Verfahrenshindernis im Strafverfahren: Wirksamkeitsvoraussetzungen für einen Übernahmebeschluss
Gesetze: § 207 Abs 1 StPO, § 225a Abs 3 S 2 StPO, § 225a Abs 3 S 3 StPO
Instanzenzug: LG Rostock Az: 12 KLs 264/14 jug
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten L. wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten L. , mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, führt zur Aufhebung des Urteils, auch soweit es die Mitangeklagten R. und N. betrifft.
2Die auf die Sachrüge vorgenommene Überprüfung des angefochtenen Urteils hat ergeben, dass das Landgericht das Verfahren 932 Ls 55/14 jug Amtsgericht Güstrow nicht wirksam übernommen hat.
31. Nachdem das Amtsgericht Güstrow die alle drei Angeklagte betreffende Anklage der Staatsanwaltschaft Rostock wegen des Vorwurfs des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung mit Beschluss vom unverändert zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet hatte, hat es das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom gemäß § 225a Abs. 1 Satz 1 StPO dem Landgericht zur Übernahme vorgelegt (VA Bd. II Bl. 144 ff.). Ein Übernahmebeschluss der Strafkammer in einer von allen mitwirkenden Richtern unterzeichneten schriftlichen Fassung befindet sich nicht bei den Akten. Allerdings hat der Vorsitzende der Strafkammer mit Verfügung vom angeordnet, dem Amtsgericht Güstrow, der Staatsanwaltschaft Rostock und den Verteidigern der Angeklagten mitzuteilen, dass „das Verfahren u. dem Az 12 KLs 264/14-3 hier übernommen wurde“ (VA Bd. II 149R). Mit Beschluss vom selben Tag hat die Strafkammer zudem einen - noch an das Amtsgericht Güstrow gerichteten - Antrag der Staatsanwaltschaft Rostock auf Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen den Mitangeklagten N. zurückgewiesen.
42. Es besteht ein von Amts wegen zu beachtendes (vgl. , NStZ 2012, 46; vgl. auch Senat, Beschluss vom - 2 StR 106/11; Deiters/Albrecht in: SK-StPO, 5. Aufl., § 225a Rn. 30) Verfahrenshindernis, weil es an einem wirksamen Übernahmebeschluss fehlt.
5Die Form des Übernahmebeschlusses, der den Eröffnungsbeschluss insoweit abändert, als er die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts abweichend von diesem regelt (§ 207 Abs. 1 StPO im Verhältnis zu § 225a Abs. 3 Satz 1 StPO), und seine Anfechtbarkeit richten sich nach den für den Eröffnungsbeschluss geltenden Bestimmungen (§ 225a Abs. 3 Sätze 2 und 3 StPO). Ein ordnungsgemäßer Eröffnungsbeschluss muss schriftlich abgefasst werden (vgl. , NStZ 2014, 400, 401; Beschluss vom - 2 StR 46/12, NStZ 2012, 583, jew. mwN); hingegen ist die Unterzeichnung eines solchen Beschlusses durch den oder die erlassenden Richter keine Wirksamkeitsvoraussetzung (vgl. auch , NStZ 2014, 400 f. mwN). Dies gilt auch für den Übernahmebeschluss (vgl. , NStZ-RR 2015, 250, 251 mwN). An einem schriftlich abgefassten Übernahmebeschluss fehlt es indes hier.
6Die Vorsitzendenverfügung vom stellt - unbeschadet der äußeren Form und der fehlenden Unterschriften der beteiligten Richter - keine hinreichend deutliche schriftliche Dokumentation des Willens der Strafkammer dar, das Verfahren zu übernehmen. Im Hinblick auf die Bedeutung des Übernahmebeschlusses als Grundlage des Hauptverfahrens und aus Gründen der Rechtssicherheit (vgl. auch BT-Drucks. 8/976, S. 49) ist eine schriftliche Niederlegung der - ggfls. mit Änderungen versehenen - Entscheidung erforderlich. Weder aus der Vorsitzendenverfügung vom noch aus oder in Verbindung mit dem am selben Tage gefassten, von allen drei mitwirkenden Richtern unterzeichneten Beschluss der Strafkammer betreffend den Antrag auf Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen den Mitangeklagten N. lässt sich dieses entnehmen.
7Auf der Grundlage der dienstlichen Erklärungen der drei Berufsrichter steht zwar im Raum, dass die Strafkammer durch diese drei Richter und damit in ordnungsgemäßer Besetzung die Übernahme des Verfahrens beschlossen und lediglich die schriftliche Abfassung dieser Entscheidung versäumt hatte. Ein solches Verfahren ersetzt jedoch nicht einen ordnungsmäßigen Übernahmebeschluss, zu dessen wesentlichen Förmlichkeiten jedenfalls die schriftliche Abfassung durch die mitwirkenden Richter gehört.
83. Die Aufhebung des Urteils ist gemäß § 357 StPO auf die Mitangeklagten zu erstrecken. Diese Vorschrift ist auch dann anzuwenden, wenn ein Urteil wegen Fehlens einer von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensvoraussetzung aufgehoben wird (vgl. auch , NStZ 1986, 275, 276 mwN).
94. Der Senat verweist die Sache an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurück. Zwar ist das Verfahren bei dem Amtsgericht - Schöffengericht - Güstrow anhängig geblieben. Dieses Gericht hat aber nicht nur das Hauptverfahren eröffnet, sondern die Sache auch wirksam gemäß § 225a Abs. 1 Hs. 1 StPO dem Landgericht zur Übernahme vorgelegt. In diesem Stadium befindet sich das Verfahren erneut nach der Aufhebung des Urteils durch den Senat. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer (§ 354 Abs. 2 StPO) wird daher zunächst gemäß § 225a Abs. 1 Satz 2 StPO über die Übernahme der Sache zu befinden haben (vgl. , NStZ-RR 2015, 250, 251).
Appl Mutzbauer Eschelbach
Ott Zeng
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:140716B2STR514.15.0
Fundstelle(n):
LAAAF-82161