BGH Beschluss v. - 5 StR 107/14

Strafverfahren wegen gewerbsmäßigen Inverkehrbringens von Kräutermischungen zur Herbeiführung von Rauschzuständen: Strafbarkeit wegen Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und/oder Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen unter Verwendung nicht zugelassener Stoffe; Zurückverweisung in der Revisionsinstanz bei unklaren Urteilsausführungen zur Zusammensetzung der verkauften Kräutermischungen

Gesetze: Art 1 Nr 2 Buchst b EGRL 83/2001, § 2 Abs 1 Nr 2 Buchst a AMG, § 20 Abs 1 Nr 1 LMG 1974 vom , § 20 Abs 1 Nr 2 LMG 1974 vom , § 52 Abs 2 Nr 1 LMG 1974 vom , § 29 Abs 1 Nr 1 BtMG, § 29 Abs 4 BtMG

Instanzenzug: Az: C-358/13 und C-181/14 Urteilvorgehend Az: 5 StR 107/14 Vorlagebeschlussvorgehend Az: 5 StR 107/14 Beschlussvorgehend Az: 5 StR 107/14 EuGH-Vorlagevorgehend LG Itzehoe Az: 1 KLs 10/13

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in 87 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und Wertersatzverfall in Höhe von 200.000 € angeordnet. Die hiergegen gerichtete und auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat – nach Erledigung eines Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof der Europäischen Union (vgl. , PharmR 2014, 296) sowie eines Anfrageverfahrens nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 5 StR 107/14, PharmR 2015, 33; vom – 3 ARs 28/14, PharmR 2015, 239; vom – 2 ARs 434/14, PharmR 2016, 84) – Erfolg.

21. Nach den Feststellungen des Landgerichts bestellte und verkaufte der Angeklagte von Mai 2010 bis Mai 2011 zunächst allein über seinen Onlineshop und nach dessen Aufgabe im Oktober und November 2012 mit einem Mittäter fertig verpackte Tüten mit bis zu 3 g Kräutermischungen aus getrocknetem Pflanzenmaterial, dem verschiedene, dem Betäubungsmittelgesetz zum damaligen Zeitpunkt weitgehend noch nicht unterfallende synthetische Cannabinoide zugesetzt waren. Der Verkauf erfolgte mit der Bestimmung, dass die Mischungen von den Kunden „durch Rauchen (z.B. in Form von Joints)“ zur Erzielung einer Rauschwirkung konsumiert werden sollten (UA S. 4, 227). Der Angeklagte informierte sich über die Rechtslage und gelangte zu der Erkenntnis, dass es einen illegalen Bereich gebe. Er vertraute jedoch auf die Angaben der Hersteller, wonach der Vertrieb der Mischungen legal sei. Behördliche Auskünfte oder anderweitigen Rechtsrat holte er nicht ein (UA S. 5).

3Eine positive Wirkung, etwa einen therapeutischen oder prophylaktischen Nutzen, hatte das Rauchen der Kräutermischungen nicht. Vielmehr war es gesundheitsgefährdend. Nach Auffassung des Landgerichts handelte es sich bei den Kräutermischungen im Hinblick auf deren physiologische Funktionen durch pharmakologische Wirkung um Funktionsarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG; ein therapeutischer Nutzen oder eine positive Beeinflussung sei nicht erforderlich (vgl. UA S. 225).

42. Der Schuldspruch hat keinen Bestand.

5Die vom Angeklagten vertriebenen Kräutermischungen können im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom – C-358/13; C-181/14, NStZ 2014, 461) nicht als Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG angesehen werden, weil sie in ihren Wirkungen der menschlichen Gesundheit nicht zuträglich, sondern im Gegenteil gesundheitsschädlich sind. Der Senat ist im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung des Arzneimittelbegriffs nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG an die im Vorabentscheidungsverfahren durch den Gerichtshof der Europäischen Union vorgenommene Auslegung der Humanarzneimittel-Richtlinie gebunden (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 22/13 Rn. 3 f.; vom – 4 StR 403/14, PharmR 2016, 13; Urteile vom – 3 StR 437/12, PharmR 2015, 264 Rn. 15 f.; vom – 2 StR 525/13, NJW 2016, 1251 Rn. 21 f. [zum Abdruck in BGHSt vorgesehen]; Grabitz/Hilf/Nettesheim, 58. EL, Art. 267 AEUV Rn. 102). Danach ist sowohl der Arzneimittelbegriff in Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der genannten Richtlinie als auch der nahezu wortgleiche § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG dahin auszulegen, dass keine Stoffe erfasst werden, deren Wirkungen sich – wie hier – auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränken, ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit zuträglich zu sein, und die nur ihrer Rauschwirkung wegen konsumiert werden und dabei gar gesundheitsschädlich sind (vgl. EuGH, aaO sowie , aaO; Urteile vom – 3 StR 437/12, aaO Rn. 10 ff.; vom – 2 StR 525/13, aaO, jeweils mwN).

63. Der Senat sieht sich jedoch an einem Freispruch des Angeklagten gehindert.

7a) Ausweislich der – insoweit unklaren – Urteilsgründe waren in den Kräutermischungen möglicherweise („oder“; z.B. UA S. 7, 8, 9) und „teilweise zusätzlich“ (z.B. UA S. 8, 9, 10) auch solche Cannabinoide enthalten, die zur Tatzeit schon der Anlage 2 zu § 1 Abs. 1 BtMG in der ab geltenden Fassung vom (BGBl. I S. 3944) unterfielen (JWH 018, JWH 019, JWH 073 und CP 47, [CP] 497). Gegebenenfalls kommt eine Strafbarkeit wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 BtMG in Betracht (vgl. auch , aaO; Urteile vom – 1 StR 302/13, BGHSt 60, 134; vom – 1 StR 317/15).

8b) Soweit die verwendeten Cannabinoide zur Tatzeit nicht als Betäubungsmittel definiert waren, wäre nach der durch den Senat vertretenen Auffassung – an der festgehalten wird –, eine Strafbarkeit wegen gewerbsmäßigen Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen unter Verwendung nicht zugelassener Stoffe in Betracht gekommen (§ 52 Abs. 2 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2 VTabakG). Jedoch ist das Vorläufige Tabakgesetz nach Art. 8 Abs. 3 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse vom (BGBl. I S. 569, 584) am außer Kraft getreten. Das mit diesem Artikelgesetz neu eingeführte, im Wesentlichen gleichfalls am in Kraft getretene Gesetz über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse (Tabakerzeugnisgesetz – TabakerzG) vom (BGBl. I S. 569) enthält keine Strafbestimmungen, die den § 52 Abs. 2 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2 VTabakG inhaltlich entsprechen, also das Inverkehrbringen von pflanzlichen Raucherzeugnissen unter Verwendung nicht zugelassener Stoffe pönalisieren. Die in § 34 Abs. 1 Nr. 9 und 10 TabakerzG aufgenommenen Strafvorschriften betreffen vielmehr den – hier nicht einschlägigen – Schutz vor irreführenden Vertriebsformen (§ 18 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 Satz 1, 2 TabakerzG). Entsprechendes gilt für die Verordnung über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse (Tabakerzeugnisverordnung – TabakerzV) vom (BGBl. I S. 980). Mangels Unrechtskontinuität können die Taten des Angeklagten damit nicht mehr unter dem Aspekt des verbotenen Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen ähnlichen Waren bzw. nach neuer Terminologie (vgl. § 2 Nr. 1, 2 TabakerzG) von verwandten Erzeugnissen strafrechtlich geahndet werden (§ 2 Abs. 3 StGB).

94. Der Senat hebt mit der Verurteilung die im vorgenannten Sinn lückenhaften Feststellungen insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht in sich stimmige Feststellungen zu ermöglichen. Dieses wird sich mit der Zusammensetzung der durch den Angeklagten vertriebenen Kräutermischungen und deren Strafbarkeit nach § 29 BtMG im Zeitpunkt der Tat im Einzelnen auseinanderzusetzen haben. Als einheitliche Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln kommen dabei die im angefochtenen Urteil bezeichneten Einkaufshandlungen des Angeklagten (UA S. 12 bis 16) in Betracht, wohingegen die Verkaufshandlungen aus den so beschafften Vorräten lediglich unselbständige Teilakte in Bezug auf den Handel mit der jeweiligen Gesamtmenge darstellen (st. Rspr., vgl. etwa , BGHSt 30, 28, 31 mwN).

Sander                          Schneider                           Dölp

                  König                                Bellay

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:250516B5STR107.14.0

Fundstelle(n):
wistra 2016 S. 444 Nr. 11
UAAAF-76511