BFH Urteil v. - II R 46/98

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerinnen und Revisionsklägerinnen (Klägerinnen) sind neben ihrer Mutter (M) Miterbinnen zu je einem Viertel nach ihrem am verstorbenen Vater V.

V hatte durch notariell beurkundeten Vertrag vom GmbH-Geschäftsanteile und einen Kommanditanteil für ... DM an Herrn K veräußert. Zwei Teilbeträge des Kaufpreises in Höhe von jeweils ... DM waren bis zum sowie nach Vorlage der geprüften Jahresabschlüsse der Beteiligungsunternehmen auf den zu zahlen. Der verbleibende Betrag war in verzinslichen Raten von ... DM jährlich nachträglich, erstmals am , zu entrichten. Für den Fall, dass das in den Bilanzen der Unternehmen zum ausgewiesene Eigenkapital insgesamt einen Betrag von ... DM nicht erreichte, war eine entsprechende Ermäßigung des Kaufpreises vorgesehen.

M, die von V als Testamentsvollstreckerin eingesetzt worden war, setzte die Kaufpreisrestforderung gegen K in Höhe von ... DM in der Erbschaftsteuererklärung im Hinblick auf einen von K geltend gemachten Teilwertabschlag von ... DM mit lediglich ... DM an. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) folgte dem in Erbschaftsteuerbescheiden vom , die u.a. hinsichtlich der Kaufpreisrestforderung vorläufig i.S. von § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) ergingen.

Durch eine Zusatzvereinbarung vom legten M und K den im Vertrag vom vereinbarten Kaufpreis auf ... DM fest. Das FA erließ, nachdem es von dieser Vereinbarung Kenntnis erhalten hatte, geänderte Erbschaftsteuerbescheide vom , in denen es die Kaufpreisrestforderung nur noch mit einem Betrag in Höhe von ... DM ansetzte. Die Bescheide wurden insoweit für endgültig erklärt.

Die am…1991 eröffneten Konkursverfahren über das Vermögen der Unternehmen, deren Anteile K erworben hatte, wurden am…1991 mangels einer den Kosten des Verfahrens entsprechenden Masse eingestellt. K geriet ebenfalls in Vermögensverfall. Die Kaufpreisrestforderung, auf die K weder Zinsen noch Tilgungen leisten konnte, belief sich auf ... DM. Den unter Hinweis auf den (BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897) gestellten Antrag der Klägerinnen, den Ausfall der Forderung wertmindernd zu berücksichtigen und die Erbschaftsteuerbescheide gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 entsprechend zu ändern, lehnte das FA durch Bescheide vom ab.

Einsprüche und Klagen blieben erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 1554 veröffentlicht.

Mit der vom FG zugelassenen Revision machen die Klägerinnen Verletzung materiellen Rechts geltend.

Sie beantragen sinngemäß, das , die ablehnenden Bescheide vom sowie die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und das FA zu verpflichten, die geänderten Erbschaftsteuerbescheide vom dahin zu ändern, dass die Erbschaftsteuer jeweils nach einem um ... DM geringeren steuerpflichtigen Erwerb festgesetzt wird.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat zutreffend erkannt, dass der Ausfall einer zum Nachlass gehörenden Forderung aufgrund von Umständen, die erst nach dem Todestag des Erblassers eingetreten sind, erbschaftsteuerrechtlich kein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 darstellt.

Ein Steuerbescheid ist nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Erforderlich ist damit zunächst, dass das spätere Ereignis den nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalt anders gestaltet. Die Änderung muss sich darüber hinaus steuerlich in der Vergangenheit auswirken, und zwar in der Weise, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Ob der nachträglichen Änderung des Sachverhalts diese Bedeutung zukommt, ob sie mit anderen Worten dazu führt, dass bereits eingetretene steuerliche Rechtsfolgen mit Wirkung für die Vergangenheit sich ändern oder vollständig entfallen, bestimmt sich allein nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (BFH-Beschluss in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C. II. 1. b u. c).

a) Die Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) lassen es nicht zu, den Ausfall einer zum Nachlass gehörenden Forderung aufgrund von Umständen, die erst nach dem Todestag des Erblassers eingetreten sind, nachträglich zu berücksichtigen. Die Erbschaftsteuer entsteht bei Erwerben von Todes wegen mit dem Tod des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Dieser Zeitpunkt ist nach § 11 ErbStG zugleich für die Wertermittlung maßgeblich. Sie stellt damit eine Momentaufnahme dar und nicht das Ergebnis einer dynamischen Betrachtung, mit der sich auch die weitere wertmäßige Entwicklung des Erwerbs erfassen ließe. Dies schließt es aus, nachträglich eingetretene, d.h. am Bewertungsstichtag noch nicht vorhandene Umstände auf diesen Zeitpunkt zurückzubeziehen (vgl. BFH-Entscheidungen vom II R 98/97, BFH/NV 1998, 1376, und vom II B 130/97, BFH/NV 2000, 320, jeweils m.w.N.). § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist deshalb im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer nur dann anwendbar, wenn der Gesetzgeber —wie in den Fällen des § 29 Abs. 1 ErbStG— vorsieht, dass einem nach der Entstehung der Steuer eintretenden Ereignis Wirkung für die Vergangenheit zukommt.

b) Nach den von den Klägerinnen nicht angegriffenen und daher nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG sind die Umstände, die zum Vermögensverfall des K und damit zum Ausfall der Restkaufpreisforderung geführt haben, erst nach dem Tod des V eingetreten. Das FG hat deshalb einen Anspruch der Klägerinnen auf Änderung der Erbschaftsteuerbescheide nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 rechtsfehlerfrei verneint. Ein Anspruch auf Änderung der Erbschaftsteuerbescheide ergibt sich auch nicht aus § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977. Voraussetzung dafür wäre u.a., dass die Tatsachen, auf die der Änderungsantrag gestützt wird, im Zeitpunkt der Steuerentstehung bereits vorhanden und nur noch nicht bekannt waren. Hierfür ergibt sich nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt kein Anhaltspunkt.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2001 S. 420 Nr. 4
UAAAA-66832