BAG Urteil v. - 1 AZR 166/16

Fehlen der Antragstellung im Berufungsverfahren

Gesetze: § 308 Abs 1 S 1 ZPO, § 314 S 1 ZPO

Instanzenzug: ArbG Weiden Az: 4 Ca 906/14 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Nürnberg Az: 7 Sa 655/14 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Zahlung eines Kinderzuschlags nach einem Sozialplan.

2Die verheiratete Klägerin war bei der Beklagten seit 1995 teilzeitbeschäftigt. Sie hat zwei Kinder. Im Jahr 2013 war sie für die Durchführung des Lohnsteuerabzugs in Steuerklasse V eingereiht; ihr Ehemann in Steuerklasse III. Die Kinderfreibeträge als Lohnsteuerabzugsmerkmal waren mit dem Zähler 2,0 beim Ehemann berücksichtigt.

3Wegen einer Unternehmensumstrukturierung vereinbarte die Beklagte mit dem bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrat am einen Sozialplan. Dieser sieht neben einer Grundabfindung ua. einen Zuschlag iHv. 2.500,00 Euro brutto „für jedes auf der Lohnsteuerkarte zum vermerktes Kind“ vor. Die Beklagte zahlte der Klägerin, welche ihr Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung beendete, eine Sozialplanabfindung in Höhe der Grundabfindung.

4Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Zahlung einer weiteren Abfindung verlangt. Sie hat die Auffassung vertreten, bei der Berechnung der Abfindung sei der im Sozialplan geregelte Kinderzuschlag zu berücksichtigen.

5Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

6Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

7Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat Termin zur mündlichen Verhandlung am anberaumt. Die Niederschrift über diese öffentliche Sitzung weist ua. aus:

8Nach Verlängerung der Schriftsatzfristen für die Parteien und Eingang von Schriftsätzen beider Parteien hat das Landesarbeitsgericht Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den bestimmt. In diesem Termin hat es ein die arbeitsgerichtliche Entscheidung abänderndes und der Klage stattgebendes Urteil verkündet. Eine Ausfertigung des vollständig abgefassten Urteils ist den Parteien am zugestellt worden. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Gründe

9Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO).

10I. Die Revision ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht bereits deshalb begründet, weil die Berufung der Klägerin gegen das ihre Klage abweisende arbeitsgerichtliche Urteil unzulässig war.

111. Die Zulässigkeit der Berufung ist eine von Amts wegen zu prüfende Prozessfortsetzungsvoraussetzung. Unerheblich ist, dass das Landesarbeitsgericht die Berufung als zulässig angesehen hat. Nach § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Die Berufungsbegründung muss erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist und auf welchen Gründen diese Ansicht im Einzelnen beruht (vgl.  - Rn. 27, BAGE 154, 136).

122. Dem wird die Berufungsbegründung gerecht. In ihr ist ua. - sinngemäß - ausgeführt, die arbeitsgerichtliche Argumentation unter Verweis auf das - 10 AZR 648/96 - BAGE 85, 252) vernachlässige den Umstand, dass bei der Klägerin aus lohnsteuerrechtlichen Gründen kein Kinderfreibetrag berücksichtigungsfähig sei, womit sich die zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht befasst habe. Damit hat die Klägerin ausreichend deutlich gemacht, dass und aus welchem Grund sie die entsprechende Erwägung des Arbeitsgerichts für fehlerhaft hält.

13II. Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat unter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO in der Sache entschieden.

141. Gemäß § 528 ZPO unterliegen der Prüfung und Entscheidung des Berufungsgerichts nur die Berufungsanträge. Das Urteil des ersten Rechtszugs darf nur insoweit abgeändert werden, wie eine Abänderung beantragt ist. Das Antragserfordernis trägt der Notwendigkeit Rechnung, den Gegenstand des Prozesses konkret zu bestimmen. Das Gericht ist nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist; auch darf es nicht etwas Anderes zusprechen als das Beantragte (§ 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dem Antragserfordernis kann nicht durch eine bloße streitige Erörterung der Sach- und Rechtslage Genüge getan werden. Aus Gründen der prozessualen Klarheit und der Notwendigkeit, die Sachentscheidungsbefugnis des Gerichts näher zu bestimmen, bedarf es einer konkreten, auf die Sachentscheidung des Gerichts ausgerichteten Antragstellung ( - Rn. 8 mwN).

152. Gemäß § 297 Abs. 1 ZPO sind die Anträge aus den vorbereitenden Schriftsätzen zu verlesen. Soweit sie darin nicht enthalten sind, müssen sie aus einer dem Protokoll als Anlage beizufügenden Schrift verlesen werden. Der Vorsitzende kann auch gestatten, dass die Anträge zu Protokoll erklärt werden. Nach § 297 Abs. 2 ZPO kann die Verlesung dadurch ersetzt werden, dass die Parteien auf die Schriftsätze Bezug nehmen, welche die Anträge enthalten. Ausnahmsweise kann die Annahme einer konkludenten Antragstellung in Betracht kommen (dazu  - Rn. 20 f., BAGE 127, 329).

163. In Anwendung dieser Grundsätze kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin den Antrag, über den das Landesarbeitsgericht befunden hat, gestellt hat.

17a) Das über die Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht gefertigte Protokoll, zu dessen unabdingbaren Inhalten nach § 160 Abs. 3 Nr. 2 ZPO die Feststellung der Anträge gehört, weist keine Antragstellung aus. Auch in dem protokollierten Umstand „Die Parteien verhandeln zur Sache.“ liegt keine (konkludente) Antragstellung.

18b) Aus den Angaben zu den Anträgen der Parteien im Tatbestand des angefochtenen Berufungsurteils folgt keine Antragstellung. Zwar liefert der Tatbestand eines Urteils nach § 314 Satz 1 ZPO den Beweis für das mündliche Parteivorbringen vor dem erkennenden Gericht, was auch die Abgabe von Prozesserklärungen einschließt ( - Rn. 11 mwN). Dabei kann auf sich beruhen, ob sich die Beweiskraft des Tatbestands eines Urteils nach § 314 Satz 1 ZPO bei in ihm wiedergegebenen Anträgen ohnehin nur auf die Tatsache ihrer Verlesung oder Erhebung - und nicht ihren Inhalt - bezieht (so  -; Thomas/Putzo/Reichold ZPO 38. Aufl. § 314 Rn. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 76. Aufl. § 314 Rn. 5 Stichwort „Antragsinhalt“; vgl. aber auch  - Rn. 8). Ebenso muss nicht darüber befunden werden, ob im vorliegenden Fall die Beweiskraft des Tatbestands deshalb entfällt, weil dessen Berichtigung im Hinblick auf § 320 Abs. 2 Satz 3 ZPO von vornherein ausgeschlossen war. Tatbestandlichen Feststellungen kommt nämlich die Beweiskraft des § 314 Satz 1 ZPO nicht zu, wenn und soweit sie Widersprüche, Lücken oder Unklarheiten aufweisen und sich diese Mängel aus dem Urteil selbst ergeben (vgl.  - Rn. 21; - VI ZR 102/14 - Rn. 48). Das ist hier der Fall. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag der Klägerin in der Berufungsinstanz dahingehend wiedergegeben, dass er die Abänderung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung und eine Verurteilung der Beklagten „nach den Schlussanträgen der 1. Instanz“ umfasst. Der Inhalt der „Schlussanträge“ ist jedoch im Tatbestand des Berufungsurteils nicht angegeben.

194. Der Verstoß gegen § 308 Abs. 1 ZPO kann in der Revisionsinstanz grundsätzlich nicht dadurch geheilt werden, dass - wie hier von der Klägerin begehrt - die Zurückweisung der Revision beantragt wird, da dies eine in der Revisionsinstanz unzulässige Antragsänderung oder -erweiterung ermöglichen würde (vgl.  - Rn. 11).

205. Das Berufungsurteil ist aufzuheben und die Sache zur neuen Anhörung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat wegen des Mangels der Antragstellung in der Berufungsinstanz verwehrt.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:241017.U.1AZR166.16.0

Fundstelle(n):
NJW 2018 S. 571 Nr. 8
LAAAG-64043