Haftung bei Kapitalanlagevermittlung: Pflicht eines Anlagevermittlers zur Prüfung des Emmissionsprospekts auf Plausibilität; Darlegungs- und Beweislast des Anlegers für Plausibilitätsdefizite
Gesetze: § 280 BGB, § 675 Abs 2 BGB
Instanzenzug: OLG Zweibrücken Az: 4 U 86/14vorgehend LG Frankenthal Az: 3 O 14/14
Tatbestand
1Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen fehlerhafter Anlageberatung auf Schadensersatz in Anspruch. Auf seine Empfehlung verkaufte die Klägerin am eine Lebensversicherung an die P. S. AG, die am in das Handelsregister eingetragen worden war. Dieses Unternehmen sollte den Rückkaufwert der Lebensversicherung von 61.968,02 € realisieren und in Grundkapital investieren. Den "Kaufpreis" sollte die Klägerin über einen Zeitraum von neun Jahren in monatlichen Raten von 800 € und von 1.150 € im zehnten Jahr (insgesamt 100.200 €) erhalten. Außerdem schloss sie mit der P. S. AG eine Sondervereinbarung, nach der 50.000 € über die S. C. AG & Co. KG abgesichert werden sollten. Nachdem die Klägerin bis April 2011 16.000 € als "Kaufpreis" erhalten hatte, stellte die P. S. AG ihre Zahlungen ein; über ihr Vermögen wurde im Jahr 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet.
2Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin von dem Beklagten Zahlung von 34.000 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Abtretung ihrer Ansprüche gegen den Insolvenzverwalter der P. S. AG. Sie macht geltend, der Beklagte habe seine Verpflichtung zur Prüfung der Plausibilität der empfohlenen Anlageform sowie zur Information über alle anlagerelevanten Umstände verletzt. Bei der erforderlichen Überprüfung habe er feststellen können und müssen, dass das vorgesehene Konzept nicht habe funktionieren können und es sich deshalb nicht um eine taugliche, sondern höchst riskante Anlage gehandelt habe. Jedenfalls habe er darauf hinweisen müssen, dass er die notwendige Prüfung unterlassen habe.
3Der Beklagte hat vorgetragen, lediglich als Vertreter der P. GmbH aufgetreten zu sein und gehandelt zu haben, so dass er nicht in Anspruch genommen werden könne. Außerdem hat er eine Pflichtverletzung in Abrede gestellt und die Einrede der Verjährung erhoben.
4Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Nach einem vorausgehenden Hinweisbeschluss hat das Oberlandesgericht die gegen die erstinstanzliche Entscheidung gerichtete Berufung des Beklagten mit Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt er seinen Antrag auf Klageabweisung weiter.
Gründe
5Die zulässige Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
I.
6Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat der Beklagte seine Verpflichtung aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Anlagevermittlungsvertrag, die Plausibilität der von ihm empfohlenen Anlage zu überprüfen, verletzt. Er habe nicht konkret dargetan, anhand welcher konkreter Unterlagen er eine solche Prüfung vorgenommen habe, so dass nicht festgestellt werden könne, ob sich aus dem von ihm erwähnten Material, das er nach seiner Darstellung von der P. S. AG auf Fortbildungsveranstaltungen der P. GmbH erhalten habe, verlässliche Informationen über die Seriosität der Anlage und des kapitalsuchenden Unternehmens ergeben hätten. Er habe zum Inhalt der ihm zur Verfügung stehenden Informationen näher vortragen müssen, um beurteilen zu können, ob der Schluss auf ein plausibles Konzept gerechtfertigt gewesen sei oder etwaige Fehler und Unvollständigkeiten für ihn erkennbar gewesen wären. Da er die Klägerin zudem über seinen unzureichenden Informationsstand nicht unterrichtet habe, spreche die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens dafür, dass sie bei einem entsprechenden Hinweis die Anlage nicht gezeichnet hätte. Der Beklagte hafte persönlich, weil er nicht bewiesen habe, dass er die Klägerin nur als Vertreter der P. GmbH beraten und die Anlage vermittelt habe. Die in erster Instanz vorgenommene Würdigung des erhobenen Zeugenbeweises sei auch unter Berücksichtigung des Inhalts des Antragsbegleitscheins und eines Faxschreibens des Beklagten an die Klägerin nicht zu beanstanden. Letztlich habe er zu der von ihm erhobenen Einrede der Verjährung nicht schlüssig vorgetragen. Sein Vorbringen lasse nicht erkennen, wann und durch wen die Klägerin Kenntnis von welchen Risiken der Anlage und insbesondere von der von ihm unterlassenen Plausibilitätsprüfung erlangt habe.
II.
7Diese Beurteilung hält den Angriffen der Revision in zwei maßgeblichen Punkten nicht stand. Die Erwägungen des Berufungsgerichts rechtfertigen noch nicht die Verurteilung des Beklagten zur Leistung von Schadensersatz an die Klägerin.
81. Ebenso wie das Landgericht stützt es die Verurteilung des Beklagten darauf, dass er die ihm aus dem mit der Klägerin geschlossenen Anlagevermittlungsvertrag obliegende Verpflichtung verletzt habe, die Plausibilität des Anlagekonzepts und der dazu gehörigen Unterlagen zu überprüfen und die Klägerin auf die von ihm unterlassene Prüfung hinzuweisen. Auf der Grundlage des Vorbringens der Parteien und der bislang getroffenen Feststellungen lässt sich ein Schadensersatzanspruch der Klägerin damit jedoch noch nicht begründen.
9a) Nach der ständigen Senatsrechtsprechung muss der Anlagevermittler das Anlagekonzept, bezüglich dessen er die entsprechenden Auskünfte erteilt, zumindest auf seine wirtschaftliche Tragfähigkeit hin überprüfen. Ansonsten kann er keine sachgerechten Auskünfte erteilen. Zudem muss der Vermittler, wenn er die Anlage anhand eines Prospekts vertreibt, seiner Auskunftspflicht nachkommen und im Rahmen der geschuldeten Plausibilitätsprüfung den Prospekt darauf überprüfen, ob er ein schlüssiges Gesamtbild über das Beteiligungsobjekt gibt und ob die darin enthaltenen Informationen sachlich richtig und vollständig sind. Unterlässt er diese Prüfung, hat er den Interessenten darauf hinzuweisen (z.B. , NJW-RR 2015, 365, 366 Rn. 23; vom - III ZR 144/10, NJW-RR 2011, 910, 911 Rn. 9; vom - III ZR 17/08, NZG 2009, 471, 472 Rn. 12 mwN; vom - III ZR 218/06, NJW-RR 2007, 925 Rn. 4 und vom - III ZR 62/99, NJW-RR 2008, 998, 999).
10b) Ausgehend von diesen Grundsätzen verstößt eine unterlassene oder unzureichende Plausibilitätsprüfung der empfohlenen Kapitalanlage zwar gegen diese aus einem Anlagevermittlungsvertrag folgende Verpflichtung. Im Hinblick auf den Schutzzweck der Prüfungs- und Offenbarungspflicht kann dies aber nur dann zu einer Haftung des Vermittlers führen, wenn die vorzunehmende Prüfung Anlass zu Beanstandungen gegeben hätte, etwa, weil ein Risiko erkennbar geworden wäre, über das der Anleger hätte aufgeklärt werden müssen, oder, weil die Empfehlung der Anlage nicht anleger- und/oder objektgerecht gewesen ist (vgl. aaO Rn. 13 und vom aaO sowie , BKR 2008, 520, 521 Rn. 14 zur Beratung durch eine Bank). Hiernach ist jeweils festzustellen, ob eine (hypothetische) Untersuchung des Anlagekonzepts und der dazu gehörigen Unterlagen auf Plausibilität durch den Anlagevermittler Anlass zu Beanstandungen gegeben hätte oder ihr in den für die Anlageentscheidung wesentlichen Punkten standgehalten hätte. Ob eine zum Schadensersatz führende Pflichtverletzung vorliegt, kann deshalb nicht beurteilt werden, wenn nicht zuvor festgestellt wird, dass es an der notwendigen Plausibilität fehlt und woraus sich dies ergibt.
11Soweit der Klägervertreter demgegenüber in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, allein die Unterlassung der gebotenen Plausibilitätsprüfung und die fehlende Aufklärung hierüber seien für die Begründetheit des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs ausreichend, weil die Klägerin sich nicht zur Zeichnung der Anlage entschlossen hätte, wenn Sie gewusst hätte, dass diese Prüfung nicht durchgeführt worden sei, kann darauf eine Verurteilung des Beklagten nicht gestützt werden.
12Zwar ist der Hinweis unter Kausalitätsgesichtspunkten zutreffend. Hierdurch werden jedoch die dargestellten Schutzzweckerwägungen nicht in Frage gestellt. Auch wenn der Vermittler seine Pflicht zur Plausibilitätsprüfung beziehungsweise zum Hinweis auf die Unterlassung einer solchen verletzt, eine hypothetische Prüfung allerdings keine Beanstandungen ergeben hätte, hat der Anleger nichts anderes erhalten als ein den Plausibilitätsanforderungen entsprechendes Beteiligungsobjekt. Ist deshalb die notwendige Plausibilität der Anlage vorhanden gewesen, kann sich der Anleger nicht darauf berufen, allein das Fehlen der notwendigen Überprüfung und eines Hinweises darauf sei maßgeblich und ausreichend, um gegen den Vermittler vorgehen zu können.
13Es ist deshalb an den dargestellten Rechtsprechungsgrundsätzen festzuhalten, wonach Feststellungen dazu zu treffen sind, ob eine (hypothetische) Untersuchung des Anlagekonzepts und der Angaben im Prospekt überhaupt Anlass zu Beanstandungen gegeben oder ob die Anlage die Voraussetzungen für eine ausreichende Plausibilität erfüllt hätte. Erst wenn sich insoweit Defizite ergeben, mit denen der Anleger nicht zu rechnen brauchte und über die er aufzuklären gewesen wäre, kann die Pflichtverletzung des Vermittlers zu einem Schadensersatzanspruch führen.
14c) Solche erforderlichen Feststellungen sind jedoch weder in erster Instanz noch vom Berufungsgericht getroffen worden. Dies wäre indes auf der Grundlage des Vorbringens der Klägerin geboten gewesen. Sie hat hierzu vorgetragen, es habe sich um eine höchst riskante und untaugliche Anlage gehandelt, deren Konzept besonders wegen der offensichtlich fragwürdigen Höhe der zu erwartenden Rendite nicht habe funktionieren können. Demgegenüber kommt es zunächst nicht, wie das Berufungsgericht meint, darauf an, ob der Beklagte zum Inhalt der ihm zur Verfügung stehenden Informationen näher vorgetragen hat, um beurteilen zu können, ob er daraus ein plausibles Konzept habe herleiten können und dürfen.
15Für die mangelnde Plausibilität trifft entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts nicht den Vermittler die Darlegungs- und Beweispflicht. Vielmehr trägt der Anleger die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die vermittelte Anlage aufklärungsbedürftige Plausibilitätsdefizite aufwies. Dies hat der Senat bereits für von Anlageberatern durchgeführte Plausibilitätsprüfungen entschieden (Urteile vom - III ZR 293/12, juris Rn. 22 und vom - III ZR 55/12, WM 2012, 2375 Rn. 17). Nichts anderes kann für die hier der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legende Fallgestaltung gelten, in der eine Prüfung der Plausibilität nicht stattgefunden hat und das hypothetische Ergebnis einer solchen Untersuchung festzustellen ist. Auch bedeutet es im vorliegenden Zusammenhang keinen Unterschied, ob es sich um einen Anlageberater oder -vermittler handelt.
16Das Berufungsgericht hat sich für seine gegenteilige Auffassung auf die , NZG 2009, 471 Rn. 14) und vom (III ZR 218/06, NJW-RR 2007, 925 Rn. 10) bezogen, diese Entscheidungen jedoch missverstanden. Die entsprechenden Ausführungen betreffen nicht das Vorliegen etwaiger Prospektfehler, sondern den Einwand des Vermittlers, die Fehler seien für ihn auch bei einer hypothetischen Plausibilitätsprüfung nicht zu entdecken gewesen (Urteil vom 5. März aaO), und das Verschulden des Vermittlers (Urteil vom aaO).
17Erst wenn sich im weiteren Verfahren aufgrund der nachzuholenden Feststellungen das Vorbringen der Klägerin zu den Plausibilitätsdefiziten der Anlage bestätigen sollte, stellt sich die weitere Frage, ob der Beklagte die entsprechenden Mängel bei einer Prüfung der Plausibilität hätte erkennen müssen. Nur für diese Frage obliegt ihm dann die Darlegungs- und Beweislast (vgl. Senatsurteil vom aaO).
182. Soweit das Berufungsgericht im Zusammenhang mit der von dem Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung weiter die Auffassung vertreten hat, sein Vortrag lasse nicht erkennen, (konkret) wann und durch wen die Klägerin von welchen Risiken der Anlage und insbesondere davon erfahren habe, dass er die Plausibilität der empfohlenen Anlage nicht überprüft habe, ist auch dies nicht frei von Rechtsfehlern. Der Vorwurf, der Beklagte habe den Eintritt der Verjährung nicht schlüssig vorgetragen, ist einerseits deshalb nicht tragfähig, weil es für den Verjährungsbeginn nicht allein darauf ankommt, ob und wann die Klägerin von der angeblich unterbliebenen Plausibilitätsprüfung erfahren hat. Denn darin kann, wie dargestellt, für sich genommen noch keine anspruchsbegründende Pflichtverletzung gesehen werden.
19Hinzu kommt, dass für die Beurteilung der Kenntnis beziehungsweise grob fahrlässigen Unkenntnis des Gläubigers von den seinen Anspruch begründenden Umständen gemäß § 199 Abs. 1 BGB im Hinblick auf Aufklärungsfehler bei der Vermittlung von Kapitalanlagen jede einzelne Pflichtverletzung getrennt zu prüfen und jede Pflichtverletzung verjährungsrechtlich selbständig zu behandeln ist (vgl. nur Senatsurteil vom - III ZR 149/14, NJW 2015, 2956, 2957 Rn. 14 mwN). Dies setzt aber voraus, dass der Anleger - hier die Klägerin - zu den Pflichtverletzungen beziehungsweise Prospektfehlern, auf die er seinen Schadensersatzanspruch maßgeblich stützt, konkret vorträgt und der Vermittler - hier der Beklagte - darauf bezogen die insoweit kenntnisbegründenden Umstände im Einzelnen darlegen kann. Vorliegend beruft sich die Klägerin auf eine fehlende Plausibilitätsprüfung und die Vermittlung einer höchst riskanten und ungeeigneten Anlage sowie auf den unterlassenen Hinweis bezüglich der ihren Angaben zufolge fehlenden Prüfung durch den Beklagten. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist es aber nicht Sache des Beklagten, im Einzelnen darzustellen, wann und durch wen die Klägerin Kenntnis von welchen Risiken der Anlage erlangt hat, wenn nicht zuvor sie selbst diese Risiken konkret benennt und gegebenenfalls beweist. Auch im Hinblick darauf sind weitere Feststellungen erforderlich.
203. Der angefochtene Beschluss war danach aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). In dem neuen Verfahren besteht auch Gelegenheit, sich mit den weiteren Rügen der Revision zu befassen, auf die einzugehen der Senat im vorliegenden Verfahren keine Veranlassung hat.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2017:300317UIIIZR139.15.0
Fundstelle(n):
WM 2017 S. 800 Nr. 17
AAAAG-45301