Erbschaftsteuer als Masseverbindlichkeit
Leitsatz
Die Erbschaftsteuer auf Erwerbe des Insolvenzschuldners nach Insolvenzeröffnung ist Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO und als solche gegen den Insolvenzverwalter festzusetzen.
Gesetze: § 55 Abs 1 Nr 1 InsO, § 83 Abs 1 InsO, § 3 Abs 1 Nr 1 ErbStG 1997, § 251 AO, § 38 InsO
Instanzenzug: ,
Tatbestand
I.
1Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen des Insolvenzschuldners (A). Das Insolvenzverfahren über dessen Vermögen wurde im April 2010 eröffnet. A ist Alleinerbe der im Oktober 2010 verstorbenen Erblasserin. Er nahm die Erbschaft im Mai 2012 an.
2Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte mit Bescheid vom die Erbschaftsteuer in Höhe von 23.490 € gegen den Kläger als Insolvenzverwalter fest und forderte ihn zur Zahlung auf. Zugleich meldete das FA die Erbschaftsteuer zur Insolvenztabelle an.
3Der Kläger legte gegen den Bescheid Einspruch ein. Er begehrte neben dem Abzug eines Freibetrags von 20.000 € die Berücksichtigung weiterer Nachlassverbindlichkeiten. Das FA erließ am einen geänderten Bescheid, in welchem es dem Einspruch im Hinblick auf den begehrten Freibetrag abhalf und die Erbschaftsteuer auf 17.490 € herabsetzte. Der Bescheid erging wegen weiterer Nachlassverbindlichkeiten und Erbfallkosten vorläufig nach § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO). Dieser Bescheid wurde dem Kläger als Vertreter des A bekannt gegeben. Die zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung verminderte das FA entsprechend auf 17.490 €.
4Am erließ das FA einen weiteren Bescheid. Darin setzte es die Erbschaftsteuer unverändert auf 17.490 € fest, erklärte den Bescheid jedoch für endgültig. Dieser Bescheid erging wiederum gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter.
5Der Kläger legte gegen diesen Bescheid Einspruch ein. Zur Begründung trug er vor, bei der Erbschaftsteuer handele es sich um eine Insolvenzforderung und nicht um eine Masseverbindlichkeit. Sie dürfe daher nicht gegen ihn als Insolvenzverwalter festgesetzt werden.
6Das FA wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück. Seiner Auffassung nach sind Steueransprüche, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind, Masseforderungen i.S. des § 55 der Insolvenzordnung (InsO) und durch Steuerbescheide mit Leistungsgebot gegen den Insolvenzverwalter geltend zu machen. Entsprechendes gelte für die Erbschaftsteuer bei einem Erbanfall nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
7Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der Begründung statt, bei der Erbschaftsteuer handele es sich um eine Insolvenzforderung i.S. des § 38 InsO, die nur durch Anmeldung zur Insolvenztabelle geltend gemacht werden könne. Der gegenüber dem Kläger als Insolvenzverwalter erlassene Steuerbescheid sei daher unwirksam. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 1020, veröffentlicht.
8Mit der Revision rügt das FA die fehlerhafte Anwendung des § 351 Abs. 1 AO sowie der §§ 38 und 55 InsO.
9Das FA beantragt,die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
10Der Kläger beantragt,die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Gründe
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Ansicht des FG konnte das FA die Erbschaftsteuer gegen den Kläger als Insolvenzverwalter festsetzen.
121. Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis können gegen den Insolvenzverwalter nur festgesetzt werden, wenn sie Masseverbindlichkeiten und keine Insolvenzforderungen sind.
13a) Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens dürfen Steuerbescheide, die Insolvenzforderungen betreffen, nicht mehr ergehen. Das folgt aus dem in § 251 Abs. 2 Satz 1 AO normierten Grundsatz, wonach Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, die Insolvenzforderungen sind, nach Insolvenzeröffnung nur nach den Vorschriften der Insolvenzordnung geltend gemacht werden dürfen (, BFHE 201, 392, BStBl II 2003, 630, unter II.1., und vom I R 41/07, BFH/NV 2009, 719, unter II.2.a). Diese Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind zur Insolvenztabelle anzumelden und --im Falle des Bestreitens-- durch Insolvenzfeststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO gegenüber dem Insolvenzverwalter festzustellen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 201, 392, BStBl II 2003, 630, unter II.1.; in BFH/NV 2009, 719, unter II.2.a, und vom II R 34/14, BFHE 252, 389, BStBl II 2016, 482, Rz 23 f.). Ein förmlicher Steuerbescheid über einen Steueranspruch, der eine Insolvenzforderung betrifft, ist unwirksam (vgl. BFH-Urteil in BFHE 201, 392, BStBl II 2003, 630, unter II.1., m.w.N.).
14b) Insolvenzforderungen sind Forderungen, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet waren (vgl. § 38 InsO). Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen und (sonstigen) Masseverbindlichkeiten richtet sich ausschließlich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung. Auf die steuerliche Entstehung der Forderung und deren Fälligkeit kommt es dagegen nicht an (, BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759, Rz 18).
15c) Masseverbindlichkeiten sind Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO; BFH-Urteil in BFHE 241, 233, BStBl II 2013, 759, Rz 18). Die Einordnung einer Forderung als Masseverbindlichkeit dient der ordnungsgemäßen Verfahrensabwicklung und Verteilung der Insolvenzmasse (, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungsreport Zivilrecht 2006, 989). Dies rechtfertigt die Vorwegbefriedigung der Massegläubiger nach § 53 InsO (vgl. Hefermehl in MünchKommInsO, 3. Aufl. 2013, § 55 InsO Rz 1).
162. Erbt der Insolvenzschuldner nach Insolvenzeröffnung, ist die auf den Erwerb entfallende Erbschaftsteuer als Masseverbindlichkeit gegen den Insolvenzverwalter festzusetzen.
17a) Ist der Schuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder während des Verfahrens Erbe geworden, fällt der Nachlass zunächst vorläufig in die Insolvenzmasse (, BGHZ 167, 352, unter II.1.a). Die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft steht nicht dem Insolvenzverwalter, sondern ausschließlich dem Schuldner zu (§ 83 Abs. 1 InsO). Hat der Insolvenzschuldner die Erbschaft ausdrücklich angenommen oder gilt die Erbschaft nach Ablauf der Ausschlagungsfrist als angenommen, kann er sie nach § 1943 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) nicht mehr ausschlagen; es tritt hinsichtlich der Erbschaft Vollerwerb ein (Schumann in MünchKommInsO, a.a.O., § 83 Rz 3; vgl. Palandt/Weidlich, Bürgerliches Gesetzbuch, 76. Aufl., § 1942 Rz 2). Ab diesem Zeitpunkt ist der Nachlass endgültig Bestandteil der Insolvenzmasse (BGH-Urteil in BGHZ 167, 352, unter II.1.a, m.w.N.). Die Nachlassgläubiger und die Eigengläubiger des Erben (Erbengläubiger) sind aus der Insolvenzmasse zu befriedigen, sofern nicht eine Trennung der Vermögensmassen durch Insolvenzverwalter, Erben oder Nachlassgläubiger herbeigeführt wird, namentlich durch Beantragung der Nachlassverwaltung oder des Nachlassinsolvenzverfahrens, §§ 1975 ff. BGB (vgl. BGH-Urteil in BGHZ 167, 352, unter II.1.a).
18b) Die vom Erben als Gesamtrechtsnachfolger aufgrund Erbanfalls geschuldete Erbschaftsteuer ist eine Nachlassverbindlichkeit. Sie erfüllt alle Voraussetzungen einer Erbfallschuld, denn sie entsteht allein aus Anlass des Erbfalls und ohne Zutun des Erben (BFH-Urteil in BFHE 252, 389, BStBl II 2016, 482, Rz 12, m.w.N.). Unerheblich ist, dass die Erbschaftsteuer gegen den Erben persönlich und nicht gegen den Nachlass als solchen festgesetzt wird. Dadurch unterscheidet sich die Erbschaftsteuer nicht von anderen Erbfallschulden wie z.B. Beerdigungskosten, die in der Person des Erben entstehen und die im Falle der Nachlassinsolvenz ebenfalls als Nachlassinsolvenzforderungen geltend zu machen sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 252, 389, BStBl II 2016, 482, Rz 12, und , Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge 2007, 381).
19c) Die Erbschaftsteuer auf Erwerbe des Insolvenzschuldners nach Insolvenzeröffnung ist keine Insolvenzforderung, weil der Grund für ihr Entstehen erst durch den Erbanfall und damit nach Insolvenzeröffnung eingetreten ist.
20d) Sie ist vielmehr Masseverbindlichkeit i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Dies folgt zwar nicht aus § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 InsO, denn die Erbschaftsteuer wird nicht durch eine Handlung des Insolvenzverwalters ausgelöst. Sie wird jedoch i.S. des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet.
21§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO erfordert keine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters. Die Vorschrift kann vielmehr auch eine kraft Gesetzes entstehende Steuerschuld erfassen (, BFH/NV 2017, 317, Rz 29). So ist beispielsweise die Einkommensteuerschuld, die dadurch begründet wird, dass der Gesellschafter einer Personengesellschaft aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen aus der Gesellschaft ausscheidet und sich dabei ein Veräußerungsgewinn ergibt, eine Masseverbindlichkeit, obwohl der Insolvenzverwalter insoweit nicht tätig wird. Entscheidend ist, dass die Beteiligung an der Personengesellschaft im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch Teil der Insolvenzmasse ist und das anschließend angefallene Auseinandersetzungsguthaben in die Insolvenzmasse fällt (BFH-Urteil in BFH/NV 2017, 317, Rz 29).
22Gleiches gilt für die Erbschaftsteuer, die deshalb entsteht, weil der Insolvenzschuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Erbe wird. Entscheidend ist auch in diesem Zusammenhang, dass der Nachlass in die Insolvenzmasse fällt. Unerheblich ist, dass dies ebenso wie die Entstehung der Steuer ohne Mitwirkung des Insolvenzverwalters geschieht und nach § 83 Abs. 1 Satz 1 InsO die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft nur dem Insolvenzschuldner, nicht aber dem Insolvenzverwalter zusteht.
23Die Erbschaftsteuer beruht nicht auf der Annahme der Erbschaft durch den Insolvenzschuldner, sondern entsteht kraft Gesetzes nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) i.V.m. § 1922 BGB, und zwar bereits im Zeitpunkt des Todes des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG).
24e) Die Rechtsauffassung des BGH, wonach die Nachlassgläubiger und die Eigengläubiger des Erben (Erbengläubiger) aus der um den Nachlass erweiterten Insolvenzmasse zu befriedigen sind (vgl. BGH-Urteil in BGHZ 167, 352, unter II.1.a), steht der Annahme, dass die Erbschaftsteuer als Masseverbindlichkeit gegen den Insolvenzverwalter geltend zu machen ist, nicht entgegen. Der BGH hat nicht entschieden, dass die Nachlassgläubiger stets nur wie Insolvenzgläubiger zu befriedigen sind. Dies war auch nicht erforderlich, weil der Erbfall dort bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingetreten war.
253. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der angefochtene Erbschaftsteuerbescheid vom ist rechtmäßig. Darin hat das FA die Erbschaftsteuer zutreffend als Masseverbindlichkeit gegen den Kläger als Insolvenzverwalter festgesetzt. Die Rechtmäßigkeit dieses Bescheids wird nicht dadurch berührt, dass das FA --vorsichtshalber aber unzutreffend-- die Erbschaftsteuer zugleich als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle angemeldet hat. Auf die Beantwortung der Frage, ob der Kläger bereits in seiner Anfechtungsmöglichkeit nach § 351 Abs. 1 AO beschränkt gewesen ist, kommt es danach nicht an.
26Die Erbschaftsteuer ist auch der Höhe nach zutreffend festgesetzt worden. Insbesondere kann der Kläger --wie er selbst einräumt-- keine Einwendungen gegen die Höhe des gesondert festgestellten Grundbesitzwerts erheben. Der Grundbesitzwert wurde gegenüber der amtlich bestellten Nachlasspflegerin als gesetzlicher Vertreterin der zunächst unbekannten Erben wirksam festgestellt (vgl. , BFH/NV 2005, 704). Dem steht nicht entgegen, dass über das Vermögen des Insolvenzschuldners A zu diesem Zeitpunkt bereits das Insolvenzverfahren eröffnet war. Da die Erbenstellung des Insolvenzschuldners seinerzeit noch nicht feststand, konnte der Feststellungsbescheid nur gegenüber der Nachlasspflegerin ergehen. Dem Insolvenzverfahren kam insoweit noch keine Bedeutung zu.
274. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2017:U.050417.IIR30.15.0
Fundstelle(n):
BStBl 2017 II Seite 971
BB 2017 S. 1814 Nr. 32
BFH/NV 2017 S. 1265 Nr. 9
BFH/PR 2017 S. 334 Nr. 10
BStBl II 2017 S. 971 Nr. 20
DB 2017 S. 1759 Nr. 31
DStR 2017 S. 1703 Nr. 31
DStRE 2017 S. 1076 Nr. 17
ErbBstg 2017 S. 209 Nr. 9
ErbStB 2017 S. 302 Nr. 10
HFR 2017 S. 950 Nr. 10
KÖSDI 2017 S. 20440 Nr. 9
NJW 2017 S. 10 Nr. 33
NWB-EV 2017 S. 299 Nr. 9
NWB-Eilnachricht Nr. 32/2017 S. 2405
StB 2017 S. 246 Nr. 9
ZIP 2017 S. 1526 Nr. 32
WAAAG-52011