Örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts beim Streit um die Erteilung einer einstweiligen Erlaubnis für die Weiterführung eines Linienverkehrs
Leitsatz
Die Streitigkeit um die Erteilung einer einstweiligen Erlaubnis für die Weiterführung eines Linienverkehrs (§ 20 PBefG) bezieht sich nicht auf ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis im Sinne von § 52 Nr. 1 VwGO; die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts richtet sich in solchen Fällen nach § 52 Nr. 3 VwGO.
Gesetze: § 52 Nr 1 VwGO, § 52 Nr 3 VwGO, § 53 Abs 1 Nr 3 VwGO, § 53 Abs 3 VwGO, § 20 PBefG, § 13 Abs 1a PBefG
Instanzenzug: VG Stade Az: 1 A 1424/15
Gründe
11. Die Klägerin, ein Personenbeförderungsunternehmen, begehrt die Erteilung einstweiliger Erlaubnisse nach § 20 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG), hilfsweise die Genehmigung einer gemeinwirtschaftlichen Verkehrserbringung auf den betreffenden Linien.
2Unter dem sowie dem beantragte die Klägerin bei der Beklagten, ihr die Erbringung von eigenwirtschaftlichen Verkehrsleistungen in den dem Linienbündel Osterholz-West zugeordneten Linien 641, 642, 643, 644, 645, 646, 650 und 677 für die Zeit ab dem bis zum wieder zu genehmigen. Die Beklagte lehnte die Anträge mit Bescheid vom ab und setzte mit Bescheid vom die Kosten für diese Entscheidung fest. Die Klägerin hat unter dem Klage gegen den Bescheid vom beim Verwaltungsgericht Stade erhoben und beantragt mit einem Haupt- und 16 Hilfsanträgen, ihr eine Linienverkehrsgenehmigung für den Zeitraum vom bis zum zu erteilen. Mit Schreiben vom beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Erteilung von einstweiligen Erlaubnissen (§ 20 PBefG) für die weitere Durchführung des Linienverkehrs auf den Linien 641, 642, 643, 644, 645, 646 und 650 sowie hilfsweise die Erteilung einer Genehmigung für die gemeinwirtschaftliche Durchführung dieser Linienverkehre. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom die Erteilung der beantragten einstweiligen Erlaubnisse ab und erteilte der Klägerin die Genehmigung für die gemeinwirtschaftliche Verkehrserbringung. Die Klägerin hat hiergegen am Klage beim Verwaltungsgericht Stade erhoben (VG 1 A 1424/15).
3Das Verwaltungsgericht Stade hat in diesem Verfahren das Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts angerufen. Die Streitigkeit beziehe sich auf ein ortsgebundenes Recht im Sinne von § 52 Nr. 1 VwGO. Es komme eine Zuständigkeit sowohl des Verwaltungsgerichts Stade als auch des Verwaltungsgerichts Bremen in Betracht, da die Linie 644 zum Teil im Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgerichts Stade und zum Teil in dem des Verwaltungsgerichts Bremen verlaufe. Daher komme die örtliche Zuständigkeit beider Verwaltungsgerichte in Betracht.
42. Die Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts ist unzulässig. Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 53 Abs. 3 VwGO sind nicht erfüllt, weil für das Streitverfahren nicht die Zuständigkeit verschiedener Gerichte in Betracht kommt. Die Streitigkeit bezieht sich nicht auf ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis im Sinne von § 52 Nr. 1 VwGO; vielmehr richtet sich die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts für das Verpflichtungsbegehren der Klägerin nach § 52 Nr. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 5 VwGO.
5Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO wird das zuständige Gericht innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch das nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn der Gerichtsstand sich nach § 52 VwGO richtet und verschiedene Gerichte in Betracht kommen. Kommen Gerichtsstände in mehreren Bundesländern in Betracht, ist das nächsthöhere Gericht im Sinne dieser Regelung das Bundesverwaltungsgericht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 2 AV 1.95 - NVwZ 1996, 998 m.w.N. und vom - 7 ER 420.62 - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 2 S. 2).
6Die strittige Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf die Erteilung der beantragten einstweiligen Erlaubnisse oder (hilfsweise) auf Genehmigung der gemeinwirtschaftlichen Verkehrserbringung auf diesen Linien hat, betrifft nicht ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis im Sinne von § 52 Nr. 1 VwGO. Nach dieser Regelung ist bei Streitigkeiten, die sich auf unbewegliches Vermögen oder ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis beziehen, nur das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Vermögen oder der Ort liegt.
7a) Den Gesetzgebungsmaterialien zu § 52 Nr. 1 VwGO (BT-Drs. 3/55 S. 35) ist zu entnehmen, dass durch diese Regelung nicht nur die sogenannten radizierten Realrechte, sondern auch andere Rechte erfasst werden sollen, die zu einem bestimmten Territorium in besonderer Beziehung stehen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 7 AV 11.96 u.a. - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 37 und vom - 2 ER 402.63 - BVerwGE 18, 26 <28>).
8Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehören zu den ortsgebundenen Rechten im Sinne dieser Regelung vor allem die an ein bestimmtes Grundstück geknüpften Rechte, weil sie unter Voraussetzung dieser örtlichen Gebundenheit eingeräumt sind. Ferner zählen dazu die nur in der natürlichen Ausübung an Grundstücke gebundenen Rechte, weil auch in diesen Fällen die in § 52 Nr. 1 VwGO vorausgesetzte weitgehende Verbindung zwischen dem strittigen Recht und dem Territorium besteht, auf dem es ausgeübt wird. Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht § 52 Nr. 1 VwGO in einem Verwaltungsrechtsstreit für anwendbar erachtet, in dem es um den Widerruf der Erlaubnis zum Befahren eines Sees ging ( 7 ER 420.62 - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 2); ebenso wegen des engen räumlichen Zusammenhangs mit dem Betrieb eines Verkehrsflughafens für eine Klage gegen die Festlegung von An- und Abflugstrecken ( 11 C 13.99 - BVerwGE 111, 276 <277>) sowie bei einer Klage auf nachträgliche Schutzauflagen nach Unanfechtbarkeit eines straßenrechtlichen Planfeststellungsbeschlusses ( 9 A 33.03 - NVwZ-RR 2004, 551 <552>). Dagegen hat das Bundesverwaltungsgericht die Anwendbarkeit von § 52 Nr. 1 VwGO bei einer Anfechtungsklage verneint, die sich gegen Bescheide richtete, mit denen nach Maßgabe des Gesetzes zur Regelung der Gentechnik (Gentechnikgesetz - GenTG) in der damals geltenden Fassung die Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen (Mais, Raps und Zuckerrüben) an verschiedenen Standorten genehmigt worden war; zur Begründung wurde darauf abgestellt, dass diese Genehmigung wegen der in § 14 Abs. 3 GenTG normativ angelegten Ergänz- und Austauschbarkeit der im Antragsverfahren angegebenen und überprüften Standorte nicht mit hinreichender Nachhaltigkeit standortbezogen sei ( 7 AV 11.96 u.a. - Buchholz 310 § 52 VwGO Nr. 37 S. 2). In einem das Personenbeförderungsgesetz betreffenden Verwaltungsrechtsstreit hat der Senat mit Beschluss vom - 3 AV 1.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:180716B3AV1.16.0] - (NVwZ 2017, 726) entschieden, dass sich die Streitigkeit um die Zustimmung zu einer Fahrplanänderung für einen Buslinienfernverkehr nicht auf ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis im Sinne von § 52 Nr. 1 VwGO bezieht.
9b) Ausgehend davon handelt es sich bei der Verpflichtungsklage auf Erteilung von einstweiligen Erlaubnissen nach § 20 PBefG oder (hilfsweise) der Genehmigung einer gemeinwirtschaftlichen Verkehrserbringung auf den betreffenden Linien nicht um eine Streitigkeit, die sich auf ein ortsgebundenes Recht oder Rechtsverhältnis im Sinne von § 52 Nr. 1 VwGO bezieht. Dementsprechend liegen die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 Nr. 3 VwGO für eine Zuständigkeitsbestimmung nicht vor.
10Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) muss, wer im Sinne des § 1 Abs. 1 PBefG mit Kraftfahrzeugen im Linienverkehr Personen befördert, im Besitz einer Genehmigung sein. Zwar weist eine solche Linienverkehrsgenehmigung insoweit einen Ortsbezug auf, als dort u.a. die Streckenführung und die durch den betreffenden Linienverkehr zu bedienenden Haltestellen konkretisiert werden. Ein Ortsbezug spiegelt sich auch im Versagungsgrund des § 13 Abs. 2 Nr. 1 PBefG wider; danach ist u.a. beim Linienverkehr mit Kraftfahrzeugen die Genehmigung zu versagen, wenn der Verkehr auf Straßen durchgeführt werden soll, die sich aus Gründen der Verkehrssicherheit oder wegen ihres Bauzustandes hierfür nicht eignen. Doch beschränkt sich das Prüfprogramm der Genehmigungsbehörde bei der Entscheidung über die Erteilung einer Linienverkehrsgenehmigung nicht auf solche Fragen mit Ortsbindung. Vielmehr ist von der zuständigen Behörde im Genehmigungsverfahren ebenso zu prüfen, ob die an den Verkehrsunternehmer zu stellenden subjektiven Voraussetzungen erfüllt werden. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 i.V.m. § 13 Abs. 1a PBefG darf beim Verkehr mit Kraftomnibussen die Genehmigung nur erteilt werden, wenn die Anforderungen nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Festlegung gemeinsamer Regeln für die Zulassung zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers und zur Aufhebung der Richtlinie 96/26/EG des Rates (ABl. L 300 vom S. 51) erfüllt sind. Nach dieser Bestimmung müssen Unternehmen, die den Beruf des Kraftverkehrsunternehmers ausüben a) über eine tatsächliche und dauerhafte Niederlassung in einem Mitgliedstaat verfügen; b) zuverlässig sein, c) eine angemessene finanzielle Leistungsfähigkeit besitzen und d) die geforderte fachliche Eignung besitzen.
11Danach liegt die für die Anwendung von § 52 Nr. 1 VwGO erforderliche Ortsgebundenheit nicht vor. Hinzu kommt, dass ein Linienverkehr nicht nur bei Fernbuslinien (vgl. dazu 3 AV 1.16 - NVwZ 2017, 726 Rn. 12), sondern - wie der vorliegende Fall zeigt - auch im Öffentlichen Personennahverkehr in seiner Streckenführung den örtlichen Zuständigkeitsbereich mehrerer Verwaltungsgerichte berühren kann; das würde bei einer Anwendbarkeit von § 52 Nr. 1 VwGO stets zur Notwendigkeit eines Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens nach § 53 VwGO führen.
12c) Stattdessen richtet sich die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts hier nach § 52 Nr. 3 VwGO. Nach dieser Bestimmung ist bei allen anderen Anfechtungsklagen vorbehaltlich der Nummern 1 und 4 das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Verwaltungsakt erlassen wurde (Satz 1). Ist er von einer Behörde erlassen, deren Zuständigkeit sich auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke erstreckt, so ist das Verwaltungsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Beschwerte seinen Sitz oder Wohnsitz hat (Satz 2). Dies gilt nach Satz 5 auch bei Verpflichtungsklagen in den Fällen der Sätze 1, 2 und 4.
13Zuständig für die Erteilung der im Streit stehenden einstweiligen Erlaubnisse oder der Genehmigung einer gemeinwirtschaftlichen Leistungserbringung ist die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen mbH. Aufgrund der ihr im Wege der Beleihung übertragenen Befugnis zur Genehmigungserteilung ist sie trotz ihrer privatrechtlichen Rechtsform einer GmbH als "Behörde" im Sinne von § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO anzusehen. Die Zuständigkeit der Beklagten für die Erteilung von personenbeförderungsrechtlichen Linienverkehrsgenehmigungen und einstweiligen Erlaubnissen nach § 20 PBefG umfasst alle Linienverkehre in Niedersachsen; sie erstreckt sich somit im Sinne von § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO auf mehrere Verwaltungsgerichtsbezirke.
14Das führt nach dieser Bestimmung zur örtlichen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts, in dessen Bezirk der durch die Ablehnung seines Genehmigungsantrags Beschwerte seinen Sitz oder Wohnsitz hat. Der Sitz der Klägerin liegt in ... S., einer Gemeinde im niedersächsischen Landkreis Osterholz. Dieser Landkreis gehört gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 7 des Niedersächsischen Justizgesetzes vom (Nds. GVBl. S. 436) zum Gerichtsbezirk des Verwaltungsgerichts Stade.
15Örtlich zuständig ist nach § 52 Nr. 3 Satz 2 i.V.m. Satz 5 VwGO daher das Verwaltungsgericht Stade.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2017:290517B3AV4.16.0
Fundstelle(n):
JAAAG-49073