BGH Urteil v. - IX ZR 204/15

Zurückverweisung an das Berufungsgericht: Umfang der Bindung an die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts; Feststellung anderer Tatsachen im zweiten Berufungsverfahren

Leitsatz

1. Das Berufungsgericht ist nur an diejenige rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts gebunden, die der Aufhebung unmittelbar zugrunde liegt.

2. Stellt das Berufungsgericht im zweiten Berufungsverfahren andere Tatsachen fest als diejenigen, die Grundlage der Aufhebung waren, entfällt eine Bindung an die Rechtsauffassung des Revisionsgerichts.

Gesetze: § 563 Abs 2 ZPO

Instanzenzug: Az: 2 U 2/13vorgehend Az: IX ZR 297/13 Beschlussvorgehend Az: 2 U 2/13 Urteilvorgehend Az: 3 O 92/12 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger ist seit dem Verwalter in dem bereits am eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der K.                                             GmbH (Schuldnerin). Er nimmt den Beklagten, seinen Vorgänger im Amt des Insolvenzverwalters, auf Schadensersatz in Anspruch. Zunächst hat er Zahlung von etwa 2.500.000 € verlangt und dazu behauptet, der Beklagte habe bei der Verwaltung der Wohnungen der Schuldnerin zu hohe Kosten verursacht, masseschädigende Vereinbarungen mit Grundpfandgläubigern getroffen und ungerechtfertigte Zahlungen an Insolvenzgläubiger geleistet. Das Landgericht hat den Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 5.919,45 € nebst Zinsen verurteilt. Die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil ist zunächst erfolglos geblieben. Mit Beschluss vom (IX ZR 297/13) hat der Senat die Revision des Klägers hinsichtlich dreier Einzelforderungen von 18.703,38 €, von 66.297,46 € und von 2.556,46 € zugelassen, das (erste) Berufungsurteil insoweit aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

2Das Berufungsgericht hat die Klage nach der Zurückverweisung wegen der Teilforderungen von 66.297,46 € und von 2.556,46 € für begründet erachtet. Es hat den Beklagten unter Einbeziehung der rechtskräftig ausgeurteilten 5.919,45 € und unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung zur Zahlung von 74.773,37 € nebst Zinsen verurteilt. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision will der Beklagte die vollständige Zurückweisung der Berufung des Klägers erreichen.

Gründe

3Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist, und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

4Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Beklagte habe seine Pflichten als Insolvenzverwalter verletzt, indem er am an die D.                einen Betrag von 66.297,46 € gezahlt habe. Die Zahlung habe sich auf Annuitäten bezogen, die bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig geworden seien, also nur Insolvenzforderungen dargestellt hätten. Der Beklagte habe nicht, wie er nach der Zurückverweisung vorgetragen habe, die der Bank zustehenden Mietzinsen ausgekehrt. Eine weitere Pflichtverletzung liege darin, dass der Beklagte am eine Zahlung an die R.                           von 2.556,46 € geleistet habe. Einen Rechtsgrund für diese Zahlung habe der Beklagte auch nach der Zurückverweisung nicht dargelegt. Der zu ersetzende Schaden bestehe in dem gezahlten Betrag. Einer näheren Prüfung bedürfe es wegen der Bindungswirkung des nicht.

II.

5Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Senatsbeschluss vom enthielt keine Ausführungen zum Schaden, an welche das Berufungsgericht bei seiner erneuten Entscheidung gemäß § 563 Abs. 2 ZPO gebunden gewesen wäre.

61. Im Falle der Aufhebung eines Urteils durch das Revisionsgericht hat das Berufungsgericht die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde lag, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen (§ 563 Abs. 2 ZPO). Die endgültige Entscheidung soll nicht dadurch verzögert werden können, dass die Sache zwischen Berufungs- und Revisionsgericht hin- und hergeschoben wird, weil keines der beiden Gerichte seine Rechtsauffassung ändert. Es handelt sich um eine gesetzlich angeordnete und daher zulässige Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Richter bei der Gesetzesanwendung nur an das Gesetz und an sein Gewissen gebunden ist ( GmS-OGB 1/72, BGHZ 60, 392, 396 f; , WM 2007, 200 Rn. 20; BAG NZA 2016, 642 Rn. 19; BAG NZA-RR 2017, 94 Rn. 15). Damit bei einer der Aufhebung zugrunde liegenden höchstrichterlichen Rechtsfortbildung für das Berufungsgericht jeder Anreiz entfällt, seine gegenteiligen Erwägungen in demselben Verfahren unter Verstoß gegen § 563 Abs. 2 ZPO gleichwohl zur höchstrichterlichen Nachprüfung zu stellen, korrespondiert mit der Bindungswirkung für die Berufungsgerichte eine Selbstbindung des Revisionsgerichts ( aaO S. 397; , BGHZ 132, 6, 10; vom , aaO).

72. Gebunden ist das Berufungsgericht aber nur an diejenige rechtliche Beurteilung, auf welcher die Aufhebung unmittelbar beruht (, BGHZ 3, 321, 325 f; vom , aaO; vom - III ZR 242/98, BGHZ 145, 316, 319; vom - IX ZR 27/04, BGHZ 163, 223, 233; Beschluss vom - V ZR 97/14, BeckRS 2015, 05008 Rn. 3; Prütting/Gehrlein/Ackermann, ZPO, 9. Aufl., § 563 Rn. 8; Hk-ZPO/Koch, 7. Aufl., § 563 Rn. 9; Musielak/Voit/Ball, ZPO, 14. Aufl., § 563 Rn. 11) und die sich aus der revisionsgerichtlichen Entscheidung ergibt (MünchKomm-ZPO/Krüger, 5. Aufl., § 563 Rn. 9). Eine Beschränkung der Bindungswirkung auf die unmittelbaren Aufhebungsgründe ist notwendig, um eine klare Grenzziehung zu gewinnen und Unsicherheit darüber zu vermeiden, ob ein vom Revisionsgericht mit beurteilter, für die Endentscheidung wesentlicher, aber für die Aufhebung unmaßgeblicher Gesichtspunkt oder eine logisch vorausgehende und billigend entschiedene oder unerwähnt gelassene Frage bindend entschieden ist oder nicht (, BGHZ 22, 370, 374). Das Berufungsgericht soll den Fehler, der zur Aufhebung seines Urteils geführt hat, nicht wiederholen; es soll im Übrigen aber in seiner Entscheidung frei bleiben und bei der Findung eines gerechten Urteils nicht eingeengt sein (, BGHZ 3, 321, 326).

8a) Das erste Berufungsurteil ist nicht deshalb aufgehoben worden, weil der Senat anders als das erste Berufungsurteil einen durch die Pflichtverletzungen entstandenen Schaden bejaht hätte. Vielmehr hatte das Berufungsgericht Vortrag des Klägers zu den behaupteten Pflichtverletzungen übergangen. Hinsichtlich der Zahlung vom in Höhe von 66.297,46 € ging es um eine Tilgungsbestimmung, die mit den Schlussfolgerungen des Berufungsgerichts nicht in Einklang zu bringen war. Hinsichtlich der Zahlung vom in Höhe von 2.556,46 € hatte das Berufungsgericht übersehen, dass die vom Beklagten behauptete und vom Landgericht festgestellte Vereinbarung erst nach der Zahlung getroffen worden war, dieser also nicht zugrunde gelegen haben konnte.

9b) Das Berufungsgericht meint allerdings, die Klagabweisung im ersten Berufungsurteil sei auf zwei selbständige Begründungen gestützt worden. Nicht nur die Pflichtverletzungen, sondern auch auf diesen beruhende Schäden seien verneint worden. Ob dies zutrifft, bedarf keiner Entscheidung. Mit der Frage, in welcher Höhe ein Schaden durch die genannten Zahlungen entstanden ist, befasst sich der Senatsbeschluss vom nicht. Damit fehlt eine Grundlage für eine auf den Schaden bezogene Bindungswirkung dieses Beschlusses. Das gilt sogar dann, wenn man mit der Rechtsprechung anderer oberster Bundesgerichte annehmen wollte, dass sich die Bindungswirkung auch auf die den unmittelbaren Aufhebungsgründen logisch vorausgehenden Gründe erstreckt (vgl. BFH/NV 2007, 2138 Rn. 3; BFH/NV 2014, 1073 Rn. 32; Gräber/Ratschow, FGO, 8. Aufl., § 126 Rn. 23; BAG NZA-RR 2017, 94 Rn. 15; , nv, Rn. 7). Mit der Aufhebung eines Urteils in einer Haftpflichtsache wegen gehörswidrig getroffener Feststellungen zum Fehlen einer Pflichtverletzung wird nicht notwendig über die Schlüssigkeit des Klägervortrags zur Schadenshöhe entschieden.

103. Überdies entfällt die Bindungswirkung des § 563 Abs. 2 ZPO bei einer Änderung des maßgeblichen Sachverhalts.

11a) Stellt das Berufungsgericht nach der Zurückverweisung andere Tatsachen fest als diejenigen, welche der ersten Revisionsentscheidung zugrunde lagen, kommt eine Bindung nach § 563 Abs. 2 ZPO nicht in Betracht ( IVb ZR 18/84, NJW 1985, 2029, 2030; vom - III ZR 242/98, BGHZ 145, 316, 319; RGZ 129, 224, 226; MünchKomm-ZPO/Krüger, 5. Aufl., § 563 Rn. 13; Prütting/Gehrlein/Ackermann, ZPO, 9. Aufl., § 563 Rn. 8; Musielak/Voit/Ball, ZPO, 14. Aufl., § 563 Rn. 13). Der Prüfung des Revisionsgerichts, ob die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe, kann nur derjenige Sachverhalt zugrunde gelegt werden, der ihm vom Berufungsgericht unterbreitet wird. Verschiebt sich die tatsächliche Grundlage des Urteils in der neuen Verhandlung vor dem Berufungsgericht, so ist aus dem Inhalt und dem Zweck der gesetzlichen Bestimmung nichts zu entnehmen, was dazu führen könnte, die frühere rechtliche Beurteilung einem Sachverhalt aufzuzwingen, für den sie nicht gegeben war und nicht gegeben werden konnte (RGZ 129, 224, 226).

12b) Jedenfalls hinsichtlich der Zahlung vom in Höhe von 66.297,46 € hat der Beklagte nach der Zurückverweisung neuen Vortrag gehalten, nämlich die Vereinbarung einer "kalten" Zwangsverwaltung bereits während der vorläufigen Insolvenzverwaltung behauptet. Das Berufungsgericht hat diesen Vortrag zugelassen und seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Die Zulassung wird in der Revisionsinstanz nicht überprüft (, NJW 2004, 1458, 1459). Von diesem neuen Vortrag ist danach auszugehen. Da auch die Zahlung auf Verbindlichkeiten aus der Zeit des Eröffnungsverfahrens geleistet worden sein soll, kann die Erheblichkeit dieses Vortrags auf die Fragen der Schadensentstehung und Schadenshöhe nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

III.

13Das angefochtene Urteil kann deshalb keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, wird sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Zu weiteren Hinweisen sieht der Senat derzeit keinen Anlass.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:010617UIXZR204.15.0

Fundstelle(n):
NJW 2017 S. 10 Nr. 29
NJW-RR 2017 S. 1020 Nr. 16
WM 2017 S. 1326 Nr. 27
SAAAG-48957