Instanzenzug: BPatG
Tatbestand
1Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am international angemeldeten (WO 00/16480) und mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 133 827 (Streitpatents), das sechs Patentansprüche umfasst. Die nebengeordneten Ansprüche 1 und 5 lauten in der Verfahrenssprache:
"1. A communication system for selectively limiting access to the location information of a pager or call receiver (8), comprising:
(i) a pager or call receiver (8) that is able to periodically communicate with satellite and/or earth based communication means to establish its location within the system for a time;
(ii) callers accessing the system to receive the location of the pager/call receiver within the system during said time;
(iii) means to provide the location of the pager/call receiver to individual callers that have been authorized to receive the location information of the pager/call receiver during said time;
(iv) means for activating or deactivating a location disclosure feature for a pager/call receiver, such a feature used to allow/deny access to the location information of said pager/call receiver to said individual authorized callers during said time;
(v) the system able to use said location disclosure feature of the pager/call receiver to allow access to the location information of said pager/call receiver to one of said individual authorized callers while also being able to use said location disclosure feature to deny access to another of said individual authorized callers during said time that the location of the pager/call receiver is periodically established within the system.
5. A method for selectively limiting access to the location information of a pager or call receiver (8) in a communication system, comprising
(i) periodically communicating with satellite and/or earth based communication means to establish the location of a pager or call receiver (8) within the system for a time;
(ii) giving callers access to the system to be able to receive the location of the pager/call receiver within the system during said time;
(iii) providing the location of the pager or call receiver to individual callers that have been authorized to receive the location of the pager/call receiver during said time;
(iv) specifying location disclosure feature for said pager to the system, such a feature used to allow/deny access to the location information of said pager/call receiver to said individual authorized callers during said time;
(v) using said location disclosure feature of the pager or call receiver (8) to allow access to the location information of said pager or call receiver (8) to one of said individual authorized callers while also being able to use said location disclosure feature to deny access to another of said individual authorized callers during said time that the location of the pager or call receiver (8) is periodically established within the system."
2Die Klägerin hat das Streitpatent in vollem Umfang angegriffen und geltend gemacht, sein Gegenstand gehe über den Inhalt der Anmeldungsunterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und sei auch nicht patentfähig. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und das Streitpatent hilfsweise in beschränkten Fassungen verteidigt.
3Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Mit ihrer dagegen eingelegten Berufung, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verteidigt die Beklagte das Streitpatent nur noch mit einem auf ein "paging communication system ..." beschränkten Gegenstand und hilfsweise in insgesamt 16 weiter eingeschränkten Fassungen.
Entscheidungsgründe
4I. Das Streitpatent bezieht sich auf Funkruf-Telekommunikationsdienste und -systeme (paging telecommunication services and systems), insbesondere satellitengestützte Dienste und Systeme dieser Art.
51. Der Beschreibung zufolge verteuert es die Übertragungskosten für Funkrufnachrichten unangemessen, wenn Teilnehmer (subscriber) von FunkrufNetzwerken (paging networks) an sie adressierte Nachrichten vorbehaltslos weltweit übermittelt bekommen, weil jede Nachricht selbst dann in entsprechender Reichweite gesendet wird, wenn Anrufer und Teilnehmer sich am gleichen geografischen Standort oder nur in geringer Entfernung voneinander aufhalten. Zur Vermeidung eines so hohen Sendeaufwands könnten die Teilnehmer in manchen Funkrufsystemen vorab ein (begrenztes) Gebiet zum Empfang von Funkrufnachrichten festlegen, das periodisch aktualisiert werde, wenn der Teilnehmer seinen Standort (current global position, active area) verändere. Jedes Mal, wenn ein Funkruf-Netzwerk eine Nachricht für einen Teilnehmer verarbeite, werde der aktuelle Standort seines Empfängers mit den vorab bestimmten Gebieten abgeglichen (validated against the areas pre-selected by the subscriber). Befinde sich der aktive Bereich in dem von diesem Teilnehmer vorab festgelegten Gebiet, werde ihm die Nachricht übermittelt. Verlasse er im Zuge größerer Ortsveränderungen seinen vorab gewählten oder aktiven Bereich, sei es angebracht, ihm dies anzuzeigen. Das setze voraus, dass der für den jeweiligen Standort des (Funk-)Rufempfängers aktive Bereich dem betreffenden Teilnehmer zugänglich gemacht werde, damit das Netzwerk bei Bedarf mit dieser Information aktualisiert werden kann. Dafür müsse der Empfänger mit entsprechenden Mitteln zur Bestimmung seines eigenen Standorts auf dem Globus ausgestattet sein.
62. Vor diesem Hintergrund schlägt das Streitpatent mit Patentanspruch 1 in der zuletzt verteidigten Fassung (im Folgenden nur: Patentanspruch 1) ein Funkruf-Kommunikationssystem (paging communication system) vor, dessen Merkmale sich in Anlehnung an die Merkmalsgliederung im angefochtenen Urteil wie folgt gliedern lassen:
Funkruf-Kommunikationssystem mit selektiver Beschränkung des Zugangs zu den Informationen über den Standort eines (Funk-)Rufempfängers,
(A paging communication system for selectively limiting access to the location information of a pager or call receiver, comprising)
mit einem (Funk-)Rufempfänger, der periodisch mit satelliten- und/oder erdgestützten Kommunikationsmitteln kommunizieren kann, um seinen Standort innerhalb des Systems zu einer (jeweiligen) Zeit zu bestimmen,
(a pager or call receiver that is able to periodically communicate with satellite and/or earth based communication means to establish its location within the system for a time)
bei dem auf das System zugreifende Anrufer den Standort des (Funk-)Rufempfängers innerhalb des Systems zur jeweiligen Zeit mitgeteilt bekommen können,
(callers accessing the system to receive the location of the pager/call receiver within the system during said time)
mit Mitteln, um bestimmten dazu berechtigten Anrufern Informationen über den Standort des (Funk-)Rufempfängers zur jeweiligen Zeit mitteilen zu können,
(means to provide the location of the pager/call receiver to individual callers that have been authorized to receive the location information of the pager/call receiver during said time)
und mit Mitteln zum Aktivieren oder Deaktivieren einer Standortbekanntgabefunktion für einen (Funk-)Rufempfänger,
(means for activating or deactivating a location disclosure feature for a pager/call receiver)
(41) mit der den individuell berechtigten Anrufern der Zugang zu den Standortdaten dieses Empfängers ermöglicht oder verweigert werden kann,
(such a feature used to allow/deny access to the location information of said pager/call receiver to said individual authorized callers during said time)
wobei das System in der Lage ist, die Standortbekanntgabefunktion des (Funk-)Rufempfängers zu verwenden, um während der jeweiligen Zeit, zu welcher der Standort dieses Empfängers periodisch innerhalb des Systems ermittelt wird, einem bestimmten (berechtigten) Anrufer die Standortinformationen des Empfängers zugänglich zu machen und einem anderen (berechtigten) Anrufer diese Informationen vorzuenthalten.
(the system [being] able to use said location disclosure feature of the pager/call receiver to allow access to the location information of said pager/call receiver to one of said individual authorized callers while also being able to use said location disclosure feature to deny access to another of said individual authorized callers during said time that the location of the pager/call receiver is periodically established within the system).
73. Das Patentanspruch 1 zugrunde liegende technische Problem betrifft die Zugänglichkeit von Informationen über den Standort eines (Funk-)Rufempfängers für den jeweiligen Absender einer Funkrufnachricht im Zusammenhang mit deren Sendung an das betreffende Empfangsgerät.
8a) Merkmal 1 bezieht sich auf die nach der Beschreibung für die Weitergabe solcher Standortinformationen vorauszusetzende Ausstattung des (Funk-)Rufempfängers mit Mitteln zur Bestimmung seines eigenen jeweiligen geografischen Standorts. Dazu sieht das Merkmal die periodische Ortung des Geräts durch Kommunikation mit satelliten- oder erdgestützten Kommunikationsmitteln vor. Zu den dafür verfügbaren technischen Möglichkeiten heißt es in der Beschreibung, dass einige der Funkruf-Nachrichten übertragenden Satelliten und erdgestützten Übertragungseinrichtungen auch dazu eingesetzt werden könnten, referenzierte Positionssignale an den (Funk-)Rufempfänger zu übertragen. Alternativ könne das bekannte Global Positioning System (GPS) vom Empfänger dazu benutzt werden, seinen jeweiligen Standort zu bestimmen (Beschreibung Abs. 20).
9b) Die kontinuierlich generierten Standort-Informationsdaten können Anrufern Merkmal 2 zufolge innerhalb des geschützten Systems prinzipiell zugänglich gemacht werden. Das System umfasst zu diesem Zweck Mittel für die Übermittlung der entsprechenden Informationen über den Standort des Empfangsgeräts zu einem jeweiligen Zeitpunkt (Merkmal 3).
10Merkmal 3 zufolge soll aber nur ein begrenzter Kreis von hierzu berechtigten (authorized) Anrufern selektiv auf diese Informationen zugreifen können. Dieser Vorbehalt zugunsten "berechtigter" Anrufer korrespondiert mit dem konkreten Gegenstand von Patentanspruch 1 als System mit selektiver Beschränkung des Zugangs zu den Informationen über den Standort eines (Funk-)Rufempfängers.
11Was die Detektion der Zugehörigkeit eines Anrufers zu diesem Kreis der Berechtigten durch das System anbelangt, wird im Streitpatent (Beschreibung Abs. 15 Z. 32 ff.) die Möglichkeit angeführt, der Nachricht gewisse Schlüssel beizufügen ("The caller may add specific codes to a paging message to enable thepaging network to disclose the call receiver's global position after the message istransmitted"). Aus fachmännischer Sicht wird dies dahin verstanden, dass es für den Anspruch funktional darauf ankommt, einen praktikablen Mechanismus vorzusehen, mit dem das System die Zugehörigkeit zum Kreise der Berechtigten zuverlässig erkennen kann.
12Wird in einer eingegangenen Nachricht zwar die geografische Position des Empfängers angefragt, aber der Code nicht mitgesendet, erhält der Anrufer die Mitteilung, dass der Teilnehmer keine Berechtigung erteilt habe (Beschreibung Abs. 18 Z. 15 ff.). Detektiert ein Empfangsgerät dagegen den ihm speziell zugeordneten Code, der in der Streitpatentschrift auch als Positionsbekanntgabecode (positioning disclosure code) bezeichnet wird, in einer Nachricht, signalisiert dies der in die Nachrichtenübertragung eingebundenen Netzwerk-Steuereinrichtung 6 (paging control station, terrestrial network center/control station), dass die jeweilige geografische Position des Anrufempfängers mitgeteilt werden darf. Die Netzwerk-Steuereinrichtung kann dazu auf die den Anrufempfänger betreffenden Standortinformationen in der ihr zugeordneten Datenbank zugreifen (Beschreibung Abs. 19 Z. 46 ff.).
13c) Nach Merkmalsgruppe 4 sind Mittel zum Aktivieren oder Deaktivieren eines dem (Funk-)Rufempfänger in nicht näher beschriebener Weise zugeordneten Elements, der Standortbekanntgabefunktion (location disclosure feature), vorgesehen, mit denen den im Sinne von Merkmal 3 berechtigten Anrufern der Zugriff auf die Standortdaten dieses Empfängers ermöglicht oder verweigert werden kann.
14Aus Merkmal 5 geht hervor, dass das System die Standortbekanntgabefunktion des Empfängers zu einer weiter unterscheidenden Reglementierung des Zugangs zu dessen Standortdaten verwenden kann, und zwar in der Weise, dass einzelnen der im Sinne von Merkmal 3 an sich berechtigen Anrufern die Standortinformationen des Empfängers zugänglich sind, anderen aber nicht.
15Technisch-funktional wirken der Positionsbekanntgabecode auf der einen und die Standortbekanntgabefunktion in Merkmal 5 auf der anderen Seite aus fachmännischer Sicht in der Weise zusammen, dass der Teilnehmer mit der Letzteren die selektive Freigabe der Standortdaten seines (Funk-)Rufempfängers (nur) an einzelne der über den Code verfügenden und somit an sich zum Empfang dieser Daten berechtigten Anrufer steuern kann.
164. Die eigentliche Übertragung der Funkrufnachrichten, die in Betracht kommenden Übertragungswege und die dafür eingesetzten Einrichtungen, sind nicht ausdrücklich in den Anspruch aufgenommen, erschließen sich dem fachlich geschulten Leser, nach den unangegriffenen Feststellungen des Patentgerichts ein Ingenieur der Nachrichtentechnik mit Kenntnissen auf dem Gebiet mobiler Kommunikationssysteme und einigen Jahren Berufserfahrung auf dem Gebiet der Übertragung von Daten und deren nutzerspezifischen Verwaltung bei (Funk-)Rufempfängern, aber ohne Weiteres aus Merkmal 1 in Verbindung mit den Erläuterungen in der Beschreibung des Streitpatents.
17a) Durch die erwähnte Erläuterung in der Beschreibung (Abs. 20), dass für die kontinuierliche Ortung des (Funk-)Rufempfängers durch Kommunikation mit satelliten- oder erdgestützten Kommunikationsmitteln (Merkmal 1) solche satelliten- und erdgebundenen Übertragungseinrichtungen benutzt werden können, die allgemein Funkruf-Nachrichten übertragen, erhält der Fachmann zugleich einen Hinweis auf die generell für die Nachrichtenübermittlung im System in Betracht kommenden Übertragungseinrichtungen und -wege, die sich ihm im Übrigen aber auch durch das in der Beschreibung erläuterte Ausführungsbeispiel gemäß der nachstehend eingefügten Figur 1 des Streitpatents erschließen.
Danach kann die Nachricht zunächst von der örtlichen Telefonvermittlungsstelle 9 (Public Telephone Switching Office) zu einer Netzwerk-Steuereinrichtung (oben I 2 b) übertragen werden, die der Steuerung der gesamten Aktivitäten des Funkruf-Netzwerks dient. Nach dem Empfang einer Funkruf-Nachricht entschlüsselt diese Netzwerk-Steuereinrichtung relevante Informationen wie die Teilnehmerkennung und, ob der Anrufer die Standortposition des Teilnehmers erhalten möchte. Andere relevante Informationen wie das Funkrufprotokoll des Empfängers, die für den Empfang von Funkrufen ausgewählten oder bevorzugten Gebiete und der aktuell aktive Bereich des (Funk-)Rufempfängers werden von der der Netzwerk-Steuereinrichtung zugeordneten Datenbank bezogen.
18b) Nachdem die Netzwerk-Steuereinrichtung detektiert hat, wohin eine Nachricht gesendet werden soll, ordnet sie ihr den günstigsten Übertragungsweg zu. Vor dem Hintergrund der geografischen Verteilung aller weltweit verfügbaren Übertragungseinrichtungen kodiert die Netzwerk-Steuereinrichtung die Nachricht mit der Kennung aller in die Nachrichtenübertragungskette eingeschalteten, erd- oder satellitengestützten Übertragungsstationen in chronologischer Abfolge und übermittelt die Nachricht dann zur ersten Bodenstation. Diese kann die Nachricht entweder an einen Satelliten weiterleiten oder in ihrem Sendegebiet ausstrahlen (vgl. Beschreibung Abs. 17).
19II. Das Patentgericht hat angenommen, der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei auf ein Aliud des Gegenstands gerichtet, den die Anmeldungsunterlagen in der ursprünglich eingereichten Fassung als zur Erfindung gehörend offenbarten. Es hat die Standortbekanntgabefunktion in Merkmal 4 in Verbindung mit Merkmal 5 anruferspezifisch dahin verstanden, dass die Standortinformationen bestimmten Anrufern individuell mitgeteilt oder vorenthalten würden. Den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen lasse sich demgegenüber lediglich entnehmen, dass einem (Funk-)Rufempfänger genau ein Positionsbekanntgabemerkmal zugeordnet sei, welches nach Art eines Hauptschalters zwei Zustände herbeiführen könne. In dem einen dieser Zustände, bei deaktiviertem Positionsoffenlegungsmerkmal, erhalte niemand die Positionsinformation; im zweiten, aktivierten Zustand erhalte diese Informationen jeder Anrufer, bei dem der Code detektiert werde. Ein dritter Zustand könne durch das Positionsbekanntgabemerkmal nicht geschaltet werden, insbesondere könne dieses nicht in der Weise genutzt werden, dass die Standortinformation einzelnen Anrufern gegeben und anderen verweigert werde.
20Mit dieser individuell-ruferspezifischen Standortbekanntgabefunktion sei Patentanspruch 1 auf einen anderen Gegenstand gerichtet, als auf den in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen offenbarten und das Streitpatent schon deshalb uneingeschränkt für nichtig zu erklären.
21Patentanspruch 1 gehe außerdem aber auch insoweit über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus, als der ursprünglich offenbarte Gegenstand ein satellitenbasiertes Personenrufsystem (satellite paging communication system) betreffe, welches zumindest einen Satelliten und ein Funkruf-Netzwerk aufweise, während der erteilte Gegenstand auch andere Kommunikationssysteme wie rein terrestrische Mobilfunknetze umfasse, die weder einen Satelliten noch ein Funkruf-Netzwerk mit Bodenkontrollstation benötigten und auch nicht auf Personenrufsysteme beschränkt sei. Zudem gehörten zum ursprünglich offenbarten Gegenstand Bodenkontrollstationen (ground control stations) als Teil des Personenrufsystems, um Informationen dieses Systems zu verarbeiten und Aktionen zu steuern, während der erteilte Gegenstand auch Netzwerke einschließe, die keine Bodenkontrollstationen aufwiesen; ferner offenbare der ursprüngliche Gegenstand autorisierte Anfragen, während der erteilte Gegenstand individuelle, autorisierte Anrufer betreffe.
22Entsprechendes gelte für Patentanspruch 5.
23Da die individuelle, anruferspezifische Standortbekanntgabefunktion des erteilten Patents etwas anderes sei als der "Hauptschalter" der Ursprungsunterlagen, führten auch die Hilfsanträge der Beklagten nicht zu einem zulässigen Anspruchsgegenstand.
24III. Soweit die Beklagte das Streitpatent nicht mehr verteidigt, verbleibt es ohne weitere Sachprüfung bei der vom Patentgericht ausgesprochenen Nichtigerklärung. Im Übrigen kann der rechtlichen Bewertung durch das Patentgericht nicht in allen Punkten beigetreten werden. Im Umfang der Fassung des neuen Hauptantrags, die in den Ansprüchen 1 und 5 Merkmal (v) so wie in der erteilten Fassung enthält, ist das Streitpatent nicht wegen unzulässiger Erweiterung für nichtig zu erklären (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜbKG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. c EPÜ), sondern diese Merkmale können mit der Maßgabe in den Ansprüchen verbleiben, dass daraus keine Rechte hergeleitet und sie nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden können.
251. Das Patentgericht hat allerdings mit Recht angenommen, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung über den Inhalt der Patentanmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, soweit die Verwendung der Standortbekanntgabefunktion nach Maßgabe von Merkmal 5 beansprucht wird.
26a) Der Gegenstand eines erteilten Patentanspruchs darf nicht über das hinausgehen, was den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen als zur angemeldeten Erfindung gehörend zu entnehmen ist. Dieser prüfende Vergleich bezieht sich nicht nur auf die in der Anmeldung formulierten Patentansprüche; entscheidend ist vielmehr, was der Fachmann des betreffenden Gebiets der Technik der Gesamtheit der ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörend entnehmen kann (st. Rspr., vgl. z.B. , BGHZ 194, 107 Rn. 45 mwN - Polymerschaum I).
27Für die Beurteilung, ob der erteilte Patentanspruch über die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hinausgeht, gelten nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts die Grundsätze der Neuheitsprüfung. Danach ist erforderlich, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Ursprungsunterlagen unmittelbar und eindeutig als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann (vgl. , BGHZ 179, 168 Rn. 25 - Olanzapin; Urteil vom - Xa ZR 124/07, GRUR 2010, 910 - fälschungssicheres Dokument; Urteil vom - X ZR 51/13, GRUR 2015, 976 Rn. 45 - Einspritzventil; EPA (GrBK) Amtsbl. 2001, 413 = GRUR Int. 2002, 80; EPA GRUR Int. 2008, 511 - Traction sheave elevator/KONE).
28b) Der Veröffentlichung der internationalen Anmeldung des Streitpatents, die die Gesamtheit der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen repräsentiert (im Folgenden nur: NK6), ist nicht unmittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend zu entnehmen, die Standortbekanntgabefunktion des (Funk-) Rufempfängers in der Weise zu verwenden, dass dessen jeweiliger Standort nur bestimmten (berechtigten) Anrufern zugänglich gemacht und anderen (berechtigten) Anrufern vorenthalten wird (Merkmal 5).
29aa) NK6 offenbart (S. 4 Z. 2 f. i.V.m. S. 5 Z. 28 ff.) aus fachmännischer Sicht, dass ein der Funkrufnachricht beigefügter Code generell die Berechtigung vermittelt, die jeweiligen Standortdaten des (Funk-)Rufempfängers zu erfahren, an den die Nachricht adressiert ist. Insoweit stimmt der erteilte Patentanspruch 1 mit den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen überein (oben I 2 b).
30bb) Die Standortbekanntgabefunktion (Merkmale 4 und 5) ist als solche in NK6 ebenfalls erwähnt (S. 5 Z. 26 bis 28; S. 6 Z. 4 ff.). Die sie betreffenden Abläufe werden zunächst allgemein dahin erläutert (S. 6 Z. 4 bis 7), dass, wenn diese Funktion für jedweden Anruf deaktiviert ist, einem Anrufer mitgeteilt wird, dass der Teilnehmer seinen momentanen Standort nicht mitteilen möchte ("If the position disclosure feature is blocked for any call, a message is sent to the caller indicating that the subscriber does not wish their [his] global position disclosed."). Bei aktivierter Standortbekanntgabefunktion greife die Netzwerk-Steuereinrichtung auf die in ihrer Datenbank vorgehaltenen Standortkoordinaten des (Funk-) Rufempfängers zu und kodiere sie vor Übertragung an den Anrufer ("If the position disclosure feature is active, the control station retrieves the coordinates of the callreceiver's position and encodes that information before transmission to the caller ...").
31Anschließend (NK6 S. 6 Z. 9 ff.) werden die diesbezüglichen Abläufe detailliert anhand des Diagramms in Figur 3 der Anmeldung erläutert. Daraus geht hervor, dass die Detektion des Codes für sich genommen nicht automatisch die Übermittlung der Standortdaten an den Anrufer nach sich zieht, sondern zunächst nur dazu führt, dass die Netzwerk-Steuereinrichtung die Standortdaten der an sie angeschlossenen Datenbank entnimmt ("If the call receiver's globalposition is requiered and the position disclosure code is detected, the call receiver'spositioning information is retrieved from the data bank of the paging control station..."). Die Datenfreigabe an einen Anrufer hängt von einem weiteren Schritt ab, nämlich der Aktivierung oder Deaktivierung der Standortbekanntgabefunktion durch den Teilnehmer. Er kann durch Deaktivierung dieser Funktion bewirken, dass an sich berechtigte - weil im Besitz des Codes befindliche - Anrufer doch keine Standortinformationen erhalten. Erkennt die Netzwerk-Steuereinrichtung 6, dass diese Funktion deaktiviert (blocked) ist, erhält der Anrufer nämlich nur eine dementsprechende Nachricht ("If the control station establishes thatthe position disclosure feature is blocked for that message the caller is immediatelynotified with the appropriate message."). Nur wenn die Standortbekanntgabefunktion aktiv ist, werden die Positionsdaten des (Funk-)Rufempfängers verarbeitet und an den Anrufer übermittelt ("If the call receiver's positioning disclosure feature for the message in process is active, the positioning informationof the call receiver is processed and transmitted to the caller ...").
32cc) Demgegenüber ist die Ausgestaltung der Standortbekanntgabefunktion gemäß Merkmal 5 dahin, dass sie dazu verwendet werden kann, die Standortdaten individuell für einen oder einzelne Teilnehmer freizugeben und für andere zu sperren, in NK6 nicht unmittelbar und eindeutig offenbart. Aus den vorstehend wiedergegebenen Erläuterungen in NK6 ergibt sich nicht unmittelbar und eindeutig die Möglichkeit zum Einsatz der Standortbekanntgabefunktion zur unterscheidenden Steuerung des Zugangs zu den jeweiligen Standortdaten des (Funk-)Rufempfängers innerhalb des Kreises der insgesamt durch Gewährung des Positionszugangscodes berechtigten Anrufern, die Merkmal 5 vorsieht (oben I 2 c). Vielmehr ist diesen Passagen aus fachmännischer Sicht lediglich zu entnehmen, dass die Standortinformationen den berechtigten Anrufern nur en bloc entweder zugänglich sind oder vorenthalten bleiben, was das Patentgericht durch den Vergleich mit einem "Hauptschalter" zum Ausdruck gebracht hat.
33dd) Merkmal 5 ist auch sonst nicht in NK6 offenbart.
34(1) Die Information "If the control station establishes that the position disclosure feature is blocked for that message, the caller is immediately notified ..." (NK6 S. 6 Z. 17 f.) ist nicht deshalb ein Hinweis im Sinne einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung des unterscheidenden Einsatzes der Standortbekanntgabefunktion bei einzelnen über den Positionsbekanntgabecode verfügenden Anrufern, weil nur von einer Nachricht im Singular ("that message") die Rede ist. Die Verwendung des Singulars an dieser Stelle erklärt sich vielmehr dadurch, dass dort der Ablauf des Systems am Beispiel einer einzelnen Nachricht erläutert wird.
35(2) Merkmal 5 wird auch nicht durch den in der internationalen Anmeldung des Streitpatents formulierten Anspruch 11 offenbart. Dieser Anspruch lautet:
"The call receiver according to claim 8 with means to activate or deactivate the positioning disclosure feature from the paging network bytransmitting specific information to the paging network that will enablethe blocking of none, certain or all users [callers] to the global location ofthe call receiver."
36Der so formulierte Anspruch scheidet entgegen dem Verständnis des Patentgerichts allerdings nicht deshalb für die Offenbarung von Merkmal 5 aus, weil er sich seinem Wortlaut nach auf Teilnehmer (user) zu beziehen scheint, und nicht auf Anrufer (callers). Nach dem Gesamtzusammenhang der Offenbarung in NK6 können hier nur Anrufer (callers) gemeint sein. Dementsprechend muss ein redaktionelles Versehen vorliegen, das bei der Lektüre richtigzustellen ist.
37Dass in dem Anspruch von der Möglichkeit gesprochen wird, die Standortdaten mithilfe der Standortbekanntgabefunktion wahlweise für keine, einige oder alle Anrufer zu blockieren ("... the blocking of none, certain or allusers ..."), mag im Lichte des erteilten Anspruchs 1 als Hinweis darauf gedeutet werden können, dass im Sinne von dessen Merkmal 5 einzelne der grundsätzlich berechtigten Anrufer (certain callers) vom Zugang zu den Standortdaten des (Funk-)Rufempfängers ausgenommen werden können. Der Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen darf aber gerade nicht in Wechselwirkung mit dem erteilten Anspruch interpretiert werden. Vielmehr ist zunächst dessen Inhalt durch Auslegung zu ermitteln (, GRUR 2015, 875 - Rotorelement). Anschließend ist der Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen autonom aus diesen Unterlagen heraus zu ermitteln und anschließend mit dem erteilten Anspruch auf Übereinstimmung hin zu überprüfen.
38Der in NK6 formulierte Anspruch 11 offenbart, dass der (Funk-)Rufempfänger mit Mitteln zur Aktivierung oder Deaktivierung der Standortbekanntgabefunktion aus dem Netzwerk durch Übertragung spezifischer Informationen an das Netzwerk ausgestattet sein und dass damit bewerkstelligt werden kann, dass alle Anrufer die Standortinformationen für den Empfänger erhalten, keiner von ihnen oder nur bestimmte. Da weder Anspruch 11 noch dem sonstigen Inhalt von NK6 zu entnehmen ist, wie die Gruppe der "bestimmten Anrufer" ("certain callers") zu definieren ist, geht der Offenbarungsgehalt insoweit nicht über den Befund hinaus, dass entweder gar kein Anrufer die Standortinformationen erhält oder jeder oder aber nur die im Besitz des Codes befindlichen. Die unterscheidende Verwendung der Standortbekanntgabefunktion dahin, dass bestimmten berechtigten Anrufern die Standortdaten zugänglich gemacht werden können, anderen an sich gleichermaßen berechtigten Anrufern aber nicht, wie Merkmal 5 dies vorsieht, wird dadurch jedenfalls nicht offenbart.
39(3) Merkmal 5 wird auch nicht durch die Passage der Zusammenfassung der Erfindung (NK6 S. 2 Z. 21 ff.) offenbart, in der ausgeführt ist: "This invention will provide a call receiver with means to allow a subscriber to prevent their(his) global position from being divulged to a caller or callers at certain instances, whileallowing such information to be divulged at other instances." Diese Erläuterung entspricht der Sache nach der technischen Lehre, die sich aus den Merkmalen 1 bis 4.1 ergibt, denn wenn den individuell berechtigten Anrufern der Zugang zu den Standortdaten dieses Empfängers ermöglicht oder verweigert werden kann, bedeutet das in zeitlicher Hinsicht, dass der Zugang zu bestimmten Zeiten (instances) gesperrt und zu anderen eröffnet ist. Die innerhalb der Gruppe der Berechtigten hinsichtlich des Zugangs Unterscheidungen ermöglichenden zusätzlichen technischen Gesichtspunkte in Merkmal 5 sind dadurch nicht offenbart.
402. Dem Patentgericht kann demgegenüber nicht in seiner Bewertung beigetreten werden, die unzulässige Erweiterung von Patentanspruch 1 durch Einfügung von Merkmal 5 müsse die Nichtigerklärung des Streitpatents nach sich ziehen. Diese Rechtsfolge kann vielmehr vermieden werden, indem dieses Merkmal mit der Maßgabe im Anspruch belassen wird, dass daraus keine Rechte hergeleitet werden können und es namentlich bei der Prüfung auf Patentfähigkeit nicht berücksichtigt wird.
41a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt es zwar zur Nichtigerklärung eines Patents, wenn der patentierte und der ursprünglich offenbarte Gegenstand in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander stehen (exklusives Aliud), oder wenn die Veränderung einen technischen Aspekt betrifft, der den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht wenigstens in abstrakter Form als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist (vgl. , GRUR 2011, 1003 - Integrationselement; Beschluss vom , Xa ZB 14/09, GRUR 2011, 40 Rn. 22 - Winkelmesseinrichtung). Offenbaren die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen aber einen Gegenstand, der das konkrete in den erteilten Patentanspruch eingefügte Merkmal zumindest in abstrakter Form als zur Erfindung gehörend umfasst, so dass die Einfügung nur zu einer Beschränkung des Schutzgegenstands geführt hat, braucht das erteilte Patent - auch das europäische - nicht für nichtig erklärt zu werden, sondern das nicht-ursprungsoffenbarte Merkmal verbleibt im Anspruch und wird lediglich insoweit bei der Prüfung der Patentfähigkeit außer Betracht gelassen, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden darf (, BGHZ 204, 199 - Wundbehandlungsvorrichtung).
42b) Im Streitfall ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 entgegen der Auffassung des Patentgerichts durch die Einfügung von Merkmal 5 nicht auf ein Aliud (eine disjunkte technische Lehre in der Diktion des angefochtenen Urteils) des Ursprungsoffenbarten gerichtet, sondern durch diese Einfügung lediglich im vorstehend unter III 2 a zuletzt dargestellten Sinne beschränkt worden.
43aa) Die Beschränkung von Patentanspruch 1 besteht darin, dass die geschützte technische Lehre zusätzlich vorsieht, die Standortbekanntgabefunktion in der Weise zu verwenden, dass bestimmten berechtigten Anrufern die Standortinformationen des Empfängers auf ihren Anruf hin, nach Erkennung des Positionsbekanntgabecodes, zugänglich sind, anderen aber nicht.
44bb) Dieses zusätzliche Element der technischen Lehre ist in abstrakter Form in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen durch die Offenbarung angelegt, dass mithilfe der Standortbekanntgabefunktion gesteuert werden kann, den Anrufern, die über den Positionsbekanntgabecode verfügen, die Positionsdaten des betreffenden (Funk-)Rufempfängers (doch) vorzuenthalten. Diese Steuerungsmöglichkeit ist in NK6 zwar nur im Sinne eines Entweder-oder für die Anrufe aller Codeinhaber oder keines von ihnen beschrieben (III 1 b). Damit ist dem Teilnehmer aber bei abstrahierender Betrachtung ein Instrument an die Hand gegeben, um sich trotz zuvor gegebener Berechtigung durch Überlassung des Codes den Zugriff der Berechtigten auf die aktuellen Standortdaten seines (Funk-)Rufempfängers vorzubehalten. Diese allgemeine Berechtigung wird durch Merkmal 5 lediglich durch eine ergänzende Unterscheidung dahin weiter konkretisiert, dass die Standortdaten nunmehr einzelnen dieser Berechtigten zugänglich sind oder bleiben, anderen aber nicht.
453. Im Übrigen kann Patentanspruch 1 in zulässiger Weise nach Maßgabe des Hauptantrags beschränkt verteidigt werden.
46a) Entgegen der Ansicht der Klägerin kann der Gegenstand von Patentanspruch 1 zulässig auf ein "paging communication system" anstatt auf ein "satellite paging communication system" gerichtet werden.
47aa) Dass der in NK6 formulierte Anspruch 1 auf ein "satellite pagingcommunication system" gerichtet ist, ist insoweit unerheblich. Für die Frage der unzulässigen Erweiterung kommt es, wie ausgeführt (III 1 a), darauf an, was der Fachmann der Gesamtheit der ursprünglichen Unterlagen unmittelbar und eindeutig als zur Erfindung gehörend entnehmen kann.
48bb) Bei der Prüfung, ob der erteilte Anspruch in den Anmeldungsunterlagen unmittelbar und eindeutig offenbart ist, ist zu berücksichtigen, dass die Feststellung, ob in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen aus fachmännischer Sicht abschließend lediglich ein ganz konkretes Ausführungsbeispiel offenbart ist oder ob sich darin eine Erfindung in abstrahierter Form zeigt, Ergebnis einer wertenden Betrachtung ist. Dabei ist auch zugrunde zu legen, dass der Anmelder den Offenbarungsgehalt seiner Anmeldung dabei unverkürzt erfasst sehen und er möglichst breiten Schutz erlangen und die Erfindung deshalb in möglichst allgemeiner Weise vorstellen und nicht auf aufgezeigte Anwendungsbeispiele beschränken möchte (, BGHZ 200, 63 Rn. 22 - Kommunikationskanal; Urteil vom - X ZR 51/13, GRUR 2015, 976 Rn. 45 mwN - Einspritzventil).
49cc) Nach diesen Maßstäben reicht es zur Vermeidung einer unzulässigen Erweiterung durch Verallgemeinerung aus, Patentanspruch 1 auf ein "paging communication system" zu richten.
50Der Erfinder hat zwar, was im Rahmen seiner Dispositionsfreiheit liegt (, BGHZ 171, 167 Rn. 21 - Pipettensystem), den Patentanspruch so formuliert, dass die selektive Steuerung des Zugangs zu den Informationen über den jeweiligen Standort eines (Funk-)Rufempfängers im Rahmen eines Funkruf-Kommunikationssystems geschützt ist. Es kommt ihm aber ersichtlich gerade nicht darauf an, Patentschutz nur für Funkrufsysteme zu erhalten, zu denen ganz bestimmte Einrichtungen für die Nachrichtenübertragung, wie Weltraumsatelliten oder - worauf zurückzukommen sein wird - ganz bestimmte bodengebundene Einrichtungen gehören. Vielmehr ist es im Interesse des Erfinders, insoweit Funkrufsysteme in allgemeinster Form als Basis für die Erfindung zu erfassen. Die häufige gemeinsame Erwähnung von satellitengestützten und erdverbundenen Kommunikationsmitteln in NK6 deutet der Fachmann als das Bestreben des Erfinders, alle gängigen Modalitäten der Nachrichtenübertragung und Übertragungswege zu erfassen, nicht aber als Ausdruck eines Willens, sich auf Systeme zu beschränken, die solche Einrichtungen nur kumulativ aufweisen. In NK6 kommt die Beispielhaftigkeit der angeführten verschiedenen Übertragungsmittel schon im einleitenden Satz zum Ausdruck. Danach bezieht sich die Erfindung (allgemein) auf Funkruf-Telekommunikationsdienste und -systeme (paging telecommunicationservices and systems), und (nur) "insbesondere" auf satellitengestützte Dienste und Systeme dieser Art.
51b) Der verteidigte Patentanspruch 1 ist nicht deshalb unzulässig erweitert, weil die in NK6 mit dem Bezugszeichen 6 gekennzeichneten Netzwerk-Steuereinrichtungen nicht ausdrücklich, als Bodenkontrollstationen ("ground control station") oder unter einer synonymen Bezeichnung (oben I 2 b), in den Anspruch aufgenommen sind.
52Wie ausgeführt, schützt Patentanspruch 1 nicht ein Funkrufsystem ("paging communication system") als solches in konstitutiv zu verstehender Ausstattung mit erdverbundenen und weltraumgestützten Übertragungseinrichtungen und Komponenten, sondern nur, soweit dabei als besonderer technischer Aspekt die Standortdaten eines (Funk-)Rufempfängers selektiv an sich berechtigten Anrufern (doch) vorenthalten werden können. Ob in dem jeweiligen System für die Nachrichtenübertragung boden- und weltraumbezogene Übertragungseinrichtungen und Komponenten eingesetzt werden oder nur die einen oder die anderen und auf welchen konkreten Übertragungswegen dies geschieht, spielt für den Gegenstand des Anspruchs demgemäß nur unter dem Aspekt funktioneller Zweckmäßigkeit eine Rolle und wird in erster Linie von der räumlichen Distanz zwischen der Position des Absenders von den Empfangsorten abhängen. Deshalb ist der Anspruch im fachmännischen Verständnis in Bezug auf die eingesetzten Übertragungseinrichtungen allgemein auf ein Funkrufsystem bezogen, zu dem auch erdverbundene Übertragungseinrichtungen 10 gehören können. Diese schließen im Sinne eines Oberbegriffs die im Streitpatent mit dem Bezugszeichen 6 gekennzeichneten Netzwerk-Steuereinrichtungen ein, die auch nach dem Vorbringen der Klägerin zu einem funktionierenden Funkrufnetzwerk gehören, weshalb es ihrer ausdrücklichen Aufnahme in den Anspruch nicht bedarf. Dass die Netzwerk-Steuereinrichtungen in den Anmeldungsunterlagen auch als bodenverbunden beschrieben werden ("terrestrialnetwork center/control station"), versteht der Fachmann vor diesem Hintergrund nicht als die Erfindung (mit-)charakterisierende Anweisung, die Netzwerk-Steuereinrichtungen fest am Boden zu installieren, damit sie ihren Zweck im Rahmen des geschützten Systems erfüllen können, sondern als bloßen Hinweis auf die am Anmeldetag übliche Konzeption von Funkrufsystemen.
534. Weitere unzulässige Erweiterungen von Patentanspruch 1 vermag die Klägerin nicht aufzuzeigen. Dazu sind lediglich folgende Bemerkungen angezeigt:
54Der Gegenstand eines Patents geht nicht schon dadurch über den Inhalt der Anmeldung hinaus, dass er mit Begriffen gekennzeichnet ist, die in den Anmeldungsunterlagen als solche nicht verwendet worden sind (, GRUR 2009, 933 - Druckmaschinen-Temperierungssystem II). Entscheidend ist, dass der im Anspruch verwendete Begriff im Lichte der Beschreibung keinen anderen als den von den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen umfassten Gegenstand als zur Erfindung gehörend umfasst. Die Verwendung des Begriffs "location (within the system)" gegenüber "global position" ist jedenfalls deshalb unbedenklich, weil beide Wendungen aus fachmännischer Sicht im Lichte der mit NK6 übereinstimmenden Beschreibung des Streitpatents synonym verstanden werden.
55Im Übrigen reichen Abweichungen von den in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen formulierten Ansprüchen, auf die die Klägerin mehrfach verweist, nicht aus, weil der Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung voraussetzt, dass der Gegenstand des Anspruchs nicht in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen in ihrer Gesamtheit als zur Erfindung gehörend offenbart (oben III 1 a). Dass etwa die zeitliche Beziehung der Standortbestimmung mit der Standortweitergabe durch die Merkmalselemente "for a time" und "duringsaid time" in den in NK6 formulierten Ansprüchen 1, 8, 11 und 12 nicht zu finden ist, wie die Klägerin geltend macht, ist schon deshalb unerheblich. Im Übrigen liegt es auf der Hand, dass Angaben über den Standort des (Funk-)Rufempfängers sinnvoll nur gemacht werden können, wenn der räumlichen Komponente eine zeitliche zugeordnet wird. Das wird mit den beanstandeten Begriffen zum Ausdruck gebracht und ist aus fachmännischer Sicht in NK6 enthalten.
565. Für Patentanspruch 5 gelten die vorstehenden Ausführungen (III 1 bis 4) entsprechend.
576. Die hilfsweise Verteidigung des Streitpatents führt nicht zu dessen Bestand in einer weiterreichenden Fassung, als der aus dem Tenor ersichtlichen. Dies ist klarzustellen, weil der Hauptantrag vor dem Hintergrund der gesamten eingeschränkten Verteidigung des Streitpatents dahin auszulegen ist, dass die Beklagte aus Merkmal (v) in den Ansprüchen 1 und 5 Rechte herleiten möchte, das Streitpatent aber nur in einer Fassung Bestand hat, in der dies nicht der Fall (oben III 2) und zu berücksichtigen ist, dass die Beklagte entsprechende Hinweise (Disclaimer) erst in die Anspruchssätze gemäß den Hilfsanträgen II, XV und XVI) aufgenommen hat.
58Die Verteidigung mit dem ersten Hilfsantrag (Anlage 1 zum Protokoll vom ) ist unzulässig, weil die unzulässige Erweiterung in Merkmal 5 darin nicht beseitigt ist.
59Das Gleiche gilt im Ergebnis für die Fassung gemäß Hilfsantrag I (Anlage 2 zum Protokoll vom ), in der Merkmal (v) in den Ansprüchen 1 und 5 um den Zusatz ergänzt ist: "... such that access to the location information ofthe individual authorized callers is allowed in certain instances, while access to thelocation information is denied in other instances." Diese Ergänzung bezieht sich auf die erwähnte Passage in der Zusammenfassung der Erfindung in NK6 S. 2 Z. 21 ff., die für sich genommen in der Sache der technischen Lehre entspricht, die sich aus den Merkmalen 1 bis 4.1 ergibt. Die unzulässige Erweiterung von Merkmal 5 bleibt davon unberührt (oben III 1 b dd [3]).
60In der Fassung von Hilfsantrag II (Anlage 2 zum Protokoll vom ) kann das Streitpatent nicht zulässig verteidigt werden, weil die Ansprüche 1 und 5 in Bezug auf Merkmal (v) durch den dort formulierten Disclaimer einen unklaren Gehalt bekommen, ein europäisches Patent im Nichtigkeitsverfahren aber nicht mit Patentansprüchen beschränkt verteidigt werden kann, die dem Erfordernis einer deutlichen (klaren) Anspruchsfassung nicht genügen ( Xa ZR 54/06, GRUR 2010, 709 - Proxiserversystem). Die Beklagte hat diesen Disclaimer dahin formuliert, dass das Streitpatent durch Merkmal (v) in Anspruch 1 und 5 unzulässig erweitert ist und daraus in einer Auslegung (interpretation) keine Rechte hergeleitet werden können, in der die Standortbekanntgabefunktion Zugang zur Standortinformation zur gleichen Zeit erlaubt und verweigert ("where the location disclosure feature allows anddenies access to the location information at the same time"). Damit ist zum einen unklar, welche Kreise zur gleichen Zeit Zugang zu den Standortdaten haben und welche nicht. Zum anderen kann der Disclaimer damit seine Funktion nicht mehr erfüllen, eindeutig anzugeben, welche Merkmale bei der Prüfung der Patentfähigkeit außer Betracht zu bleiben haben.
61Die übrigen Hilfsanträge (Hilfsantrag I bis XI in Anlage MFG 4 zur Berufungsbegründung) beseitigen, wie schon das Patentgericht zutreffend erkannt hat, die unzulässige Erweiterung nicht.
627. Der Senat hat in den Urteilstenor den Hinweis aufgenommen, dass aus Merkmal (v) in den Ansprüchen 1 und 5 keine Rechte hergeleitet werden können. Der Aufnahme des Hinweises in die Patentschrift, dass aus der Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals, dessen Streichung oder Ersetzung durch ein von der ursprünglichen Offenbarung gedecktes Merkmal zu einer Erweiterung des Schutzbereichs führen würde, keine Rechte hergeleitet werden können ("Disclaimer"), bedarf es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar grundsätzlich nicht ( Xa ZB 14/09, GRUR 2011, 40 - Winkelmesseinrichtung). Dem Patentinhaber ist es aber unbenommen, dies zu tun. Da die Beklagte mehrere Hilfsanträge mit Disclaimern formuliert hat, greift der Senat dies auf.
63IV. Da das Patentgericht sich - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - mit der Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents nicht abschließend befasst hat, ist das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit die Beklagte das Streitpatent beschränkt verteidigt hat, und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung an das Patentgericht zurückzuverweisen (§ 119 Abs. 2 und 3 PatG). Ein Grundgedanke des reformierten Patentnichtigkeitsverfahrens ist es, dass die Patentfähigkeit zunächst durch das mit technisch sachkundigen Richtern besetzte Patentgericht bewertet wird. Eine Endentscheidung durch den Bundesgerichtshof (§ 119 Abs. 5 PatG) ist daher regelmäßig nicht sachgerecht, wenn die Erstbewertung des Standes der Technik durch das Patentgericht unter dem Gesichtspunkt der Patentfähigkeit unterblieben ist (, GRUR 2015, 1095 Rn. 39 - Bitratenreduktion).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
CAAAF-81662