BGH Beschluss v. - XII ZB 86/16

Vergütung des Berufsbetreuers: Abgeschlossene Fortbildung zum „Zertifizierten Betreuer – Curator de jure“ an der Technischen Hochschule Deggendorf; nachträgliche Zulassung der Beschwerde durch den Rechtspfleger

Leitsatz

1. Die erfolgreich abgeschlossene Fortbildung zum "Zertifizierten Betreuer - Curator de jure" an der Technischen Hochschule Deggendorf ist mit einer Ausbildung an einer Hochschule vergleichbar und rechtfertigt eine Erhöhung des dem Berufsbetreuer zu vergütenden Stundensatzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG.

2. Zur nachträglichen Zulassung der Beschwerde durch den Rechtspfleger.

Gesetze: § 4 Abs 1 S 2 Nr 2 VBVG, § 61 Abs 2 FamFG, § 11 Abs 2 RPflG

Instanzenzug: LG Deggendorf Az: 12 T 160/15vorgehend AG Deggendorf Az: XVII 147/13

Gründe

I.

1Die Beteiligte zu 1 (nachfolgend: Betreuerin) wurde im Mai 2013 zur Berufsbetreuerin des sich in einem Heim aufhaltenden Betroffenen bestellt. Am schloss die Betreuerin erfolgreich eine Fortbildung zur "Zertifizierten Betreuerin - Curator de jure" an der Technischen Hochschule Deggendorf ab.

2Mit Schreiben vom hat die Betreuerin die Festsetzung einer Betreuervergütung in Höhe von 226,20 € für den Abrechnungszeitraum vom bis zum beantragt. Dabei hat sie ihrem Antrag für den Zeitraum bis zum einen Stundensatz von 33,50 € und für die Zeit ab dem im Hinblick auf die mittlerweile abgeschlossene Fortbildung einen Stundensatz von 44 € zugrunde gelegt.

3Die Rechtspflegerin beim Amtsgericht hat dem Antrag, ausgehend von einem Stundensatz von 33,50 € für den gesamten Abrechnungszeitraum, in Höhe von 201 € stattgegeben. Hiergegen hat die Betreuerin Beschwerde eingelegt. Die Rechtspflegerin hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen, nachträglich aber die Beschwerde zugelassen und die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt. Das Landgericht hat nach Einholung einer Stellungnahme der Technischen Hochschule Deggendorf für den Zeitraum vom bis einen Stundensatz von 44 € angenommen und unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung die Vergütung in Höhe von 226,20 € gegen die Staatskasse festgesetzt. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Staatskasse, mit der sie die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung erreichen will.

II.

4Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

51. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Betreuerin erfülle mit der am erfolgreich abgeschlossenen Zusatzausbildung an der Technischen Hochschule Deggendorf zur "Zertifizierten Betreuerin - Curator de jure" die Voraussetzungen, die nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG für die Festsetzung des erhöhten Stundensatzes von 44 € erforderlich seien. Die Zusatzausbildung vermittele besondere Kenntnisse auf dem Gebiet des Betreuungsrechts und den damit zusammenhängenden Gebieten, die über Grundkenntnisse deutlich hinausgingen. Zudem sei diese Fortbildung der Ausbildung an einer Hochschule vergleichbar. Der Zugang zu dieser Ausbildung verlange nach § 3 der hier maßgeblichen Prüfungsordnung neben einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder der Hochschul- bzw. Fachhochschulreife zwei Jahre Berufserfahrung als Betreuer sowie die Zulassung durch eine von der Hochschule bestellte Zulassungskommission. Die Ausbildung werde von einer staatlich anerkannten Hochschule auf der Grundlage einer speziell aufgestellten Prüfungsordnung durchgeführt. Die Fakultät Angewandte Naturwissenschaften und Wirtschaftsingenieurwesen der Technischen Hochschule Deggendorf sei wissenschaftliche und akademische Trägerin des Zertifikats. Hierzu würden Modulübersichten, Stundenpläne und Lehraufträge erstellt sowie die Erfüllung der Studien- und Prüfungsleistungen überwacht. Die Ausbildung ende mit einer schriftlichen Abschlussarbeit, die sich gemäß § 3 Abs. 3 der Prüfungsordnung auf dem Niveau einer Masterarbeit bewege, und einer mündlichen Abschlussprüfung. Nach bestandener Prüfung werde von der Technischen Hochschule Deggendorf das Zertifikat "Curator de Jure" verliehen, das einen Umfang von 90 ECTS (Studiencredits) ausweise. Zwar bleibe der zeitliche Aufwand mit 90 ECTS (2.700 Stunden) bei regulär vier Semestern hinter einem Bachelor-Studiengang zurück, der einen zeitlichen Aufwand von mindestens 180 ECTS bei regulär sechs Semestern erfordere. Da die vorliegende Zusatzausbildung jedoch ausschließlich betreuungsrechtlich relevante Kenntnisse vermittele, sei sie trotz des geringeren zeitlichen Umfangs einem regulären Bachelor-Studium in den von der Rechtsprechung anerkannten Studiengängen wie Rechtswissenschaften, Theologie oder Lehramt vergleichbar. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Technische Hochschule Deggendorf im vorliegenden Fall gemäß Art. 63 Abs. 2 Satz 1 BayHSchG mit Genehmigung vom bei der Betreuerin eine Anrechnung von Vorkenntnissen vorgenommen habe, weil eine entsprechende Anrechnung auch bei einem Bachelor-Studium möglich gewesen wäre. Schließlich handele es sich bei der Technischen Hochschule Deggendorf auch um eine Einrichtung, die sowohl generell als auch bezogen auf die vorliegende Zusatzausbildung einer überwiegend wissenschaftlichen Lehrstoffvermittlung diene.

62. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung stand.

7a) Die Erstbeschwerde war trotz Nichterreichens des nach § 61 Abs. 1 FamFG erforderlichen Beschwerdewerts zulässig, weil die Rechtspflegerin die Beschwerde gemäß § 61 Abs. 2 FamFG nachträglich zugelassen hat. Zwar ist über die Zulassung der Beschwerde grundsätzlich im Ausgangsbeschluss zu entscheiden. Enthält dieser keinen ausdrücklichen Ausspruch zur Zulassung, ist das Rechtsmittel nicht zugelassen (Senatsbeschluss vom - XII ZB 323/11 - FamRZ 2012, 961 Rn. 4 mwN). Eine Nachholung der Zulassung ist daher grundsätzlich unzulässig und deshalb unwirksam (vgl. Keidel/Meyer-Holz FamFG 19. Aufl. § 61 Rn. 36 mwN). Etwas Anderes gilt indes, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Ausgangsbeschluss vom Rechtspfleger erlassen worden ist. Dann ist die wegen Nichterreichens des Beschwerdewerts unzulässige Beschwerde zunächst als Rechtspflegererinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG zu behandeln. Dieser konnte die Rechtspflegerin dadurch (teilweise) abhelfen, dass sie im Abhilfebeschluss die Beschwerde zugelassen und die Sache sogleich dem Beschwerdegericht zur Entscheidung über die Beschwerde vorgelegt hat (OLG Stuttgart FGPrax 2010, 111, 112; OLG Frankfurt ZKJ 2010, 456; Keidel/Meyer-Holz FamFG 19. Aufl. § 61 Rn. 34; BeckOK FamFG/Obermann [Stand: ] § 61 Rn. 41; vgl. auch BayObLG FamRZ 2004, 304 zu §§ 56 g Abs. 5 Satz 1, 69 e Satz 1 FGG).

8b) Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG beträgt der Stundensatz eines Berufsbetreuers 44 €, wenn der Betreuer über besondere Kenntnisse, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind, verfügt und diese Kenntnisse durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule oder eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind.

9Einer Hochschulausbildung vergleichbar ist eine Ausbildung, die in ihrer Wertigkeit einer Hochschulausbildung entspricht und einen formalen Abschluss aufweist. Gleichwertig ist eine Ausbildung, wenn sie staatlich reglementiert oder zumindest staatlich anerkannt ist und der durch sie vermittelte Wissensstand nach Art und Umfang dem eines Hochschulstudiums entspricht. Als Kriterien können somit insbesondere der mit der Ausbildung verbundene Zeitaufwand, der Umfang und Inhalt des Lehrstoffs und die Zulassungsvoraussetzungen herangezogen werden. Für die Annahme der Vergleichbarkeit einer Ausbildung mit einer Hochschul- oder Fachhochschulausbildung kann auch sprechen, wenn die durch die Abschlussprüfung erworbene Qualifikation Zugang zu beruflichen Tätigkeiten ermöglicht, deren Ausübung üblicherweise Hochschulabsolventen vorbehalten ist. Bei der Prüfung der Vergleichbarkeit hat der Tatrichter strenge Maßstäbe anzulegen (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 447/11 - NJW-RR 2012, 774 Rn. 16 und vom - XII ZB 409/10 - FamRZ 2012, 629 Rn. 11 f.).

10Die Frage, unter welchen Umständen ein Berufsbetreuer im Einzelfall die Voraussetzungen erfüllt, die gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG die Bewilligung einer erhöhten Vergütung rechtfertigen, obliegt einer wertenden Betrachtung des Tatrichters. Dessen Würdigung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt darauf überprüft werden, ob er die maßgebenden Tatsachen vollständig und fehlerfrei festgestellt und gewürdigt, Rechtsbegriffe verkannt oder Erfahrungssätze verletzt und die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat (Senatsbeschluss vom - XII ZB 346/15 - FamRZ 2017, 479 Rn. 12 mwN).

11c) Einer solchen Überprüfung hält die tatrichterliche Würdigung des Beschwerdegerichts, wonach die von der Betreuerin abgeschlossene Fortbildung den Anforderungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG genügt, stand.

12aa) Nach den vom Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen werden durch die konkret auf das Berufsbild des Berufsbetreuers ausgerichtete Fortbildung an der Technischen Hochschule Deggendorf zum "Zertifizierten Betreuer - Curator de jure" ausschließlich besondere und für die Betreuung nutzbare Kenntnisse iSv § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG vermittelt, die über das jedermann zu Gebote stehende Wissen hinausgehen und den Betreuer in die Lage versetzen, seine Aufgaben zum Wohl des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 465/15 - juris Rn. 3 mwN). Hiergegen erinnert auch die Rechtsbeschwerde nichts.

13bb) Dass das Beschwerdegericht aufgrund der eingeholten Stellungnahme der Technischen Universität Deggendorf und der Auswertung der von der Hochschule vorgelegten umfangreichen Materialien zu den Inhalten und der Ausgestaltung der Fortbildung zum "Zertifizierten Betreuer - Curator de jure"zu der Auffassung gelangt ist, diese sei einer Hochschulausbildung vergleichbar, ist ebenfalls aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das Beschwerdegericht hat ausreichende Feststellungen zu den für diese Beurteilung maßgeblichen Kriterien getroffen und diese rechtsfehlerfrei auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats gewürdigt. Durchgreifende Ermessensfehler zeigt die Rechtsbeschwerde insoweit nicht auf.

14(1) Die Weiterbildungsmaßnahme wird von der Technischen Hochschule Deggendorf als einer staatlich anerkannten Hochschule durchgeführt. Ihr liegt die von der Hochschule gemäß Art. 13, 58 Abs. 1, 61 Abs. 2 BayHSchG erlassene "Prüfungsordnung für das Weiterbildungsangebot Zertifizierte Berufsbetreuer/in/Curator de jure an der Technischen Hochschule Deggendorf" vom (nachfolgend: Prüfungsordnung) zugrunde, in der die Ausbildungsinhalte und die Prüfungsanforderungen festgelegt sind. Der Studienplan wurde von der Fakultät für Naturwissenschaften und Wirtschaftsingenieurwesen erstellt, die auch die wissenschaftliche und akademische Trägerin des Zertifikats ist. Der Zugang zu der Fortbildungsmaßnahme ist durch die in § 3 der Prüfungsordnung geregelten Voraussetzungen einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder der Hoch- bzw. Fachhochschulreife sowie von mindestens zwei Jahren Berufserfahrung als Betreuer beschränkt. Außerdem setzt der Zugang zu der Fortbildungsmaßnahme eine positive Zulassungsentscheidung (vgl. § 3 Satz 3 der Prüfungsordnung) durch eine vom Fakultätsrat bestellte Zulassungskommission (vgl. § 4 der Prüfungsordnung) voraus. Schließlich weist die Fortbildung auch einen formalen Abschluss auf. Gemäß § 5 Abs. 1 der Prüfungsordnung ist die Zertifikatsausbildung dann erfolgreich abgeschlossen, wenn alle Modulprüfungen, die Abschlussarbeit, die sich auf dem wissenschaftlichen Niveau einer Masterarbeit bewegt (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 1 der Prüfungsordnung), und ein halbstündiges Abschlusskolloquium mit einer Note von mindestens "ausreichend" bewertet wurden.

15(2) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde steht der Vergleichbarkeit mit einer Hochschulausbildung auch nicht entgegen, dass der zeitliche Umfang der Ausbildung zum "Zertifizierten Betreuer - Curator de jure" mit 90 ECTS (2.700 Stunden) bei einer Ausbildungsdauer von vier Semestern hinter dem eines Bachelor-Studiengangs zurückbleibt, der sich in der Regel auf mindestens 180 ECTS bei sechs Studiensemestern erstreckt. Zwar hat der Senat in der Vergangenheit die Vergleichbarkeit von Ausbildungsgängen mit einem (Fach-)Hochschulabschluss auch mit der Begründung abgelehnt, dass der mit der jeweiligen Ausbildung verbundene Zeitaufwand nicht an den eines Hochschulstudiums heranreiche (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 447/11 - NJW-RR 2012, 774 Rn. 18 zur Fortbildung zum "Sparkassenbetriebswirt" und vom - XII ZB 409/10 - FamRZ 2012, 629 Rn. 17 zur Fortbildung zur "staatlich anerkannten Sozialwirtin"). Diesen Entscheidungen lagen allerdings jeweils Sachverhalte zugrunde, in denen der mit den Ausbildungen verbundene Zeitaufwand erheblich von dem eines (Fach-)Hochschulstudiums abwich. Zudem fehlten den Ausbildungen auch andere für die Vergleichbarkeit mit einem Hochschulstudium kennzeichnende Merkmale. Die Ausbildung zum "Zertifizierten Betreuer - Curator de jure" reicht zwar mit einer Ausbildungszeit von vier Semestern und einem Arbeitsaufwand von 2.700 Stunden ebenfalls nicht vollständig an den zeitlichen Umfang eines (Fach-)Hochschulstudiums heran. Dass das Beschwerdegericht diese Abweichung für nicht so gewichtig hält, weil der Ausbildungsgang andere Kriterien, die für die Vergleichbarkeit mit einem Hochschulstudium kennzeichnend sind, erfüllt, hält sich jedoch im Rahmen zulässiger tatrichterliche Würdigung.

16cc) Etwas Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass sich im vorliegenden Fall die tatsächliche Ausbildungsdauer der Betreuerin verkürzt hat, weil die Technische Hochschule Deggendorf eine Anrechnung von Vorkenntnissen vorgenommen hat. Die Hochschule hat hierbei als verantwortlicher Träger der Fortbildungsmaßnahme von der in Art. 63 Abs. 2 Satz 2 BayHSchG vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine Reduzierung der konkret zu erbringenden Studienleistungen bis zur Hälfte der nachzuweisenden Kompetenzen vorzunehmen. Diese Bestimmung ist auf alle Studiengänge an bayerischen Hochschulen anwendbar, sofern der Studierende über entsprechende Kompetenzen verfügt, und kann daher die abstrakt vorzunehmende Bewertung, ob die Fortbildung zum zertifizierten Berufsbetreuer mit einer Hochschulausbildung vergleichbar ist, nicht in Frage stellen.

173. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:120417BXIIZB86.16.0

Fundstelle(n):
NJW-RR 2017 S. 900 Nr. 15
MAAAG-46279