Abgrenzung von Diebstahl und Betrug: Gewahrsamsübergang in einem mehraktigen Geschehen; irrtumsbedingte Überlassung eines Mobiltelefons für ein Telefonat und Davonlaufen des Täters mit dem Telefon
Gesetze: § 242 StGB, § 263 StGB
Instanzenzug: LG Nürnberg-Fürth Az: 13 KLs 802 Js 24075/15
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Beanstandung sachlichen Rechts gerichteten Revision. Sie möchte die Aufhebung des Urteils mit den zugrunde liegenden Feststellungen erreichen. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat insoweit Erfolg, als es sich gegen die rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts wendet, bleibt im Übrigen aber erfolglos.
I.
21. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3In der Nacht vom 30. auf den trafen sich der Angeklagte und der Geschädigte M. an einem N. U-Bahnhof. Sie kamen miteinander ins Gespräch, in dessen Rahmen der Angeklagte den Geschädigten bat, ihm dessen Mobiltelefon für ein Gespräch zu überlassen. Tatsächlich wollte der Angeklagte aber gar kein Gespräch mit dem Telefon führen, ihm kam es nur darauf an, das Telefon ausgehändigt zu bekommen. Der Geschädigte glaubte dem Vorwand des Angeklagten und reichte ihm sein Telefon, nachdem er seine eigene SIM-Karte herausgenommen und eine ihm vom Angeklagten übergebene SIM-Karte eingelegt hatte. Er ging irrtümlich davon aus, dass der Angeklagte ihm das Telefon nach dem Telefonat wieder zurückgeben wollte.
4Der Angeklagte nahm das Mobiltelefon entgegen und hielt es – etwa ein bis zwei Armlängen von dem Geschädigten entfernt stehend – in seiner Hand fest. Nunmehr fiel ein vom Angeklagten mitgeführtes Mobiltelefon zu Boden. In dem Moment drehte sich der Angeklagte um und rannte mit dem Telefon des Geschädigten für diesen völlig überraschend davon. Der Geschädigte nahm die Verfolgung des Angeklagten auf. Als dieser nach etwa 100 m zurück blickte und den hinter ihm her laufenden Geschädigten bemerkte, zog er ein in seiner Jackentasche mitgeführtes Messer mit einer feststehenden Klinge von 15 cm heraus und hielt dieses für den nunmehr nur noch 50 m entfernten Geschädigten sichtbar hoch, um ihn von der weiteren Verfolgung abzuhalten. Der Geschädigte ließ sich aber nicht von der Verfolgung des Angeklagten abhalten; ihm gelang es schließlich, die Polizei auf den flüchtenden Angeklagten aufmerksam zu machen. Diese konnte den Angeklagten festnehmen.
52. Das Landgericht hat seine Überzeugung von diesem Sachverhalt weitgehend auf die Angaben des Angeklagten gestützt. Den hiervon abweichenden Bekundungen des Geschädigten, wonach er unter Vorhalt eines Messers zur Herausgabe seines Mobiltelefons gezwungen worden sei, hat es keinen Glauben geschenkt.
63. Es hat den Sachverhalt als vollendeten Betrug gewürdigt. Seiner Auffassung nach sei für die Abgrenzung vom Diebstahl hier entscheidend, dass in der Aushändigung des Telefons keine Gewahrsamslockerung, sondern schon die Begründung neuen Gewahrsams liege. Denn jedenfalls auf öffentlichen Wegen verliere der Übergebende die Zugriffsmöglichkeit, sobald der andere den übergebenen Gegenstand umgreife und fest in der Hand halte. Er könne nur noch bei freiwilliger oder erzwungener Mitwirkung des Empfängers oder mit körperlicher Gewalt auf die übergebene Sache zugreifen. Deswegen sei die irrtumsbedingte Übergabe des Mobiltelefons eine Vermögensverfügung des Geschädigten. Mangels eines Diebstahls könne die Tat nicht als schwerer räuberischer Diebstahl gewertet werden. Eine schwere räuberische Erpressung scheide aus, da der Vermögensschaden bereits durch die Entgegennahme des Telefons eingetreten sei.
7Das Hochhalten des mitgeführten Messers stelle eine Drohung mit einem empfindlichen Übel dar, wodurch der Geschädigte dazu gebracht werden sollte, die weitere Verfolgung zu unterlassen und dem Angeklagten den Besitz des Mobiltelefons zu überlassen. Der Geschädigte sei dem aber nicht nachgekommen. Hierin liege eine versuchte Nötigung.
II.
81. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Sie beruht auf einer ausreichenden Gesamtschau der maßgeblichen Umstände und zeigt auch im Übrigen keine Rechtsfehler auf. Solche werden auch von der Revisionsführerin nicht geltend gemacht.
92. Die Bewertung des rechtsfehlerfrei festgestellten Sachverhalts als Betrug in Tateinheit mit Nötigung kann allerdings keinen Bestand haben.
10a) Die Würdigung des Landgerichts geht für die Abgrenzung von Diebstahl und Betrug von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab aus, indem es allein auf das äußere Erscheinungsbild der Übergabe des Mobiltelefons abstellt und deswegen darin eine Vermögensverfügung des Geschädigten sieht. Es nimmt nicht in den Blick, dass in Fällen, in denen sich der Täter, eine Sache durch Täuschung verschafft – wie hier unter dem Vorwand, nur ein Telefonat führen zu wollen und das Telefon dann zurückzugeben –, für die Abgrenzung von Wegnahme (§ 242 StGB) und Vermögensverfügung (§ 263 StGB) auch die Willensrichtung des Getäuschten und nicht nur das äußere Erscheinungsbild des Tatgeschehens maßgebend ist (, BGHSt 18, 221, 223; vom – 1 StR 650/67, JZ 1968, 637; vom – 2 StR 12/65, GA 1966, 212 und vom – 2 StR 537/86, BGHR StGB § 242 Abs.1 Wegnahme 2; Beschluss vom – 2 StR 154/16).
11Betrug liegt vor, wenn der Getäuschte aufgrund freier, nur durch Irrtum beeinflusster Entschließung Gewahrsam übertragen will und überträgt (vgl. , JZ 1968, 637 und vom – 2 StR 12/65, GA 1966, 212). In diesem Fall wirkt sich der Gewahrsamsübergang, dem ein Handeln, Dulden oder Unterlassen zu Grunde liegen kann, unmittelbar vermögensmindernd aus. Diebstahl ist gegeben, wenn die Täuschung lediglich dazu dienen soll, einen gegen den Willen des Berechtigten gerichteten eigenmächtigen Gewahrsamsbruch des Täters zu ermöglichen oder wenigstens zu erleichtern ( und vom – 2 StR 537/86, BGHR StGB § 242 Abs.1 Wegnahme 2; Vogel in LK, StGB, 12. Aufl., § 242 Rn. 120). Von der Vorschrift des § 242 StGB werden insbesondere auch solche Fallgestaltungen erfasst, in denen der Gewahrsamsinhaber mit der irrtumsbedingten Aushändigung der Sache eine Wegnahmesicherung aufgibt, gleichwohl aber noch zumindest Mitgewahrsam behält, der vom Täter gebrochen wird. Vollzieht sich der Gewahrsamsübergang mithin in einem mehraktigen Geschehen, so ist die Willensrichtung des Getäuschten in dem Zeitpunkt entscheidend, indem er die tatsächliche Herrschaft über die Sache vollständig verliert (, BGHR StGB § 242 Abs. 1 Wegnahme 2; , NJW 1990, 923; Beschluss vom – 2 StR 154/16). Um diesen Zeitpunkt des vollständigen Verlustes der Sachherrschaft bestimmen zu können, bedarf es der Berücksichtigung des äußeren Erscheinungsbildes der Tat.
12b) Nach diesen Maßgaben kann der Ansicht des Landgerichts, mit der Übergabe des Mobiltelefons sei eine Vermögensverfügung eingetreten, da der Geschädigte jede Zugriffsmöglichkeit verliere, auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts nicht gefolgt werden. Denn diese Wertung lässt unberücksichtigt, dass der Geschädigte das Mobiltelefon dem neben ihm stehenden Angeklagten nur für kurze Zeit überließ, damit dieser ein Gespräch führen könne und es ihm sodann zurückgeben werde. Dass unter diesen Voraussetzungen der Geschädigte gegen seinen Willen die tatsächliche Herrschaft über die noch in seiner unmittelbaren Nähe befindlichen Sache vollständig verloren haben könnte, ist ohne das Hinzutreten besonderer Umstände (vgl. hierzu , NStZ 1988, 270) regelmäßig mit den maßgeblichen Anschauungen des täglichen Lebens nicht vereinbar (vgl. ; vom – 2 StR 12/65, GA 1966, 212; vom – 1 StR 650/67, JZ 1968, 637 und vom – 1 StR 202/73, bei Dallinger MDR 1974, 15; Beschluss vom – 1 StR 460/87, BGHR StGB § 242 Abs. 1 Gewahrsam 2 mwN; Vogel in LK, StGB, 12. Aufl., § 242 Rn. 73, 88). Denn die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit wird unter den obwaltenden Umständen allein durch die Aufgabe der Sicherung, die darin liegt, die Sache unmittelbar bei sich zu tragen, noch nicht entzogen. Wie auch das Landgericht – angesichts der räumlichen Verhältnisse naheliegend – in Rechnung stellt, konnte der Geschädigte nach der Übergabe, aber vor dem Weglaufen des Angeklagten bei „freiwilliger oder erzwungener Mitwirkung des Empfängers oder mit körperlicher Gewalt wieder auf die Sache zugreifen“. Der fortdauernde Sachherrschaftswille ergibt sich aus der Vorstellung, das Telefon „unverzüglich“ zurückzuerhalten und wird durch das festgestellte weitere Verhalten des Geschädigten belegt. Anhaltspunkte dafür, dass der Geschädigte aus tatsächlichen Gründen nicht in der Lage gewesen wäre, die Sachherrschaft seinem Willen gemäß auszuüben, was nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist (, LM § 242 StGB Nr. 11 und vom – 4 StR 276/65, GA 1966, 244; Beschluss vom – 5 StR 532/87, NStZ 1988, 270; , MDR 1973, 866 f.), sind nicht ersichtlich und liegen nach der anschließenden Verfolgung auch fern.
13c) Es kommt nicht darauf an, ob auch der Angeklagte schon durch die Entgegennahme des Mobiltelefons ein Gewahrsamsverhältnis begründete. Angesichts der Gegebenheiten im vorliegenden Fall kann es sich allenfalls um die Erlangung von Mitgewahrsam durch den Angeklagten handeln. Die freiwillige Übertragung von Mitgewahrsam ist jedoch noch keine Vermögensverfügung; sie bewirkt keinen unmittelbaren Vermögensschaden, sondern lediglich eine Gewahrsamslockerung, die darin zu sehen ist, dass sich der Berechtigte der alleinigen Sachherrschaft begeben hat und nicht mehr in demselben Maße auf sie einwirken kann wie zuvor (, BGHR StGB § 242 Abs. 1 Wegnahme 2; RReg. 2 St 245/91, JR 1992, 519 m. Am. Graul; Vogel in LK, StGB, 12. Aufl., § 242 Rn. 119).
14d) Seinen Mitgewahrsam hatte der Geschädigte erst in dem Moment verloren, als der Angeklagte mit dem Telefon davongelaufen ist. Dieses Verhalten entsprach aber nicht mehr dem Willen des Geschädigten. Es handelte sich um einen eigenmächtigen Vorgang des Nehmens und nicht um ein Geben.
15e) Durch die unzutreffende rechtliche Würdigung hat sich das Landgericht auch den Blick auf die Verwirklichung des Tatbestands des besonders schweren räuberischen Diebstahls nach §§ 252, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verstellt. Eine solche Tat wäre allerdings bereits mit dem auf eine Gewahrsamserhaltung abzielenden Einsatz der Nötigungsmittel vollendet; ob es dem Täter gelingt, sich den Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten, ist unerheblich (Fischer, StGB, 63. Aufl., § 252 Rn. 10 mwN).
163. Es handelt sich um einen bloßen Wertungsfehler, der die Feststellungen nicht berührt. Diese konnten daher bestehen bleiben, worauf der Senat aus Klarstellungsgründen hingewiesen hat. Das neue Tatgericht kann jedoch ergänzende, zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen treffen. Die auf die Aufhebung der Feststellungen zielende Revision war zu verwerfen.
Graf Jäger Cirener
Radtke Mosbacher
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:121016U1STR402.16.0
Fundstelle(n):
KAAAF-87241