BFH Urteil v. - X R 13/14

Steuerliche Behandlung eines Sterbegelds aus einem Versorgungswerk

Leitsatz

1. Auch ein einmaliges Sterbegeld, das ein berufsständisches Versorgungswerk neben der laufenden Hinterbliebenenrente an den überlebenden Ehegatten des Mitglieds zahlt, unterliegt als "andere Leistung" (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG) mit dem Besteuerungsanteil der Einkommensteuer.

2. In Bezug auf das Sterbegeld ist der für "Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten" geltende ermäßigte Steuersatz nicht zu gewähren.

Gesetze: EStG 2002§ 22 Nr 1 S 3 Buchst a DBuchst aa, EStG 2002 § 34 Abs 2 Nr 4, EStG VZ 2008

Instanzenzug: ,

Tatbestand

1 I. Der im Streitjahr 2008 verstorbene Ehemann (E) der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) war Mitglied eines berufsständischen Versorgungswerks. Im Streitjahr zahlte das Versorgungswerk an die Klägerin neben der laufenden Hinterbliebenenrente ein Sterbegeld in Höhe von 3.097,20 € aus, das auf § 26 Abs. 1 der Satzung des Versorgungswerks beruhte. Diese —vom Finanzgericht (FG) in Bezug genommene— Satzungsregelung lautet: „Anspruch auf Sterbegeld hat der überlebende Eheteil, wenn die Ehe bis zum Tode des Teilnehmers fortbestanden hat. Ist kein überlebender Eheteil vorhanden, so haben den Anspruch die ehelichen, für ehelich erklärten, nichtehelichen und an Kindes Statt angenommenen Kinder; durch Zahlung an eines der anspruchsberechtigten Kinder wird die Versorgungsanstalt befreit.“

2 Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) erfasste im Einkommensteuerbescheid 2008 —mit dem er die Klägerin letztmals mit E zusammenveranlagte— neben den laufenden Renteneinnahmen auch das Sterbegeld mit dem Besteuerungsanteil (56 %) als sonstige Einkünfte aus der Basisversorgung (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa des EinkommensteuergesetzesEStG—). Nach erfolglosem Einspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, das Sterbegeld sei zweckgebunden zur Deckung der Sterbefallkosten bestimmt und daher nicht steuerbar. Ihr seien Beerdigungskosten in einer Höhe entstanden, die den Betrag des Sterbegelds überstiegen.

3 Während des Klageverfahrens erließ das FA am einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, mit dem es den Katalog der Vorläufigkeitsvermerke erweiterte.

4 Das FG, dem die Urteile des erkennenden Senats vom X R 3/12 (BFHE 243, 287, BStBl II 2014, 58) und X R 21/12 (BFH/NV 2014, 330, Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen durch ), die zu Kapitalabfindungen von Versorgungswerken ergangen sind, erst zwischen der Verkündung und der Abfassung seines Urteils bekannt wurden, gab der Klage statt. Es vertrat die Auffassung, Einmalleistungen aus Versorgungswerken seien nur steuerbar, wenn es sich —wie in den vom Bundesfinanzhof (BFH) entschiedenen Fällen— um die Kapitalisierung wiederkehrender Bezüge handele. Demgegenüber werde die Besteuerung von Sterbegeldern nicht vom Gesetzeszweck gedeckt. Dieser bestehe allein darin, eine Umgehung der Besteuerung durch Umwandlung wiederkehrender Bezüge in eine einmalige Kapitalleistung zu verhindern. Auch die „anderen Leistungen“ i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG seien als Unterfall der „wiederkehrenden Bezüge“ nach Satz 1 dieser Vorschrift anzusehen. Zudem seien die früher von der gesetzlichen Krankenversicherung geleisteten Sterbegelder (§§ 58, 59 a.F. des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch) als „Leistungen aus einer Krankenversicherung“ nach § 3 Nr. 1 Buchst. a EStG steuerfrei gewesen. Es sei nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber hieran etwas habe ändern wollen.

5 Mit seiner Revision vertritt das FA unter Hinweis auf die Senatsurteile in BFHE 243, 287, BStBl II 2014, 58 sowie in BFH/NV 2014, 330 die Auffassung, nach der gesetzgeberischen Entscheidung für die nachgelagerte Besteuerung komme es nicht mehr darauf an, ob Auszahlungen aus der Basisversorgung laufend oder einmalig vorgenommen würden. Der Hinweis des FG auf § 3 Nr. 1 Buchst. a EStG überzeuge nicht, weil diese Vorschrift nicht speziell auf Sterbegelder zugeschnitten sei, sondern sämtliche Leistungen aus Krankenversicherungen umfasse. Hätte der Gesetzgeber Sterbegelder generell von der Einkommensteuer befreien wollen, hätte er eine entsprechende Steuerbefreiungsvorschrift für alle derartigen Leistungen geschaffen, an der es aber fehle. So seien Sterbegelder, die an die Hinterbliebenen von Beamten gezahlt würden, schon seit jeher nach § 19 EStG besteuert worden, Sterbegelder an die Hinterbliebenen von Abgeordneten nach § 22 Nr. 4 EStG.

6 Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7 Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

8 Sie vertritt weiterhin die Auffassung, das Sterbegeld solle lediglich den infolge des Todesfalls entstehenden Mehraufwand abdecken und habe daher keinen Einkommenscharakter. Es handele sich um die teilweise Rückzahlung von Beiträgen, die als Kapitalanlage anzusehen seien. Da die Beiträge einkommensteuerlich nicht hätten abgezogen werden können, komme es zu einer Doppelbesteuerung. Hilfsweise seien die von E im Streitjahr bis zu seinem Todestag noch an das Versorgungswerk geleisteten Beiträge von 3.855 € als vorweggenommene Werbungskosten zu den sonstigen Einkünften abzuziehen.

9 Während des Revisionsverfahrens hat die Klägerin sämtliche Richterinnen und Richter des BFH wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Der erkennende Senat hat dieses Ablehnungsgesuch mit Beschluss vom X R 13/14 (BFH/NV 2014, 1758) zurückgewiesen.

Gründe

10 II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

11 1. Das Sterbegeld aus dem berufsständischen Versorgungswerk unterliegt als „andere Leistung“ gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG mit dem Besteuerungsanteil der Einkommensteuer (ebenso , BStBl I 2013, 1087, Rz 204).

12 a) Der erkennende Senat hat bereits entschieden, dass eine Besteuerung als „andere Leistung“ i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 1 Buchst. a EStG nicht zugleich das Vorliegen „wiederkehrender Bezüge“ nach § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG erfordert (Urteil in BFHE 243, 287, BStBl II 2014, 58, Rz 21 ff.). Wegen der Einzelheiten der Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die genannte Entscheidung Bezug genommen.

13 Entgegen der Auffassung des FG dient diese Auslegung nicht lediglich der „Missbrauchsvermeidung“ (Verhinderung der Umwandlung laufender Rentenleistungen in einmalige Kapitalzahlungen), sondern stellt allgemein die systemgerechte Umsetzung des Konzepts der nachgelagerten Besteuerung sicher, das der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Vorsorgeaufwendungen und Altersbezügen seit 2005 zugrunde liegt. Das FA weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages in seinem Bericht zum Alterseinkünftegesetz (AltEinkG) die von einigen Versorgungswerken eingeräumte Möglichkeit von Teilkapitalisierungen nur als Beispiel für eine „andere Leistung“ angeführt hat (BTDrucks 15/3004, S. 19), den Anwendungsbereich dieses gesetzlichen Tatbestands aber ersichtlich nicht auf diese Fallgestaltungen hat beschränken wollen.

14 Auch die grundlegenden Wertungen, die mit der Neugestaltung der Rentenbesteuerung durch das AltEinkG verbunden waren (vgl. auch dazu ausführlich Senatsurteil in BFHE 243, 287, BStBl II 2014, 58, Rz 26 ff.), sprechen für eine Einbeziehung sämtlicher Auszahlungen aus der Basisversorgung in die nachgelagerte Besteuerung; ihnen lässt sich eine Beschränkung auf kapitalisierte Rentenansprüche nicht entnehmen. Da der Gesetzgeber sich mit dem AltEinkG grundsätzlich von seiner früheren Sichtweise (Altersbezüge als nicht steuerbare Vermögensumschichtung) gelöst hat, trägt der —auch von der Klägerin vorgebrachte— Einwand, es handele sich um die Rückzahlung einer Kapitalanlage, nicht mehr (Senatsurteil in BFHE 243, 287, BStBl II 2014, 58, Rz 31). Die Steuerbarkeit sämtlicher Leistungen der Basisversorgung gilt nicht nur für den Endzustand der nachgelagerten Besteuerung, der erst für die Renteneintrittsjahrgänge ab dem Jahr 2040 erreicht sein wird, sondern bereits für die gegenwärtig laufende Übergangsphase (Senatsurteil in BFHE 243, 287, BStBl II 2014, 58, Rz 34).

15 b) Aus dem Zweck des Sterbegelds, eine finanzielle Hilfestellung für die Aufbringung der Sterbefallkosten zu bieten, folgt nichts anderes. Eine rechtliche Zweckbindung ist hiermit nicht verbunden. Nach § 26 Abs. 1 der Satzung des Versorgungswerks wird das Sterbegeld unabhängig davon gezahlt, ob bzw. in welcher Höhe dem überlebenden Ehegatten Sterbefallkosten entstehen. Auch ist die Zahlung unabhängig davon, ob der überlebende Ehegatte überhaupt Erbe —und damit gemäß § 1968 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zur Tragung der Beerdigungskosten verpflichtet— ist.

16 Einer tatsächlichen Verwendung des Sterbegelds zur Begleichung von Beerdigungskosten im Einzelfall wird im System des Einkommensteuerrechts im Übrigen dadurch Rechnung getragen, dass diejenigen Beerdigungskosten, die den Wert des erhaltenen Nachlasses übersteigen, als außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden können (z.B. , BFHE 162, 326, BStBl II 1991, 140, m.w.N.) und auf diese Weise steuerlich entlastet werden.

17 Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es auch nicht zu einer zweimaligen einkommensteuerlichen Belastung des Sterbegelds. Die Klägerin bringt insoweit vor, eine Besteuerung des Sterbegelds müsse schon deshalb ausscheiden, weil es im Rahmen der außergewöhnlichen Belastungen auf die Beerdigungskosten angerechnet werde und dadurch den abziehbaren Betrag mindere. Indes hat der BFH eine derartige Anrechnung nur in Bezug auf solche Sterbegeldleistungen bejaht, die nicht einkommensteuerpflichtig sind (Urteil in BFHE 162, 326, BStBl II 1991, 140: Sterbegeldversicherung; Urteil vom III R 7/94, BFHE 180, 298, BStBl II 1996, 413: Kapitallebensversicherung). Demgegenüber hat der BFH bereits entschieden, dass Bezüge, die als solche einkommensteuerpflichtig sind, nicht auf den nach § 33 EStG abziehbaren Betrag anzurechnen sind (Urteil vom VI R 63/73, BFHE 115, 357, BStBl II 1975, 632: steuerpflichtige Krankheitskostenerstattung).

18 Auch sind Altersbezüge von ihrem Charakter her generell und typischerweise zur Sicherung des Lebensunterhalts —d.h. zur Begleichung existenzsichernder und zu einem großen Teil unvermeidbarer Aufwendungen— bestimmt, ohne dass dies ihrer Besteuerung grundsätzlich entgegenstünde.

19 c) Ebenso wenig vermag der Einwand der Klägerin zu überzeugen, die Besteuerung des an den überlebenden Ehegatten gezahlten Sterbegelds sei gleichheitswidrig, weil Sterbegeld, das das Versorgungswerk an ein Kind des verstorbenen Mitglieds (Waise) zahle, nicht der Einkommensteuer unterliege.

20 Der Senat kann schon die Prämisse, die der Argumentation der Klägerin zugrunde liegt —die fehlende Einkommensteuerbarkeit des an Waisen gezahlten Sterbegelds— nicht teilen. Er hat bereits entschieden, dass Einmalzahlungen aus der Basisversorgung auch dann gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG einkommensteuerbar und -steuerpflichtig sind, wenn daneben keine laufenden Leistungen gezahlt werden (Senatsurteil vom X R 33/10, BFHE 243, 332, BStBl II 2014, 103). Ebenso hat er erkannt, dass auch eine einmalige Todesfallleistung an ein hinterbliebenes Kind des Versicherten steuerpflichtig ist (Senatsurteil vom X R 43/11, BFHE 251, 313, BStBl II 2016, 685).

21 d) Aus den vom FA in der Revisionsbegründung genannten Erwägungen ist die für „Leistungen aus einer Krankenversicherung“ geltende Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 1 Buchst. a EStG für die rechtliche Beurteilung des Streitfalls ohne Bedeutung. Sie war zwar —solange Sterbegelder zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehört haben— auch auf diese Leistungen anwendbar, ist aber weder auf Sterbegelder zugeschnitten noch enthält sie eine umfassende Steuerfreistellung für Sterbegelder. Zu Recht weist das FA darauf hin, dass Sterbegelder, die an die Hinterbliebenen von Pensionären oder Abgeordneten gezahlt werden, nach § 19 EStG bzw. § 22 Nr. 4 EStG steuerpflichtig sind, ohne dass hier die Vorschrift des § 3 Nr. 1 Buchst. a EStG herangezogen würde.

22 2. Der für „Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten“ geltende ermäßigte Steuersatz nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG ist in Bezug auf das Sterbegeld nicht zu gewähren. Zwar hat der erkennende Senat den ermäßigten Steuersatz auf solche Leistungen angewendet, die die Kapitalisierung von an sich laufend auszuzahlenden Bezügen darstellten (Urteil in BFHE 243, 287, BStBl II 2014, 58, Rz 68 ff.). Tragend dafür war aber, dass derartige Kapitalisierungen zum einen atypisch für die Basisversorgung sind und zum anderen aufgrund ihrer außerordentlichen Höhe typischerweise zu einer Zusammenballung steuerpflichtiger Einkünfte und damit zu Progressionsnachteilen führen (vgl. zu diesem in den Fällen des § 34 Abs. 2 EStG stets zu beachtenden Erfordernis , BFHE 248, 75, BStBl II 2015, 529, Rz 21, m.w.N.).

23 Diese Erwägungen lassen sich auf Sterbegelder nicht übertragen. Sie stellen lediglich untergeordnete Zusatzleistungen zu den laufenden Rentenbezügen dar und sind daher —anders als Kapitalauszahlungen— nicht als Fremdkörper im Leistungskatalog der Basisversorgung anzusehen. Hinzu kommt, dass Sterbegelder aus der Basisversorgung typischerweise nicht so hoch ausfallen, dass sie zu Progressionsnachteilen führen.

24 3. Die von E im Streitjahr geleisteten Beiträge zum Versorgungswerk sind zwar ihrer Rechtsnatur nach vorweggenommene Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften, allerdings durch die Regelungen in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Abs. 3 EStG spezialgesetzlich den Sonderausgaben zugewiesen (ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, vgl. Urteil vom X R 34/07, BFHE 227, 99, BStBl II 2010, 414, unter B.I.2.b). Der von der Klägerin hilfsweise begehrte Werbungskostenabzug ist daher nicht zu gewähren.

25 4. Die Klägerin hat erstmals im Revisionsverfahren —ohne weitere Angaben— vorgebracht, das FA besteuere das Sterbegeld unter Missachtung des Verbots der doppelten Besteuerung (, 2 BvR 410/05, BVerfGE 120, 169) zum zweiten Mal. Dieser Vortrag ist indes zu wenig substantiiert, als dass der Senat veranlasst wäre, in eine nähere Prüfung einer etwaigen doppelten Besteuerung einzutreten. Angesichts der Höhe des steuerfreien Rententeilbetrags, der der —1951 geborenen— Klägerin während ihrer mittleren statistischen Lebenserwartung zufließen wird bzw. bereits zugeflossen ist, und eines Besteuerungsanteils von nur 56 % erscheint eine doppelte Besteuerung zudem rechnerisch als ausgeschlossen.

26 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2016:U.231116.XR13.14.0

Fundstelle(n):
BFH/NV 2017 S. 445 Nr. 4
ErbStB 2017 S. 175 Nr. 6
GStB 2017 S. 242 Nr. 7
HFR 2017 S. 509 Nr. 6
VAAAG-38821