andere Hoheitsträger statt. Dem Gerichtshof sei in Art. 8 SKSV lediglich in Bezug auf die Einhaltung von Art. 3 Abs. 2 SKSV die Kompetenz eingeräumt, über Klagen der Vertragsparteien zu entscheiden und gegen eine Vertragspartei im Fall eines Verstoßes ein Zwangsgeld zu verhängen.

82Zwar enthalte der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion keine ausdrückliche Klausel zu seiner Beendigung oder Kündigung, doch schließe dies die Anwendung der allgemeinen Kündigungsregeln des Völkerrechts nicht aus.

IV.

83Die Bundesregierung hat gemäß § 65 Abs. 1, § 94 Abs. 5 BVerfGG den Beitritt zu allen im Rubrum genannten Verfahren erklärt, wobei sie dem Verfahren zu VI. auf Seiten des Deutschen Bundestages beitreten möchte. Dieser hat seinerseits erklärt, gemäß § 94 Abs. 5 BVerfGG den Verfahren zu I. bis V. beizutreten.

V.

84In der mündlichen Verhandlung vom haben die Beteiligten ihr Vorbringen bekräftigt und vertieft. Der Senat hat außerdem den Präsidenten der Deutschen Bundesbank Dr. Jens Weidmann, den Präsidenten des Bundesrechnungshofes Prof. Dr. Dieter Engels, die Herren Rolf Strauch und Ralf Jansen von der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, Prof. Dr. Dres. h.c. Hans-Werner Sinn (ifo-Institut), Dr. Friedrich Heinemann (ZEW) und Prof. Dr. Clemens Fuest (University of Oxford) als sachverständige Auskunftspersonen gehört. Diese haben insbesondere zum Umfang der mit dem Inkrafttreten des Europäischen Stabilitätsmechanismus verbundenen Gesamtbelastung des Bundeshaushaltes, möglicher Nachschusspflichten und Spekulationsverluste, der deutschen Haftungsrisiken aus der Beteiligung an der Europäischen Zentralbank, zu dem vorhandenen Finanzierungsvolumen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität sowie zu den Risiken eines verspäteten Inkrafttretens des Europäischen Stabilitätsmechanismus Stellung genommen.

B.

85Die zulässigen Anträge sind überwiegend unbegründet.

I.

861. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>). Dieser wird noch weiter verschärft, wenn eine Maßnahme mit völkerrechtlichen oder außenpolitischen Auswirkungen in Rede steht (vgl. BVerfGE 35, 193 <196 f.>; 83, 162 <171 f.>; 88, 173 <179>; 89, 38 <43>; 108, 34 <41>; 118, 111 <122>; 125, 385 <393>; 126, 158 <167>; 129, 284 <298>).

87Bei der Entscheidung über die einstweilige Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahmen vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 89, 38 <44>; 103, 41 <42>; 118, 111 <122>; stRspr). Erweist sich der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen, so hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde oder der Antrag im Organstreitverfahren aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 126, 158 <168>; 129, 284 <298>; stRspr).

882. a) Wird jedoch im Hauptsacheverfahren das Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag zur Prüfung gestellt, kann es angezeigt sein, sich nicht auf eine reine Folgenabwägung zu beschränken, sondern bereits im Verfahren nach § 32 Abs. 1 BVerfGG eine summarische Prüfung anzustellen, ob die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Vertragsgesetzes vorgetragenen Gründe mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass das Bundesverfassungsgericht das Vertragsgesetz für verfassungswidrig erklären wird (vgl. BVerfGE 35, 193 <196 f.>). So kann zum einen sichergestellt werden, dass die Bundesrepublik Deutschland keine völkerrechtlichen Bindungen eingeht, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sind. Zum anderen kann auf diese Weise verhindert werden, dass eine mögliche Rechtsverletzung bei Verweigerung einstweiligen Rechtsschutzes nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte, die Entscheidung in der Hauptsache also zu spät käme (vgl. BVerfGE 46, 160 <164>; 111, 147 <153>), wie dies nach der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde zu einem völkerrechtlichen Vertrag typischerweise der Fall ist. Eine summarische Prüfung der Rechtslage ist in solchen Fällen insbesondere geboten, wenn eine Verletzung der Schutzgüter des Art. 79 Abs. 3 GG in Rede steht. In einer derartigen Situation muss es Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts sein, die Identität der Verfassung zu schützen. Ergibt die summarische Prüfung im Eilrechtsschutzverfahren, dass eine behauptete Verletzung von Art. 79 Abs. 3 GG mit hoher Wahrscheinlichkeit gegeben ist, läge in der Nichtgewährung von Rechtsschutz ein schwerer Nachteil für das gemeine Wohl im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG (vgl. BVerfGE 111, 147 <153>).

89b) Auch begleitende gesetzliche Regelungen können diesem Prüfungsmaßstab unterfallen und einer summarischen Prüfung unterzogen werden, wenn ein enger Sachzusammenhang mit der zugleich angegriffenen völkerrechtlichen Vereinbarung besteht. Das ist namentlich dann anzunehmen, wenn das Gesetz die von Verfassungs wegen grundsätzlich gebotene parlamentarische Rückanbindung der völkerrechtlich vereinbarten Maßnahme sicherstellen soll und eine getrennte Betrachtung des Zustimmungsgesetzes und der Begleitgesetzgebung ebenso eine künstliche Aufspaltung eines einheitlichen Sachverhalts darstellte wie ihre Unterwerfung unter unterschiedliche Maßstäbe.

903. Nach diesen Grundsätzen sind hier die in den Verfassungsbeschwerden und dem Organstreitverfahren angegriffenen völkerrechtlichen Verträge einschließlich der Begleitgesetzgebung summarisch daraufhin zu überprüfen, ob die von den Antragstellern zulässigerweise geltend gemachten Rechtsverletzungen vorliegen, soweit diese für das mit dem Antrag auf Erlass einstweiliger Anordnungen verfolgte Rechtsschutzziel erheblich sind. Mit der Ratifikation der Verträge geht die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtliche Bindungen ein, von denen sie sich, sollten Verfassungsverstöße festzustellen sein, nicht ohne weiteres lösen könnte. Die wirtschaftlichen und politischen Nachteile, die sich aus einem verzögerten Inkrafttreten der angegriffenen Gesetze ergeben können, mögen von hohem Gewicht sein, gleichwohl können sie nicht in Abwägung zu dem durch Art. 79 Abs. 3 GG abgesicherten Schutzgut der Demokratie gebracht werden. Das Gesetz zur finanziellen Beteiligung am Europäischen Stabilitätsmechanismus enthält die innerstaatlichen Vorkehrungen für die Wahrung der Haushaltsautonomie des Deutschen Bundestages in Bezug auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus und muss in die summarische Prüfung einbezogen werden.

II.

911. Die Verfassungsbeschwerden sind nicht von vornherein unzulässig, soweit die Antragsteller eine Verletzung in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG geltend machen; hinsichtlich der übrigen Rügen sind die Verfassungsbeschwerden dagegen unzulässig.

92a) Die Verfassungsbeschwerden rügen im Wesentlichen, dass der Deutsche Bundestag durch die angegriffenen Gesetze unkalkulierbare Risiken eingehe, demokratische Entscheidungsprozesse auf die supranationale oder intergouvernementale Ebene verlagert würden und eine Wahrnehmung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung durch den Deutschen Bundestag nicht länger möglich sei. Damit legen die Antragsteller hinreichend substantiiert dar, dass die dauerhafte Haushaltsautonomie des Deutschen Bundestages beeinträchtigt werde und sie deshalb in ihren Rechten aus Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG verletzt seien (zur Zulässigkeit und zu den Anforderungen an die Substantiierung dieser Rüge vgl. BVerfGE 129, 124 <167 ff.>).

93b) Im Übrigen sind die Rügen unzulässig.

94aa) Soweit der Antragsteller zu I. rügt, das ESM-Finanzierungsgesetz sei mangels ordnungsgemäßer Einbringung in den Deutschen Bundestag formell verfassungswidrig, hat er nicht substantiiert dargelegt, dass sein Recht aus Art. 38 Abs. 1 GG dadurch entleert sein könnte (vgl. BVerfGE 129, 124 <170>).

95bb) Soweit er darüber hinaus rügt, dass die Regelung des Art. 35 Abs. 1 ESMV, der den Amtswaltern des Europäischen Stabilitätsmechanismus persönliche Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich ihrer amtlichen Handlungen zuerkennt, willkürlich sei und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoße, ist der Antragsteller zu I. durch diese Regelung nicht nachteilig betroffen und kommt deshalb eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 63, 255 <265 f.>). Der Antragsteller zu I. macht der Sache nach einen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch geltend. Ein solcher lässt sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ebenso wenig ableiten wie aus Art. 19 Abs. 4 GG oder Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 122 <Februar 2003>; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 19 Abs. 4 Rn. 70). Wird ein Grundrechtsträger durch eine Maßnahme oder durch ein Unterlassen nicht in seiner eigenen Rechtsstellung betroffen - hat die Maßnahme beziehungsweise das Unterlassen also keinerlei Auswirkungen auf seine rechtlich geschützten Interessen -, kann er aus Art. 3 Abs. 1 GG weder Abwehr- noch Leistungsansprüche ableiten (vgl. Rüfner, in: Bonner Kommentar, Bd. 1, Art. 3 Abs. 1 Rn. 148 ff., 158 <Oktober 1992>; Heun, in: Dreier, GG, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 3 Rn. 45). Dies ist bei der Regelung des Art. 35 Abs. 1 ESMV der Fall.

96cc) Die Verfassungsbeschwerde der Antragsteller zu II. ist unzulässig, soweit diese eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG im Hinblick auf inflationäre Entwicklungen durch den Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und die Begleitgesetzgebung sowie aufgrund von Handlungen der Europäischen Zentralbank geltend machen. Eine Kontrolle wirtschafts- und finanzpolitischer Maßnahmen auf negative Folgen für die Geldwertstabilität durch das Bundesverfassungsgericht kommt allenfalls in Fällen einer evidenten Minderung des Geldwerts in Betracht (vgl. BVerfGE 129, 124 <174>). Hinreichende Tatsachen, die zu einer Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht Anlass geben könnten, haben die Antragsteller zu II. nicht vorgetragen.

97dd) Auch die Rüge einer Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 20 Abs. 4 GG durch die Antragsteller zu II. ist unzulässig. Das Widerstandsrecht ist ein subsidiäres Ausnahmerecht, das - wie der Senat ausgeführt hat (BVerfGE 123, 267 <333>) - in Fällen wie dem vorliegenden nicht geltend gemacht werden kann.

98c) Soweit die Antragsteller zu II. gegen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank zur Eurorettung, insbesondere den Ankauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt, einwenden, diese seien ausbrechende Rechtsakte, ist ihr entsprechender Feststellungsantrag bei verständiger Auslegung nicht von dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mitumfasst und bleibt damit einer Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten.

992. Der Antrag im Organstreitverfahren ist unzulässig, soweit die Antragstellerin mit Blick auf das Gesetz zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom zur Änderung des Artikels 136 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG rügt. Im Übrigen ist der Antrag zulässig.

100a) Die Antragstellerin macht im Zusammenhang mit dem Gesetz zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom zur Änderung des Artikels 136 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, geltend, durch die Wahl des vereinfachten Vertragsänderungsverfahrens sei sie in ihrem Recht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt worden, an einem Konvent im Rahmen des ordentlichen Vertragsänderungsverfahrens nach Art. 48 Abs. 2 bis Abs. 5 EUV teilzunehmen.

101Die Antragstellerin hat bereits nicht dargetan, inwiefern aus dem Grundgesetz ein Recht des Deutschen Bundestages oder der Antragstellerin selbst zur Teilnahme an einem Konvent nach Art. 48 EUV abzuleiten sein könnte, und somit nicht dargelegt, welches durch das Grundgesetz gewährte Recht im Sinne des § 64 BVerfGG betroffen sein soll. Darüber hinaus fehlt es an der substantiierten Darlegung der behaupteten Rechtsverletzung. Das Recht der Europäischen Union sieht für die Parlamente der Mitgliedstaaten keine Mitwirkungsbefugnisse bei der Auswahl des Änderungsverfahrens vor. Nach Art. 48 Abs. 3 Unterabsatz 2 EUV kann der Europäische Rat vielmehr mit einfacher Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments beschließen, für eine Vertragsänderung im ordentlichen Verfahren keinen Konvent einzuberufen, wenn seine Einberufung aufgrund des Umfangs der geplanten Änderungen nicht gerechtfertigt ist. Wie sich aus der Zusammenschau mit Art. 48 Abs. 3 Unterabsatz 1 Satz 2 EUV ergibt, gilt das auch für institutionelle Änderungen im Währungsbereich. Eine Verletzung von Rechten des Deutschen Bundestages käme danach allenfalls in Betracht, wenn im Falle des ordentlichen Vertragsänderungsverfahrens nach Art. 48 Abs. 2 bis Abs. 5 EUV ein Konventverfahren überhaupt stattgefunden hätte, an dem teilzunehmen dem Deutschen Bundestag verwehrt worden wäre. Zu keiner dieser Voraussetzungen im Zusammenhang mit der Änderung von Art. 136 AEUV hat die Antragstellerin vorgetragen.

102b) Im Übrigen ist der Antrag im Organstreitverfahren zulässig. Insbesondere ist die Antragstellerin als Fraktion des Deutschen Bundestages befugt, für diesen geltend zu machen, durch die angegriffenen Gesetze entäußere sich der Deutsche Bundestag seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung (vgl. BVerfGE 123, 267 <338 f.>).

III.

103Die Anträge in den Hauptsacheverfahren werden, soweit sie im Hinblick auf den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung hier zu beurteilen sind, nach summarischer Prüfung überwiegend ohne Erfolg bleiben.

1041. a) Das Wahlrecht (Art. 38 Abs. 1 GG) gewährleistet als grundrechtsgleiches Recht die Selbstbestimmung der Bürger und garantiert die freie und gleiche Teilhabe an der in Deutschland ausgeübten Staatsgewalt (vgl. BVerfGE 37, 271 <279>; 73, 339 <375>; 123, 267 <340>). Sein Gewährleistungsgehalt umfasst die Grundsätze des Demokratiegebots im Sinne von Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG, die Art. 79 Abs. 3 GG als Identität der Verfassung auch vor dem Zugriff durch den verfassungsändernden Gesetzgeber schützt (vgl. BVerfGE 123, 267 <340>; 129, 124 <177>).

105aa) Das Grundgesetz untersagt nicht nur die Übertragung der Kompetenz-Kompetenz auf die Europäische Union oder im Zusammenhang mit ihr geschaffene Einrichtungen (vgl. BVerfGE 89, 155 <187 f., 192, 199>; vgl. auch BVerfGE 58, 1 <37>; 104, 151 <210>; 123, 267 <349>). Auch Blankettermächtigungen zur Ausübung öffentlicher Gewalt dürfen die deutschen Verfassungsorgane nicht erteilen (vgl. BVerfGE 58, 1 <37>; 89, 155 <183 f., 187>; 123, 267 <351>). Es ist deshalb von Verfassungs wegen gefordert, entweder dynamische Vertragsvorschriften mit Blankettcharakter nicht zu vereinbaren oder, wenn sie noch in einer Weise ausgelegt werden können, die die Integrationsverantwortung wahrt, jedenfalls geeignete Sicherungen zur effektiven Wahrnehmung dieser Verantwortung zu treffen. Das Zustimmungsgesetz zu einem völkerrechtlichen Vertrag und die innerstaatliche Begleitgesetzgebung müssen demnach so beschaffen sein, dass die europäische Integration weiter nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung erfolgt, ohne dass die Europäische Union oder im Zusammenhang mit ihr geschaffene Einrichtungen die Möglichkeit besitzen, sich der Kompetenz-Kompetenz zu bemächtigen oder sonst die integrationsfeste Verfassungsidentität des Grundgesetzes zu verletzen. Für Grenzfälle des noch verfassungsrechtlich Zulässigen muss der deutsche Gesetzgeber gegebenenfalls mit seinen die Zustimmung begleitenden Gesetzen wirksame Vorkehrungen dafür treffen, dass die Integrationsverantwortung der Gesetzgebungsorgane sich hinreichend entfalten kann (BVerfGE 123, 267 <353>).

106bb) Art. 38 Abs. 1 GG wird namentlich verletzt, wenn sich der Deutsche Bundestag seiner parlamentarischen Haushaltsverantwortung dadurch entäußert, dass er oder zukünftige Bundestage das Budgetrecht nicht mehr in eigener Verantwortung ausüben können (BVerfGE 129, 124 <177>). Die Entscheidung über Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand ist grundlegender Teil der demokratischen Selbstgestaltungsfähigkeit im Verfassungsstaat (vgl. BVerfGE 123, 267 <359>). Der Deutsche Bundestag muss deshalb dem Volk gegenüber verantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entscheiden. Insofern stellt das Budgetrecht ein zentrales Element der demokratischen Willensbildung dar (vgl. BVerfGE 70, 324 <355 f.>; 79, 311 <329>; 129, 124 <177>).

107(1) Auch in einem System intergouvernementalen Regierens müssen die gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages als Repräsentanten des Volkes die Kontrolle über grundlegende haushaltspolitische Entscheidungen behalten. Mit der Öffnung für die internationale Zusammenarbeit, Systeme kollektiver Sicherheit und die europäische Integration bindet sich die Bundesrepublik Deutschland nicht nur rechtlich, sondern auch finanzpolitisch. Selbst dann, wenn solche Bindungen einen erheblichen Umfang annehmen, wird das Budgetrecht nicht ohne weiteres in einer mit Art. 38 Abs. 1 GG rügefähigen Weise verletzt. Für die Einhaltung der Grundsätze der Demokratie kommt es vielmehr entscheidend darauf an, dass der Deutsche Bundestag der Ort bleibt, an dem eigenverantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entschieden wird, auch im Hinblick auf internationale und europäische Verbindlichkeiten (vgl. BVerfGE 129, 124 <177>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom - 2 BvE 8/11 -, NVwZ 2012, S. 495 <497>; Urteil des Zweiten Senats vom - 2 BvE 4/11 -, juris Rn. 114). Würde über wesentliche haushaltspolitische Fragen ohne konstitutive Zustimmung des Bundestages entschieden oder würden überstaatliche Rechtspflichten ohne entsprechende Willensentscheidung des Bundestages begründet, so geriete das Parlament in die Rolle des bloßen Nachvollzuges und könnte die haushaltspolitische Gesamtverantwortung im Rahmen seines Budgetrechts nicht mehr wahrnehmen (BVerfGE 129, 124 <178 f.>).

108(2) In seinem Urteil vom (BVerfGE 129, 124) hat der Senat im Einzelnen dargelegt, dass der Deutsche Bundestag seine Budgetverantwortung nicht durch unbestimmte haushaltspolitische Ermächtigungen auf andere Akteure übertragen darf. Je größer das finanzielle Ausmaß von Haftungsübernahmen oder Verpflichtungsermächtigungen ist, umso wirksamer müssen Zustimmungs- und Ablehnungsrechte sowie Kontrollbefugnisse des Deutschen Bundestages ausge-staltet werden. Insbesondere darf dieser sich keinen finanzwirksamen Mechanismen ausliefern, die - sei es aufgrund ihrer Gesamtkonzeption, sei es aufgrund einer Gesamtwürdigung der Einzelmaßnahmen - zu nicht überschaubaren haushaltsbedeutsamen Belastungen ohne vorherige konstitutive Zustimmung führen können, seien es Ausgaben oder Einnahmeausfälle. Dieses Verbot, sich der Budgetverantwortung zu entäußern, beschränkt nicht etwa unzulässig die Haushaltskompetenz des Gesetzgebers, sondern zielt gerade auf deren Bewahrung (vgl. BVerfGE 129, 124 <179>).

109(3) Eine notwendige Bedingung für die Sicherung politischer Freiräume im Sinne des Identitätskerns der Verfassung (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 79 Abs. 3 GG) besteht darin, dass der Haushaltsgesetzgeber seine Entscheidungen über Einnahmen und Ausgaben frei von Fremdbestimmung seitens der Organe und anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union trifft und dauerhaft "Herr seiner Entschlüsse" bleibt (vgl. BVerfGE 129, 124 <179 f.>). Es ist zwar in erster Linie Sache des Bundestages selbst, in Abwägung aktueller Bedürfnisse mit den Risiken mittel- und langfristiger Gewährleistungen darüber zu befinden, in welcher Gesamthöhe Gewährleistungssummen noch verantwortbar sind (vgl. BVerfGE 79, 311 <343>; 119, 96 <142 f.>). Aus der demokratischen Verankerung der Haushaltsautonomie folgt jedoch, dass der Bundestag einem intergouvernemental oder supranational vereinbarten, nicht an strikte Vorgaben gebundenen und in seinen Auswirkungen nicht begrenzten Bürgschafts- oder Leistungsautomatismus nicht zustimmen darf, der - einmal in Gang gesetzt - seiner Kontrolle und Einwirkung entzogen ist (BVerfGE 129, 124 <180>).

110(4) Es dürfen zudem keine dauerhaften völkervertragsrechtlichen Mechanismen begründet werden, die auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinauslaufen, vor allem wenn sie mit schwer kalkulierbaren Folgewirkungen verbunden sind. Jede ausgabenwirksame solidarische Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Umfangs im internationalen oder unionalen Bereich muss vom Bundestag im Einzelnen bewilligt werden. Soweit überstaatliche Vereinbarungen getroffen werden, die aufgrund ihrer Größenordnungen für das Budgetrecht von struktureller Bedeutung sein können, etwa durch Übernahme von Bürgschaften, deren Einlösung die Haushaltsautonomie gefährden kann, oder durch Beteiligung an entsprechenden Finanzsicherungssystemen, bedarf nicht nur jede einzelne Disposition der Zustimmung des Bundestages; es muss darüber hinaus gesichert sein, dass weiterhin hinreichender parlamentarischer Einfluss auf die Art und Weise des Umgangs mit den zur Verfügung gestellten Mitteln besteht (vgl. BVerfGE 129, 124 <180 f.>). Die den Deutschen Bundestag im Hinblick auf die Übertragung von Kompetenzen auf die Europäische Union treffende Integrationsverantwortung (vgl. BVerfGE 123, 267 <356 ff.>) findet hierin ihre Entsprechung für haushaltswirksame Maßnahmen vergleichbaren Gewichts (BVerfGE 129, 124 <181>).

111(5) Der Deutsche Bundestag kann seine haushaltspolitische Gesamtverantwortung nicht ohne ausreichende Informationen über die von ihm zu verantwortenden Entscheidungen von haushaltsrechtlicher Bedeutung wahrnehmen. Das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG gebietet daher, dass der Deutsche Bundestag an diejenigen Informationen gelangen kann, die er für eine Abschätzung der wesentlichen Grundlagen und Konsequenzen seiner Entscheidung benötigt (vgl. nur Art. 43 Abs. 1, Art. 44 GG sowie BVerfGE 67, 100 <130>; 77, 1 <48>; 110, 199 <225>; 124, 78 <114>). In seinem Kern ist dieser parlamentarische Unterrichtungsanspruch deshalb auch in Art. 79 Abs. 3 GG verankert. Die ausreichende Information des Parlaments durch die Regierung ist daher notwendige Voraussetzung einer effektiven Vorbereitung seiner Entscheidungen und der Ausübung seiner Kontrollfunktion (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom - 2 BvE 4/11 -, a.a.O., Rn. 107). Dieser Grundsatz gilt nicht nur im nationalen Haushaltsrecht (vgl. etwa Art. 114 GG), sondern auch in Angelegenheiten der Europäischen Union (vgl. Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG).

112cc) Ob und inwieweit sich unmittelbar aus dem Demokratieprinzip eine justiziable Begrenzung der Übernahme von Zahlungsverpflichtungen oder Haftungszusagen herleiten lässt, hat der Senat in seinem Urteil vom offen gelassen (vgl. BVerfGE 129, 124 <182>). Jedenfalls kommt es im vorliegenden Zusammenhang mit seiner allgemeinen Maßstäblichkeit aus dem Demokratieprinzip nur auf eine evidente Überschreitung von äußersten Grenzen an (BVerfGE 129, 124 <182>). Eine unmittelbar aus dem Demokratieprinzip folgende Obergrenze könnte allenfalls überschritten sein, wenn sich die Zahlungsverpflichtungen und Haftungszusagen im Eintrittsfall so auswirkten, dass die Haushaltsautonomie jedenfalls für einen nennenswerten Zeitraum nicht nur eingeschränkt würde, sondern praktisch vollständig leerliefe (vgl. BVerfGE 129, 124 <183>).

113Bei der Prüfung, ob der Umfang von Zahlungsverpflichtungen und Haftungszusagen zu einer Entäußerung der Haushaltsautonomie des Bundestages führt, verfügt der Gesetzgeber namentlich mit Blick auf die Frage der Eintrittsrisiken und die zu erwartenden Folgen für die Handlungsfreiheit des Haushaltsgesetzgebers über einen weiten Einschätzungsspielraum, den das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich zu respektieren hat. Das gilt auch für die Abschätzung der künftigen Tragfähigkeit des Bundeshaushaltes und des wirtschaftlichen Leistungsvermögens der Bundesrepublik Deutschland (vgl. BVerfGE 129, 124 <182 f.>), einschließlich der Berücksichtigung der Folgen alternativer Handlungsoptionen.

114dd) Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages wird seit dem Eintritt in die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion nicht zuletzt durch die Bestimmungen des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union abgesichert. Diese Bestimmungen stehen der nationalen Haushaltsautonomie als einer wesentlichen, nicht entäußerbaren Kompetenz der unmittelbar demokratisch legitimierten Parlamente der Mitgliedstaaten nicht entgegen, sondern setzen sie voraus.

115(1) Das geltende Integrationsprogramm gestaltet die Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft aus. Dies ist, wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt hervorgehoben hat (vgl. BVerfGE 89, 155 <205>; 97, 350 <369>; 129, 124 <181 f.>), wesentliche Grundlage für die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der Währungsunion. Die Verträge laufen dabei nicht nur hinsichtlich der Währungsstabilität mit den Anforderungen des Art. 88 Satz 2 GG, gegebenenfalls auch des Art. 14 Abs. 1 GG, parallel, der die Beachtung der Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und das vorrangige Ziel der Preisstabilität zu dauerhaft geltenden Verfassungsanforderungen der deutschen Beteiligung an der Währungsunion macht (vgl. Art. 127 Abs. 1, Art. 130 AEUV); auch weitere zentrale Vorschriften zur Ausgestaltung der Währungsunion sichern die verfassungsrechtlichen Anforderungen unionsrechtlich ab. Das gilt insbesondere für das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank, das Verbot der Haftungsübernahme (Bail-out-Klausel) und die Stabilitätskriterien für eine tragfähige Haushaltswirtschaft (Art. 123 bis Art. 126, Art. 136 AEUV; vgl. BVerfGE 129, 124 <181>).

116Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages wird in Ansehung der Übertragung der Währungshoheit auf das Europäische System der Zentralbanken namentlich durch die Unterwerfung der Europäischen Zentralbank unter die strengen Kriterien des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union und der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken hinsichtlich der Unabhängigkeit der Zentralbank und der Priorität der Geldwertstabilität gesichert (vgl. BVerfGE 89, 155 <204 f., 207 ff.>; 129, 124 <181 f.>). Ein wesentliches Element zur unionsrechtlichen Absicherung der verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG ist insoweit das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank (vgl. BVerfGE 89, 155 <204 f.>; 129, 124 <181 f.>).

117(2) Die bisherige vertragliche Ausgestaltung der Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft bedeutet indes nicht, dass eine demokratisch legitimierte Änderung in der konkreten Ausgestaltung der unionsrechtlichen Stabilitätsvorgaben von vornherein mit Art. 79 Abs. 3 GG unvereinbar wäre. Nicht jede einzelne Ausprägung dieser Stabilitätsgemeinschaft ist durch die hier allein maßgeblichen Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG garantiert.

118Art. 79 Abs. 3 GG gewährleistet nicht den unveränderten Bestand des geltenden Rechts, sondern Strukturen und Verfahren, die den demokratischen Prozess offen halten und dabei auch die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Parlaments sichern. Schon in seinem Maastricht-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, dass eine kontinuierliche Fortentwicklung der Währungsunion zur Erfüllung des Stabilitätsauftrags erforderlich werden kann, wenn andernfalls die Konzeption der als Stabilitätsgemeinschaft angelegten Währungsunion verlassen werden würde (vgl. BVerfGE 89, 155 <205>). Wenn sich die Währungsunion mit dem geltenden Integrationsprogramm in ihrer ursprünglichen Struktur nicht verwirklichen lässt, bedarf es erneuter politischer Entscheidungen, wie weiter vorgegangen werden soll (vgl. BVerfGE 89, 155 <207>; 97, 350 <369>). Es ist Sache des Gesetzgebers, darüber zu befinden, wie etwaigen Schwächen der Währungsunion durch eine Änderung des Unionsrechts entgegen gewirkt werden soll.

119ee) Auch eine dauerhafte Beschränkung der Haushaltsautonomie durch die Übertragung wesentlicher haushaltspolitischer Entscheidungen auf Organe einer supra- oder internationalen Organisation oder andere Staaten, oder die Übernahme entsprechender völkerrechtlicher Verpflichtungen kann das auf prinzipielle rechtliche Reversibilität angelegte Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG verletzen.

120(1) Die Verpflichtung des Haushaltsgesetzgebers auf eine bestimmte Haushalts- und Fiskalpolitik ist allerdings nicht von vornherein demokratiewidrig (vgl. BVerfGE 79, 311 <331 ff.>; 119, 96 <137 ff.>). Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat durch die tatbestandliche Konkretisierung und sachliche Verschärfung der Regeln für die Kreditaufnahme von Bund und Ländern (insbesondere Art. 109 Abs. 3 und Abs. 5, Art. 109a, Art. 115 GG n.F., Art. 143d Abs. 1 GG) klargestellt, dass eine Selbstbindung der Parlamente und die damit verbundene fühlbare Beschränkung ihrer haushaltspolitischen Handlungsfähigkeit gerade im Interesse langfristiger Erhaltung der demokratischen Gestaltungsfähigkeit notwendig sein können (BVerfGE 129, 124 <170>). Mag eine derartige Bindung die demokratischen Gestaltungsspielräume in der Gegenwart auch beschränken, so dient sie doch zugleich deren Sicherung für die Zukunft. Zwar stellt auch eine langfristig besorgniserregende Entwicklung des Schuldenstandes keine verfassungsrechtlich relevante Beeinträchtigung der Kompetenz des Gesetzgebers zu einer situationsabhängigen diskretionären Fiskalpolitik dar. Dennoch führt sie zu einer faktischen Verengung von Entscheidungsspielräumen (vgl. BVerfGE 119, 96 <147>). Deren Offenhaltung ist ein legitimes (verfassungs-)gesetzgeberisches Ziel.

121(2) Die Verpflichtung des Haushaltsgesetzgebers auf eine bestimmte Haushalts- und Fiskalpolitik kann auch auf der Basis des Unions- oder Völkerrechts erfolgen.

122(a) Die im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union niedergelegten Anforderungen an eine tragfähige Haushaltswirtschaft (Art. 123 bis Art. 126, Art. 136 AEUV) begrenzen den Spielraum des nationalen Gesetzgebers bei der Wahrnehmung seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung. Vergleichbares gilt - seine Übereinstimmung mit dem Primärrecht, die hier nicht zu untersuchen ist, unterstellt - für das unionale Sekundärrecht (vgl. insbesondere das sog. Six-Pack: Verordnung <EU> Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro-Währungsgebiet, ABl EU Nr. L 306 vom , S. 1; Verordnung <EU> Nr. 1174/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Durchsetzungsmaßnahmen zur Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte im Euro-Währungsgebiet, ABl EU Nr. L 306 vom , S. 8; Verordnung <EU> Nr. 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Änderung der Verordnung <EG> Nr. 1466/97 des Rates über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, ABl EU Nr. L 306 vom , S. 12; Verordnung <EU> Nr. 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Vermeidung und Korrektur makro-ökonomischer Ungleichgewichte, ABl EU Nr. L 306 vom , S. 25; Verordnung <EU> Nr. 1177/2011 des Rates vom zur Änderung der Verordnung <EG> Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit, ABl EU Nr. L 306 vom , S. 33; Richtlinie 2011/85/EU des Rates vom über die Anforderungen an die haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten, ABl EU Nr. L 306 vom , S. 41).

123(b) Es steht den Mitgliedstaaten im Übrigen frei, über die bestehenden wirtschafts- und haushaltspolitischen Bindungen des Unionsrechts hinaus weitere Bindungen einzugehen, soweit diese nicht in Widerspruch zu den unionsrechtlichen Vorgaben geraten (vgl. Art. 4 Abs. 3 EUV). Die Bundesrepublik Deutschland kann daher innerstaatlich strengere Regelungen für ihre Haushaltspolitik einführen und sich auch entsprechend vertraglich verpflichten (vgl. BVerfGE 129, 124 <181 f.>).

124(3) Dabei ist es in erster Linie Sache des Gesetzgebers abzuwägen, ob und in welchem Umfang zur Erhaltung demokratischer Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume auch für die Zukunft Bindungen in Bezug auf das Ausgabeverhalten geboten und deshalb - spiegelbildlich - eine Verringerung des Gestaltungs- und Entscheidungsspielraums in der Gegenwart hinzunehmen ist. Das Bundesverfassungsgericht kann sich hier nicht mit eigener Sachkompetenz an die Stelle der dazu zuvörderst berufenen Gesetzgebungskörperschaften setzen (BVerfGE 129, 124 <183>). Es hat jedoch sicherzustellen, dass der demokratische Prozess offen bleibt, aufgrund anderer Mehrheitsentscheidungen rechtliche Umwertungen erfolgen können (vgl. BVerfGE 5, 85 <198 f.>; 44, 125 <142>; 123, 267 <367>; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rn. 143; Hofmann/Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: Schneider/Zeh, Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, § 5 Rn. 58; Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 20 Rn. 86) und eine irreversible rechtliche Präjudizierung künftiger Generationen vermieden wird (Kotzur, VVDStRL 69 <2010>, S. 173 <192 f.>).

125b) Die Rüge, der Deutsche Bundestag werde in seinem Recht verletzt, die haushaltspolitische Gesamtverantwortung wahrzunehmen, kann auch von einer Fraktion des Deutschen Bundestages in einem Organstreitverfahren erhoben werden. Der Prüfungsmaßstab entspricht insoweit demjenigen der Verfassungsbeschwerde (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG).

1262. Nach diesen Maßstäben erweisen sich die Anträge als überwiegend unbegründet.

127a) Das Gesetz zu dem Beschluss des Europäischen Rates vom zur Änderung des Artikels 136 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, verstößt bei summarischer Prüfung nicht gegen Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG.

128aa) (1) Die Einführung von Art. 136 Abs. 3 AEUV bedeutet zwar eine grundlegende Umgestaltung der bisherigen Wirtschafts- und Währungsunion (vgl. Calliess, ZEuS 2011, S. 213 <279>; Kube, WM 2012, S. 245 <247>). Seit Inkrafttreten der dritten Stufe der Währungsunion durch den Vertrag von Maastricht (Vertrag vom über die Europäische Union, BGBl II S. 1253) sind im Rahmen des Unionsrechts Hilfezahlungen einzelner Mitgliedstaaten der Europäischen Union nur noch an solche Mitgliedstaaten vorgesehen, deren Währung nicht der Euro ist (nunmehr Art. 143 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe c AEUV). Die Einrichtung eines dauerhaften Mechanismus zur gegenseitigen Hilfeleistung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes außerhalb des Rahmens der Europäischen Union löst sich, wenn auch noch nicht vollständig, von dem die Währungsunion bislang charakterisierenden Prinzip der Eigenständigkeit der nationalen Haushalte (vgl. dazu BVerfGE 129, 124 <181 f.>). Denn sie relativiert die mit diesem Prinzip verbundene Marktabhängigkeit in Bezug auf die staatlichen Refinanzierungsmöglichkeiten, indem Hilfeleistungen auch zwischen den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes zugelassen werden, wenn dies zur Stabilisierung des Euro-Währungsgebietes insgesamt unabdingbar ist.

129(2) Mit der Aufnahme von Art. 136 Abs. 3 AEUV in das Unionsrecht wird die stabilitätsgerichtete Ausrichtung der Währungsunion jedoch nicht aufgegeben. Wesentliche Bestandteile der Stabilitätsarchitektur bleiben auch in Ansehung dieser Öffnungsklausel unangetastet. So werden insbesondere die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank, ihre Verpflichtung auf das vorrangige Ziel der Preisstabilität (vgl. Art. 127, 130 AEUV) und das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung (Art. 123 AEUV) nicht berührt; im Gegenteil bekräftigt die Ermächtigung des Art. 136 Abs. 3 AEUV, einen dauerhaften Mechanismus zur Gewährung von Finanzhilfen einzurichten, den Willen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten, die Aufgaben der Europäischen Zentralbank strikt auf den ihr unionsrechtlich vorgegebenen Rahmen zu begrenzen. Ebenso wenig befreit Art. 136 Abs. 3 AEUV von der Verpflichtung zur Haushaltsdisziplin (vgl. Art. 126, Art. 136 Abs. 1 AEUV). Allein im Bereich der in Art. 125 Abs. 1 AEUV normierten Haftungsausschlüsse lässt Art. 136 Abs. 3 AEUV nunmehr freiwillige Finanzhilfen zu, die allerdings nicht losgelöst von weiteren Anforderungen und nicht zu beliebigen Zwecken gewährt werden können. Vielmehr legt Art. 136 Abs. 3 AEUV sowohl den Ermächtigungszweck als auch den Charakter als Ausnahmevorschrift fest, indem die Finanzhilfen der Währungsstabilität dienen müssen und überdies nur aktiviert werden dürfen, wenn dies zur Stabilisierung des Euro-Währungsgebietes insgesamt unabdingbar ist.

130Die Entscheidung des Gesetzgebers, die auch weiterhin auf Stabilität ausgerichtete Struktur der Währungsunion neben den bisherigen Elementen einer unabhängigen, der Preisstabilität verpflichteten Zentralbank (Art. 127 Abs. 1, Art. 130 AEUV), der Verpflichtung zur Haushaltsdisziplin (vgl. Art. 126, Art. 136 Abs. 1 AEUV) und der auf Marktanreize setzenden Eigenverantwortlichkeit der nationalen Haushalte (Art. 123 bis Art. 125 AEUV) um die Möglichkeit aktiver Stabilisierungsmaßnahmen zu ergänzen, sowie die damit verbundene Prognose, mit solchen Maßnahmen die Stabilität der Währungsunion gewährleisten und fortentwickeln zu können, hat das Bundesverfassungsgericht angesichts des - die Beurteilung der Risiken alternativer Handlungsoptionen einschließenden - Einschätzungsspielraums der zuständigen Verfassungsorgane (vgl. B.II.1.b)cc)) grundsätzlich auch insoweit zu respektieren, als Risiken für die Preisstabilität aufgrund dieser Entscheidung nicht auszuschließen sind.

131bb) Die im Anschluss an die Einführung des Art. 136 Abs. 3 AEUV unionsrechtlich ausdrücklich eröffnete Möglichkeit, auf völkerrechtlicher Grundlage einen Stabilitätsmechanismus einzurichten, führt nicht zu einem Verlust der nationalen Haushaltsautonomie.

132Mit dem Zustimmungsgesetz zu Art. 136 Abs. 3 AEUV überträgt der Deutsche Bundestag keine haushaltspolitischen Ermächtigungen auf andere Akteure. Es besteht nicht die Gefahr, dass die Bundesrepublik Deutschland ohne vorherige konstitutive Zustimmung des Deutschen Bundestages einem finanzwirksamen Mechanismus ausgeliefert wird, der zu nicht überschaubaren haushaltsbedeutsamen Belastungen führen kann oder auf eine unbeeinflussbare Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinausläuft. Art. 136 Abs. 3 AEUV setzt selbst keinen Stabilitätsmechanismus ins Werk, sondern eröffnet den Mitgliedstaaten lediglich die Möglichkeit, entsprechende Mechanismen auf völkervertraglicher Grundlage zu installieren. Damit werden jedenfalls keine Kompetenzen auf die Organe der Europäischen Union übertragen; es sollen vielmehr mitgliedstaatliche Kompetenzen aufgegriffen und deren Verhältnis zum währungsrechtlichen Regelwerk der Union festgelegt werden. Gleichzeitig wird über den Weg eines völkervertragsrechtlichen Stabilitätsmechanismus gewährleistet, dass nur solche Mitgliedstaaten haften, die an ihm teilhaben. So betrachtet bestätigt Art. 136 Abs. 3 AEUV die Souveränität der Mitgliedstaaten, indem er ihnen die Entscheidung überantwortet, ob und in welcher Weise ein Stabilitätsmechanismus eingerichtet wird.

133Damit scheidet eine Beeinträchtigung des Demokratiegebots durch die Zustimmung zur Einführung des Art. 136 Abs. 3 AEUV schon deshalb aus, weil mit dem Ratifizierungserfordernis für die Einrichtung des Stabilitätsmechanismus eine Mitwirkung der Gesetzgebungsorgane vor dessen Inkrafttreten vorausgesetzt wird. In diesem Fall erfährt der über Art. 136 Abs. 3 AEUV installierte Stabilitätsmechanismus selbst eine demokratische Legitimation, mit der der parlamentarische Gesetzgeber auch die konkrete Ausgestaltung verantwortet. Inwieweit die Ausgestaltung des vom Gesetzgeber gebilligten Mechanismus verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, betrifft nicht die hier maßgebliche Frage, ob der Deutsche Bundestag der Einführung des Art. 136 Abs. 3 AEUV unter Wahrung des durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kernbereichs zustimmen durfte.

134cc) Art. 136 Abs. 3 AEUV ist bei summarischer Prüfung auch hinreichend bestimmt. Da durch Art. 136 Abs. 3 AEUV keine Hoheitsrechte übertragen werden (vgl. dazu BVerfGE 89, 155 <204>), sind unter dem Blickwinkel von Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG keine die Integrationsverantwortung der Gesetzgebungsorgane sichernden Anforderungen an die Bestimmtheit der Ermächtigung zu stellen. Art. 136 Abs. 3 AEUV bestimmt den Einsatz des Stabilitätsmechanismus und unterwirft ihn restriktiven Bedingungen. Dagegen ist bei summarischer Prüfung nichts zu erinnern.

135b) Das Gesetz zu dem Vertrag vom zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus trägt bei summarischer Prüfung den Anforderungen der Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG im Wesentlichen Rechnung.

136Allerdings könnte aufgrund bestimmter Auslegungen der Regelungen über den revidierten erhöhten Kapitalabruf (Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Art. 25 Abs. 2 ESMV) sowie der Regelungen über die Unverletzlichkeit der Unterlagen (Art. 32 Abs. 5, Art. 35 Abs. 1 ESMV) und die berufliche Schweigepflicht der Organwalter (Art. 34 ESMV) die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages verletzt werden. Dies ist bei der Ratifizierung durch völkerrechtliche Erklärungen wirksam auszuschließen (aa). Die Regelungen über die Aussetzung der Stimmrechte nach Art. 4 Abs. 8 ESMV in den Fällen des Art. 5 Abs. 6 Buchstaben b, f und i ESMV sind dagegen im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (bb). Dasselbe gilt für die absolute Höhe der beabsichtigten und bereits eingegangenen Zahlungs- und Gewährleistungspflichten (cc). Andere Vorschriften des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus berühren die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages bei summarischer Prüfung ebenfalls nicht (dd).

137aa) In seinem Urteil vom hat der Senat die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages bei der Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen der Griechenlandhilfe und der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität als gesichert angesehen, weil das finanzielle Gesamtengagement der Bundesrepublik Deutschland der Höhe nach begrenzt war, der Deutsche Bundestag jeder Hilfsmaßnahme größeren Umfangs im Einzelnen zustimmen musste, ihm die Kontrolle über die Konditionalität der Hilfen zustand und diese Hilfen zeitlich begrenzt waren (vgl. BVerfGE 129, 124 <185 f.>). Diesen Anforderungen wird der ESM-Vertrag mit Blick auf das damit verbundene finanzielle Gesamtengagement der Bundesrepublik Deutschland (1) und die für die Wahrung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages notwendigen Informationsrechte (2) nur bei verfassungskonformer Auslegung gerecht.

138(1) Das genehmigte Stammkapital des Europäischen Stabilitätsmechanismus beträgt 700 Milliarden Euro (Art. 8 Abs. 1 ESMV), wovon Anteile im Gesamtnennwert von 190.024.800.000 Euro auf die Bundesrepublik Deutschland entfallen (Anhang II zum ESM-Vertrag). Wie sich aus Art. 8 Abs. 5 ESMV ergibt, bildet der Anteil am genehmigten Stammkapital die Obergrenze für sämtliche aus dem ESM-Vertrag erwachsenden Zahlungspflichten und damit auch für die maximale Belastung des Bundeshaushaltes ((a)). Diese Obergrenze dürfte auch bei Kapitalabrufen nach Art. 9 und Art. 25 Abs. 2 ESMV gelten ((b)). Da der ESM-Vertrag insoweit auch einer anderen Auslegung zugänglich sein könnte, muss die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Ratifikationsverfahrens für die gebotene Klarstellung sorgen ((c)).

139(a) Die in Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV geregelte ausdrückliche Haftungsbeschränkung der ESM-Mitglieder auf ihren jeweiligen Anteil am genehmigten Stammkapital dürfte die haushaltswirksamen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit den Aktivitäten des Europäischen Stabilitätsmechanismus verbindlich auf 190.024.800.000 Euro begrenzen.

140(aa) Nach dem Wortlaut des Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV bleibt die Haftung eines jeden ESM-Mitglieds "unter allen Umständen auf seinen Anteil am genehmigten Stammkapital zum Ausgabekurs begrenzt". Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV bekräftigt somit die sich bereits aus Art. 8 Abs. 4 ESMV ergebende Limitierung der Leistungspflichten auf den jeweiligen Anteil der ESM-Mitglieder am genehmigten Stammkapital. Dass Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV eine Belastung der Bundesrepublik Deutschland über den Betrag von 190.024.800.000 Euro hinaus ausschließen soll, haben im Rahmen der mündlichen Verhandlung auch der Bundesminister der Finanzen und der Präsident des Bundesrechnungshofes bestätigt. Vorbehaltlich einer Kapitalerhöhung nach Art. 10 ESMV und der nach Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV zu treffenden Entscheidungen (vgl. B.III.2.b)aa)(1)(a)(bb)) sollen mit der vollständigen Einzahlung dieses Betrages sämtliche Zahlungspflichten der Bundesrepublik Deutschland aus dem ESM-Vertrag erfüllt sein. Auf der Grundlage dieser Auslegung des Vertrages hat der Deutsche Bundestag das Vertragsgesetz beschlossen (vgl. BTDrucks 17/9045, S. 5).

141(bb) Dieser summenmäßigen Begrenzung dürfte auch nicht die in Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV vorgesehene Möglichkeit entgegenstehen, Anteile am Stammkapital des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einem höheren als dem Nennwert auszugeben. Zwar lässt Art. 8 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 4 ESMV eine Ausweitung der Haftungs- beziehungsweise Zahlungspflicht über die Erhöhung des Ausgabekurses grundsätzlich zu. Dies dürfte jedoch nicht die Ausgabe der Anteile des anfänglich gezeichneten Stammkapitals betreffen, das heißt der Anteile des genehmigten Stammkapitals im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Satz 1 ESMV in Höhe von 700 Milliarden Euro (Art. 8 Abs. 2 Satz 3 ESMV), sondern nur die Ausgabe anderer Anteile am Stammkapital nach Kapitalerhöhungen, die ihrerseits jedoch einen einstimmigen Beschluss des Gouverneursrates voraussetzen (Art. 5 Abs. 6 Buchstabe b ESMV; vgl. B.III.2.a)bb)(1)(d)(aa)). Vorbehaltlich einer derartigen Erhöhung des genehmigten Stammkapitals nach Art. 10 ESMV dürfte eine Haftungsausweitung über den Betrag von 190.024.800.000 Euro hinaus derzeit somit ausgeschlossen sein.

142(b) Die höhenmäßige Begrenzung der haushaltsrelevanten Belastungen auf 190.024.800.000 Euro dürfte auch für die aus Art. 8 Abs. 4 Satz 2 ESMV folgenden Einzahlungspflichten der Bundesrepublik Deutschland als Folge von Kapitalabrufen nach Art. 9 ESMV gelten ((aa)), und zwar auch, wenn diese als "revidierte erhöhte" Kapitalabrufe nach Art. 25 Abs. 2 ESMV ergehen ((bb)).

143(aa) Neben der Befugnis des Gouverneursrates, allgemeine Kapitalabrufe zu beschließen (Art. 9 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 Abs. 6 Buchstabe c ESMV), enthält der ESM-Vertrag in Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 auch Bestimmungen, die dem Direktorium beziehungsweise dem Geschäftsführenden Direktor die Befugnis verleihen, genehmigtes Kapital abzurufen.

144Nach Art. 9 Abs. 2 ESMV kann das Direktorium mit einfacher Mehrheit genehmigtes, aber noch nicht eingezahltes Kapital der ESM-Mitglieder abrufen, um den in Art. 8 Abs. 2 ESMV festgelegten Betrag des eingezahlten Kapitals wiederherzustellen, wenn dieser durch die Deckung von Verlusten aus den Operationen des Europäischen Stabilitätsmechanismus unter den festgelegten Betrag gefallen ist (vgl. auch Art. 25 Abs. 1 Buchstabe b ESMV). Der Umfang eines Kapitalabrufes nach Art. 9 Abs. 2 ESMV bemisst sich nach der Höhe der mit eingezahltem Kapital beglichenen Verluste. Nach Art. 9 Abs. 3 Satz 1 ESMV ruft der Geschäftsführende Direktor genehmigtes, aber nicht eingezahltes Kapital ab, falls die Gefahr besteht, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus gegenüber seinen Gläubigern in Zahlungsverzug gerät. Für einen Abruf nach Art. 9 Abs. 3 ESMV ist keine spezifische Obergrenze vorgesehen. Er dient zur Deckung aller planmäßigen oder sonstigen fälligen Zahlungsverpflichtungen gegenüber Gläubigern des ESM und kann sich damit auf sämtliche Zahlungsverpflichtungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus beziehen, die angesichts seiner Handlungsmöglichkeiten (vgl. Art. 12 ff., Art. 21 f. ESMV) aus einer nicht überschaubaren Bandbreite und Vielzahl von Rechtsgeschäften herrühren und erhebliche Summen erreichen können.

145Die Einzahlungspflicht dürfte aber sowohl nach dem Wortlaut der Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 ESMV ("genehmigtes nicht eingezahltes Kapital") als auch nach der vertraglichen Systematik durch den Nennwert des jeweiligen Anteils am genehmigten Stammkapital begrenzt sein, denn nur insoweit sind die Anteile überhaupt "abrufbar" (vgl. Art. 8 Abs. 2 Satz 1 ESMV). Sollte die Situation eintreten, dass der Umfang der durch einen Kapitalabruf nach Art. 9 Abs. 2 ESMV zu deckenden Verluste oder der durch einen Kapitalabruf nach Art. 9 Abs. 3 ESMV zu begleichenden Zahlungspflichten den Gesamtnennwert des noch vorhandenen abrufbaren Kapitals übersteigt, entsteht nach dieser Auslegung eine Zahlungspflicht für die Mitgliedstaaten nur unter der Voraussetzung, dass rechtzeitig vor dem Kapitalabruf das genehmigte Stammkapital durch einstimmigen Beschluss des Gouverneursrates nach Art. 10 Abs. 1, Art. 5 Abs. 6 Buchstabe d ESMV erhöht wurde.

146(bb) Eine den deutschen Anteil am genehmigten Stammkapital in Höhe von 190.024.800.000 Euro übersteigende Zahlungspflicht dürfte sich wohl auch nicht aus der in Art. 25 Abs. 2 ESMV geregelten Möglichkeit eines revidierten erhöhten Kapitalabrufes ergeben. Zwar kann ein solcher Kapitalabruf dazu führen, dass die Bundesrepublik Deutschland Mittel aufbringen muss, die nach den Regelungen des Vertrages eigentlich von anderen Mitgliedstaaten aufzubringen wären. Sollte ein ESM-Mitglied einem Kapitalabruf nach Art. 9 Abs. 2 oder Abs. 3 ESMV nicht nachkommen (können), ergeht an alle Mitgliedstaaten ein revidierter erhöhter Kapitalabruf, der nach dem Vertragstext ausdrücklich die Funktion hat, die Einzahlung des erforderlichen Kapitals in voller Höhe zu gewährleisten, was naturgemäß nur durch eine höhere Belastung der leistungsfähigen und -willigen Mitgliedstaaten sichergestellt werden kann. Daraus wird man jedoch nicht schließen können, dass eine Inanspruchnahme dieser Mitgliedstaaten auch jenseits der durch Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV bestimmten Obergrenze ermöglicht werden soll. Die Obergrenze wäre anderenfalls funktionslos. Insbesondere kann schwerlich davon ausgegangen werden, dass Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV allein die Haftung der Mitgliedstaaten im Verhältnis zu den Gläubigern des Europäischen Stabilitätsmechanismus, nicht dagegen auch die Verpflichtungen gegenüber diesem selbst begrenzen soll, denn eine Haftung der Mitgliedstaaten im Außenverhältnis sieht der Vertrag von vornherein nicht vor. Vielmehr schließt Art. 8 Abs. 5 Satz 2 ESMV eine Haftung der Mitgliedstaaten für Verbindlichkeiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus ausdrücklich aus. Der Vertrag begründet den Europäischen Stabilitätsmechanismus als Institution mit voller Rechtspersönlichkeit (Art. 32 Abs. 2 ESMV), neben der die Mitgliedstaaten nicht zum Vertragspartner potentieller Gläubiger werden sollen.

147(c) Wie die mündliche Verhandlung gezeigt hat, kann die von Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV beabsichtigte und von Bundestag und Bundesregierung noch einmal ausdrücklich bekräftigte kategorische Haftungsbeschränkung im Zusammenhang mit den Vorschriften über die "revidierten erhöhten" Kapitalabrufe (Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 i.V.m. Art. 25 Abs. 2 ESMV) mit systematischen und teleologischen Argumenten aber auch einer Auslegung zugeführt werden, die mit der verfassungsrechtlichen Vorgabe, die haushaltsmäßigen Belastungen klar und abschließend festzulegen, nicht mehr vereinbar wäre ((aa)). Insofern ist es geboten, dass die Bundesrepublik Deutschland entsprechende Auslegungszweifel im Rahmen des völkerrechtlichen Ratifikationsverfahrens ausräumt ((bb)).

148(aa) Da eine strikte höhenmäßige Begrenzung der deutschen Zahlungspflichten bei Anwendung der Vorschriften über revidierte erhöhte Kapitalabrufe nach Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 in Verbindung mit Art. 25 Abs. 2 ESMV jedenfalls nicht dem Wortlaut des Art. 25 Abs. 2 ESMV zu entnehmen ist, ist auch eine Auslegung nicht ausgeschlossen, die Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV auf diesen Fall für nicht anwendbar hält, so dass das Gesamtengagement Deutschlands im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus mit dem vertraglich verankerten Betrag von 190.024.800.000 Euro nicht vollständig festgelegt wäre. Denkbar erscheint in diesem Zusammenhang eine Rechtfertigung mit dem Argument, selbst bei höheren Einzahlungen liege keine Überschreitung dieser Obergrenze vor, weil der in Vorleistung tretende Mitgliedstaat Ersatzansprüche gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus erhalte und damit ein hinreichender Gegenwert zur Verfügung stehe (vgl. Art. 25 Abs. 3 ESMV, BTDrucks 17/9045, S. 33). Da die revidierten erhöhten Kapitalabrufe für unerwartete Notsituationen konzipiert sind, um auch sehr kurzfristig eine die Arbeitsfähigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus beeinträchtigende Kapitalunterdeckung beheben zu können, könnten auch teleologische Erwägungen auf eine restriktive Interpretation von Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV hinauslaufen. So könnte etwa behauptet werden, dass es die Erreichung des von Art. 25 Abs. 2 ESMV verfolgten Zwecks, dem Europäischen Stabilitätsmechanismus unter allen Umständen und jederzeit die bestmögliche Bonität zu sichern und damit seine Handlungsfähigkeit zu gewährleisten, erschweren könne, wenn ein Mitgliedstaat die für erforderlich erachtete Einzahlung bis zur Wirksamkeit einer Kapitalerhöhung nach Art. 10 ESMV mit der Begründung verweigern dürfte, er habe seine Anteile am genehmigten Stammkapital bereits vollständig eingezahlt.

149(bb) Erfordert die durch Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG geschützte haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages, dass die Haftung der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht ohne Zustimmung des Bundestages über 190.024.800.000 Euro hinaus erhöht werden kann, so ist nach alldem eine Ratifizierung des ESM-Vertrages nur zulässig, wenn die Bundesrepublik Deutschland sicherstellt, dass Art. 8 Abs. 5 Satz 1 ESMV, vorbehaltlich von Entscheidungen nach Art. 10 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV, sämtliche Zahlungsverpflichtungen aus diesem Vertrag der Höhe nach auf die in Anhang II des Vertrages genannte Summe begrenzt und dass Vorschriften dieses Vertrages, insbesondere Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Art. 25 Abs. 2 Satz 1 ESMV nur so ausgelegt oder angewandt werden können, dass für die Bundesrepublik Deutschland keine höheren Zahlungsverpflichtungen begründet werden. Die Bundesrepublik Deutschland muss deutlich zum Ausdruck bringen, dass sie an den ESM-Vertrag insgesamt nicht gebunden sein kann, falls sich der von ihr geltend gemachte Vorbehalt als unwirksam erweisen sollte.

150(2) Die Bestimmungen der Art. 32 Abs. 5, Art. 34 und Art. 35 Abs. 1 ESMV dürften nach summarischer Prüfung nicht gegen den durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kern des Wahlrechts aus Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG verstoßen, weil sie eine Auslegung zulassen, die eine hinreichende parlamentarische Kontrolle des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch den Deutschen Bundestag ermöglicht ((a)). Angesichts denkbarer anderer Auslegungen ((b)) bedarf es jedoch auch hier der völkerrechtlichen Sicherstellung einer mit dem Grundgesetz vereinbaren Auslegung ((c)).

151(a) Nach Art. 32 Abs. 5 ESMV sind sämtliche amtlichen Schriftstücke und Unterlagen des Europäischen Stabilitätsmechanismus unverletzlich und können daher jedenfalls nicht ohne oder gegen den Willen des Europäischen Stabilitätsmechanismus herausverlangt oder eingesehen werden. Art. 34 ESMV unterwirft die Organmitglieder und Mitarbeiter des Europäischen Stabilitätsmechanismus einer beruflichen Schweigepflicht, während Art. 35 Abs. 1 ESMV ihnen Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen und Unverletzlichkeit hinsichtlich ihrer amtlichen Schriftstücke und Unterlagen zuspricht. Nach ihrem Wortlaut gelten die in Art. 32 Abs. 5, Art. 34 und Art. 35 Abs. 1 ESMV niedergelegten Pflichten, Vorrechte und Befreiungen umfassend.

152Ausnahmen zugunsten der nationalen Parlamente sieht der Vertrag nicht vor. Eine spezielle Regelung zur Information über die Mittelverwendung und Rechnungslegung des Europäischen Stabilitätsmechanismus gegenüber nationalen Parlamenten und Rechnungshöfen findet sich lediglich in Art. 30 Abs. 5 ESMV. Dagegen werden die nationalen Parlamente in Art. 32 Abs. 5, Art. 34 und Art. 35 Abs. 1 ESMV nicht ausdrücklich erwähnt. Deren umfassende Information dürfte damit jedoch nicht ausgeschlossen sein. Wenn in einem Mitgliedstaat Beschlüsse des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht nur der Behandlung auf der Ebene der Regierung, der die nötigen Informationen stets zugänglich sind, sondern auch der Erörterung und Billigung in parlamentarischen Gremien bedürfen, ist es unausweichlich, dass diese ebenfalls unterrichtet werden.

153Dass die Erwähnung der nationalen Parlamente in Art. 30 Abs. 5 ESMV nicht den Gegenschluss rechtfertigen dürfte, in anderen Fällen sei deren Information ausgeschlossen, dürften auch Sinn und Zweck der Art. 32 Abs. 5, Art. 34 und Art. 35 Abs. 1 ESMV belegen. Es spricht viel dafür, dass diese Regelungen vor allem Informationsflüsse an unberechtigte Dritte, etwa Beteiligte am Kapitalmarkt, unterbinden wollen, nicht jedoch an die Träger des Europäischen Stabilitätsmechanismus selbst. Die Parlamente der Mitgliedstaaten, und mit ihnen der Deutsche Bundestag, gehören als Träger der Budgethoheit, die die auf dem ESM-Vertrag beruhenden Bindungen auch im weiteren Vertragsvollzug gegenüber ihren Bürgern verantworten müssen (vgl. BVerfGE 104, 151 <209>; 123, 267 <434 f.>), nicht zu den vom Informationsfluss auszuschließenden Dritten. Darüber hinaus ist von Bedeutung, dass eine die effektive und umfassende Information der nationalen Parlamente ermöglichende restriktive Auslegung der hier in Rede stehenden Bestimmungen über Pflichten, Vorrechte und Befreiungen auch durch die für den Europäischen Stabilitätsmechanismus verpflichtende Kohärenz mit dem Unionsrecht (vgl. BTDrucks 17/9045, S. 29; 17/9047, S. 4; Rathke, DÖV 2011, S. 753 <759 f.>; Kube, WM 2012, S. 245 <246 ff.>; Calliess, NVwZ 2012, S. 1 <1 f.>) nahegelegt wird. Danach ist nicht nur die Verfassungsidentität der Mitgliedstaaten zu achten (vgl. Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV), was hier mit Blick auf die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages von Bedeutung ist. Auch die Stellung der nationalen Parlamente im Institutionengefüge der Europäischen Union ist in den vergangenen Jahren immer wieder gestärkt worden, um ihr Legitimationsreservoir für europäische Prozesse fruchtbar zu machen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom - 2 BvE 4/11 -, juris Rn. 98 m.w.N.). Das ist - was den Vertragsparteien auch klar sein musste - im vorliegenden Zusammenhang von umso größerer Bedeutung, als aufgrund der gewählten Gestaltungsform - völkerrechtlicher Vertrag zur Ergänzung des unionalen Integrationsprogramms (vgl. auch Lorz/Sauer, DÖV 2012, S. 573 <575>: "völkerrechtliches Ersatzunionsrecht") - keine Kontrolle durch das Europäische Parlament möglich ist (vgl. BVerfGE 123, 267 <353 ff.>).

154(b) Freilich handelt es sich insoweit nur um eine mögliche, wenn auch nahe liegende Auslegung der Art. 32 Abs. 5, Art. 34 und Art. 35 Abs. 1 ESMV, die sich mit der Sichtweise des Europäischen Stabilitätsmechanismus und anderer Mitgliedstaaten keineswegs decken muss, zumal die Verfassungsrechtslage in Bezug auf Beteiligungs- und Informationsrechte des Parlaments in den Mitgliedstaaten verschieden ist und aufgrund unterschiedlicher rechtlicher und tatsächlicher Gegebenheiten, etwa parlamentarische Geheimhaltungsvorkehrungen betreffend, die Beurteilung der Folgen einer Weitergabe auch solcher Informationen, die von den Kapitalmärkten ferngehalten werden sollen, an die Parlamente unterschiedlich ausfallen kann.

155(c) Erfordert die durch Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG geschützte haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages, dass dieser diejenigen Informationen erhalten kann, die er für eine Abschätzung der wesentlichen Grundlagen und Konsequenzen seiner Entscheidungen benötigt (vgl. B.III.1.a)bb)(5)), so ist eine Ratifizierung des ESM-Vertrages nur zulässig, wenn die Bundesrepublik Deutschland eine Vertragsauslegung sicherstellt, die gewährleistet, dass Bundestag und Bundesrat bei ihren Entscheidungen die für ihre Willensbildung erforderlichen Informationen erhalten. Die Bundesrepublik Deutschland muss deutlich zum Ausdruck bringen, dass sie an den ESM-Vertrag insgesamt nicht gebunden sein kann, falls sich der von ihr geltend gemachte Vorbehalt als unwirksam erweisen sollte.

156(d) Sind Art. 32 Abs. 5, Art. 34 und Art. 35 Abs. 1 ESMV demnach so auszulegen, dass sie der Unterrichtung des Deutschen Bundestages nicht entgegenstehen, kommt eine Verletzung des allein im Rahmen des Organstreitverfahrens rügefähigen Anspruchs des Deutschen Bundestages auf frühestmögliche und umfassende Unterrichtung aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom - 2 BvE 4/11 -, juris Rn. 107) nicht in Betracht.

157bb) Die Aussetzung der Stimmrechte der Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 8 ESMV erscheint zwar im Hinblick auf ihre potentiell weitreichenden Folgen unter dem Gesichtspunkt der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung als nicht unproblematisch (1). Die Regelung zur Stimmrechtsaussetzung unterscheidet sich jedoch nach Funktion und Anwendungsbedingungen von anderen Regelungen mit potentiell weitreichenden Haushaltsfolgen in einer Weise, die es erlaubt, sie als verfassungsmäßig zu beurteilen (2).

158(1) Nach Art. 4 Abs. 8 ESMV werden sämtliche Stimmrechte eines Mitgliedstaates ausgesetzt, wenn dieser seinen Einzahlungspflichten gegenüber dem Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht vollumfänglich nachkommt. Der betroffene Mitgliedstaat verliert bis zur Zahlung der geforderten Kapitalanteile ipso iure sämtliche Stimmrechte in allen Kollegialorganen des Europäischen Stabilitätsmechanismus, kann also für die Dauer seiner Säumnis auf die Entscheidungen des Gouverneursrates und des Direktoriums - auch wenn sie mit der umstrittenen Zahlungsverpflichtung nichts zu tun haben - keinen Einfluss mehr nehmen. Die vertraglich vereinbarten Stimmrechtsschwellen, die sich auf die Beschlussfähigkeit der Organe (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 ESMV) und die jeweils erforderlichen Mehrheiten (Art. 4 Abs. 4 bis Abs. 6 ESMV) beziehen, werden für die Dauer der Aussetzung der Stimmrechte eines oder mehrerer Mitglieder nach Art. 4 Abs. 8 Satz 2 ESMV entsprechend neu berechnet. Die Stimmrechtsaussetzung führt also - unabhängig von der Zahl der ausgesetzten Stimmrechte - unter keinen Umständen zur Beschlussunfähigkeit oder dazu, dass in den Organen bestimmte Mehrheiten nicht mehr erreicht werden können.

159(a) Von Art. 4 Abs. 8 ESMV erfasst werden sämtliche Zahlungspflichten der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit eingezahlten Anteilen und Kapitalabrufen nach Maßgabe der Art. 8, Art. 9 und Art. 10 ESMV sowie im Zusammenhang mit der Rückzahlung von gewährten Finanzhilfen. Problematisch im Hinblick auf die Haushaltsverantwortung des Bundestages sind dabei insbesondere die Auflage neuer Anteile zu anderen Konditionen als zum Nennwert nach Art. 8 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 ESMV sowie Kapitalabrufe nach Art. 9 ESMV (gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 25 Abs. 2 ESMV).

160Da die Aussetzung der Stimmrechte zu einer Neuberechnung der Stimmrechtsschwellen führt (Art. 4 Abs. 8 Satz 2 ESMV), können - mit Ausnahme der Beschlüsse über Veränderungen des genehmigten Stammkapitals (vgl. Art. 10 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 ESMV) - sämtliche Entscheidungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus einschließlich der Beschlüsse über die Gewährung von Stabilitätshilfen im Einzelfall und ihre Konditionierung (Art. 13 ff. ESMV) oder über eine Änderung der Liste der Finanzhilfeinstrumente (Art. 19 ESMV) ohne Mitwirkung der Mitgliedstaaten, deren Stimmrechte nach Art. 4 Abs. 8 Satz 1 ESMV ausgesetzt sind, gefasst werden.

161(b) Einen Rechtsbehelf gegen die Aussetzung der Stimmrechte nach Art. 4 Abs. 8 Satz 1 ESMV mit aufschiebender Wirkung sieht der ESM-Vertrag nicht vor. Soweit ein einseitiger Widerspruch gegen die Aussetzung der Stimmrechte als "Streitigkeit zwischen einem ESM-Mitglied und dem ESM" gewertet würde, entschiede hierüber - allerdings wiederum unter Aussetzung der Stimmrechte des betroffenen Mitglieds (Art. 37 Abs. 2 Satz 2 ESMV) - der Gouverneursrat mit qualifizierter Mehrheit; dessen Entscheidung könnte vor dem Gerichtshof der Europäischen Union angefochten werden (Art. 37 Abs. 3 ESMV). Nach Wortlaut und Systematik des Vertrages dürfte davon auszugehen sein, dass die Aussetzung der Stimmrechte während der gesamten Verfahrensdauer bestehen bleibt.

162(c) Kommt es zu einer Aussetzung der Stimmrechte von ESM-Mitgliedern nach Art. 4 Abs. 8 Satz 1 ESMV, sind die jeweiligen Vertreter im Gouverneursrat (Art. 5 Abs. 1 ESMV) und im Direktorium (Art. 6 Abs. 1 ESMV) von der Abstimmung ausgeschlossen. Infolgedessen liefe auch die innerstaatlich vorgesehene Beteiligung des Deutschen Bundestages an den Entscheidungen der deutschen Vertreter in den Organen des Europäischen Stabilitätsmechanismus leer. Damit entfiele zugleich die Legitimation und Kontrolle der in diesem Zeitraum getroffenen Entscheidungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus durch den Deutschen Bundestag, und zwar unabhängig davon, welche Abstimmungsregeln der Vertrag für die konkret zu treffenden Entscheidungen vorsieht. Dies beträfe auch Entscheidungen, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berühren und daher grundsätzlich der Mitwirkung des Deutschen Bundestages bedürfen (vgl. BVerfGE 129, 124 <179 ff.>), wie über die Ausgabe von Anteilen zu einem anderen Kurs als zum Nennwert (Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV), über die Gewährung von Stabilitätshilfen einschließlich der Festlegung wirtschaftspolitischer Auflagen in dem Memorandum of Understanding nach Art. 13 Abs. 3 ESMV sowie über die Wahl der Instrumente und die Festlegung der Finanzierungsbedingungen nach Maßgabe der Art. 12 bis Art. 18 ESMV, und über die Änderung der Liste der Finanzhilfeinstrumente, die der Europäische Stabilitätsmechanismus nutzen kann (Art. 19 ESMV).

163(2) Art. 4 Abs. 8 ESMV verstößt gleichwohl nicht gegen Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG.

164(a) Der Deutsche Bundestag hat den auf die Bundesrepublik Deutschland entfallenden, in Art. 8 Abs. 2 Satz 2 ESMV geregelten Anteil am anfänglich einzuzahlenden Kapital im Haushalt bereitzustellen und im gebotenen Umfang sicherzustellen, dass die weiteren, auf Deutschland entfallenden Anteile am genehmigten Stammkapital nach Art. 8 Abs. 1 ESMV im Fall von Abrufen nach Art. 9 ESMV, gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 25 Abs. 2 ESMV jederzeit fristgerecht und vollständig eingezahlt werden können (vgl. Art. 110 Abs. 1 GG, § 22 HGrG, § 16 BHO). Damit kann eine Aussetzung der deutschen Stimmrechte praktisch ausgeschlossen werden.

165(b) Dies gilt auch für die Fälle, in denen unterschiedliche Auffassungen über die Berechtigung eines Kapitalabrufes oder seine Höhe bestehen. So kann es zu unterschiedlichen Auffassungen darüber kommen, ob Deutschland seinen Anteil am genehmigten Stammkapital vollständig eingezahlt hat, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für einen Kapitalabruf nach Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 (gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 25 Abs. 2) ESMV vorliegen, ob dabei der deutsche Anteil richtig festgelegt worden ist oder ob es im Falle des Art. 25 Abs. 3 ESMV zu einer Rückzahlung kommen muss. In derartigen Fällen muss die Bundesrepublik Deutschland dem Kapitalabruf nachkommen, um die Aussetzung ihrer Stimmrechte zu verhindern. Für die Geltendmachung ihrer Rechtsauffassung ist sie auf das Verfahren nach Art. 37 Abs. 2 und Abs. 3 ESMV verwiesen; gegebenenfalls kann sie - unbeschadet des Art. 8 Abs. 4 ESMV, der solche Konstellationen erkennbar nicht erfassen soll - eine Zahlung jedoch auch unter dem Vorbehalt des Widerrufs leisten, von Verrechnungsmöglichkeiten Gebrauch machen oder Sicherheiten fordern.

166(c) Auch ansonsten ist unter allen Umständen zu gewährleisten, dass der Legitimationszusammenhang zwischen dem Parlament und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht unterbrochen wird. Bundesregierung und Bundestag haben gegebenenfalls rechtzeitig Vorkehrungen dafür zu treffen, dass es nicht zu einer Aussetzung der Stimmrechte kommt.

167cc) Die Einschätzung des Gesetzgebers, die in § 1 Abs. 1 ESMFinG aufgeführte und in Abs. 2 als "Gewährleistungsermächtigung" bezeichnete Zahlungspflicht für Anteile am Europäischen Stabilitätsmechanismus im Gesamtnennwert von 190.024.800.000 Euro führe nicht zu einem vollständigen Leerlaufen der Haushaltsautonomie, ist nach den obigen Maßstäben (vgl. B.III.1.a)cc)) vom Bundesverfassungsgericht hinzunehmen. Das gilt auch, wenn man in die Berechnung des deutschen Gesamtengagements für die Stabilisierung der Europäischen Währungsgemeinschaft die deutsche Beteiligung an der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, bilaterale Hilfen zugunsten von Griechenland, Risiken aus der Teilnahme am Europäischen System der Zentralbanken und dem Internationalen Währungsfonds einstellt. Bundestag und Bundesregierung haben in der mündlichen Verhandlung näher dargelegt, dass mit der Zurverfügungstellung der deutschen Anteile am Europäischen Stabilitätsmechanismus noch überschaubare Risiken eingegangen würden, während ohne die Gewährung von Finanzfazilitäten durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht absehbare, schwerwiegende Konsequenzen für das gesamte Wirtschafts- und Sozialsystem drohten. Auch wenn diese Annahmen unter Wirtschaftsfachleuten äußerst umstritten sind, sind sie jedenfalls nicht evident fehlerhaft. Deshalb darf das Bundesverfassungsgericht seine Einschätzung nicht an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen.

168dd) Keine Beeinträchtigung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung droht bei summarischer Prüfung schließlich von der Möglichkeit einer Ausgabe künftiger Kapitalanteile über dem Nennwert nach Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV ((1)), von Kapitalabrufen nach Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 ESMV ((2)), von einem etwaigen Zusammenwirken von Europäischem Stabilitätsmechanismus und Europäischer Zentralbank ((3)) und vom Fehlen eines ausdrücklichen Austritts- und Kündigungsrechts ((4)).

169(1) Die Möglichkeit einer Ausgabe des Stammkapitals zu einem über dem Nennwert liegenden Kurs (Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV) beeinträchtigt die haushaltspolitische Gesamtverantwortung nicht. Über eine Änderung des Ausgabekurses beschließt nach Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV der Gouverneursrat. Der Beschluss ist nach Art. 5 Abs. 6 Buchstabe b ESMV im gegenseitigen Einvernehmen zu fassen. Eine Entscheidung ohne Mitwirkung des deutschen Vertreters ist auch für den Fall einer Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf das Direktorium ausgeschlossen (Art. 5 Abs. 6 Buchstabe m i.V.m. Art. 6 Abs. 5 ESMV). Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages kann daher in diesem Punkt durch dessen Beteiligung an der vom jeweiligen deutschen Vertreter in den Organen des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu treffenden Entscheidung gewahrt werden und wird folglich nicht durch den Vertrag beeinträchtigt.

170(2) Keine Beeinträchtigung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung ergibt sich des Weiteren aus den Befugnissen zum Kapitalabruf nach Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 ESMV. Zwar entscheidet über Abrufe nach Art. 9 Abs. 2 ESMV das Direktorium mit einfacher Mehrheit und über Abrufe nach Art. 9 Abs. 3 ESMV der Geschäftsführende Direktor, so dass die deutschen Vertreter in den Organen des Europäischen Stabilitätsmechanismus insoweit über keine Sperrminorität verfügen. Bei der verfassungsrechtlichen Würdigung dieser Instrumente ist jedoch zu beachten, dass ihnen nicht nur die abstrakte Billigung des deutschen Gesamtengagements durch den Bundestag im ESM-Vertrag (Art. 8 Abs. 1, Anhänge I und II) und § 1 Abs. 1 und Abs. 2 ESMFinG zugrunde liegt, sondern dass jede einzelne Stabilitätshilfe nach Art. 13 Abs. 2 ESMV sowie die Unterzeichnung des jeweiligen Memorandum of Understanding nach Art. 13 Abs. 4 ESMV einer einvernehmlichen Beschlussfassung des Gouverneursrates bedürfen und insoweit auch an die Zustimmung des Deutschen Bundestages gebunden werden können und tatsächlich gebunden sind. Da der Bundestag durch seine Zustimmung zu Stabilitätshilfen den verfassungsrechtlich gebotenen Einfluss ausüben und Höhe, Konditionalität und Dauer der Stabilitätshilfen zugunsten hilfesuchender Mitgliedstaaten mitbestimmen kann, legt er selbst die wichtigste Grundlage für später möglicherweise erfolgende Kapitalabrufe nach Art. 9 Abs. 2 ESMV.

171Im Hinblick auf mögliche Verluste aus der Geschäftstätigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus bestehen zwar keine vergleichbaren Einwirkungsmöglichkeiten des Bundestages. Er kann jedoch über die Leitlinien für Anleiheoperationen (Art. 21 Abs. 2 ESMV) und die Anlagepolitik (Art. 22 Abs. 1 ESMV) Einfluss auf die Geschäftstätigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus nehmen. Zudem sind nach Einschätzung der Bundesregierung, der die Antragsteller nicht substantiiert entgegengetreten sind, solche Verluste mit Blick auf die Erfahrungen mit anderen internationalen Finanzinstitutionen nicht zu erwarten.

172(3) Gegen den ESM-Vertrag kann - entgegen dem Vorbringen der Antragsteller zu I. und II. - auch nicht eingewandt werden, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus zum Vehikel einer verfassungswidrigen Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank werden könnte. Das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung als wesentliches Element zur unionsrechtlichen Sicherung der verfassungsrechtlichen Anforderungen des Demokratiegebotes (vgl. oben B.III.1.a)dd)) wird durch den ESM-Vertrag nicht tangiert. Im geltenden Primärrecht findet dieses Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung seinen Ausdruck in Art. 123 AEUV. Dieser enthält das Verbot von Überziehungs- oder anderen Kreditfazilitäten bei der Europäischen Zentralbank oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten für Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sowie des unmittelbaren Erwerbs von Schuldtiteln von diesen durch die Europäische Zentralbank oder die nationalen Zentralbanken. Es kann dahinstehen, ob eine Kreditaufnahme des Europäischen Stabilitätsmechanismus bei der Europäischen Zentralbank bereits durch Art. 21 Abs. 1 ESMV ausgeschlossen ist, der lediglich eine Kapitalaufnahme "an den Kapitalmärkten" vorsieht. Als internes Abkommen zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist der ESM-Vertrag jedenfalls unionsrechtskonform auszulegen (vgl. EuGH, Rs. C-235/87, Matteucci, Slg. 1988, S. 5589, Rn. 19; Kube, WM 2012, S. 245 <246 ff.>; BTDrucks 17/9045, S. 29; 17/9047, S. 4; zum Bezug des ESMV auf das Unionsrecht siehe Rathke, DÖV 2011, S. 753 <759 f.>; Calliess, NVwZ 2012, S. 1 <1 f.>). Da eine Aufnahme von Kapital durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus bei der Europäischen Zentralbank allein oder in Verbindung mit der Hinterlegung von Staatsanleihen mit Unionsrecht nicht vereinbar wäre, kann der Vertrag nur so verstanden werden, dass er derartige Anleiheoperationen nicht zulässt.

173Der Europäische Stabilitätsmechanismus unterfällt als eine dem öffentlichen Sektor im Sinne von Art. 3 Verordnung (EG) Nr. 3603/93 des Rates vom (ABl EG Nr. L 332 vom , S. 1) zugehörige Finanzinstitution den in Art. 123 Abs. 1 AEUV genannten Institutionen, an welche keine Kredite vergeben werden dürfen. Aufgrund seiner Zielsetzung ist er auch nicht gemäß Art. 123 Abs. 2 AEUV vom Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung ausgenommen. Nach dieser Vorschrift gelten die Bestimmungen des Art. 123 Abs. 1 AEUV nicht für Kreditinstitute in öffentlichem Eigentum. Unter Art. 123 Abs. 2 AEUV fallen jedoch keine Institutionen, deren Finanzmittel unmittelbar Mitgliedstaaten der Europäischen Union zugutekommen, weil sonst das Verbot des Art. 123 Abs. 1 AEUV umgangen würde. Dies wäre beim Europäischen Stabilitätsmechanismus der Fall. Gemäß Art. 3 Satz 1 ESMV dient der Europäische Stabilitätsmechanismus der konditionierten Bereitstellung von Stabilitätshilfen für ESM-Mitglieder. Er verwendet die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur - der Europäischen Zentralbank nach Art. 123 Abs. 1 AEUV verwehrten - direkten finanziellen Stabilisierung der Mitgliedstaaten. Dementsprechend geht auch die Europäische Zentralbank in ihrer Stellungnahme vom (CON/2011/24, ABl EG C 140 vom , S. 8, Anmerkung 9) davon aus, dass Art. 123 AEUV dem Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht erlaubt, ein Geschäftspartner des Eurosystems im Sinne von Art. 18 der ESZB-Satzung zu werden.

174Auch eine Hinterlegung von Staatsanleihen durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus bei der Europäischen Zentralbank als Sicherheit für Kredite würde gegen das Verbot unmittelbaren Erwerbs von Schuldtiteln öffentlicher Stellen verstoßen. Dabei kann offen bleiben, ob hierin eine Übernahme von Schuldtiteln direkt vom öffentlichen Emittenten am Primärmarkt läge oder nach dem Zwischenerwerb durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus einem Erwerb am Sekundärmarkt entsprechen würde. Denn ein Erwerb von Staatsanleihen am Sekundärmarkt durch die Europäische Zentralbank, der auf von den Kapitalmärkten unabhängige Finanzierung der Haushalte der Mitgliedstaaten zielte, ist als Umgehung des Verbotes monetärer Haushaltsfinanzierung ebenfalls untersagt (vgl. auch 7. Erwägungsgrund der Verordnung <EG> Nr. 3603/93 des Rates vom <ABl EG Nr. L 332 vom , S. 1>). Dem trägt der ESM-Vertrag Rechnung, dessen 4. Erwägungsgrund die strikte Einhaltung des Rahmens der Europäischen Union, der integrierten makroökonomischen Überwachung, insbesondere des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, des Rahmens für makroökonomische Ungleichgewichte und der Vorschriften für die wirtschaftspolitische Steuerung der Europäischen Union anmahnt. Hierzu zählt Art. 123 AEUV.

175(4) Eine Beeinträchtigung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages ergibt sich schließlich auch nicht aus dem Umstand, dass der ESM-Vertrag keine ausdrücklichen Kündigungs- oder Austrittsrechte vorsieht. Angesichts der durch einen entsprechenden Vorbehalt zu sichernden verbindlichen Begrenzung der haushaltsrelevanten Belastungen auf 190.024.800.000 Euro bedarf es im Hinblick auf die Wahrung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestages keiner vertraglichen Regelung eines besonderen Kündigungs- oder Austrittsrechts. Die Haftungsbegrenzung stellt hinreichend sicher, dass durch das Inkrafttreten des Vertrages allein kein irreversibler Zahlungs- und Gewährleistungsautomatismus begründet wird. Vielmehr bedarf es für jede neue Zahlungsverpflichtung oder Haftungszusage einer erneuten konstitutiven Entscheidung des Deutschen Bundestages. Im Übrigen gelten insoweit die allgemeinen Regelungen.

176c) Die Vorschriften über die Einbindung des Deutschen Bundestages in die Entscheidungsprozesse des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die sich aus dem Gesetz zu dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und dem ESM-Finanzierungsgesetz ergeben, genügen bei summarischer Prüfung im Wesentlichen den Anforderungen aus Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG an die Ausgestaltung der Beteiligungsrechte und Einwirkungsmöglichkeiten des Deutschen Bundestages zur Sicherung einer demokratischen Steuerung des Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie zur Sicherung seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung (aa). Näherer Würdigung im Hauptsacheverfahren bedürfen allerdings die Ausgabe von Anteilen am Stammkapital des Europäischen Stabilitätsmechanismus über dem Nennwert (Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV) sowie die haushalterische Sicherstellung, dass es nicht zu einer Anwendung des Art. 4 Abs. 8 ESMV auf die Bundesrepublik Deutschland kommt. Insoweit ist jedoch eine einstweilige Anordnung nicht erforderlich (bb). Soweit das Gesetz über die Zustimmung zu dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und das ESM-Finanzierungsgesetz nach vorläufiger Einschätzung eine verfassungsmäßige funktionale Zuständigkeitsverteilung zwischen den Gremien des Bundestages nicht in vollem Umfang gewährleisten, ist fraglich, ob dadurch der durch Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG geschützte Kern des Wahlrechts verletzt wird; jedenfalls bedarf es auch insoweit keiner einstweiligen Anordnung (cc).

177aa) Die Anforderungen an die innerstaatliche Absicherung des Demokratieprinzips werden sowohl im Hinblick auf die Mitwirkungsrechte des Bundestages ((1)) als auch auf seine Informationsrechte ((2)) und die personelle Legitimation der deutschen Vertreter in den Organen des Europäischen Stabilitätsmechanismus ((3)) im Wesentlichen erfüllt.

178(1) Die Begleitgesetzgebung hat die Funktion, die verfassungsrechtlich gebotenen Beteiligungsrechte der gesetzgebenden Körperschaften an der Tätigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus im nationalen Recht abzubilden und zu konkretisieren (vgl. BVerfGE 123, 267 <433>). Sie hat sicherzustellen, dass der Bundestag - vermittelt über die Bundesregierung - einen bestimmenden Einfluss auf das Handeln des Europäischen Stabilitätsmechanismus ausüben kann (vgl. BVerfGE 123, 267 <356, 433 ff.>) und hierdurch seine haushaltspolitische Gesamtverantwortung sowie die Integrationsverantwortung wahrzunehmen in der Lage ist (vgl. BVerfGE 129, 124 <177 ff., 186>).

179Es ist bei summarischer Prüfung nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber es - vom Fall des Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV abgesehen (vgl. dazu B.III.2.b)aa)(1)(a)(bb) sowie B.III.2.c)bb)(1)) - unterlassen hätte, praktisch folgenreiche und damit für die Wahrnehmung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung wesentliche Entscheidungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus an eine Beteiligung des Bundestages zu knüpfen. Die verfassungsrechtlich geforderte Mitwirkung des Deutschen Bundestages ist im Gesetz zu dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus und im ESM-Finanzierungsgesetz grundsätzlich ausreichend geregelt. Der Gesetzgeber hat für die Entscheidungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus, die für die haushaltspolitische Gesamtverantwortung eine Rolle spielen, eine parlamentarische Rückbindung vorgesehen, indem er in Art. 2 des Zustimmungsgesetzes zum ESM-Vertrag, in § 4 Abs. 2 ESMFinG und in § 5 Abs. 2 ESMFinG festgelegt hat, dass die deutschen Mitglieder im Gouverneursrat und Direktorium an den Sitzungen der Organe des Europäischen Stabilitätsmechanismus teilzunehmen haben und die Beschlüsse des Deutschen Bundestages durch ihr Abstimmungsverhalten in den Organen umzusetzen haben. Dass einige der zu erwartenden Entscheidungen an das Votum des Plenums (vgl. § 4 Abs. 1 ESMFinG), andere lediglich an dasjenige des Haushaltsausschusses (vgl. § 5 Abs. 2 ESMFinG) geknüpft sind, betrifft nicht die grundsätzliche Frage der Beteiligung des Deutschen Bundestages.

180Die vom ESM-Vertrag vorgesehene Fortentwicklung der Instrumente (vgl. Art. 19 ESMV) lässt es nicht zu, alle Fälle, in denen eine Parlamentsbeteiligung angezeigt sein wird, schon jetzt im Einzelnen zu erfassen und zu regeln. Die Beteiligungsrechte müssen jedoch - sei es durch Gesetzesänderung, sei es durch Auslegung - mit der Vertragsentwicklung Schritt halten, so dass die effektive Wahrnehmung der parlamentarischen Haushalts- und Integrationsverantwortung in jedem Fall sichergestellt ist. Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber eine Änderung der Finanzhilfeinstrumente nach Art. 19 ESMV an das Erfordernis einer bundesgesetzlichen Ermächtigung gebunden (Art. 2 Abs. 2 des Zustimmungsgesetzes zum ESM-Vertrag). Sollte sich im Vollzug des ESM-Vertrages ergeben, dass weitere wesentliche Mitwirkungserfordernisse nicht ausdrücklich geregelt sind, bietet die Regelung des § 4 Abs. 1 ESMFinG, die lediglich exemplarisch ("insbesondere") drei Entscheidungsfelder des Europäischen Stabilitätsmechanismus nennt, in denen das Plenum zu entscheiden hat, hinreichenden Raum für eine verfassungskonforme Handhabung. Entsprechendes gilt für die Auffangvorschrift des § 5 Abs. 3 ESMFinG, die die Bundesregierung in allen nicht anderweitig geregelten Fällen, in denen nicht die haushaltspolitische Gesamtverantwortung, sondern nur die Haushaltsverantwortung des Bundestages berührt wird, zur Beteiligung des Haushaltsausschusses des Bundestages und zur Berücksichtigung seiner Stellungnahmen verpflichtet.

181(2) Die im ESM-Finanzierungsgesetz enthaltenen Informationsrechte des Deutschen Bundestages genügen bei summarischer Prüfung den Anforderungen des - im Organstreitverfahren maßstäblichen - Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (zu der insbesondere durch Art. 34 ESMV nicht ausgeschlossenen Möglichkeit der Unterrichtung der nationalen Parlamente siehe oben B.III.1.a)bb)(5)).

182Die Tätigkeit des Europäischen Stabilitätsmechanismus ist eine Angelegenheit der Europäischen Union im Sinne des Art. 23 Abs. 2 GG und löst ebenso wie dessen Errichtung und Ausgestaltung Mitwirkungs- und Informationsrechte des Bundestages aus (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom - 2 BvE 4/11 -, juris Rn. 90 ff.). § 7 Abs. 1 bis Abs. 3 ESMFinG geben die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG an die Informationspflichten der Bundesregierung wieder und gewährleisten damit das parlamentarische Informationsrecht. Zudem verweist § 7 Abs. 10 ESMFinG auf weitergehende Rechte aus dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union.

183(3) Auch unter dem Gesichtspunkt personeller demokratischer Legitimation ist gegen die Ausgestaltung der Vertretung Deutschlands im Europäischen Stabilitätsmechanismus nichts zu erinnern. Zu dem gemäß Art. 79 Abs. 3 GG nicht antastbaren Gehalt des Demokratieprinzips gehört es, dass die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und die Ausübung staatlicher Befugnisse sich auf das Staatsvolk zurückführen lassen und die Entscheidungen grundsätzlich ihm gegenüber verantwortet werden. Entscheidend ist insoweit, dass der Bundestag auf das seine Haushaltsverantwortung betreffende Entscheidungsverhalten der deutschen Vertreter in den Organen des Europäischen Stabilitätsmechanismus maßgeblichen Einfluss behält (vgl. BVerfGE 89, 155 <182>; 107, 59 <94>). Dies erfordert deren Bindung an die Beschlüsse des Bundestages. In welcher Weise der Gesetzgeber dabei sicherstellt, dass die Sachentscheidungen des Deutschen Bundestages durch die jeweiligen Vertreter in den Organen zutreffend umgesetzt werden, wird durch die Verfassung nicht vorgegeben. Parlamentarische Verantwortung und Weisungsabhängigkeit der deutschen Vertreter in den Organen des Europäischen Stabilitätsmechanismus sind insoweit gleichwohl eine entscheidende Vorkehrung. Von Verfassungs wegen ist zumindest zu verlangen, dass der Bundesminister der Finanzen als Mitglied des Gouverneursrates und das deutsche Direktoriumsmitglied gegenüber dem Deutschen Bundestag rechenschaftspflichtig sind und diesem so eine effektive Wahrnehmung seiner Integrations- und Haushaltsverantwortung ermöglicht wird.

184Dem steht der ESM-Vertrag nicht entgegen. Er geht - insbesondere auf der Grundlage der verfassungsrechtlich gebotenen und völkerrechtlich sicherzustellenden Auslegung der Regelungen über die Schweigepflicht (Art. 34 ESMV) und die persönliche Immunität (Art. 35 ESMV) - von der parlamentarischen Verantwortlichkeit seiner Organmitglieder aus. Das ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass im Gouverneursrat die Finanzminister der ESM-Mitglieder vertreten sind (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 ESMV), und aus deren - an keinerlei Bedingungen geknüpfter - Befugnis, ein Mitglied des Direktoriums und dessen Stellvertreter vorzuschlagen und zu entlassen (Art. 6 Abs. 1 Satz 2, Art. 43 ESMV). Die Regelung ermöglicht es, eine Bindung an Weisungen der nationalen Regierung durchzusetzen und damit den Einfluss des Parlaments sicherzustellen.

185Das ESM-Finanzierungsgesetz setzt ersichtlich voraus, dass die deutschen Vertreter an die Beschlüsse des Bundestages gebunden und ihm gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Deutsches Mitglied im Gouverneursrat ist der Bundesminister der Finanzen (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 ESMV), der nicht nur mittelbar vom Vertrauen des Bundestages abhängig (Art. 64 Abs. 1, Art. 67 Abs. 1 GG), sondern diesem gegenüber auch rechenschaftspflichtig ist (Art. 114 GG). In der mündlichen Verhandlung hat die Bundesregierung darüber hinaus erklärt, dass ein Staatssekretär mit der Funktion des deutschen Direktoriumsmitglieds betraut werde. Schließlich geht das ESM-Finanzierungsgesetz, indem es vorsieht, dass die deutschen Vertreter haushaltsrelevante Entscheidungen des Europäischen Stabilitätsmechanismus abzulehnen haben, wenn kein zustimmender Beschluss des Deutschen Bundestages vorliegt (§ 4 Abs. 2 und Abs. 3, § 5 Abs. 2 Satz 4 ESMFinG), ersichtlich davon aus, dass sie an die parlamentarischen Vorgaben gebunden sind.

186bb) Im Hinblick auf die Ausgabe von Anteilen am Stammkapital des Europäischen Stabilitätsmechanismus über dem Nennwert nach Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV (1) sowie bei der haushalterischen Sicherstellung, dass es nicht zu einer Anwendung des Art. 4 Abs. 8 ESMV auf die Bundesrepublik Deutschland kommt (2), bedarf es einer vertieften Würdigung im Hauptsacheverfahren.

187(1) Die Ausgabe von Anteilen am Stammkapital des Europäischen Stabilitätsmechanismus über dem Nennwert nach Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV kann ein entscheidender Faktor für die Belastung des Bundeshaushaltes sein und unterscheidet sich in ihren Wirkungen nicht wesentlich von der in Art. 2 Abs. 1 des Zustimmungsgesetzes zum ESM-Vertrag geregelten Erhöhung des Stammkapitals. Diese hat der Gesetzgeber an das Erfordernis einer bundesgesetzlichen Ermächtigung geknüpft, weil sie die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berührt (vgl. auch BVerfGE 129, 124 <177 f.>). Für den Tatbestand des Art. 8 Abs. 2 Satz 4 ESMV und die entsprechende Zuständigkeit des Gouverneursrates (Art. 5 Abs. 6 Buchstabe b ESMV) fehlt es hingegen an einer ausdrücklichen Regelung.

188Da sich § 4 Abs. 1 ESMFinG angesichts seines nicht abschließenden Charakters ("insbesondere"), wie oben dargelegt (vgl. B.III.2.c)aa)(1)), jedoch verfassungskonform so auslegen lässt, dass er auch auf Beschlüsse nach Art. 5 Abs. 6 Buchstabe b ESMV Anwendung finden kann, bedarf es - unabhängig von der Frage, inwieweit hier eine ausdrückliche Regelung geboten wäre - jedenfalls nicht des Erlasses einer einstweiligen Anordnung.

189(2) Der Gesetzgeber hat durch § 1 Abs. 1 ESMFinG, das Nachtragshaushaltsgesetz vom (BTDrucks 17/9650, 17/9651) und § 1 Abs. 2 Satz 1 ESMFinG Mittel in einem Umfang von 21,71712 Milliarden Euro bereitgestellt und das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt, für das abrufbare Kapital in Höhe von 168,30768 Milliarden Euro Gewährleistungen zu übernehmen. Ob dies mit hinreichender Sicherheit gewährleistet, dass die Bundesrepublik Deutschland sämtlichen, auch kurzfristigen Kapitalabrufen (Art. 9 Abs. 3 ESMV) nachkommen und einen Verlust der Stimmrechte ausschließen kann, muss der Entscheidung über die Hauptsache vorbehalten bleiben.

190cc) Unter welchen Voraussetzungen ein Beschwerdeführer die Zuständigkeitsverteilung zwischen Plenum, Haushaltsausschuss und anderen Untergremien des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung seiner Beteiligungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom - 2 BvE 8/11 -, NVwZ 2012, S. 495 <498> m.w.N.) als Verletzung des durch Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kerns des Wahlrechts rügen kann, hat das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden. Die Klärung dieser Frage ist ebenso dem Hauptsacheverfahren vorbehalten wie die Prüfung der in den Organklagen insoweit geltend gemachten, jedoch nicht in den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung einbezogenen Rüge einer Verletzung von Abgeordnetenrechten. Denn eine einstweilige Anordnung ist bereits deshalb nicht zu erlassen, weil das Plenum des Deutschen Bundestages durch Ausübung seines Revokationsrechts nach § 5 Abs. 5 ESMFinG Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Zuordnung von Beteiligungsrechten an den Haushaltsausschuss begegnen kann. Das Budgetrecht und die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages werden grundsätzlich durch Verhandlung und Beschlussfassung im Plenum wahrgenommen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom - 2 BvE 8/11 -, a.a.O., S. 495 <498> m.w.N.). Soweit überstaatliche Vereinbarungen getroffen werden, die aufgrund ihrer Größenordnung für das Budgetrecht von struktureller Bedeutung sein können, hat der Deutsche Bundestag im Plenum über jede ausgabenwirksame Maßnahme größeren Umfangs sowie grundsätzliche Fragen der Art und Weise des Umgangs mit den zur Verfügung gestellten Mitteln zu entscheiden. Eine selbständige und plenarersetzende Tätigkeit des Haushaltsausschusses darf demgemäß lediglich bei untergeordneten oder bereits ausreichend klar durch das Plenum vorherbestimmten Entscheidungen erfolgen.

191Der Gesetzgeber hat sich bei der Zuordnung der Beteiligungsrechte zu Plenum, Haushaltsausschuss und Sondergremium an diesen Kriterien orientiert.

192(1) Er hat Angelegenheiten, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung betreffen, entweder schon im Gesetz selbst geregelt (Art. 2 des Gesetzes zu dem Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus) oder sie dem Plenum zugewiesen (§ 4 ESMFinG). Anwendungsfälle des § 4 Abs. 1 Satz 1 ESMFinG werden in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 3 ESMFinG exemplarisch konkretisiert. Damit wird zugleich der Begriff der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung für den vorliegenden Zusammenhang in ausreichendem Maße konturiert. Soweit lediglich die Haushaltsverantwortung betroffen ist, ist nach § 5 ESMFinG der Haushaltsausschuss zur Entscheidung berufen. Der Gesetzgeber hat die Entscheidungen über die Gewährung und Konditionierung einer Stabilitätshilfe zwar dem Plenum zugewiesen, die Durchführungsmodalitäten ohne wesentliche Auswirkungen auf Haftungsvolumen und -risiken jedoch dem Haushaltsausschuss überlassen (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ESMFinG) und zugleich bestimmt, dass im Fall einer Erhöhung des Volumens gegenüber dem Grundsatzbeschluss nach Art. 13 Abs. 2 ESMV wieder das Plenum zuständig ist (Haushaltsausschuss-Drucks 4410 der 17. Wahlperiode, Begründung zu § 5 ESMFinG). Die darin zum Ausdruck kommende Gewichtung findet eine Entsprechung in der Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ESMFinG, nach der die ausführlichen Regelungen und Bedingungen für Kapitalveränderungen gemäß Art. 10 Abs. 2 ESMV lediglich der Zustimmung des Haushaltsausschusses bedürfen, weil die Veränderung des Stammkapitals nach Art. 10 Abs. 1 ESMV einem Gesetzesvorbehalt unterliegt. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht.

193(2) Dagegen könnten in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 ESMFinG dem Haushaltsausschuss Befugnisse zugewiesen sein, die wegen ihrer Tragweite vom Plenum wahrzunehmen sind.

194§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ESMFinG betrifft Beschlüsse des Gouverneursrates über Kapitalabrufe (Art. 9 Abs. 1 ESMV) und die Annahme oder wesentliche Änderung der Regelungen und Bedingungen ("terms and conditions"), die nach Art. 9 Abs. 4 ESMV gelten. In § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ESMFinG sind die Annahme oder wesentliche Änderung der Durchführungsmodalitäten der einzelnen Finanzhilfefazilitäten nach Art. 14 bis Art. 18 ESMV, der Preisgestaltungsleitlinien nach Art. 20 Abs. 2 ESMV, der Leitlinien für Anleiheoperationen nach Art. 21 Abs. 2 ESMV, der Leitlinien für die Anlagepolitik nach Art. 22 Abs. 1 ESMV, der Leitlinien für die Dividendenpolitik nach Art. 23 Abs. 3 ESMV und der Vorschriften für die Einrichtung, Verwaltung und Verwendung weiterer Fonds nach Art. 24 Abs. 4 ESMV angesprochen. Die genannten Entscheidungen sind vor dem Hintergrund zu würdigen, dass es sich beim ESM-Vertrag um einen Rechtsrahmen handelt, der eine Fülle von Entwicklungsmöglichkeiten sowie Raum für Konkretisierungen lässt, sei es durch die Satzung, sei es durch Leitlinien (guidelines) oder Regelungen und Bedingungen (terms and conditions). Die Auslegung der abstrakten Befugnisse und deren Ausübung werden jedoch beispielsweise im Bereich der Anlagepolitik typischerweise Rückwirkungen auf die haushaltspolitische Gesamtverantwortung entfalten, die vom Plenum des Bundestages wahrzunehmen ist.

195Anhand von Kapitalabrufen nach Art. 9 Abs. 1 ESMV lässt sich verdeutlichen, dass es insoweit vertiefter Erwägungen bedarf. Auch wenn der Abruf des vom Gesetzgeber bereits "bewilligten" Kapitals die haushaltspolitische Gesamtverantwortung selbst typischerweise nicht (mehr) berühren wird, so liegen die Dinge hinsichtlich der in Art. 9 Abs. 4 ESMV aufgeführten Regelungen und Bedingungen wohl anders. Sie werden, wie ein dem Gericht durch den Bevollmächtigten der Bundesregierung übermitteltes Entwurfsdokument belegt, beispielsweise Genehmigungsverfahren festlegen, die den jeweiligen Sitzungen vorangehen. Sie sollen Zeitrahmen festlegen, innerhalb derer die Mitglieder der ESM-Organe entsprechende Vorschläge für Kapitalabrufe erhalten, und konkrete Einzahlungsfristen festsetzen. Weiter werden die Anwendungsbereiche der unterschiedlichen Varianten des Kapitalabrufes durch Gouverneursrat (Art. 9 Abs. 1 ESMV), Direktorium (Art. 9 Abs. 2 ESMV) und Geschäftsführenden Direktor (Art. 9 Abs. 3 ESMV), die sich hinsichtlich der Qualität der möglichen Parlamentsbeteiligung unterscheiden, konkretisiert. So ist in dem vorgelegten Entwurfsdokument etwa vorgesehen, dass die Kapitalabrufe nach Art. 9 Abs. 3 ESMV, mit denen nach der Systematik der Vorschrift selten zu rechnen sein sollte, "während der Anfangsphase" auch die beschleunigte Einzahlung von Kapital nach Art. 41 Abs. 2 ESMV umfassen sollen. Die Entscheidung über die Regelungen und Bedingungen nach Art. 9 Abs. 4 ESMV kann die Befugnisse der Organe zu Kapitalabrufen nach Art. 9 ESMV somit gegenständlich oder größenmäßig eingrenzen oder auch über den vorhersehbaren Wortlaut der Normen hinaus erweitern. Angesichts der Bedeutung dieser Abgrenzungen für den Bundestag, der als Inhaber des Budgetrechts rechtzeitig von geplanten Abrufen und deren Höhe erfahren muss, und im Hinblick auf die Risiken für die Stimmrechte nach Art. 4 Abs. 8 ESMV, die bei nicht rechtzeitiger Zahlung ausgesetzt werden, berühren die ergänzenden abstrakt-generellen Regelungen die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages.

196d) Das Gesetz zu dem Vertrag vom über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion verstößt bei summarischer Prüfung ebenfalls nicht gegen Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG. Der Regelungsgehalt des Vertrages deckt sich weitgehend mit bereits bestehenden verfassungsrechtlichen Vorgaben und mit primärrechtlichen Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (aa). Er räumt den Organen der Europäischen Union keine Befugnisse ein, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berühren (bb) und zwingt die Bundesrepublik Deutschland nicht zu einer dauerhaften, nicht mehr reversiblen Festlegung ihrer Wirtschaftspolitik (cc).

197aa) Ziel des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung der Wirtschafts- und Währungsunion ist ausweislich seines Artikels 1 und des in Titel III geregelten "Fiskalpolitischen Paktes" die Stärkung der wirtschaftlichen Säule der Wirtschafts- und Währungsunion durch die Förderung der Haushaltsdisziplin. Er deckt sich teils mit den Anforderungen aus Art. 109, 115 und 143d GG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom (BGBl I S. 2248) ((1)), teils mit den im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union enthaltenen Vorgaben für die Haushaltswirtschaft der Mitgliedstaaten, insbesondere mit den in Art. 126 AEUV und den ihn ergänzenden Protokollen (vor allem Protokoll <Nr. 12> über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit und Protokoll <Nr. 13> über die Konvergenzkriterien) niedergelegten Regelungen ((2)). Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berührt dies nicht ((3)).

198(1) Die völkerrechtlichen Verpflichtungen aus Art. 3 SKSV, der an mehreren Stellen Begriffe und Regelungsgehalte aus dem sekundärrechtlichen "Six-Pack" aufgreift, sind den in Art. 109, 109a, 115 und 143d GG enthaltenen Vorgaben, deren Zielsetzung bereits der Europäischen Stabilitätspolitik entlehnt ist, im Wesentlichen strukturell gleichgeartet. Die verfassungsrechtlichen Verschuldungsregeln sind im Jahr 2009 reformiert worden, weil die bis dahin geltenden Regelungen des Grundgesetzes das Auflaufen eines übermäßigen Schuldenstandes nicht verhindern konnten (vgl. auch BVerfGE 119, 96 <141 f.>) und der Gesetzgeber sich von den Ansätzen des präventiven wie des korrektiven Arms des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes (Verordnungen <EG> Nr. 1466/97 und <EG> Nr. 1467/97) eine größere Durchschlagskraft versprach (vgl. BTDrucks 16/12410, S. 1, 5 f., 10; siehe auch Kube, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 109 Rn. 24 f. <Mai 2011>; Pünder, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 115 Rn. 17 f., 34; Gregor Kirchhof, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 109 Rn. 28 f.; Siekmann, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 109 Rn. 83; Christ, NVwZ 2009, S. 1333 <1337>; Scholl, DÖV 2010, S. 160 <164>).

199(a) Art. 3 Abs. 1 Buchstabe a SKSV verlangt die Vorlage eines mindestens ausgeglichenen Haushaltes. Ein solcher gilt nach Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b SKSV auch als erreicht, wenn der jährliche strukturelle Saldo dem durch die Mitgliedstaaten selbst festzulegenden mittelfristigen Ziel im Sinne des geänderten Stabilitäts- und Wachstumspaktes (vgl. Art. 2a Abs. 2 der Verordnung <EG> Nr. 1466/97 in der Fassung der Verordnung <EU> Nr. 1175/2011), mit der Untergrenze eines strukturellen Defizits von 0,5 % des Bruttoinlandsproduktes, entspricht. Diese Defizitgrenzen müssen nicht sogleich erreicht werden. Die Vertragsparteien sind nach Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b Satz 2 und Satz 3 SKSV jedoch verpflichtet, sich ihrem jeweiligen mittelfristigen Ziel innerhalb eines individuellen Zeitrahmens zu nähern. Die wesentlichen Merkmale dieses sogenannten Anpassungspfades ergeben sich aus dem Sekundärrecht (Art. 3 Abs. 2 Buchstabe a, Art. 5 Abs. 1 UAbs. 2 ff. der Verordnung <EG> Nr. 1466/97 in der Fassung der Verordnung <EU> Nr. 1175/2011). Bei einem Schuldenstand von bis zu 60 % des Bruttoinlandsproduktes ist der Haushaltssaldo um einen Richtwert von jährlich 0,5 % des Bruttoinlandsproduktes zu verbessern. Bei einem höheren Schuldenstand liegt der Richtwert über 0,5 %. Im Falle außergewöhnlicher Umstände lässt der Vertrag Abweichungen vom mittelfristigen Ziel beziehungsweise dem dorthin führenden Anpassungspfad zu (Art. 3 Abs. 1 Buchstabe c SKSV). Hierunter werden schwere Konjunkturabschwünge und andere außergewöhnliche Ereignisse verstanden, die sich der Kontrolle der betreffenden Vertragspartei entziehen (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Buchstabe b SKSV).

200Erhebliche Abweichungen vom mittelfristigen Ziel oder dem dorthin führenden Anpassungspfad lösen gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchstabe e SKSV automatisch einen Korrekturmechanismus aus. Ob eine erhebliche Abweichung vorliegt, wird auf der Grundlage einer Gesamtbewertung evaluiert, wobei das mittelfristige Ziel beziehungsweise der Anpassungspfad um bis zu 0,5 % des Bruttoinlandsproduktes unterschritten werden dürfen (Art. 6 Abs. 3 der Verordnung <EG> Nr. 1466/97 in der Fassung der Verordnung <EU> Nr. 1175/2011). Der Korrekturmechanismus ist von den Vertragsparteien auf nationaler Ebene in institutionalisierter Form einzurichten (Art. 3 Abs. 2 Satz 2 SKSV). Bei dessen Einrichtung ("dabei") stützen sich die Vertragsparteien auf von der Europäischen Kommission vorzuschlagende Grundsätze.

201(b) Auch nach Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG ist der Haushalt grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Dem entspricht die Kernforderung der europäischen Schuldenbremse aus Art. 3 Abs. 1 Buchstabe a SKSV.

202(aa) Wie Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b SKSV stellt auch Art. 109 Abs. 3 Satz 4 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 2 GG eine gesetzliche Fiktion für das Erreichen eines ausgeglichenen Haushaltes auf, wenn dieses Ziel nur geringfügig verfehlt wird. Der in Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b Satz 2 und Satz 3 SKSV vorgesehene Anpassungspfad spiegelt sich in Art. 143d Abs. 1 Satz 5, Satz 6 und Satz 7 GG wider. Auch nach den Vorgaben des Grundgesetzes muss das Ziel eines ausgeglichenen Haushaltes nicht sofort erreicht werden; vorgesehen ist vielmehr die kontinuierliche Rückführung des Defizits innerhalb eines konkreten Zeitrahmens. Wie nach dem Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung der Wirtschafts- und Währungsunion genügt als deren Endpunkt das Erreichen der gesetzlichen Fiktion. Ob das Grundgesetz Verschuldungsgrenzen nur für den Bund und die Länder normiert, wie die Antragsteller zu IV. geltend machen, während nach europäischem Recht auch Gemeinden und Sozialversicherungen in die Betrachtung einzubeziehen sind (vgl. die zum Six-Pack zählende Richtlinie 2011/85/EU vom , 23. Erwägungsgrund), kann offenbleiben. An der strukturellen Vergleichbarkeit der Regelungen würde sich dadurch nichts ändern. Ein Unterschied im finanziellen Volumen würde sich nicht anders auswirken als im Rahmen der bereits bestehenden Defizitregelungen von Art. 126 AEUV.

203(bb) Nach Art. 109 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 115 Abs. 2 Satz 3 GG kann bei einer konjunkturellen Entwicklung, die von der Normallage abweicht, sowie bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, von den Defizitvorgaben abgewichen werden. Auch Art. 3 Abs. 1 Buchstabe c in Verbindung mit Abs. 3 Satz 2 Buchstabe b SKSV nennt als Abweichungsgrund einen schweren Konjunkturabschwung sowie ein "außergewöhnliches Ereignis, das sich der Kontrolle der betreffenden Vertragspartei entzieht und erhebliche Auswirkungen auf die Lage der öffentlichen Finanzen hat". Den Hauptanwendungsfall des auf völkerrechtlicher Ebene abstrakt umschriebenen zuletzt genannten Abweichungsgrundes benennt das Grundgesetz konkret mit Naturkatastrophen.

204(cc) Art. 109a Satz 1 Nr. 1 GG in Verbindung mit dem hierzu ergangenen Stabilitätsratsgesetz (BGBl I 2009 S. 2702) sieht zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen die Einrichtung eines Stabilitätsrates zur fortlaufenden Überwachung der Haushaltswirtschaft vor, mithin - wie Art. 3 Abs. 2 Satz 2 SKSV - eine institutionalisierte Form der Überwachung der materiellen Haushaltskriterien. Eine Überschreitung der Defizitgrenzen des Grundgesetzes löst nach Art. 115 Abs. 2 Satz 4 GG in Verbindung mit dem hierzu ergangenen nationalen Ausführungsgesetz (BGBl I 2009 S. 2704) bei Erreichen eines bestimmten Schwellenwerts automatisch die Verpflichtung zur konjunkturgerechten Rückführung des Defizits aus und ähnelt insoweit den Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 Buchstabe e SKSV.

205(2) Für die verfassungsrechtliche Beurteilung von Bedeutung ist ferner, dass die Regelungen des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung der Wirtschafts- und Währungsunion Vorschriften des Unionsrechts wiederholen oder näher konkretisieren.

206(a) So verpflichtet Art. 4 Satz 1 SKSV die Vertragsstaaten, bei Überschreitung des Referenzwertes für den Schuldenstand von 60 % des Bruttoinlandsproduktes (Art. 126 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe b, Satz 3 AEUV i.V.m. Art. 1 des Protokolls <Nr. 12> über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit) das Verhältnis zwischen beiden als Richtwert um durchschnittlich ein Zwanzigstel jährlich zu verringern. Wie sich aus dem Verweis auf Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 in der Fassung der Verordnung (EU) Nr. 1177/2011 ergibt, dürfte dies auf die Verpflichtung hinauslaufen, den einen Schuldenstand von 60% des Bruttoinlandsproduktes übersteigenden Teil um ein Zwanzigstel jährlich zu reduzieren (so auch BTDrucks 17/9046, S. 21). Dies konkretisiert im Ergebnis den insoweit unbestimmten Art. 126 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe b AEUV, dessen Überwachung jedoch weiterhin Kommission und Rat nach dem in Art. 126 AEUV geregelten Verfahren obliegt (Art. 4 Satz 2 SKSV).

207(b) Die Verpflichtung zur Vorlage von genehmigungsbedürftigen Haushalts- und Wirtschaftspartnerschaftsprogrammen nach Art. 5 Abs. 1 SKSV ist in das primärrechtlich geregelte Defizitverfahren (Art. 126 AEUV) eingebettet. Dessen Ablauf ändert Art. 5 Abs. 1 SKSV lediglich in die Vertragsstaaten begünstigender Weise. Diese sind nicht mehr darauf beschränkt, auf sanktionsbewehrte Empfehlungen der europäischen Organe zu reagieren, sondern können nunmehr mit der Vorlage des Haushaltsprogramms selbst gestaltend tätig werden. Dieser Gedanke kommt nicht zuletzt auch in den Erwägungsgründen der hier maßgeblichen Sekundärrechtsakte zum Ausdruck, die durchgängig die Notwendigkeit einer größeren nationalen Eigenverantwortung für die Einhaltung gemeinsam beschlossener Regeln betonen (vgl. Verordnung <EU> Nr. 1175/2011, 8. Erwägungsgrund; Verordnung <EU> Nr. 1177/2011, 4. Erwägungsgrund sowie die Richtlinie 2011/85/EU, 1. Erwägungsgrund). Ein unmittelbarer "Durchgriff" der Organe auf die nationale Haushaltsgesetzgebung ist in Art. 5 SKSV nicht vorgesehen (vgl. auch Conseil constitutionnel, Décision n°2012-653 DC vom , cons. 32).

208(c) Auch Art. 7 SKSV fügt sich in das Verfahren nach Art. 126 AEUV ein. Art. 7 SKSV, der von dem "Defizit-Kriterium" im Singular spricht, betrifft allein das in Art. 126 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe a AEUV genannte Kriterium des öffentlichen Defizits (Referenzwert 3 %) und verpflichtet die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, zur Unterstützung der Vorschläge oder Empfehlungen der Europäischen Kommission im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 126 AEUV (Satz 1). Die Verpflichtung entfällt gemäß Art. 7 Satz 2 SKSV, wenn sich eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, im Rat gegen die vorgeschlagene oder empfohlene Beschlussfassung entscheidet. Den in Art. 126 AEUV geregelten Verfahrensablauf ändert Art. 7 SKSV nicht. Er bindet jedoch die politische Entscheidungsfreiheit der Vertragspartner im Rat und stärkt damit rechtlich wie faktisch den Einfluss der Europäischen Kommission im Defizitverfahren. Ob die Regelung von Art. 7 SKSV mit Unionsrecht vereinbar ist, kann hier dahinstehen; eine Beeinträchtigung der Budgethoheit des Deutschen Bundestages ist mit ihr jedenfalls nicht verbunden.

209(3) Die haushaltsspezifischen Regelungen des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion decken sich somit im Grundsatz mit den Art. 109, 109a, 115, 143d GG und mit Art. 126 AEUV, der nicht nur vom Bundesverfassungsgericht mehrfach gebilligt worden ist (vgl. BVerfGE 89, 155 <204 f.>; 129, 124 <181 f.>), sondern auf den der verfassungsändernde Gesetzgeber in Art. 109 Abs. 2 GG ausdrücklich Bezug genommen hat. Angesichts dieser weitgehenden Deckungsgleichheit mit der "Schuldenbremse" des Grundgesetzes und den Defizitregelungen des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, deren Verfassungsmäßigkeit in den Verfassungsbeschwerden nicht in Frage gestellt wurde, haben die Antragsteller keine Anhaltspunkte für einen Verstoß der inhaltlichen Vorgaben des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion gegen den durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kern des Wahlrechts und des Demokratieprinzips aus Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG aufgezeigt.

210bb) Der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion räumt Organen der Europäischen Union bei summarischer Prüfung keine Befugnisse ein, die die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages berühren.

211(1) Art. 3 Abs. 2 Satz 2 SKSV beeinträchtigt bei summarischer Prüfung nicht die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages. Nach dieser Bestimmung stützen sich die Vertragsparteien bei der Einrichtung des Korrekturmechanismus auf gemeinsame, von der Europäischen Kommission vorzuschlagende Grundsätze, die insbesondere die Art, den Umfang und den zeitlichen Rahmen der auch unter außergewöhnlichen Umständen zu treffenden Korrekturmaßnahmen sowie die Rolle und Unabhängigkeit der auf nationaler Ebene für die Überwachung der Defizit- und Schuldenstandskriterien zuständigen Institutionen betreffen. Art. 3 Abs. 2 Satz 3 SKSV betont allerdings, dass dieser Korrekturmechanismus die Vorrechte der nationalen Parlamente uneingeschränkt wahren muss. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 SKSV kann daher nur so verstanden werden, dass er sich auf die institutionellen Bestimmungen beschränkt und der Europäischen Kommission keine Befugnis zu konkreten materiellen Vorgaben für die Gestaltung der Haushalte verleiht (vgl. auch Conseil constitutionnel, Décision n°2012-653 DC vom , cons. 25). Damit ist eine teilweise Übertragung der Budgetverantwortung auf die Europäische Kommission von vornherein ausgeschlossen (in diesem Sinne auch Mitteilung der Kommission vom , KOM <2012> 342 endg., nach BTDrucks 17/10069 am an verschiedene Ausschüsse des Bundestages überwiesen).

212(2) Nach Art. 8 Abs. 1 SKSV kann der Gerichtshof der Europäischen Union mit einer Verletzung der Verpflichtungen aus Art. 3 Abs. 2 SKSV befasst werden. Die Zuständigkeit des Gerichtshofes ist dabei von vornherein auf die Überprüfung der Inkorporation der Defizitgrenzen und des Anpassungspfades sowie des Korrekturmechanismus in die nationale Rechtsordnung beschränkt (Art. 8 Abs. 1 Satz 2 SKSV). Sie erstreckt sich damit nur auf die Kodifikation dieser Instrumente, nicht aber auf ihre konkrete Anwendung. Damit sichert Art. 8 SKSV lediglich die, wie dargelegt, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Verpflichtungen aus Art. 3 Abs. 2 SKSV prozessual ab.

213Die konkrete Ausgestaltung dieser prozessualen Absicherung begegnet bei summarischer Prüfung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die gerichtliche Kontrolle ist dem zweistufigen Vertragsverletzungsverfahren der Art. 259 f. AEUV nachgebildet. In der ersten Verfahrensstufe kann der Gerichtshof zunächst lediglich einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 SKSV feststellen. Auch die in der zweiten Verfahrensstufe mögliche Verhängung einer finanziellen Sanktion führt nicht zu einem unmittelbaren Durchgriff der Organe der Europäischen Union auf die konkrete Gestaltungsfreiheit des nationalen Haushaltsgesetzgebers.

214cc) Mit der Ratifizierung des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion geht die Bundesrepublik Deutschland schließlich keine irreversible Bindung an eine bestimmte Haushaltspolitik ein.

215Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 SKSV sollen die Regelungen nach Absatz 1 (Defizitgrenzen, Anpassungspfad und Korrekturmechanismus) im einzelstaatlichen Recht der Vertragsparteien in Form von Bestimmungen, die verbindlicher und dauerhafter Art sind, vorzugsweise mit Verfassungsrang, oder deren vollständige Einhaltung und Befolgung im gesamten nationalen Haushaltsverfahren auf andere Weise garantiert ist, spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion wirksam werden. Unabhängig davon, ob Art. 3 Abs. 2 Satz 1 SKSV den verfassungsändernden Gesetzgeber tatsächlich daran hindert, die bestehende "Schuldenbremse" nach Art. 109 Abs. 3, Art. 109a, Art. 115 Abs. 2 und Art. 143d GG wieder zu streichen, scheidet eine irreversible Bindung der Bundesrepublik Deutschland an diese Anforderungen schon deshalb aus, weil eine Lösung von dem Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion möglich ist. Zwar sieht der Vertrag ein Austritts- oder Kündigungsrecht für die Vertragsstaaten nicht vor. Ob er es ungeachtet der in Art. 16 SKSV enthaltenen Evaluierungsklausel - danach soll auf der Grundlage der in den nächsten fünf Jahren gewonnenen Erfahrungen seine Überführung in das Unionsrecht angestrebt werden - dauerhaft ausschließen will, kann letztlich jedoch ebenso dahinstehen wie die Frage, ob Verträgen, die die Wirtschafts- und Sozialverfassung der Vertragsparteien im Kern betreffen, nicht schon aus Demokratiegründen ein Kündigungsrecht nach Art. 56 Abs. 1 Buchstabe b WVK immanent ist (vgl. Fulda, Demokratie und pacta sunt servanda, 2002, S. 209). Es ist völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, dass der einvernehmliche Austritt aus einem Vertrag immer, ein einseitiger Austritt jedenfalls bei einer grundlegenden Veränderung der bei Vertragsschluss maßgeblichen Umstände möglich ist (vgl. Art. 62 WVK). In diesem Zusammenhang ist von besonderer Bedeutung, dass auch der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion die Mitgliedschaft in der Europäischen Union voraussetzt (1. und 5. Erwägungsgrund; Art. 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Art. 15 Satz 1 SKSV). Bei einem Austritt aus der Europäischen Union (vgl. BVerfGE 123, 267 <350, 396>) würde die Grundlage für die weitere Teilnahme an den wechselseitigen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch den Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion entfallen (vgl. Art. 1 SKSV). Auch die fortdauernde Zugehörigkeit zur einheitlichen Währung ist wesentliche Grundlage für die Bindung der Bundesrepublik Deutschland an die Vorgaben der Art. 3 ff. SKSV (vgl. Art. 14 Abs. 5 SKSV), die bei einem Ausscheiden aus der Währungsunion (vgl. dazu BVerfGE 89, 155 <205>) entfiele.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2012:rs20120912.2bvr139012

Fundstelle(n):
FAAAG-71617