BSG Beschluss v. - B 9 V 64/16 B

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Amtsermittlung - weiterer Ermittlungsbedarf bei fehlender Qualifikation des Sachverständigen - Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags - Angabe der zu begutachtenden Punkte bzw eines konkreten Beweisthemas

Gesetze: § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 103 SGG, § 109 SGG, § 118 Abs 1 SGG, § 403 ZPO, § 411 Abs 3 ZPO

Instanzenzug: Az: S 2 VJ 39/12 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 13 VJ 19/15 Urteil

Gründe

1I. Mit Urteil vom hat das LSG Nordrhein-Westfalen einen Anspruch des Klägers auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) verneint, weil nach dem Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen ein Impfschaden nach den in den Jahren 2008 und 2009 durchgeführten Impfungen gegen das Rotavirus, Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Haemophilus Influenzae b, Hepatitis B und Poliomyelitis sowie Pneumokokken nicht nachgewiesen sei. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt, die er mit dem Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) begründet. Das LSG habe in unzulässiger Weise den mit Schriftsatz vom gestellten und in der mündlichen Verhandlung vom zu Protokoll wiederholten Beweisantrag auf Einholung eines weiteren medizinischen Sachverständigengutachtens gemäß § 109 SGG und den gleichzeitig gestellten Hilfsantrag, den Sachverständigen PD Dr. I. aus B. im Termin zu hören, abgelehnt. Hierdurch werde der Amtsermittlungsgrundsatz verletzt. Auf diese weiteren Ermittlungen sei es nach der Rechtsauffassung des LSG auch angekommen, weil das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten des Radiologen Prof. Dr. H. nicht geeignet gewesen sei, um darauf eine abschließende Entscheidung zu stützen. Dieser sei als Radiologe nicht hinreichend qualifiziert, um Impfstoffe einzuordnen und Impfschäden zu begutachten bzw zu analysieren.

2II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der geltend gemachte Zulassungsgrund ist nicht ordnungsgemäß dargetan worden (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

3Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG, ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht, auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diesen Kriterien hat der Kläger nicht hinreichend Rechnung getragen.

4Soweit die Beschwerde die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens nach § 109 SGG rügt, vermag sie bereits deshalb nicht durchzudringen, weil die Rüge eines Verfahrensmangels insoweit gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG bereits ausgeschlossen ist. Dieser Rügeausschluss ist nach der eindeutigen Fassung des Gesetzes uneingeschränkt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 34; BSG SozR 1500 § 160a Nr 35) und von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (BVerfG SozR 1500 § 160 Nr 69).

5Soweit - wie vorliegend - Verstöße gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) gerügt werden, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils folgende Punkte enthalten: (1.) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2.) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3.) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4.) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5.) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN). Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung gleichfalls nicht gerecht.

6Soweit der Kläger vorträgt, das LSG habe von Amts wegen weiter ermitteln müssen, weil dem radiologischen Sachverständigen die fachliche Qualifikation zur Beurteilung ua von Kausalzusammenhängen gefehlt habe, trifft es zwar zu, dass fehlende Sachkunde weiteren Ermittlungsbedarf auch dann auslösen kann, wenn schon mehrere Gutachten vorliegen (vgl - Juris RdNr 6 mwN). Auch besteht nach § 118 Abs 1 SGG iVm § 411 Abs 3 ZPO zB dann ein zu einer Verpflichtung des Gerichts verdichtetes Ermessen zur Ladung des gerichtlichen Sachverständigen, um sein schriftliches Gutachten zu erläutern, wenn sich das Gericht hätte gedrängt fühlen müssen, hinsichtlich des von dem Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten behandelten Beweisthemas noch weitere Sachaufklärung zu betreiben (vgl - Juris). Hierzu hat der Kläger jedoch nicht ausreichend vorgetragen.

7Der Kläger hat bereits nicht aufgezeigt, dass er einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt habe. Zur Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags muss nicht nur die Stellung des Antrags, sondern auch aufgezeigt werden, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte durch welchen Sachverständigen Beweis erhoben werden sollte. Denn Merkmal eines Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Der Kläger legt jedoch lediglich dar, einen Antrag auf Einholung eines neueren Sachverständigengutachtens (sinngemäß) von Amts wegen sowie einen Hilfsantrag gestellt zu haben, den Sachverständigen PD Dr. I. aus B. im Termin zur mündlichen Verhandlung erneut zu hören, weil das Gutachten des Radiologen Prof. Dr. H. nicht geeignet gewesen sei, um darauf eine abschließende Entscheidung zu stützen. Diese Ausführungen des Klägers enthalten jedoch keine ausreichenden Angaben, denn die Angaben der zu begutachtenden Punkte iS von § 403 ZPO bzw eines konkreten Beweisthemas in dem Beweisantrag ist grundsätzlich nicht entbehrlich (; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6). Insoweit hätte der Kläger das von seinem Beweisantrag in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG am umfasste Beweisthema konkretisieren müssen. Denn das LSG ist als letztinstanzliche Tatsacheninstanz nur dann einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt, wenn es sich hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5). Insoweit hätte es des klägerseitigen Vortrags bedurft, weshalb nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen und medizinischen Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offengeblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden haben soll (vgl Becker, Die Nichtzulassungsbeschwerde zum BSG <Teil II>, SGb 2007, 328, 332 zu RdNr 188 unter Hinweis auf - mwN). Dies hat der Kläger versäumt. Die bloße Darstellung, weshalb aus seiner Sicht weitere Ermittlungen erforderlich gewesen wären, entspricht diesem Erfordernis nicht (vgl - RdNr 3). Schließlich hat es der Kläger insgesamt auch unterlassen darzulegen, welches Ergebnis im Falle einer weiteren Ermittlung durch bestimmte Sachverständige zu erwarten gewesen wäre (sog Entscheidungserheblichkeit). Tatsächlich kritisiert der Kläger die Beweiswürdigung des LSG (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG), womit er nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG von vornherein eine Revisionszulassung nicht erreichen kann. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger eine unzureichende Rechtsanwendung des LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).

8Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

9Die Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG).

10Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2016:151216BB9V6416B0

Fundstelle(n):
TAAAG-62844