BAG Urteil v. - 9 AZR 744/14

(Praktische Tätigkeit iSd. § 7 RettAssG - Anspruch auf angemessene Vergütung)

Gesetze: § 7 RettAssG, § 26 BBiG 2005, § 17 Abs 1 S 1 BBiG 2005, § 25 BBiG 2005

Instanzenzug: ArbG Dessau-Roßlau Az: 11 Ca 68/11 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt Az: 3 Sa 230/12 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger begehrt Vergütung für seine praktische Tätigkeit beim Beklagten während seiner Ausbildung zum Rettungsassistenten.

2Nachdem der Kläger die Ausbildung zum Rettungssanitäter erfolgreich abgeschlossen und die theoretische Prüfung zum Rettungsassistenten bestanden hatte, absolvierte er vom bis zum im Rahmen der Ausbildung zum Rettungsassistenten in der DRK-Lehrrettungswache des Beklagten in J ein Praktikum auf der Grundlage des § 7 RettAssG. Die Parteien schlossen am einen „Praktikantenvertrag zur Ausbildung als Rettungsassistent/-in“. Dieser lautete auszugsweise:

3Der Kläger war nicht Mitglied einer Gewerkschaft. Der Beklagte gehörte keinem Arbeitgeberverband an.

4Der Beklagte zahlt seit dem auf der Grundlage der zwischen ihm und dem bei ihm bestehenden Betriebsrat am abgeschlossenen „Betriebsvereinbarung im Bereich Rettungsdienst über die Vergütung von Praktikanten/-innen während der rettungsdienstlichen Ausbildung im praktischen Jahr zum/-r Rettungsassistenten/-in“ den Praktikanten und Praktikantinnen ab dem dritten Ausbildungsmonat eine monatliche Vergütung iHv. 325,00 Euro brutto.

5Der Kläger erhielt während der Zeit des Praktikums beim Beklagten keine Vergütung. Mit Schreiben vom forderte der Kläger unter Hinweis auf ein Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom (- 3 Sa 542/04 -) den Beklagten ohne Erfolg auf, ihm für die Zeit des geleisteten Praktikums bis zum die Tarifvergütung nach dem zwischen dem DRK-Bundesverband und der Gewerkschaft ver.di abgeschlossenen Tarifvertrag - Tarifgebiet neue Bundesländer - zu zahlen. Dieser Tarifvertrag sah für Praktikanten in der Ausbildung zum Rettungsassistenten ab dem eine Monatsvergütung iHv. 974,67 Euro brutto vor.

6Mit seiner dem Beklagten am zugestellten Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, für seine Tätigkeit betrage die angemessene und ortsübliche Vergütung 7,67 Euro brutto pro Stunde. Er hat behauptet, ab dem sei er vom Beklagten als Rettungssanitäter eingesetzt worden. Insgesamt habe er im Rahmen des „Praktikantenvertrags“ 2.283 Stunden für den Beklagten geleistet.

7Der Kläger hat beantragt,

8Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, dem Kläger stehe gemäß § 2 des „Praktikantenvertrags“ keine Vergütung zu. Dieser sei bei ihm nicht als Arbeitnehmer, sondern als Praktikant tätig geworden. Der Vortrag des Klägers zur angemessenen Vergütung sei unsubstanziiert.

9Das Arbeitsgericht hat den Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an den Kläger 3.250,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem zu zahlen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers und unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und den Beklagten verurteilt, an den Kläger weitere 8.450,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem zu zahlen. Die Anschlussberufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Beklagte das Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter und beantragt widerklagend, den Kläger zu verurteilen, an ihn 13.478,65 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 3.480,92 Euro seit dem und aus 9.997,73 Euro seit dem zu zahlen.

Gründe

10Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Anschlussberufung des Beklagten zu Recht zurückgewiesen und der Berufung des Klägers zu Recht teilweise stattgegeben. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von insgesamt 11.700,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem als Vergütung gemäß §§ 26, 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG. Die Vereinbarung in § 2 des „Praktikantenvertrags“, nach der dem Kläger keine Vergütung zusteht, verstößt gegen das Unabdingbarkeitsgebot des § 25 BBiG und ist daher nichtig. Der Beklagte hat bezüglich der vom Landesarbeitsgericht als angemessen angenommenen Vergütung für die praktische Tätigkeit des Klägers keinen revisiblen Rechtsfehler aufgezeigt.

11I. Die §§ 26, 17 BBiG finden auf das Rechtsverhältnis der Parteien Anwendung. Diese Regelungen wurden nicht durch speziellere Vorschriften des RettAssG verdrängt. Dies hat der Senat in dem Urteil vom (- 9 AZR 78/14 - Rn. 8 ff.) näher begründet. Die Revision zieht die Anwendbarkeit der §§ 26, 17 BBiG nicht in Zweifel.

12II. Ohne revisiblen Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass eine Vergütung iHv. 975,00 Euro brutto pro Monat angemessen iSd. § 17 BBiG war.

131. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG haben Auszubildende Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Die Regelung ist - wie schon die Vorgängernorm § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG in der bis zum geltenden Fassung (aF) - nur eine Rahmenvorschrift und legt den Maßstab für die Angemessenheit der Ausbildungsvergütung nicht selbst fest ( - Rn. 32, BAGE 125, 285; vgl. auch BT-Drs. V/4260 S. 9). Bei fehlender Tarifbindung ist es Aufgabe der Vertragsparteien, die Höhe der Vergütung zu vereinbaren. Sie haben dabei einen Spielraum. Die richterliche Überprüfung erstreckt sich nur darauf, ob die vereinbarte Vergütung die Mindesthöhe erreicht, die als noch angemessen anzusehen ist. Ob die Parteien den Spielraum gewahrt haben, ist unter Abwägung ihrer Interessen und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls festzustellen. Maßgeblich dafür ist die Verkehrsanschauung ( - Rn. 28 mwN).

142. Wichtigster Anhaltspunkt für die Verkehrsanschauung sind die einschlägigen Tarifverträge (st. Rspr., zuletzt  - Rn. 20 mwN). Bei ihnen ist anzunehmen, dass das Ergebnis der Tarifverhandlungen die Interessen beider Seiten hinreichend berücksichtigt. Die Ergebnisse kollektiv ausgehandelter Tarifvereinbarungen haben die Vermutung der Angemessenheit für sich ( - Rn. 29 mwN, BAGE 148, 139). Eine Ausbildungsvergütung, die sich an einem entsprechenden Tarifvertrag ausrichtet, gilt deswegen stets als angemessen. Eine Ausbildungsvergütung ist in der Regel nicht angemessen iSv. § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG, wenn sie die in einem einschlägigen Tarifvertrag enthaltenen Vergütungen um mehr als 20 vH unterschreitet ( - Rn. 11 mwN). Wenn einschlägige tarifliche Regelungen fehlen, kann auf branchenübliche Sätze abgestellt werden, eine der Verkehrsauffassung des betreffenden Gewerbezweigs entsprechende Vergütung zugrunde gelegt oder auf Empfehlungen der Kammern oder Handwerksinnungen zurückgegriffen werden (st. Rspr., zuletzt  - Rn. 30 mwN). Hierbei können auch Tarifverträge, die räumlich oder zeitlich nicht einschlägig sind, ein Anhaltspunkt und eine Orientierungshilfe bei der Ermittlung der angemessenen Vergütung sein.

153. Die Beurteilung der Angemessenheit der Ausbildungsvergütung durch das Landesarbeitsgericht unterliegt nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Bei dem Merkmal der „angemessenen Vergütung“ in § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff ( - Rn. 11; vgl. zur Angemessenheit iSd. § 32 UrhG ebenso , 1 BvR 1843/11 - Rn. 84, BVerfGE 134, 204; zum angemessenen Zuschlag iSd. § 6 Abs. 5 ArbZG  - Rn. 23). Bezüglich seiner Anwendung ist revisionsrechtlich lediglich zu überprüfen, ob das Urteil das Bemühen um eine angemessene Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände erkennen lässt und ob das Landesarbeitsgericht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat ( - Rn. 29 mwN; vgl. auch  - Rn. 36).

164. Daran gemessen hat das Landesarbeitsgericht nicht rechtsfehlerhaft zur Bestimmung der angemessenen Vergütung - mangels einer einschlägigen tariflichen Regelung - auf die für Praktikanten und Auszubildende beim Deutschen Roten Kreuz abgeschlossenen Tarifverträge abgestellt.

17a) Soweit der Beklagte meint, die Entscheidung des - 6 AZR 224/05 -) lasse es nicht zu, „Anhaltspunkte“ aus nicht einschlägigen Tarifverträgen als Maßstab heranzuziehen, verkennt er, dass der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts in dem Urteil darauf hingewiesen hat, dass im Falle des Fehlens einer tariflichen Regelung auf branchenübliche Sätze abgestellt oder eine der Verkehrsauffassung des betreffenden Industriezweigs entsprechende Vergütung zugrunde gelegt werden kann ( - Rn. 12). Im Einklang hiermit hat das Landesarbeitsgericht ua. auf die tarifliche Vergütung für die praktische Tätigkeit in der Ausbildung zum Rettungsassistenten im Tarifvertrag des Bayerischen Roten Kreuzes abgestellt. Das Praktikumsverhältnis der Parteien unterfiel zwar nicht dem räumlichen, aber dem fachlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrags. Im Übrigen ist zu beachten, dass das Landesarbeitsgericht gegenüber der in diesem Tarifvertrag vorgesehenen Vergütung iHv. 988,38 Euro brutto einen - wenn auch nicht sehr hohen - Abschlag vorgenommen und die tarifliche Regelung nicht ohne Weiteres übernommen hat.

18b) Darüber hinaus hat sich das Landesarbeitsgericht an dem räumlich und fachlich einschlägigen Änderungstarifvertrag vom zum 1. Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifliche Vorschriften - (DRK-TV-O) vom orientiert, dem zufolge die tarifliche Vergütung für Praktikanten monatlich 974,67 Euro brutto betrug. Der Beklagte beschränkt sich im Rahmen seiner Revisionsbegründung darauf, auf die Kündigung dieses Tarifvertrags zum hinzuweisen. Er zeigt aber keine Umstände auf, aus denen sich ergeben könnte, dass eine Vergütung, die die Tarifvertragsparteien im Jahr 2001 für angemessen hielten, im Jahr 2010 nicht mehr angemessen war. Schon im Hinblick auf den Anstieg der Lebenshaltungskosten über einen Zeitraum von fast zehn Jahren, ist nicht ersichtlich, wieso nur eine geringere Vergütung angemessen sein sollte. Im Übrigen hat das Landesarbeitsgericht darauf hingewiesen, dass sich die Vergütung der Praktikanten nach dem DRK-TV-O an dem Tarifvertrag für die Praktikantinnen und Praktikanten des öffentlichen Dienstes (TV-Prak-O) orientierte. Nach § 8 des vom Kläger eingereichten Tarifvertrags für Praktikantinnen/Praktikanten des öffentlichen Dienstes (TVPöD) vom beträgt das monatliche Entgelt für Praktikanten für den Beruf des Rettungsassistenten 1.201,25 Euro. Die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes hielten 2009 mithin eine wesentlich höhere Vergütung für angemessen als noch beim Tarifabschluss im Jahr 2000. Hierauf geht die Revision nicht ein.

19c) Auch soweit das Landesarbeitsgericht die Vergütung der Auszubildenden nach dem Tarifvertrag der Landestarifgemeinschaft des DRK-Landesverbands Sachsen-Anhalt (DRK-TV LSA) idF vom berücksichtigt hat, ist ein revisibler Rechtsfehler weder aufgezeigt noch sonst ersichtlich. Soweit der Beklagte in der Revisionsbegründung darauf verweist, dieser Tarifvertrag sei nicht einschlägig, weil er kein Mitglied der Landestarifgemeinschaft sei, so ist die fehlende Tarifgebundenheit zwischen den Parteien unstreitig. Es handelt sich jedoch um einen räumlich und branchenmäßig einschlägigen Tarifvertrag, der zur Ermittlung der Verkehrsanschauung herangezogen werden kann. Soweit der Beklagte unter Hinweis auf das - 5 AZR 436/08 - BAGE 130, 338) ferner rügt, es sei vom Kläger zu keinem Zeitpunkt dargetan worden, dass mehr als 50 vH der Arbeitgeber des Wirtschaftsgebiets tarifgebunden seien oder die organisierten Arbeitgeber mehr als 50 vH der Arbeitnehmer des Wirtschaftsgebiets beschäftigten, verkennt er, dass es nach § 17 Abs. 1 BBiG auf die Angemessenheit der Vergütung, nicht auf ihre Üblichkeit ankommt. Der Auszubildende muss nicht darlegen, dass die beanspruchte Vergütung in dem betreffenden Wirtschaftszweig bzw. -gebiet üblicherweise gezahlt wird (vgl.  - Rn. 26; siehe zu § 6 Abs. 5 ArbZG, wo der Arbeitgeber die Darlegungslast für die Angemessenheit des Zuschlags trägt:  - Rn. 33). Insofern besteht ein erheblicher Unterschied zwischen der Frage der Angemessenheit der Ausbildungsvergütung und der Frage des Lohnwuchers. Eine Ausbildungsvergütung, die so hoch ist, dass sie noch nicht gegen die guten Sitten verstößt, muss noch nicht angemessen sein ( - Rn. 23).

20d) Auch soweit das Landesarbeitsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, dass weitere begründete Anhaltspunkte für die Bestimmung der Angemessenheit der Vergütung für einen Praktikanten in der Ausbildung zum Rettungsassistenten nicht ersichtlich sind, zeigt die Revision keine neuen Anhaltspunkte auf. Insbesondere hat der Beklagte keine tariflichen Regelungen oder Ähnliches in den Prozess eingeführt, aus der sich die Angemessenheit einer geringeren Vergütung ergeben könnte. Aus der von dem Beklagten mit seinem Betriebsrat am geschlossenen Betriebsvereinbarung lässt sich eine Unangemessenheit der vom Landesarbeitsgericht als angemessen angesehenen Vergütung schon deshalb nicht entnehmen, weil diese erst nach dem Ausscheiden des Klägers aus dem Betrieb des Beklagten in Kraft getreten ist. Vor diesem Hintergrund bedarf die Frage der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung im Hinblick auf § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG keiner Erörterung.

21III. Die Forderung des Klägers ist jedenfalls ab mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1, § 288 Abs. 1 BGB zu verzinsen. Der Kläger hat den Beklagten mit Schreiben vom erfolglos zur Zahlung bis zum aufgefordert.

22IV. Die Widerklage ist nicht zur Entscheidung angefallen. Der Antrag steht unter der prozessualen Bedingung des Obsiegens mit dem Klageabweisungsantrag. Dies hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt.

23V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:120416.U.9AZR744.14.0

Fundstelle(n):
BB 2016 S. 1651 Nr. 27
XAAAF-76468