BSG Beschluss v. - B 9 V 13/16 B

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache - soziales Entschädigungsrecht - Gewaltopfer - Anspruch auf Empfängnisverhütungsmittel nach dem OEG - Grundrechtsverstoß - Darlegungsanforderungen

Gesetze: § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 1 Abs 1 S 1 OEG, § 24a SGB 5, § 10 Abs 6 S 1 BVG, § 10 Abs 6 S 2 BVG, § 10 Abs 6 S 3 BVG, § 11 Abs 1 S 2 BVG, GG

Instanzenzug: SG Braunschweig Az: S 12 VE 21/12 Urteilvorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Az: L 10 VE 57/13 Urteil

Gründe

I

1In der Hauptsache begehrt die Klägerin Versorgung mit Medikamenten zur Empfängnisverhütung bzw Kostenerstattung für selbstbeschaffte Leistungen für die Zeit vom bis . Bei der Klägerin ist nach Misshandlungen im Kindesalter eine Funktionsschädigung des Gehirns mit Entwicklung von geistiger und seelischer Behinderung als Schädigungsfolge mit einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 70 anerkannt.

2Die Versorgung mit Empfängnisverhütungsmitteln lehnte zunächst die Beigeladene und sodann der Beklagte ab (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Das SG hat die Klage abgewiesen ua unter Hinweis darauf, die streitigen Mittel gehörten nicht zum Leistungskatalog des § 10 Abs 6 Bundesversorgungsgesetz (BVG) (Urteil vom ). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt, ein Anspruch auf Versorgung mit empfängnisverhütenden Mitteln bestehe nicht. Der Leistungskatalog des Beklagten werde jedenfalls begrenzt durch die Leistungen, die die Krankenkasse ihren Mitgliedern zu erbringen verpflichtet sei. Nach Vollendung des 20. Lebensjahres - wie hier - bestehe kein Anspruch, auch nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung. Eine Ausnahme bestehe auch nicht unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Insoweit kämen Grundsicherungsleistungen in Betracht. Auch unter Krankenbehandlungsgesichtspunkten sei eine Leistungspflicht nicht zu begründen. Denn die geltend gemachten möglichen psychischen Belastungen einer ungewollten Schwangerschaft entsprächen einem abstrakten Erkrankungsrisiko und stellten kein ernsthaftes konkretes Risiko des alsbaldigen Eintritts eines psychischen Schadens dar, welches einen Anspruch auf vorsorgende Krankenbehandlung auslösen könnte. Anhaltspunkte für Härteleistungen bestünden ebenfalls nicht (Urteil vom ).

3Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG und macht die grundsätzliche Bedeutung der Sache geltend.

4II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

51. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine bestimmte Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.

6Die Klägerin wirft als Frage von grundsätzlicher Bedeutung auf, ob ihr, geboren 1992, nach den Vorschriften des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm BVG die Versorgung mit Empfängnisverhütungsmitteln zustehe. Es ist schon zweifelhaft, ob damit eine Rechtsfrage mit Breitenwirkung aufgeworfen oder lediglich das einzelfallbezogene Anliegen der Klägerin umschrieben ist. Aber auch wenn der Beschwerdebegründung insoweit eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage zur Altersgrenze oder zur Höhe des Einkommens als Voraussetzung für eine Versorgung mit Empfängnisverhütungsmitteln entnommen wird, zeigt die Klägerin den Klärungsbedarf nicht auf. Sie beschäftigt sich schon im Ansatz nicht mit dem nach dem OEG (§ 1 Abs 1 S 1 OEG) entsprechend anwendbaren einfachgesetzlichen Konzept der §§ 10, 11 BVG, das für Art und Umfang der Heilbehandlung grundsätzlich auf den Leistungskatalog des SGB V verweist (§ 11 Abs 1 S 2 BVG) und damit die versorgungsrechtliche Grundentscheidung konkretisiert, Gewaltopfern ebenso wenig wie Kriegsbeschädigten vollen Schadensersatz zuzubilligen (BSGE 86, 253 - SozR 3-3100 § 18 Nr 5). Sie beschäftigt sich ebenso wenig damit, ob und inwieweit für die Leistungen zur Verhütung und Früherkennung von Krankheiten sowie Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft, zur Gesundheitsförderung, Prävention und Selbsthilfe (§ 10 Abs 6 S 1 und 2 BVG) hiervon ausgehend etwas anderes gelten könnte (vgl § 10 Abs 6 S 3 BVG). Soweit die Beschwerdebegründung in diesem Kontext auf Petitionen verweist, die den Bundestag auffordern, dauerhaft und bundesweit eine einheitliche Regelung mit Rechtsanspruch zu schaffen für die genannten Personengruppen auch ab dem vollendeten 20. Lebensjahr, stellt sie sich im Gegenteil sogar auf den Standpunkt, dass eine einfachgesetzliche Regelung zu ihren Gunsten gar nicht vorhanden ist.

7Auch mit dem Hinweis auf einen möglichen Grundrechtsverstoß zeigt die Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung nicht hinreichend auf. Wer mit der Nichtzulassungsbeschwerde einen Verfassungsverstoß geltend macht oder sich auf die Verfassungswidrigkeit der höchstrichterlichen Auslegung einer Vorschrift beruft, darf sich dabei aber nicht auf die bloße Benennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken. Vielmehr muss der Beschwerdeführer unter Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu den gerügten Verfassungsnormen bzw -prinzipien in substantieller Argumentation darlegen, welche gesetzlichen Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll. Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfach gesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe der jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten Regelung des Grundgesetzes im Einzelnen dargelegt werden. Dabei ist aufzuzeigen, dass der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten und in willkürlicher Weise verletzt hat (Karmanski in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 160a RdNr 58 mwN). Eine solche gründliche Erörterung der höchstrichterlichen und verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung lässt die Beschwerde vermissen. Insbesondere beschäftigt sie sich nicht mit der Rechtsprechung, die die für Gewaltopfer entsprechend geltende Begrenzung der Krankenbehandlung Kriegsbeschädigter auf das Niveau der gesetzlichen Krankenversicherung für verfassungsrechtlich unbedenklich hält ().

82. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

93. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

104. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2016:080916BB9V1316B0

Fundstelle(n):
EAAAG-44413