Förderung der ganzjährigen Beschäftigung - kein Anspruch auf Mehraufwands-Wintergeld für Arbeitnehmer bei Einsatz auf Arbeitsplätzen im Ausland - keine Aufbringung der Mittel durch eine Umlage - verfassungs- und europarechtskonforme Auslegung
Leitsatz
Ein Anspruch auf Winterbeschäftigungsförderung in Form von Mehraufwands-Wintergeld besteht nur für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden gewerblicher Arbeitnehmer, die in der Förderungszeit auf einem Arbeitsplatz im Inland eingesetzt werden.
Gesetze: § 175a Abs 1 SGB 3, § 175a Abs 3 SGB 3, § 354 SGB 3, § 4 Abs 1 SGB 4, § 5 Abs 4 S 1 WinterbeschV, § 1 Abs 1 Nr 1 WinterbeschV, § 3 Abs 1 Nr 1 WinterbeschV, Art 12 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 GG, Art 45 Abs 2 AEUV, Art 4 Abs 1 Buchst g EWGV 1408/71, EGV 883/2004
Instanzenzug: Az: S 22 AL 716/10 Urteilvorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: L 9 AL 226/13 Urteil
Tatbestand
1Im Streit steht die Gewährung von Mehraufwands-Wintergeld an die Beschäftigten der Klägerin für die Zeit vom bis .
2Die Klägerin ist eine Gesellschaft türkischen Rechts (Limited) mit Hauptniederlassung in Istanbul. Sie betreibt seit eine Zweigniederlassung in D., deren Unternehmensgegenstand das Maurer- und Betonbauerhandwerk ist. Auf die Arbeitsverhältnisse findet der allgemeinverbindliche Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV Bau) Anwendung. Die Klägerin ist verpflichtet, für ihre Arbeitnehmer fortlaufend Winterbeschäftigungs-Umlage zu zahlen; sie hat diese auch gezahlt (Prüfbericht der Beklagten vom ).
3Die Klägerin führte durch ihre Arbeitnehmer von Oktober 2009 bis Mai 2012 Bauarbeiten auf einer Baustelle in E. Niederlande - durch. Die dort eingesetzten Arbeitnehmer behielten ihren Wohnsitz in Deutschland bei. Die Klägerin zahlte von Dezember 2009 bis Februar 2010 an ihre Arbeitnehmer Vorschüsse auf das Mehraufwands-Wintergeld aus. Am beantragte sie bei der Beklagten die "Erstattung" von Mehraufwands-Wintergeld für diese Monate und bezifferte die beantragten Leistungen für Dezember 2009 auf 849,50 Euro, für Januar 2010 auf 2710 Euro sowie für Februar 2010 auf 5811,50 Euro. Sie legte der Beklagten Abrechnungslisten sowie Aufzeichnungen über Wetterbedingungen vor.
4Die Beklagte lehnte die Gewährung von Mehraufwands-Wintergeld ab (Bescheid vom ). Witterungsbedingte Arbeitsausfälle auf Baustellen im Ausland begründeten keinen Anspruch auf Saison-Kurzarbeitergeld oder ergänzende Leistungen (§ 175a SGB III in der bis geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 des Gesetzes zur Förderung der ganzjährigen Beschäftigung vom , BGBl I 926; im Folgenden § 175a SGB III aF). Der Widerspruch der Klägerin, die einen Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit rügte, blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom ).
5Das von der Klägerin angerufene SG Dortmund hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für ihre Arbeitnehmer Mehraufwands-Wintergeld in dem streitigen Zeitraum zu zahlen (Urteil vom ). Die Arbeitnehmer seien in der fraglichen Zeit den gesetzlichen Anforderungen entsprechend beschäftigt worden. Die Klägerin habe auch die Mittel für die Förderung durch Mehraufwands-Wintergeld durch Zahlung der Umlage aufgebracht. Die Möglichkeit der Erstattung der Winterbeschäftigungs-Umlage für Arbeitnehmer, die im Ausland eingesetzt seien, stehe dem nicht entgegen.
6Die Beklagte hat dagegen Berufung zum LSG Nordrhein-Westfalen eingelegt. Sie hat die Auffassung vertreten, dass das Mehraufwands-Wintergeld nicht für Beschäftigte vorgesehen sei, die auf Baustellen im Ausland arbeiteten. Das LSG hat das Urteil des SG Dortmund aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom ). Die Vorschrift des § 175a Abs 1 und 3 SGB III aF sei zwar anwendbar, weil die Beschäftigten ihren Wohnsitz in Deutschland hätten. Entgegen der Auffassung des SG lägen die tatbestandlichen Voraussetzungen des Anspruchs aber nicht vor. Anspruch auf Mehraufwands-Wintergeld bestehe nur, soweit die Mittel für ergänzende Leistungen durch die Winterbeschäftigungs-Umlage aufgebracht würden. Dies sei für die betroffenen Arbeitnehmer im streitgegenständlichen Zeitraum, in dem sie auf einer Baustelle in den Niederlanden eingesetzt gewesen seien, nicht der Fall. Zwar ordne § 354 SGB III an, dass die Mittel für ergänzende Leistungen - auch im Betrieb der Klägerin - durch die Winterbeschäftigungs-Umlage aufzubringen seien. Allerdings sei die Regelung des § 5 Abs 4 Winterbeschäftigungs-Verordnung (WinterbeschV) zu berücksichtigen. Danach seien den Arbeitgebern Umlagebeträge, die sie für Zeiten der Beschäftigung von gewerblichen Arbeitnehmern auf Baustellen außerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzes entrichtet hätten, auf Antrag zu erstatten. Aufgrund der Regelung habe die Klägerin die Mittel für die ergänzenden Leistungen nicht iS des § 175a Abs 1 SGB III aF "aufgebracht". Dies folge auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, die aus den Bestimmungen über die ehemalige Winterbauförderung hervorgegangen sei. Der Gesetzgeber sei auch nach der Systematik der §§ 209 ff SGB III in der ab geltenden Fassung des AFRG vom (BGBl I 594) davon ausgegangen, dass ein Anspruch auf Wintergeld für Arbeitnehmer, die im Ausland beschäftigt seien, nicht bestehe. Dies sei mit höherrangigem Recht vereinbar.
7Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie macht insbesondere geltend, das Urteil des LSG verletze europäisches Recht, weil es nicht den Grundsätzen der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art 45 Abs 2 AEUV) Rechnung trage. Die Auslegung des § 5 Abs 4 der WinterbeschV verletze auch Bundesrecht. Arbeitnehmer hätten gegenüber dem Arbeitgeber tarifvertragliche Ansprüche, die territorial nicht begrenzt seien. Der von den Arbeitnehmern mitfinanzierten Umlage stehe keine entsprechende Leistung gegenüber, wenn der Einsatz auf Auslandsbaustellen nicht gefördert werde. Wenn nach verfassungsrechtlichen Maßstäben das Mehraufwands-Wintergeld zu leisten sei, verliere die in der Versagung der Leistung liegende Rechtsverletzung nicht dadurch ihre Eigenschaft als Rechtsverletzung, dass eine Erstattung der Beiträge für die - rechtswidrig verweigerten - Leistungen vorgesehen sei.
8Die Klägerin beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom zurückzuweisen.
9Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
10Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Gründe
11Die Revision der Klägerin ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
121. Die Klägerin ist als Arbeitgeberin berechtigt, die Rechte ihrer Arbeitnehmer - hier die Inanspruchnahme von das Saison-Kug ergänzenden Leistungen - im Wege der gesetzlichen Verfahrens- und Prozessstandschaft geltend zu machen ( B 11a/11 AL 15/04 R - SozR 4-4300 § 323 Nr 1; - SozR 4-4300 § 173 Nr 1 mwN; zum früheren Struktur-Kug: B 7/7a AL 20/06 R - SozR 4-4300 § 175 Nr 1 RdNr 10). Dies gilt nicht nur für das Kug nach §§ 169 f SGB III aF, sondern auch für die Inanspruchnahme von Saison-Kug (§ 175 Abs 8 iVm § 173 SGB III aF, jetzt § 101 Abs 8 iVm § 99 SGB III) und dessen "ergänzende Leistungen" (§ 175a SGB III aF, jetzt § 102 SGB III; dazu Kühl in Brand, SGB III, 7. Aufl 2015, § 102 RdNr 2; Bieback in Gagel, SGB II/SGB III, § 102 SGB III RdNr 47, Stand April 2012). Auch insoweit finden die §§ 169 f SGB III aF entsprechende Anwendung, da nichts Abweichendes geregelt ist.
13Eine Beiladung der Arbeitnehmer zu diesem Rechtsstreit ist nicht notwendig (§ 75 Abs 2 SGG; B 11a/11 AL 15/04 R - SozR 4-4300 § 323 Nr 1 RdNr 11; B 7/7a AL 20/06 R - SozR 4-4300 § 175 Nr 1 RdNr 10).
142. Das LSG hat zutreffend entschieden, dass die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage der Klägerin unbegründet ist. Der Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom , mit dem die Beklagte die Gewährung von Mehraufwands-Wintergeld für die in den Niederlanden beschäftigten Arbeitnehmer abgelehnt hat, ist rechtmäßig und verletzt die Arbeitnehmer der Klägerin nicht in ihren Rechten.
15Nach § 175a Abs 1 und 3 SGB III aF (jetzt § 102 Abs 1 und 3 SGB III) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Wintergeld als Zuschuss-Wintergeld und Mehraufwands-Wintergeld und Arbeitgeber haben Anspruch auf Erstattung der von ihnen zu tragenden Beiträge zur Sozialversicherung, soweit für diese Zwecke Mittel durch eine Umlage aufgebracht werden. Mehraufwands-Wintergeld wird nach Abs 3 der Vorschrift in Höhe von 1 Euro für jede in der Zeit vom 15.12. bis zum letzten Kalendertag des Monats Februar geleistete berücksichtigungsfähige Arbeitsstunde an Arbeitnehmer gewährt, die auf einem witterungsabhängigen Arbeitsplatz beschäftigt sind. Berücksichtigungsfähig sind im Dezember bis zu 90, im Januar und Februar jeweils bis zu 180 Arbeitsstunden. Die Leistung soll im Wege eines pauschalierten Aufwendungsersatzes die witterungsbedingten Mehraufwendungen in der Förderzeit ausgleichen (Mutschler in Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu SGB III, 5. Aufl 2013, § 102 RdNr 16).
16Die Klägerin kann für ihre auf einer Auslandsbaustelle eingesetzten Arbeitnehmer Mehraufwands-Wintergeld nicht beanspruchen. Das ergibt sich - wie das LSG überzeugend dargelegt hat - aus der Entstehungsgeschichte des § 175a SGB III aF; dies hat das BSG bereits zum früheren Recht der Winterbauförderung ausführlich dargelegt (a). Diese Auslegung der Vorschrift verletzt weder Grundrechte der Arbeitnehmer der Klägerin (b) noch verstößt sie gegen Europarecht (c).
17a) Aus der historischen Auslegung des § 175a Abs 1 und 3 SGB III aF ergibt sich, dass die dem Verbleib in Beschäftigung während der witterungsungünstigen Jahreszeit dienenden ergänzenden Leistungen nicht für auf Auslandsbaustellen eingesetzte Arbeitnehmer zu erbringen sind.
18Das BSG hatte bereits zum Recht der (früheren) Winterbauförderung entschieden, eine Förderung komme nur für Arbeiten in Betracht, die innerhalb der Grenzen der (damaligen) Bundesrepublik Deutschland und des Landes Berlin verrichtet werden (zu § 80 AFG: - BSGE 43, 255 = SozR 4100 § 80 Nr 1 - juris RdNr 37 f; zu §§ 83 f AFG: - SozR 4100 § 83 Nr 2 juris RdNr 11 f).
19Der Gesetzgeber ging bei der Übernahme des Rechts der Winterbauförderung in das SGB III (§§ 209 ff SGB III idF ab geltenden Fassung des AFRG vom , BGBl I 594) davon aus, dass die Voraussetzungen für das Wintergeld bei einer Beschäftigung auf Baustellen im Ausland grundsätzlich nicht erfüllt sind. Dies wird durch die Fassung der Regelung des § 216 Abs 1 SGB III idF ab deutlich, die das zuständige Bundesministerium ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats - abweichend von der geltenden Rechtslage - zu bestimmen, dass Wintergeld auch für Arbeitsstunden zu zahlen ist, die entsandte Arbeitnehmer (§ 4 Abs 1 SGB IV) außerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzes in Gebieten leisten, in denen die Bauarbeiten während der Förderungszeit in gleicher Weise witterungsbedingten Erschwernissen ausgesetzt sind. Der Einsatz von Arbeitnehmern im Ausland hatte, auch wenn er im Wege der Entsendung erfolgte, also grundsätzlich zur Folge, dass kein Anspruch auf Wintergeld bestand.
20Dem Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung vom (BGBl I 1842), mit dem § 216 Abs 1 SGB III aF zum aufgehoben wurde, lag das gesetzgeberische Ziel zugrunde, dass Arbeitnehmer durch die Streichung der Verordnungsermächtigung für die Dauer einer Auslandsbeschäftigung vom Wintergeld-Bezug ausgeschlossen bleiben sollten (vgl BR-Drucks 155/04, S 78 zu Nr 2). Dies erfolgte mit dem Ziel, Arbeitgeber, die im Ausland tätig werden wollen, zu entlasten und "vor Wettbewerbsnachteilen schützen". Zugleich wurde die damalige Winterbau-Umlageverordnung geändert und in deren § 3 Abs 1a - eine dem späteren § 5 Abs 4 WinterbeschV entsprechende Regelung - eingefügt. Damit sollte sichergestellt werden, "dass die Bauarbeitgeber zukünftig keine Winterbau-Umlage mehr für gewerbliche Arbeitnehmer, die auf Auslandsbaustellen beschäftigt sind, … abführen müssen" (BR-Drucks 155/04, S 100).
21§ 175a SGB III aF ist zum in das SGB III eingefügt worden, ohne dass der Gesetzgeber den Kreis der Förderberechtigten gegenüber der zuvor geltenden Rechtslage erweitern wollte (BT-Drucks 16/429, S 15).
22Zwar besteht nach §§ 354, 355 SGB III iVm § 3 Abs 1 Nr 1, § 2, § 1 Abs 1 Nr 1 WinterbeschV grundsätzlich eine Umlagepflicht auf die Bruttoarbeitsentgelte aller im Betrieb der Klägerin beschäftigten gewerblichen Arbeitnehmer. Andererseits sieht § 5 Abs 4 WinterbeschV vor, dass Umlagebeträge, die auf Zeiten einer Beschäftigung von gewerblichen Arbeitnehmern auf Baustellen im Ausland entfallen, auf Antrag erstattet werden. Im wirtschaftlichen Ergebnis werden die Umlagepflichtigen für die Zeit eines Einsatzes der Arbeitnehmer im Ausland von der Zahlung der Umlage entlastet. Diese Regelung erklärt sich vor dem Hintergrund, dass keine Umlagebeträge erhoben werden dürfen, wenn und solange Arbeitnehmer keinen Anspruch auf ergänzende Leistungen haben.
23Aus der Regelung über die Ausstrahlung (§ 4 SGB IV) ergibt sich nichts anderes. § 4 Abs 1 SGB IV ordnet schon tatbestandlich nicht die Fortgeltung einer Regelung über umlagefinanzierte (ergänzende) Leistungen - wie sie § 175a SGB III aF beinhaltet - an. Selbst wenn eine Entsendung der Arbeitnehmer in die Niederlande vorgelegen hätte, könnte § 4 Abs 1 SGB IV nur zur Folge haben, dass auf die entsandten Arbeitnehmer die Vorschriften über Versicherungspflicht und -berechtigung weiter Anwendung finden. Der Anspruch auf ergänzende Leistungen (§ 175a SGB III aF; jetzt: § 102 SGB III) beruht aber nicht auf dem Bestehen einer Versicherungspflicht oder -berechtigung, sondern knüpft an das Bestehen der Umlagepflicht nach § 354 SGB III an.
24b) Diese Auslegung und Anwendung des § 175a Abs 1 und 3 SGB III aF verletzt nicht die Grundrechte der Arbeitnehmer der Klägerin.
25Der Senat kann dahingestellt lassen, ob die Grundrechte der durch die Norm begünstigten, aber am Rechtsstreit nicht beteiligten Arbeitnehmer in diesem Verfahren einen Maßstab bieten, an dem das anzuwendende Recht zu prüfen ist. Dies unterstellt, verletzt § 175a SGB III aF iVm §§ 354 ff SGB III nicht die verfassungsgemäßen Rechte der Arbeitnehmer.
26aa) Das Grundrecht auf Gewährleistung des Eigentums (Art 14 Abs 1 GG) ist nicht berührt. Selbst wenn die von den Arbeitgebern der förderungsfähigen Wirtschaftszweige aufgebrachten Umlageteile den Umlageteilen zuzurechnen sind, die von den Arbeitnehmern aufgebracht werden mit der Folge, dass diese durch die Zahlung der Umlage eine auf nicht unerheblicher Eigenleistung beruhende Rechtsposition erwerben (, 11/00 ua - BVerfGE 116, 96 <121>), berührt der Ausschluss der Leistungen im Ausland den möglichen Eigentumsschutz nicht.
27Die ergänzenden Leistungen nach § 175a SGB III aF sind - anders als zB beitragsfinanzierte Leistungen der Arbeitsförderung - akzessorisch in dem Sinne ausgestaltet, dass ein Anspruch auf sie nur entsteht, wenn in dem jeweiligen Wirtschaftszweig die für die Leistungen erforderlichen Mittel durch die Umlage nach §§ 354 ff SGB II bereitzustellen sind (Leitherer in Eicher/ Schlegel, SGB III nF, § 102 RdNr 6; Mutschler in Mutschler//Schmidt-De Caluwe/Coseriu, SGB III, 5. Aufl 2013, § 102 RdNr 20; Scholz in Hauck/Noftz, SGB III, K § 102 RdNr 8, Stand V/2012; zurückhaltender Lüdtke in LPK-SGB III, 2. Aufl 2015, § 102 RdNr 4). Da aber Mittel für eine Förderung der Winterbeschäftigung im Ausland im Ergebnis nicht aufzubringen sind (§ 5 Abs 4 WinterbeschV), erwerben die Arbeitnehmer von vornherein keine Rechtsposition, die eine Förderung mit Mehraufwands-Wintergeld bei Arbeitseinsätzen im Ausland umfasst.
28bb) Der Schutzbereich des Art 12 Abs 1 S 1 GG ist zwar möglicherweise berührt (vgl - BVerfGE 128, 1 <82>), denn die §§ 354 ff iVm § 175a SGB III aF sind Regelungen mit berufsregelnder Tendenz, weil sie an der Ausübung einer Beschäftigung gegen Entgelt in bestimmten Wirtschaftszweigen anknüpfen. Das Grundrecht auf Berufsfreiheit ist aber jedenfalls nicht verletzt (vgl Art 12 Abs 1 S 2 GG), weil die zu prüfenden gesetzlichen Regelungen durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt sind (vgl , 1 BvR 814/08 ua - BVerfGE 123, 186 <238>). Der Gesetzgeber ließ sich von vernünftigen Erwägungen leiten, als er in den witterungsanfälligen Wirtschaftszweigen eine gemessen an den gesamtem Lohnkosten geringfügig belastende Umlagepflicht von 1 bis 2 vH der umlagepflichtigen Bruttoarbeitsentgelte bezogen auf die "gewerblichen Arbeitnehmern" eingeführt hat. Andererseits hat sich der Gesetzgeber von vernünftigen Erwägungen leiten lassen, als er entschied, die Winterbeschäftigung zur Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Wirtschaftszweige und zur Sicherstellung einer noch angemessenen Umlagepflicht auf den Geltungsbereich des Gesetzes zu begrenzen.
29c) Dies verletzt auch nicht das Europäische Recht, insbesondere die Gewährleistung der Arbeitnehmerfreizügigkeit.
30Die EGV 883/2004 findet keine Anwendung, weil sie nach Art 97 S 2 EGV 987/2009 (sog Durchführungsverordnung) erst am in Kraft getreten ist. Sie findet keine Anwendung auf Sachverhalte, die - wie hier - bereits vor ihrem Inkrafttreten beendet waren ( - BSGE 111, 184 = SozR 4-5075 § 1 Nr 9, RdNr 26 f; - juris RdNr 16).
31Die EWGV 1408/71 findet ebenfalls keine Anwendung. Ihr Anwendungsbereich ist nicht eröffnet, weil es sich bei dem streitgegenständlichen Mehraufwands-Wintergeld nicht um eine Leistung bei Arbeitslosigkeit iS von Art 4 Abs 1 Buchst g EWGV 1408/71 handelt. Leistungen bei Arbeitslosigkeit in diesem Sinne liegen nur vor, wenn sie den aufgrund von Arbeitslosigkeit verlorenen Arbeitslohn ersetzen sollen, also für den (Lebens-)Unterhalt des arbeitslosen Arbeitnehmers bestimmt sind ( - SozR 3-6050 Art 71 Nr 3 - juris RdNr 44; - juris RdNr 27) oder die sich an Personen richten, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind ( 375/85 - SozR 6050 Art 67 Nr 3 - juris RdNr 12). Beide Fallgestaltungen liegen nicht vor. Das Mehraufwands-Wintergeld wird an Arbeitnehmer bezahlt, die in den Monaten Dezember bis Februar auf einem witterungsabhängigen Arbeitsplatz tatsächlich eingesetzt werden. Die Anspruchsberechtigten sind weder arbeitslos noch sind sie von Arbeitslosigkeit bedroht, vielmehr erhalten sie ggf Leistungen zur Förderung des Verbleibs in Beschäftigung (zum alten Recht: - BSGE 43, 255 = SozR 4100 § 80 Nr 1 - juris RdNr 58; Mutschler in Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, SGB III, 5. Aufl 2013, § 102 RdNr 16).
32Auch das Gebot der Gleichbehandlung bei Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art 45 Abs 2 AEUV sowie das Gleichbehandlungsgebot aus Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 (jetzt Art 7 der Verordnung der EU Nr 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union) sind nicht verletzt. Nach Art 45 Abs 1 AEUV ist innerhalb der EU die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet. Das Recht auf Freizügigkeit umfasst nach Art 45 Abs 2 AEUV die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedsstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung, und sonstige Arbeitsbedingungen. Seine Gewährleistung ist darauf gerichtet, den Arbeitnehmern, die in einem anderen Mitgliedsstaat beschäftigt sind, dieselben rechtlichen Bedingungen zu verschaffen wie den Beschäftigten des Zielstaats. Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 verbiete nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen ( - <Erny> RdNr 39 mwN).
33Aus den Rechten auf Arbeitnehmerfreizügigkeit und Gleichbehandlung kann nicht das Recht abgeleitet werden, bei Ausübung der Beschäftigung in einem anderen Mitgliedsstaat zu den Arbeitsbedingungen des Herkunftsstaates (weiter-)beschäftigt zu werden. Vielmehr sind die genannten Rechte auf Gleichbehandlung mit den Arbeitnehmern des Zielstaats gerichtet, hier also auf Gleichbehandlung mit den in den Niederlanden beschäftigten Personen (dazu Streinz/Franzen, EUV/AEUV, 2. Aufl 2012, Art 45 AEUV RdNr 35).
34Die Regelungen des § 175a iVm §§ 354 ff SGB III sind auch nicht zu beanstanden, soweit sie am Maßstab des Art 45 Abs 2 AEUV im Sinne eines Beschränkungsverbots geprüft werden (dazu Streinz/Franzen, EUV/AEUV, 2. Aufl 2012, Art 45 AEUV RdNr 86; - = SozR 4-6050 Art 39 Nr 2 - juris RdNr 31 f). Selbst wenn die hier angeordnete Beschränkung des Anspruchs auf Mehraufwands-Wintergeld auf geleistete Arbeitsstunden im Inland eine Beschränkung der Freizügigkeit darstellen könnte, handelt es sich jedenfalls nicht um eine Zugangsbeschränkung zum anderen Mitgliedsstaat, sondern allenfalls um eine "Ausübungsmodalität" des Rechts auf Freizügigkeit (Streinz/Franzen, EUV/AEUV, 2. Aufl 2012, Art 45 AEUV RdNr 90 mwN). Eine solche Ausübungsmodalität kann durch sachliche Gründe des nationalen Gesetzgebers gerechtfertigt sein. Dies ist hier der Fall.
35Der nationale Gesetzgeber ist bei der Ausgestaltung von Sozialleistungen europarechtlich grundsätzlich nicht auf ein bestimmtes sozialpolitisches Konzept festgelegt (vgl <Nolte> - Slg 1995, I-4625 ff, RdNr 33 = SozR 3-6083 Art 4 Nr 11; <Seymour-Smith, Perez> - Slg 1999, I-623; <Steinicke> - Slg 2003, I-9027). Er ist befugt, den Geltungsbereich und die Anwendungsvoraussetzungen der nationalen Rechtsvorschriften im Hinblick darauf zu bestimmen, welche Personen ihnen unterliegen und in welchem Gebiet sie ihre Wirkung entfalten sollen (stRspr; grundlegend 302/84 - <Ten Holder> SozR 6050 Art 13 Nr 8). Nach diesen Maßstäben war er vorliegend berechtigt, ein System zur Förderung des Verbleibs in Beschäftigung während der Förderzeit nur im Inland einzuführen. Dabei ist auch zu vermeiden, dass Umlagebeträge zu entrichten sind, denen kein Anspruch auf Gegenleistung gegenübersteht. Dies wird durch § 5 Abs 4 WinterbeschV ausgeschlossen.
363. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG ( - SozR 4-4300 § 170 Nr 3; zuvor schon - BSGE 104, 83 = SozR 4-4300 § 170 Nr 2 - juris RdNr 22). § 197a Abs 1 S 1 SGG findet keine Anwendung. Die Vorschrift wäre (nur) anzuwenden, wenn in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören. Die Klägerin gehört aber zu dem durch § 183 SGG privilegierten Personenkreis, für den Gerichtskostenfreiheit besteht, weil sie im Wege der Verfahrens- und Prozessstandschaft "ergänzende Leistungen" geltend macht, die als Leistungen der aktiven Arbeitsförderung (§ 3 Abs 2, Abs 3 Nr 6 SGB III) materiell den Arbeitnehmern als Leistungsempfängern zustehen.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2016:170316UB11AL315R0
Fundstelle(n):
SAAAF-77083