Anspruch eines teilzeitbeschäftigten Mitglieds der Mitarbeitervertretung auf Freizeitausgleich
Gesetze: § 611 BGB, § 4 Abs 1 S 1 TzBfG, § 19 Abs 3 S 1 EvKiMAVertrG ND, § 19 Abs 2 S 5 EvKiMAVertrG ND
Instanzenzug: ArbG Braunschweig Az: 8 Ca 216/15 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 8 Sa 364/16 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über den Anspruch eines teilzeitbeschäftigten Mitglieds der Mitarbeitervertretung auf Freizeitausgleich.
2Der beklagte Verein ist ein diakonisches Unternehmen, auf das das Kirchengesetz der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen über Mitarbeitervertretungen (MVG-K) vom (Kirchl. Amtsbl. Hannover S. 76, berichtigt S. 202) idF der Verordnung vom (Kirchl. Amtsbl. Hannover S. 198) Anwendung findet. Die Klägerin ist bei ihm mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 25 Stunden beschäftigt. Sie ist Mitglied der beim Beklagten gewählten Mitarbeitervertretung. Mit Zustimmung des Beklagten nahm sie in der Zeit vom 18. bis an einem Rhetorikseminar teil. In diesem Seminar wurden erforderliche Kenntnisse für die Tätigkeit in der Mitarbeitervertretung vermittelt. Die tägliche Seminarzeit ging über die übliche Arbeitszeit der Klägerin hinaus. Insgesamt brachte sie nach Feststellung des Landesarbeitsgerichts 13,5 Stunden an Freizeit ein, für die der Beklagte der Klägerin keinen Ausgleich gewährte.
3Zur Rechtsstellung der Mitglieder der Mitarbeitervertretung bestimmt das MVG-K Folgendes:
4Die Klägerin hat unter Bezug auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom (- 17 Sa 392/14 -) die Auffassung vertreten, ihr stünden die begehrten 13,5 Stunden Freizeitausgleich gemäß § 611 BGB iVm. § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG zu. Die Ausgestaltung der Tätigkeit in der Mitarbeitervertretung als Ehrenamt erfordere keine schlechtere Behandlung von Teilzeitkräften. Das zusätzliche Freizeitopfer, das nur von Teilzeitbeschäftigten verlangt werde, sei zur Wahrung des Ehrenamtsprinzips weder erforderlich noch angemessen.
5Die Klägerin hat beantragt,
6Der Beklagte hat zur Begründung seines Klageabweisungsantrags unter Berufung auf die Entscheidung des - 1 AZR 646/07 -) vorgetragen, das Ehrenamtsprinzip wahre die innere Unabhängigkeit der Mitglieder einer Mitarbeitervertretung. Es unterliege der Einschätzungsprärogative des kirchlichen Gesetzgebers, ob er annehme, das Prinzip der Ehrenamtlichkeit sei die beste Sicherung für die Unabhängigkeit der Mitglieder der Mitarbeitervertretung.
7Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Berufung zugelassen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Ziel der Klageabweisung weiter.
Gründe
8Die Revision ist begründet. Der Klägerin steht der begehrte Freizeitanspruch nicht zu.
9I. Für die Entscheidung sind die staatlichen Gerichte zuständig und können das dem Rechtsstreit zugrundeliegende kirchliche Recht auslegen und auf seine Wirksamkeit überprüfen.
101. Fragen des bürgerlichen Rechts unterliegen als Streitigkeiten aus einem für alle geltendem Gesetz iSv. Art. 137 Abs. 3 WRV grundsätzlich der staatlichen Gerichtsbarkeit. Die staatliche Verpflichtung zur Gewährung von Rechtsschutz erstreckt sich auch auf die Kirchen und ihre karitativen Einrichtungen. Die Zuständigkeit staatlicher Gerichte ist lediglich bei Streitigkeiten, in denen es ausschließlich um die Anwendung des kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts geht, ausgeschlossen (Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV). Sind die staatlichen Gerichte zuständig, müssen sie auch das kirchliche Recht anwenden, wenn von ihm die Entscheidung des Rechtsstreits abhängt. Insoweit sind sie zu einer eigenen Auslegung befugt, es sei denn, die Kirchen hätten sich eine Vorfragenkompetenz vorbehalten ( - Rn. 19 ff., BAGE 148, 97; - 1 AZR 646/07 - Rn. 9).
112. Nach diesen Grundsätzen sind die Gerichte für Arbeitssachen im vorliegenden Rechtsstreit zur Entscheidung berufen (vgl. - Rn. 10 f.).
12a) Der Anspruch der Klägerin auf bezahlten Freizeitausgleich resultiert aus dem individuellen Arbeitsrecht. Streitgegenstand ist ungeachtet der zu seiner Entscheidung erforderlichen Auslegung und Anwendung kirchenrechtlicher Bestimmungen allein ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis.
13b) Eine Vorfragenkompetenz kirchlicher Gerichte besteht nicht. Die Zuständigkeit der Kirchengerichte ist nach dem MVG-K auf Streitigkeiten zwischen den Mitarbeitervertretungen und kirchlichen Dienststellen beschränkt. Für individualrechtliche Streitigkeiten zwischen kirchlichen Arbeitnehmern und ihren Dienstgebern sind sie nicht zuständig. Das gilt sogar dann, wenn die Mitarbeitervertretung Individualansprüche ihrer Mitglieder auf bezahlten Freizeitausgleich wegen der Teilnahme an einer Schulung außerhalb der persönlichen Arbeitszeit verfolgt (KGH.EKD - Senate für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten - - I-0124/T55-11 - Rn. 15; vgl. zur abweichenden Rechtslage nach § 16 Abs. 1 MAVO KAGH - M 02/08 - zu II 1 der Gründe).
14II. Der Antrag zielt bei gebotener Auslegung auf die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die Teilnahme an dem Seminar vom 18. bis Freizeitausgleich von weiteren 13,5 Stunden in von dem Beklagten zu konkretisierender Lage zu gewähren. Das hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung auf Hinweis des Senats klargestellt. In dieser Auslegung ist der Antrag hinreichend bestimmt und weist das erforderliche Feststellungsinteresse auf.
15III. Die Klage ist unbegründet.
161. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf den begehrten Freizeitausgleich aus § 611 BGB iVm. § 19 Abs. 3 Satz 1 MVG-K. Diese Bestimmung sieht keinen Freizeitausgleich für die Lehrgangszeiten vor, die über den Umfang der regelmäßigen Arbeitszeit des Mitglieds der Mitarbeitervertretung hinausgehen. Der Anspruch folgt auch nicht aus § 19 Abs. 2 Satz 5 MVG-K. Diese Bestimmung wird von § 19 Abs. 3 MVG-K nicht in Bezug genommen. Die Arbeitsbefreiung für die Teilnahme an Tagungen und Lehrgängen ist nach der Systematik des MVG-K ausschließlich Gegenstand von § 19 Abs. 3 MVG-K ( - Rn. 13 ff.).
172. Der Anspruch folgt entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts auch nicht aus § 611 BGB iVm. § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG. Dabei kann dahinstehen, inwieweit kirchliche Regelungen über die Rechte von Mitgliedern der Mitarbeitervertretung einer uneingeschränkten Kontrolle am Maßstab des TzBfG unterliegen (offengelassen auch von - Rn. 18; gegen eine Anwendung des TzBfG Eichstätter Kommentar/Eder § 16 MAVO Rn. 58). Die Benachteiligung teilzeitbeschäftigter Mitglieder der Mitarbeitervertretung, die darin liegt, dass § 19 Abs. 3 Satz 1 MVG-K ihnen einen Anspruch auf vergüteten Freizeitausgleich für Lehrgangszeiten verwehrt, die über den Umfang ihrer regelmäßigen Arbeitszeit hinausgehen, wäre selbst bei uneingeschränkter Anwendung des TzBfG bei Beachtung der Einschätzungsprärogative des kirchlichen Gesetzgebers durch das Ehrenamtsprinzip gerechtfertigt.
18a) Teilzeitbeschäftigte Mitglieder der Mitarbeitervertretung werden gegenüber vollzeitbeschäftigten Mitgliedern eines solchen Gremiums benachteiligt. Sie erhalten für die gleiche für eine erforderliche Schulung aufgewandte Zeit eine geringere Gesamtvergütung, weil sie kein Entgelt für die außerhalb ihrer individuellen Arbeitszeit aufgewandte Zeit bekommen ( - [Lewark] Rn. 26, Slg. 1996, I-245; - C-360/90 - [Bötel] Rn. 5 f., Slg. 1992, I-3589; kritisch zu diesem Ansatz: EUArbR/Kietaibl RL 97/81/EG Anh. § 4 Rn. 22; EUArbR/Mohr RL 2000/78/EG Art. 3 Rn. 27).
19b) Diese Benachteiligung ist jedoch durch sachliche Gründe iSd. § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG gerechtfertigt. Sie ist Konsequenz der Ausgestaltung des Amtes eines Mitarbeitervertreters als unentgeltliches Ehrenamt in §§ 19 ff. MVG-K und ist zur Erreichung dieses Zwecks geeignet und erforderlich (zu diesen Rechtfertigungsanforderungen: - [O’Brien] Rn. 64, 66; - Rn. 35).
20aa) Das aus dem Grundsatz der Ehrenamtlichkeit in § 19 Abs. 1 Satz 1 MVG-K folgende und im MVG-K uneingeschränkt befolgte Lohnausfallprinzip schließt es aus, dass Mitglieder der Mitarbeitervertretung auch nur einen geringen Teil ihrer Vergütung wegen oder aufgrund ihres Amtes erhalten. Die durch das Ehrenamtsprinzip gesicherte innere und äußere Unabhängigkeit der Mitglieder der Mitarbeitervertretung ist maßgebliche Voraussetzung für die sachgerechte Durchführung von Mitwirkung und Mitbestimmung nach dem MVG-K. Die ausnahmslose Einhaltung des Ehrenamtsprinzips und der daraus folgende Ausschluss der Freizeitausgleichsansprüche teilzeitbeschäftigter Mitglieder der Mitarbeitervertretung ist geeignet und erforderlich zur Erreichung dieses Ziels (vgl. für § 19 Abs. 3 Satz 1 MVG-EKD aF - Rn. 18 ff.; für § 37 Abs. 6 BetrVG aF - zu II 4 b und c der Gründe, BAGE 85, 224).
21bb) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das Ehrenamtsprinzip werde durch einen über die regelmäßige Arbeitszeit von teilzeitbeschäftigten Mitgliedern der Mitarbeitervertretung hinausgehenden Freizeitausgleich nicht gefährdet, trägt der Einschätzungsprärogative des kirchlichen Gesetzgebers nicht ausreichend Rechnung.
22(1) Allerdings führt die Einbeziehung eines Freizeitausgleichs in die Ausgleichsansprüche von Gremienmitgliedern kollektiver Arbeitnehmervertretungen, wie sie inzwischen § 37 Abs. 6 BetrVG idF des Gesetzes zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom (BetrVerf-Reformgesetz, BGBl. I S. 1852), § 16 Abs. 1 Satz 3 MAVO sowie § 19 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 des Zweiten Kirchengesetzes über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche Deutschland 2013 vom (MVG-EKD, ABl. EKD S. 425), das zahlreiche Gliedkirchen übernommen haben (sh. die Zusammenstellung bei KR/Fischermeier 17. Aufl. Kirchliche Arbeitnehmer Rn. 18), vorsehen, nach Einschätzung des jeweiligen Normgebers nicht zu einer gravierenden Durchbrechung des Prinzips der Ehrenamtlichkeit (vgl. BT-Drs. 14/5741 S. 40 f.; Weber GK-BetrVG 10. Aufl. § 37 Rn. 223 mwN zum Streitstand; Greßlin Teilzeitbeschäftigte Betriebsratsmitglieder S. 88).
23(2) Der Einschätzungsprärogative des kirchlichen Normgebers, die sich auch auf die Geeignetheit und Erforderlichkeit der zur Erreichung des gesetzten Ziels verwendeten Mittel bezieht (vgl. - Rn. 21, BVerfGK 18, 116; - 1 BvR 1054/01 - Rn. 116, BVerfGE 115, 276), unterliegt jedoch auch die Entscheidung, ob er am strikten Ehrenamtsprinzip festhalten will, weil er nur so die Unabhängigkeit der Mitglieder der Mitarbeitervertretung als gewahrt ansieht. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts kann darum aus dem Umstand, dass andere, auch kirchliche, Normgeber für ihren Regelungsbereich eine andere Entscheidung getroffen haben, nicht geschlossen werden, dass der Freizeitausgleich für teilzeitbeschäftigte Mitarbeitervertretungsmitglieder ein milderes Mittel gegenüber dem in § 19 Abs. 3 Satz 1 MVG-K ausgedrückten strikten Lohnausfallprinzip ist. Vielmehr liegen insoweit unterschiedliche Regelungskonzepte vor, die voneinander abweichen. Das abweichende Konzept des kirchlichen Gesetzgebers des MVG-K ist von den staatlichen Gerichten zu respektieren (im Ergebnis ebenso KAGH - M 02/08 - zu II 3 d der Gründe; HK-TzBfG/Joussen 4. Aufl. § 4 Rn. 41; Thiel Anm. ZMV 2008, 202, 203; Küfner-Schmitt in Berliner Kommentar zum MVG.EKD 2006 § 19 Rn. 39; Joussen in MAVO Freiburger Kommentar zur Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung Stand Februar 2015 § 16 Rn. 97; ErfK/Schmidt 17. Aufl. Art. 4 GG Rn. 58). Dies gilt umso mehr, als die Mitarbeitervertretung von dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland und damit auch von den ihm angeschlossenen Arbeitgebern als Teil der Organisation, die ihrem Sendungsauftrag dient, und damit als kirchliches Amt verstanden wird (vgl. - zu B 4 a der Gründe, BAGE 51, 238; ErfK/Schmidt aaO), so dass es an der Selbstverwaltungsgarantie in Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV teilhat (vgl. Reichold ZTR 2016, 295 unter 4.1). Deswegen ist dem Selbstverständnis des kirchlichen Gesetzgebers besonderes Gewicht beizumessen (vgl. - Rn. 110 f., BVerfGE 137, 273). Anderenfalls bliebe die Eigenart der Kirchen folgenlos, so dass deren Selbstbestimmungsrecht unverhältnismäßig eingeschränkt wäre (ErfK/Schmidt aaO Rn. 42).
24(3) Ob die Einschätzungsprärogative des kirchlichen Gesetzgebers überschritten wäre, wenn durch § 19 Abs. 3 MVG-K kirchliche Arbeitnehmer, die in Teilzeit beschäftigt sind, in einem Ausmaß davon abgehalten würden, an Schulungen teilzunehmen oder für ein Amt in der Mitarbeitervertretung zu kandidieren, das die Funktionsfähigkeit der Mitarbeitervertretung gefährdet, kann dahinstehen. Das Landesarbeitsgericht hat mangels entsprechenden Tatsachenvortrags derartige Feststellungen nicht getroffen. Die von der Klägerin in der Revisionsinstanz vorgebrachte abstrakte Gefahr, dass § 19 Abs. 3 MVG-K möglicherweise Teilzeitbeschäftigte von Schulungen oder Kandidaturen für die Mitarbeitervertretung abhält, wiegt nicht so schwer, dass sie bei der erforderlichen Abwägung den Ausschlag zur Einschränkung der Einschätzungsprärogative des kirchlichen Gesetzgebers gibt.
25IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:010617.U.6AZR495.16.0
Fundstelle(n):
NJW 2017 S. 10 Nr. 37
QAAAG-51482