Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - absoluter Revisionsgrund - gesetzlicher Richter - unterschiedliche Möglichkeiten der Auslegung eines Geschäftsverteilungsplans
Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 202 SGG, § 547 Nr 1 ZPO, Art 101 Abs 1 S 2 GG
Instanzenzug: Sozialgericht für das Saarland Az: S 9 R 535/13 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Saarland Az: L 1 R 36/15 Urteil
Gründe
1I. Der beklagte RV-Träger fordert vom Kläger - nach einer von diesem abgebrochenen Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben - die Erstattung von Übergangsgeld und Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 3755,68 Euro. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage an das SG und seiner Berufung gegen dessen Urteil vom . Das LSG hat die Berufung durch Urteil vom zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.
2Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger einen Verfahrensfehler des LSG geltend (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Er rügt als absoluten Revisionsgrund die vorschriftswidrige Besetzung des erkennenden Senats des LSG (§ 202 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO). Das LSG habe gegen das Gebot des gesetzlichen Richters iS des Art 101 Abs 1 S 2 GG verstoßen, indem bei der Entscheidungsfindung in der mündlichen Verhandlung vom ein nach dem Geschäftsverteilungsplan nicht vorgesehener Richter beteiligt gewesen sei.
3II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
4Der vom Kläger geltend gemachte absolute Revisionsgrund iS des § 202 SGG iVm § 547 Nr 1 ZPO liegt nicht vor. Der erkennende Senat des LSG war in der mündlichen Verhandlung vom vorschriftsmäßig besetzt. Damit ist ein Verstoß gegen das Gebot des Art 101 Abs 1 S 2 GG, nach dem niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, nicht gegeben. Die hier allein angegriffene Zusammensetzung des Spruchkörpers in Gestalt des 1. Senats des LSG mit Berufsrichtern, insbesondere die Beteiligung des RLSG W., folgte der durch den Geschäftsverteilungsplan des LSG für das Saarland für das Geschäftsjahr 2016 vorab nach abstrakten Regeln bestimmbaren Zuweisung von Berufsrichtern zu den Senaten.
5Mit der Garantie des gesetzlichen Richters will Art 101 Abs 1 S 2 GG der Gefahr vorbeugen, dass die Justiz durch eine Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird und durch die auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter das Ergebnis der Entscheidung beeinflusst werden kann. Damit soll die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden sowie der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden. Dieses Vertrauen - so das BVerfG - nähme Schaden, müsste der rechtsuchende Bürger befürchten, sich einem Richter gegenüberzusehen, der mit Blick auf seinen Fall und seine Person bestellt worden ist (vgl - BVerfGE 82, 286, 296; s auch - BVerfGE 95, 322 - Juris-RdNr 25). Aus diesem Sinn und Zweck des Art 101 Abs 1 S 2 GG leitet das BVerfG ab, dass es einen Bestand an abstrakt-generellen Regelungen geben muss, die für jeden Streitfall den Richter bezeichnen, der für die Entscheidung zuständig ist. Auch wenn die Festlegung der Zuständigkeiten der jeweiligen Spruchkörper den Geschäftsverteilungsplänen der Gerichte überlassen werden kann, unterliegen diese dann ebenfalls der Bindung des Art 101 Abs 1 S 2 GG. Daher muss sich aus dem Geschäftsverteilungsplan auch eine abstrakt-generelle Vorausbestimmung der Person des konkreten Richters ergeben (vgl - BVerfGE 95, 322 - Juris-RdNr 26f). Dies ist für den 1. Senat des LSG für das Saarland nach dessen Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2016 der Fall.
6Der Geschäftsverteilungsplan weist den Vizepräsidenten des LSG H. dem 1. Senat als dessen Vorsitzender zu. Die RLSG S. und Dr. K. sind die weiteren dem 1. Senat zugewiesenen Berufsrichter. Darüber hinaus sind die nachfolgenden Regelungen getroffen worden:
8Die vom BSG ebenfalls beigezogene senatsinterne Geschäftsverteilung des 1. Senats des LSG für das Saarland des Jahres 2016 beinhaltet keine weiteren Regelungen zur Besetzung mit Berufsrichtern und deren Vertretung.
9Aus den zuvor dargelegten abstrakten Regelungen kann ohne vermeidbaren Spielraum und unnötige Unbestimmtheit genau ermittelt werden, in welcher Zusammensetzung der 1. Senat des LSG für das Saarland als Spruchkörper am zu entscheiden hatte. Es war die Besetzung mit folgenden Berufsrichtern: RLSG S. als Vorsitzender und die RLSG W. sowie Dr. K. als weitere Berufsrichter. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen des derzeitigen Vizepräsidenten des LSG für das Saarland D. in seiner Stellungnahme vom gegenüber dem Senat. Er legt dar, dass sich aus den oben dargestellten abstrakten Regelungen keine - wie vom Kläger herausgelesen - Doppel- oder Kettenvertretung ergebe. Aufgrund der - nicht bestrittenen - Verhinderung des Vizepräsidenten des LSG H. als Vorsitzender des 1. Senats war der RLSG S. zu dessen Vertretung in der Rolle des Vorsitzenden bestimmt. Der weitere dem Senat als Berichterstatter zugewiesene Berufsrichter Dr. K. musste - ohnehin als weiterer Berufsrichter - mitwirken, so dass auch er als "verhindert" iS der Vertretungsregelungen anzusehen war. Dementsprechend war die weitere Vertretungsliste des RLSG S. zur Bestimmung des dritten zur Mitwirkung berufenen Berufsrichters durchzugehen. So schied der an zweiter Stelle als Vertreter des RLSG S. aufgeführte Vizepräsident des LSG H. wiederum aus Verhinderungsgründen aus, und deshalb war als dritter Vertreter des RLSG S. RLSG W. zur Entscheidungsfindung in der Sitzung vom heranzuziehen.
10Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass die von ihm nach den oben dargelegten Vertretungsregelungen des Geschäftsverteilungsplans 2016 gefundene Besetzung des 1. Senats des LSG am Tag der Entscheidung in seinem Rechtsstreit auf den ersten Blick ebenfalls als durchaus möglich erscheint. Seiner Ansicht nach hätte der 1. Senat nach dem Geschäftsverteilungsplan in der Besetzung durch den RLSG S. als Vorsitzenden und Vertreter des verhinderten Vizepräsidenten H., dieser wiederum vertreten durch den RLSG Dr. K. und dieser vertreten durch RLSG D., befinden müssen. Hieraus folgt jedoch nicht das Vorliegen des geltend gemachten absoluten Revisionsgrundes.
11Unterschiedliche Möglichkeiten der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans führen nicht per se zu dessen Verstoß gegen das Gebot des Art 101 Abs 1 S 2 GG. Die Bestimmung, welche Richter in einem bestimmten Verfahren mitwirken, muss sich aus den Regelungen des Geschäftsverteilungsplans zwar "möglichst" eindeutig ergeben. Der Geschäftsverteilungsplan darf keinen vermeidbaren Spielraum bei der Heranziehung des einzelnen Richters zur Entscheidung einer Sache und damit keine unnötige Unbestimmtheit hinsichtlich des gesetzlichen Richters zulassen. Dem Gebot des gesetzlichen Richters, der im Einzelfall zur Mitwirkung berufen ist, ist so genau wie möglich Rechnung zu tragen. Dies hat zur Folge, dass überall dort, wo dies nach dem gewählten Regelungskonzept ohne Beeinträchtigung der Effektivität der Rechtsprechungstätigkeit möglich ist, diese Bestimmung anhand von Kriterien zu erfolgen hat, die subjektive Wertungen weitgehend ausschließen.
12Daher kann ein Verstoß gegen Art 101 Abs 1 S 2 GG nicht schon dann angenommen werden, wenn Auslegungszweifel in Bezug auf die zur Vorausbestimmung des gesetzlichen Richters verwendeten Kriterien bestehen, denn dadurch wird nicht der Weg zur Besetzung der Richterbank von Fall zu Fall eröffnet, sondern nur zu einem rechtlich geregelten Verfahren, das der Klärung des Zweifels dient ( - Juris-RdNr 28, 29 unter Hinweis auf - BVerfGE 95, 322). Eines solchen bedarf es jedoch immer dann nicht, wenn die Auslegung des Geschäftsverteilungsplans letztlich zu eindeutigen Ergebnissen im Hinblick auf die abstrakt vorgesehene Besetzung der Senate führt. So liegt der Fall hier.
13Die nähere Betrachtung der vom Kläger geltend gemachten Auslegung der Vertretungsregelungen des hier angegriffenen Geschäftsverteilungsplans zeigt, dass beim Nachrücken des RLSG Dr. K. immer der damalige RLSG D. in die Besetzung hätte einrücken müssen. Damit verlören die Regelungen zur weiteren Vertretung des RLSG S. jedoch ihren Sinn. Das System des Geschäftsverteilungsplans lässt - soll dies nicht in Kauf genommen werden - ausschließlich die oben beschriebene Auslegung zu. Danach ist für irgendwelche anderen Bestimmungen des Vertreters keinerlei Spielraum und eröffnen sich bei folgerichtiger Auslegung keine jeweils fallbezogenen abweichenden Auslegungsergebnisse. Zudem entspricht die zuvor dargelegte und auch vom 1. Senat des LSG vollzogene Praxis der Anwendung der Vertretungsregelungen nach Auskunft des Vizepräsidenten des LSG gängiger Gerichtspraxis. Es liegt mithin eine Auslegungspraxis vor, die eine Einheitlichkeit der Anwendung des Geschäftsverteilungsplans gewährleistet. Gleichwohl sollte im Interesse der Transparenz zumindest in Erwägung gezogen werden, eine kurze Erläuterung der Auslegungsregeln bei der Vertretung in Verhinderungsfällen iS der oben bezeichneten Art vorzunehmen.
14Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 193 SGG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2017:120417BB13R31416B0
Fundstelle(n):
EAAAG-46594