Strafurteil: Erfassung aller anhängigen Straftaten im Urteilstenor bei Feststellung von mehr Straftaten in den Urteilsgründen; Behandlung durch das Revisionsgericht
Gesetze: § 267 StPO, § 353 StPO
Instanzenzug: Az: 4 KLs 610 Js 28957/15
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Freisprechung im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat zudem den Verfall von Wertersatz in Höhe von 6.710 € angeordnet, für den die Angeklagte in Höhe von 1.500 € mit dem nicht revidierenden Mitangeklagten als Gesamtschuldnerin haftet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg und erweist sich im Übrigen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargestellten Erwägungen als unbegründet.
21. Es liegt kein Verfahrenshindernis vor. Zwar enthält der Eröffnungsbeschluss vom ein unzutreffendes Datum, soweit darin die "Anklage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom (Aktenzeichen: 610 Js ) zur Hauptverhandlung zugelassen" wird. Dies führt aber nicht zur Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses (vgl. hierzu und vom - 5 StR 657/83, NStZ 1984, 133).
3Die Anklageschrift gegen die Angeklagte und den nicht revidierenden Mitangeklagten datiert auf den (Aktenzeichen: 610 Js ). Wenige Seiten vor dieser ist die Abschrift einer Anklage gegen einen anderen Beschuldigten abgeheftet, die das Datum trägt. Dem Eröffnungsbeschluss lässt sich aber durch die Angabe allein des die Angeklagte und den Mitangeklagten betreffenden Rubrums und die zweifache Angabe des Aktenzeichens der Anklage vom die eindeutige Willenserklärung des Gerichts entnehmen (vgl. ; MünchKommStPO/Wenske, 1. Aufl., § 207 Rn. 79), dass es die die beiden Angeklagten betreffende Anklage mit dem Aktenzeichen 610 Js zur Hauptverhandlung zugelassen hat.
42. Die Revision führt aber auf die Sachrüge zur Urteilsaufhebung hinsichtlich der Einzelstrafe für die Tat 2 der Urteilsgründe.
5a) Das Landgericht hat vier Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge festgestellt und hierfür Einzelstrafen von einem Jahr und neun Monaten und dreimal einem Jahr und drei Monaten verhängt. Einen entsprechenden Schuldspruch hat es aber weder verkündet noch ist er im Tenor der Urteilsurkunde enthalten.
6b) Der Senat hat erwogen, ob es sich bei dem Auseinanderfallen von Schuldspruch und Urteilsgründen um ein offensichtliches Verkündungs- bzw. Fassungsversehen handelt, wonach eine - vom Generalbundesanwalt beantragte - ausnahmsweise Ergänzung der Urteilsformel zulässig wäre. Die Voraussetzungen für eine solche Abänderung des Urteils liegen hier aber nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind "offensichtlich" nur solche Fehler, die sich ohne weiteres aus der Urkunde selbst oder aus solchen Tatsachen ergeben, die für alle Verfahrensbeteiligten klar zu Tage treten und auch nur den entfernten Verdacht einer späteren sachlichen Änderung ausschließen. Es muss - auch ohne Berichtigung - eindeutig erkennbar sein, was das Gericht tatsächlich gewollt und entschieden hat. Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer Berichtigung eine unzulässige Abänderung des Urteils einhergeht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 345/16 mwN und vom - 1 StR 471/16; Urteil vom - 2 StR 290/14, BGHR StPO § 267 Urteilsberichtigung 1 mwN; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 268 Rn. 10). Zwar spricht angesichts der späteren Abfassung der Urteilsgründe vieles dafür, dass sich das Landgericht bei dem verkündeten Tenor verzählt hat, jedoch ist dies nicht offensichtlich in dem dargestellten Sinne.
7Die Staatsanwaltschaft hat der Angeklagten in der Anklageschrift vom insgesamt acht Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last gelegt. Die zugelassene Nachtragsanklage vom erfasste einen weiteren Fall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge; mithin waren bei dem Landgericht neun vorgeworfene Taten anhängig geworden. Das verkündete Urteil bezog sich auf vier Taten, für die eine Verurteilung erging (dreimal Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und einmal Beihilfe zu einer solchen Tat). Ausweislich des verkündeten Tenors und des Tenors der Urteilsurkunde ist "im Übrigen", mithin für alle noch anhängig gewesenen Tatvorwürfe Freispruch erfolgt. Vor diesem Hintergrund war für die Verfahrensbeteiligten nicht erkennbar, dass tatsächlich für einen weiteren Tatvorwurf eine Verurteilung gewollt war, der Freispruch - entgegen des verkündeten Wortlauts - diese weitere Tat nicht erfassen sollte. Anhaltspunkte hierfür haben sich weder aus der Prozessgestaltung, noch aus dem die Tatvorwürfe teilweise bestreitenden Einlassungsverhalten der Angeklagten ergeben.
8Jedenfalls bei einer solchen, eindeutig alle anhängigen Taten ergreifenden Fassung des verkündeten Tenors kann allein der Umstand, dass in den Urteilsgründen mehr Taten festgestellt, bewertet und sanktioniert worden sind, als es dem verkündeten Urteilstenor entspricht, nicht dazu berechtigen, einen offensichtlichen Zählfehler anzunehmen (diese Frage offen lassend: , NStZ 2000, 386, wobei sich der Freispruch ausweislich der Entscheidungsgründe abweichend auf eine bezifferte Fallanzahl bezog). Eine Änderung der Urteilsformel liefe auf eine Durchbrechung des alle nicht verurteilten und noch anhängig gewesenen Vorwürfe erfassenden und rechtskräftig gewordenen Freispruchs hinaus.
9c) Da nicht zu bestimmen ist, für welche der Taten, für die das Landgericht eine Einzelfreiheitsstrafe verhängt hat, die Angeklagte nicht verurteilt, sondern freigesprochen worden ist, hebt der Senat die höchste Einzelfreiheitsstrafe auf und lässt sie entfallen. Der Wegfall der Einsatzstrafe führt zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Die Anordnung des Verfalls von Wertersatz ist von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:200617B1STR113.17.0
Fundstelle(n):
HAAAG-57259