Betriebsvereinbarung - Gleichbehandlung
Gesetze: § 75 Abs 1 BetrVG, Art 3 Abs 1 GG
Instanzenzug: ArbG Bamberg Az: 3 Ca 990/12 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Nürnberg Az: 6 Sa 398/13 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über Sonderzahlungen nach einer Betriebsvereinbarung.
2Der Kläger ist seit 1984 als Fahrer bei der Beklagten beschäftigt. Diese schloss am , und mit dem in ihrem Betrieb gebildeten Betriebsrat jeweils eine Betriebsvereinbarung über eine Sonderzahlung. Deren Höhe belief sich auf einen jährlich unterschiedlichen Prozentbetrag des um bestimmte Zusatzleistungen bereinigten Vorjahresbruttoeinkommens der Arbeitnehmer. Für die Fernfahrer war jeweils ein niedrigerer Prozentsatz als bei den anderen Arbeitnehmern festgesetzt. Die Betriebsvereinbarung vom (BV 2010) lautet auszugsweise:
3In der Betriebsvereinbarung vom (BV 2011) ist ua. geregelt:
4Die Betriebsvereinbarung vom (BV 2012) entspricht - unter Anpassung der Daten - der BV 2011. Zur Höhe der Sonderzahlung ist in ihr geregelt:
5Die Beklagte leistete dem Kläger in den Jahren 2010 bis einschließlich 2012 jeweils eine Sonderzahlung nach Maßgabe der in den jeweiligen Betriebsvereinbarungen festgelegten Prozentsätze für Fernfahrer.
6Mit seiner Klage hat der Kläger die - der Höhe nach zuletzt unstreitigen - Differenzbeträge geltend gemacht, die sich unter Zugrundelegung des in den Betriebsvereinbarungen für alle anderen Mitarbeiter geregelten Prozentsatzes für die Sonderzahlungen ergeben. Er hat die Auffassung vertreten, die Festsetzung des geringeren Prozentsatzes für die Fernfahrer verletze den Gleichbehandlungsgrundsatz. Auch seien Sonderzahlungen bereits seit Beginn des Arbeitsverhältnisses erfolgt und begründeten daher einen Anspruch aus betrieblicher Übung.
7Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt,
8Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie habe lediglich die Betriebsvereinbarungen vollzogen. Ungeachtet dessen hätten die Betriebsparteien mit der Differenzierung bei der Höhe der Sonderzahlungen sicherstellen wollen, dass die Fernfahrer im Hinblick auf ihre längeren Arbeitszeiten, die zu höheren Jahresentgelten führten, nicht gegenüber anderen Arbeitnehmern bevorzugt würden.
9Das Arbeitsgericht hat die noch auf eine Zahlung von 1.766,12 Euro gerichtete Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die - unbeschränkt eingelegte und in der mündlichen Berufungsverhandlung bezüglich der Hauptforderung teilweise zurückgenommene - Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den zuletzt gestellten Antrag weiter.
Gründe
10Die statthafte Revision des Klägers ist im Umfang ihrer Zulässigkeit begründet.
11I. Die Revision ist statthaft. Sie ist vom Landesarbeitsgericht zugelassen worden. Daran ist der Senat nach § 72 Abs. 3 ArbGG unabhängig davon gebunden, ob die in § 72 Abs. 2 ArbGG geregelten Zulassungsvoraussetzungen tatsächlich vorliegen (GMP/Müller-Glöge 8. Aufl. § 72 ArbGG Rn. 47). Die die entsprechende Beanstandung der Beklagten ist daher ohne Erfolg.
12II. Die Revision ist unzulässig, soweit sie sich auf die Zurückweisung der Berufung gegen die Abweisung des auf eine betriebliche Übung gestützten Klagebegehrens bezieht. Insoweit ist die Revision nicht ordnungsgemäß begründet.
131. Zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung gehört grundsätzlich die Angabe derjenigen Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergeben soll (§ 72 Abs. 5 ArbGG, § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO). Dazu muss der angenommene Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts in einer Weise aufgezeigt werden, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen des angefochtenen Urteils. Hat das Berufungsgericht über mehrere Streitgegenstände entschieden, muss die Revisionsbegründung sämtliche Streitgegenstände behandeln, wenn sie die Entscheidung hinsichtlich aller Streitgegenstände angreifen will. Fehlt zu einem Streitgegenstand ein Revisionsangriff, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig ( - Rn. 16 mwN).
142. Das Landesarbeitsgericht hat - entsprechend dem angebrachten Begehren - über mehrere selbständige Streitgegenstände entschieden. Es hat einen auf Gleichbehandlung gestützten Anspruch verneint und die Klage auch unter dem Gesichtspunkt einer betrieblichen Übung für unbegründet gehalten. Es hat ausgeführt, der Kläger habe die Voraussetzungen für eine betriebliche Übung, aus der sich vor allem auch die geltend gemachte Höhe der Forderungen ergeben soll, nicht dargelegt. Des Weiteren sei er den Ausführungen der Beklagten nicht entgegengetreten, die früheren Zahlungen seien mit einem Freiwilligkeitsvorbehalt verbunden gewesen. Mit der Abweisung des auf eine betriebliche Übung gestützten Anspruchs setzt sich die Revisionsbegründung nicht hinreichend auseinander. Die dazu erhobenen Sachrügen heben lediglich abstrakt und ohne Fallbezug darauf ab, dass in einem Freiwilligkeitsvorbehalt eine intransparente und unangemessene Klausel liege.
15III. Hinsichtlich des aus einer Gleichbehandlung abgeleiteten Anspruchs ist die Revision zulässig und auch begründet.
161. Die Revision ist bezogen auf diesen Streitgegenstand zulässig. Insbesondere setzt sich ihre Begründung - anders als die Beklagte meint - in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Weise mit der Argumentation des Landesarbeitsgerichts auseinander. Zwar wiederholt sie in weiten Teilen das vorinstanzliche Vorbingen und enthält neuen, nach § 559 Abs. 1 ZPO unbeachtlichen, Sachvortrag. Sie legt aber auch dar, aus welchen Gründen das Landesarbeitsgericht den Gleichbehandlungsgrundsatz verkannt haben soll, und erhebt in diesem Zusammenhang Sachrügen. Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs sind damit hinreichend erkennbar.
172. Der Kläger hat einen aus den BV 2010, BV 2011 und BV 2012 iVm. dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 75 Abs. 1 BetrVG) folgenden Anspruch auf die streitbefangene Zahlung.
18a) Der Kläger unterfällt dem jeweiligen Geltungsbereich der BV 2010, BV 2011 und BV 2012 und erfüllt die jeweiligen Voraussetzungen für die Gewährung der Sonderzahlungen. Auch die besonderen Voraussetzungen für eine Anspruchsberechtigung nach Ziff. 2 BV 2011 und Ziff. 2 BV 2012 liegen vor. Darüber besteht kein Streit der Parteien.
19b) Der Kläger muss sich, obwohl als Fernfahrer tätig, bei der Höhe der freiwilligen Sonderzahlung für die Jahre 2010, 2011 und 2012 nicht auf die für diesen Personenkreis getroffenen Festlegungen in der jeweiligen Betriebsvereinbarung verweisen lassen. Diese finden wegen eines Verstoßes gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG keine Anwendung. Vielmehr kann er die für „alle anderen Mitarbeiter“ ausgewiesenen höheren Prozentsätze beanspruchen.
20aa) Soweit das Landesarbeitsgericht - ebenso wie das Arbeitsgericht - davon ausgegangen ist, der Kläger habe keinen Anspruch auf Grundlage des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes, weil dieser grundsätzlich nur bei einer gestaltenden Entscheidung des Arbeitgebers bestehe und nicht bei bloßem - hier aus den BV 2010, BV 2011 und BV 2012 folgendem - Normenvollzug, hat es verkannt, dass die Betriebsparteien ihrerseits dem (betriebsverfassungsrechtlichen) Gleichbehandlungsgrundsatz unterliegen. Es geht nach dem vom Kläger zur gerichtlichen Entscheidung gestellten Antrag und dem zugehörigen Lebenssachverhalt nicht um eine einseitig-gestaltende Entscheidung der Beklagten und um eine in diesem Zusammenhang „aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz“ herzuleitende Rechtsfolge. Ob er sein Klagebegehren erfolgreich auf einen Verstoß der Regelungen zur Höhe der freiwilligen Sonderzahlungen für Fernfahrer in der BV 2010, BV 2011 und BV 2012 gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nach § 75 BetrVG stützen kann, hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft nicht geprüft.
21bb) Die Betriebsparteien haben bei Betriebsvereinbarungen § 75 Abs. 1 BetrVG zu beachten. Der dort geregelte und auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zurückzuführende betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zielt darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Sind in einer Betriebsvereinbarung für verschiedene Arbeitnehmergruppen unterschiedliche Leistungen vorgesehen, verlangt der Gleichheitssatz, dass diese Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist. Maßgeblich hierfür ist vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck. Dieser ergibt sich vorrangig aus den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen, von deren Vorliegen und Erfüllung die Leistung abhängig gemacht wird. Dabei ist bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung der Gleichheitssatz bereits dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass diese die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. - Rn. 20 mwN).
22cc) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die unterschiedliche Behandlung von Fernfahrern und allen anderen Mitarbeitern in Ziff. 3 Satz 1 der drei Betriebsvereinbarungen nach den mit ihnen verfolgten Regelungszielen nicht gerechtfertigt.
23(1) Nach Ziff. 1 BV 2010 erhält „mit der Juni-Abrechnung 2010 … jeder Mitarbeiter eine einmalige freiwillige Sonderzahlung“; weitere tatsächliche oder rechtliche Voraussetzungen sind nicht geregelt. Bereits die Festlegung zur Bezugsgröße der Berechnung (bezahltes Brutto-Einkommen 2009) deutet aber darauf, dass die Sonderzahlung 2010 eine Gegenleistung für die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung darstellt und Vergütungscharakter hat. Dies wird bestätigt durch das Vorbringen der Beklagten, wonach mit den jährlichen Sonderzahlungen eine zusätzliche Leistungshonorierung bezweckt ist. Das gilt gleichermaßen für die beiden nachfolgenden BV 2011 und BV 2012, wie die in deren Ziff. 3 getroffenen Festlegungen zur Leistung pro rata temporis bei unterjährigem Beginn oder Ende des Arbeitsverhältnisses und zur anteiligen Kürzung bei Ruhen des Arbeitsverhältnisses sowie die in deren Ziff. 4 geregelte zeitanteilige Anpassung der freiwilligen Sonderzahlungen bei Änderungen „der Beschäftigungsdauer … (z. B. Teilzeit oder Vollzeit)“ zeigen. Gleichzeitig wird mit den Sonderzahlungen nach der BV 2011 und BV 2012 Betriebstreue honoriert. Dies belegen die Stichtagsbestimmungen in Ziff. 2 BV 2011 und BV 2012, die auf den Bestand eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses zum Auszahlungszeitpunkt abstellen, sowie die Regelungen zu einer Rückerstattungspflicht nach Ziff. 3 BV 2011 und BV 2012.
24(2) Angesichts dieser mit den freiwilligen Sonderzahlungen verfolgten Zwecke besteht kein nach § 75 Abs. 1 BetrVG anerkennenswerter Grund, bei ihrer Ausgestaltung zwischen den Fernfahrern und allen anderen Mitarbeitern zu unterscheiden. Ein solcher kann entgegen der Auffassung der Beklagten nicht aus dem Umstand hergeleitet werden, dass die Fernfahrer - im Hinblick auf ihre längeren Arbeitszeiten - einen höheren Verdienst aufweisen. Dieser ist - wie bei allen anderen Arbeitnehmern auch - ein Äquivalent für eine entsprechende Arbeitsleistung. Es fehlt ein sachlicher Grund, lediglich bei ihnen einen niedrigeren Prozentsatz des Einkommens als Sonderzahlung zu gewähren. Soweit nach den BV 2011 und BV 2012 mit den Sonderzahlungen auch die Betriebstreue honoriert werden soll, ist nicht ersichtlich, weshalb sich die bezweckte Betriebsbindung nicht in gleicher Weise auch auf die Fernfahrer erstrecken soll wie auf „alle anderen Mitarbeiter“.
25c) Die gegen § 75 Abs. 1 BetrVG verstoßende Ausgestaltung der Sonderzahlung für die Fernfahrer führt dazu, dass diese die ihnen durch die gleichheitswidrige Gruppenbildung vorenthaltene - also die allen anderen Mitarbeitern zustehende - Leistung beanspruchen können. Indem der gleichheitswidrige Tatbestand nicht angewandt wird, kann die Gleichstellung mit den übrigen Arbeitnehmern erreicht werden (vgl. - Rn. 38 ff.; anders nur, wenn die Anwendung der gleichheitswidrigen Norm auf von ihr nicht erfasste Arbeitnehmer verlangt wird: - Rn. 24). Gegenteiliges folgt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht aus der Entscheidung des Senats vom ( - BAGE 114, 286). In dem entschiedenen Rechtsstreit war die eine Leistungsprämie betreffende Gesamtbetriebsvereinbarung insgesamt unwirksam, weil der Gesamtbetriebsrat sein Mitbestimmungsrecht in der Weise ausgeübt hatte, dass dem Arbeitgeber das alleinige Gestaltungsrecht über den mitbestimmungspflichtigen Tatbestand eröffnet war. Die Frage eines Anspruchs auf die der bevorzugten Gruppe gewährten Leistungen aus dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stellte sich daher nicht (ausf. - zu II der Gründe, BAGE 114, 286).
26d) Die zuletzt geltend gemachte Höhe des Klageanspruchs beruht auf den Festlegungen der Berechnung der Sonderzahlungen - insbesondere der Definition des „Brutto-Einkommens“ - nach der jeweiligen Ziff. 3 in den Betriebsvereinbarungen und berücksichtigt die dem Kläger gewährten Zahlungen. Von diesem Betrag geht auch die Beklagte bei ihrer Berechnung des streitbefangenen Anspruchs aus.
273. Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB iVm. § 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Es bedurfte nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB keiner Mahnung durch den Kläger. Gemäß Ziff. 1 BV 2010 sowie Ziff. 2 Satz 1 und Ziff. 3 Satz 5 BV 2011/BV 2012 war für die jeweilige jährliche freiwillige Sonderzahlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt. Die für einen danach liegenden Zeitpunkt beantragten Zinsen sind jedenfalls unter diesem Gesichtspunkt zuzusprechen.
28IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1 ZPO. Der Kläger hat erstinstanzlich seine Forderung mit 1.766,12 Euro beziffert und gegen das klageabweisende arbeitsgerichtliche Urteil unbeschränkt Berufung eingelegt. Erst in der Berufungsverhandlung hat er sein Begehren auf einen Betrag von 1.395,63 Euro beschränkt. Der Streitwert für die Ermittlung der Gerichtskosten bestimmt sich nach § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG nach den innerhalb der Berufungsbegründungsfrist ankündigten Anträgen des Rechtsmittelführers. Weil hiermit keine verhältnismäßig nur geringfügige Zuvielforderung iSv. § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO verbunden ist, war für das erst- und das zweitinstanzliche Verfahren eine Kostenquote zu bilden.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:260416.U.1AZR435.14.0
Fundstelle(n):
BB 2016 S. 2227 Nr. 37
DB 2016 S. 2304 Nr. 39
IAAAF-80850