Durchführung einer Gesamtbetriebsvereinbarung nach Betriebsübergang
Gesetze: § 613a Abs 1 BGB, § 77 Abs 1 BetrVG, § 50 BetrVG
Instanzenzug: Az: 39 BV 5829/14 Beschlussvorgehend LArbG Berlin-Brandenburg Az: 14 TaBV 1813/14 Beschluss
Gründe
1A. Die Beteiligten streiten über die Fortgeltung einer bei der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin geschlossenen „Gesamtbetriebsvereinbarung“.
2Die Arbeitgeberin betreibt das Krankenhaus H B. Antragsteller ist der für diesen Betrieb gebildete Betriebsrat. Weiterhin besteht ein Wirtschaftsausschuss.
3Bei der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin, der H GmbH, bestanden sieben Krankenhäuser als selbständige Betriebe, darunter das H B. Für das Unternehmen war ein Gesamtbetriebsrat und ein Konzernbetriebsrat errichtet sowie ein Wirtschaftsausschuss gebildet. Im Oktober 2007 schlossen die Rechtsvorgängerin und der Gesamtbetriebsrat eine „Gesamtbetriebsvereinbarung … zur Erfüllung der Informationsansprüche des Wirtschaftsausschusses des Gesamtbetriebsrates im Sinne des § 106 Abs. 2 BetrVG“ (GBV), die ua. folgenden Inhalt hat:
4Die sieben Krankenhäuser der Rechtsvorgängerin wurden im Wege der Ausgliederung auf jeweils neu gegründete Rechtsträger übertragen, darunter der Betrieb H B auf die Arbeitgeberin. Infolge dessen entfielen bei der Rechtsvorgängerin die Voraussetzungen für die Bildung eines Gesamtbetriebsrats.
5Der Betriebsrat hat geltend gemacht, die GBV gelte als Betriebsvereinbarung bei der Arbeitgeberin weiter. Sie enthalte normative Regelungen, weil den örtlichen Betriebsräten Rechte eingeräumt würden. Ihre Bestimmungen ließen sich „fast ausnahmslos“ auf den bestehenden Wirtschaftsausschuss übertragen. Es stehe zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit, dass nur Daten der Arbeitgeberin bereitzustellen seien.
6Der Betriebsrat hat zuletzt beantragt,
7Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
8Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht den Antrag abgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
9B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist ohne Erfolg. Der zulässige Antrag ist unbegründet.
10I. Der Antrag ist, wie die gebotene Auslegung ergibt, zulässig.
111. Die Arbeitgeberin soll verpflichtet werden, die GBV als Einzelbetriebsvereinbarung mit der Maßgabe anzuwenden, dass sich die darin geregelten Informationsansprüche lediglich auf ihren einzigen Betrieb, das H B, beziehen sollen. Das hat der Betriebsrat in der mündlichen Anhörung vor dem Senat nochmals ausdrücklich klargestellt. Mit diesem Inhalt ist der Antrag hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
122. Dem Betriebsrat steht nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG die erforderliche Antragsbefugnis für sein Leistungsbegehren zu (vgl. - zu B II 2 der Gründe, BAGE 102, 356).
13II. Der Antrag ist unbegründet. Die Arbeitgeberin ist nicht verpflichtet, die GBV mit der im Antrag enthaltenen einschränkenden Maßgabe anzuwenden. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei der GBV um eine Betriebsvereinbarung handelt, die - wie der Betriebsrat meint - normative Regelungen enthält, oder lediglich eine schuldrechtliche Vereinbarung zwischen dem Gesamtbetriebsrat und der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin getroffen wurde. Selbst wenn man die Grundsätze der Rechtsprechung des Senats über die Fortgeltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung nach einem Betriebsübergang als Einzelbetriebsvereinbarung auch für schuldrechtliche Vereinbarungen heranzöge, käme die GBV im Betrieb der Arbeitgeberin nicht weiter zur Anwendung.
141. Nach der Rechtsprechung des Senats gilt eine in den Betrieben eines abgebenden Unternehmens geltende Gesamtbetriebsvereinbarung bei einem die Betriebsidentität wahrenden Übergang auf einen bisher betriebslosen Betriebserwerber in dem übertragenen Teil des Unternehmens als Betriebsvereinbarung auch dann fort, wenn nur ein Betrieb auf diesen übergeht (ausf. - Rn. 45 ff. mwN, BAGE 151, 302).
15a) Der Inhalt einer Gesamtbetriebsvereinbarung betrifft betriebliche Angelegenheiten, die lediglich auf der Rechtsebene des Unternehmens normativ ausgestaltet werden. Bei einem identitätswahrenden Betriebsübergang bestehen das bisherige Regelungssubjekt und Regelungsobjekt der Gesamtbetriebsvereinbarung unverändert fort. Die Geltung ihres Regelungsgegenstands ist dann nicht an die Beibehaltung einer „Unternehmensidentität“ gebunden. Der Inhalt einer Gesamtbetriebsvereinbarung tritt als in dem Betrieb geltendes Regelwerk neben die in den erfassten betrieblichen Einheiten geltenden Betriebsvereinbarungen. Dieses Nebeneinander bleibt bestehen, wenn ein Betrieb unter Wahrung seiner Identität auf einen anderen Rechtsträger übertragen wird (vgl. - Rn. 50 mwN, BAGE 151, 302). Ein möglicher Unternehmensbezug der durch eine Gesamtbetriebsvereinbarung ausgestalteten betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheit hindert deren Fortgeltung bei einem Betriebserwerber grundsätzlich nicht. Den Interessen des übernehmenden Rechtsträgers wird dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass er mit der zuständigen Arbeitnehmervertretung oder mithilfe der im Betriebsverfassungsgesetz vorgesehenen Konfliktlösungsmöglichkeiten Regelungen treffen kann, durch die der Inhalt der Betriebsvereinbarung unternehmensbezogen angepasst werden kann. Auch der Wegfall des Gesamtbetriebsrats führt nicht zur Beendigung der normativen Wirkung von ihm geschlossener Vereinbarungen ( - Rn. 51, 53 mwN, BAGE 151, 302).
16b) Die weitere Geltung einer Gesamtbetriebsvereinbarung in dem übertragenen Betrieb kann allerdings daran scheitern, dass die betreffende Regelung nach ihrem Inhalt die Zugehörigkeit zum bisherigen Unternehmen zwingend voraussetzt und nach dem Betriebsübergang gegenstandslos wird ( - zu B III 2 b cc (2) der Gründe, BAGE 102, 356). Das kann dann der Fall sein, wenn das mit der Vereinbarung verbundene Ziel nur im Unternehmen des vormaligen Arbeitgebers sinnvoll verwirklicht werden kann (Bachner NJW 2003, 2861, 2863).
172. Nach diesen Maßstäben muss die Arbeitgeberin die zwischen ihrer Rechtsvorgängerin und dem dort gebildeten Gesamtbetriebsrat geschlossene GBV nicht weiter anwenden. Regelungsgegenstand der GBV ist keine lediglich auf der Ebene des Unternehmens ausgestaltete betriebliche Angelegenheit. Vielmehr regelt die Vereinbarung spezifisch Unterrichtungs- und Beratungsansprüche für einen bei einem herrschenden Konzernunternehmen vom Gesamtbetriebsrat gebildeten Wirtschaftsausschusses, bei dem weitere Betriebe mit Betriebsräten bestehen. Die GBV knüpft zwingend an eine bei der Rechtsvorgängerin bestehende Unternehmens- und betriebsverfassungsrechtliche Struktur an, die bei der Arbeitgeberin nicht besteht.
18a) Nach § 2 GBV ist der Wirtschaftsausschuss anhand eines monatlichen Standardreportings über bestimmte wirtschaftliche Kennzahlen für jeden Standort und jede Klinik zu unterrichten. Diese Information erfolgt nach § 4 Abs. 3 GBV unter Hinzuziehung von Konzernvertretern. Weiterhin sieht § 4 Abs. 4 GBV vor, dass dem Wirtschaftsausschuss in den Sitzungen eine Übersicht zur wirtschaftlichen Situation von H „nebst der mit H unmittelbar konzernrechtlich verbundenen Unternehmen (konsolidierte Gesamtdarstellung)“ zusätzlich zu den monatlichen Standreportings zu geben ist. Auch diese Gespräche finden nach § 4 Abs. 5 GBV mit Konzernvertretern statt. Diese Regelungen knüpfen an die Stellung der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin als herrschendes Unternehmen eines Konzerns an. Die Anwesenheit von Konzernvertretern konnte die Rechtsvorgängerin ebenso gewährleisten wie die Erstellung einer „konsolidierten Gesamtdarstellung“ aller mit ihr verbundenen Unternehmen.
19Weiterhin verdeutlicht § 3 GBV, der sonstige „Unterrichtungen auf Konzern- und Betriebsebene“ regelt, dass die GBV auf die Rechtsvorgängerin als herrschendes Unternehmen zugeschnitten ist. Die Bestimmung setzt - bezogen auf die betriebsverfassungsrechtlichen Regelungszuständigkeiten - eine dreistufige Unternehmensstruktur (Betrieb, Unternehmen und Konzern) bei der verpflichteten Arbeitgeberin und deren Eigenschaft als herrschendes Unternehmen voraus. Die dort normierten Unterrichtungspflichten gegenüber den einzelnen Betriebsräten zeigen zudem, dass die Bestimmungen der GBV auf die Existenz eines bei einem Gesamtbetriebsrat errichteten Wirtschaftsausschuss ausgerichtet sind. Nach der Präambel der GBV sollen damit die „Rechte des Wirtschaftsausschusses auf örtliche Betriebsräte übertragen werden“. Den einzelnen Betriebsräten sollen unabhängig von der Unterrichtungspflicht des Wirtschaftsausschusses nach § 106 Abs. 1 Satz 2 BetrVG (dazu Oetker GK-BetrVG 10. Aufl. § 106 Rn. 54, § 108 Rn. 59, jew. mwN) die in § 3 Abs. 3 Unterabs. 2, Abs. 4 und Abs. 5 GBV genannten Informationen für den jeweiligen Betrieb, in dem sie gebildet sind, zur Kenntnis gegeben und - jedenfalls bezogen auf das betriebliche Standardreporting nach § 3 Abs. 5 GBV - in den jeweiligen Monatsgesprächen mit der Arbeitgeberin verwendet werden. Dem mit der GBV insoweit beabsichtigten Regelungsziel der „Übertragung“ von Informationsansprüchen auf die einzelnen Betriebsräte entspricht es, wenn diese „zuerkannten Rechte und Pflichten an den Wirtschaftsausschuss“ zurückfallen sollen, falls in einzelnen Betrieben kein Betriebsrat besteht (Satz 3 der Präambel der GBV).
20b) Über die für eine Fortgeltung der GBV erforderliche Struktur verfügt die Arbeitgeberin nicht. Sie ist kein herrschendes Konzernunternehmen, Unternehmens- und Betriebsebene sind bei ihr identisch. Als abhängiges Unternehmen innerhalb des Konzerns kann sie auch die Anwesenheit von „Konzernvertretern“ bei Gesprächen mit dem Wirtschaftsausschuss nicht gewährleisten. Sie kann weiterhin - anders als die Rechtsvorgängerin - keine konsolidierte Gesamtdarstellung zur wirtschaftlichen Situation bei H einschließlich der verbundenen Unternehmen iSd. § 4 Abs. 4 GBV erstellen, um sie dem bei ihr gebildeten Wirtschaftsausschuss zur Verfügung zu stellen. Diese Informationen beträfen zudem keine wirtschaftliche Angelegenheit ihres Unternehmens iSd. § 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Darüber hinaus käme es auch zu einer „Doppelung“ von Unterrichtungspflichten. Sowohl dem Betriebsrat als auch dem von ihm gebildeten Wirtschaftsausschuss wären identische Standardreportings vorzulegen (§ 2 Abs. 1, § 3 Abs. 5 GBV). Schließlich liefe auch der mit der GBV ebenfalls verfolgte Regelungszweck, bestimmte Informationsrechte von der Unternehmensebene auf die Betriebseben zu übertragen (vgl. Satz 3 der Präambel der GBV) ins Leere. Der bei der Arbeitgeberin gebildete Wirtschaftsausschuss hat ausschließlich den dort bestehenden Betriebsrat zu unterrichten.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:240117.B.1ABR24.15.0
Fundstelle(n):
BB 2017 S. 1332 Nr. 23
KAAAG-45889