BAG Beschluss v. - 1 ABR 19/14

Feststellungsantrag - Feststellungsinteresse

Gesetze: § 256 Abs 1 ZPO

Instanzenzug: Az: 3 BV 12/11 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az: 15 TaBV 9/12 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Übertragung einer Teamleitung auf eine Beschäftigte und die Gewährung einer tariflichen Funktionszulage mitbestimmungspflichtig sind.

2Die Arbeitgeberin betreibt Universitäts- und Rehabilitationskliniken, ua. das Zentrum für Integrierte Rehabilitation (ZIR). Sie wendet die Konzerntarifverträge für Beschäftigte der Funktionsbereiche Medizinische Heil-, Fach- und Hilfsberufe, Wirtschaft und Infrastruktur in Einrichtungen der Sana-Kliniken AG auf die Arbeitsverhältnisse mit den jeweils unter den Geltungsbereich der Tarifverträge fallenden Arbeitnehmern an. § 6 Abs. 1 des Konzern-Entgelt-Tarifvertrags Nr. 3 (E-TV M/W/I Sana) lautet:

3Die Anlage 4 zum E-TV M/W/I Sana ist überschrieben mit „Zulagensystematik“ und enthält in ihrem Teil 4.3 „Infrastruktur“ nähere Bestimmungen zu mit „IZ 1“ bis „IZ 4“ bezeichneten Funktionszulagen „in Bereichen des strategischen/operativen Managements und der Verwaltung“.

4In einem Schreiben vom teilte die Arbeitgeberin dem in ihrem Betrieb bestehenden Betriebsrat ua. mit:

5Mit Schreiben vom stimmte der Betriebsrat der „Versetzung von Frau I … ab für die Zeit des Mutterschutzes und der Elternzeit von Frau N auf deren Stelle als Sekretärin des Ärztlichen Direktors ZIR“ und der „unbefristeten Arbeitsvertragsverlängerung“ zu, widersprach aber der „Versetzung zur Teamleiterin“. Er verwies auf sein Schreiben vom , mit dem er bereits eine unzureichende Information über die Übertragung der Teamleitungsaufgabe an die Beschäftigte N beanstandet hatte. Die Arbeitgeberin wandte sich mit einem weiteren Schreiben vom an den Betriebsrat und führte dabei aus:

6Der Betriebsrat antwortete mit Schreiben vom , das auszugsweise lautet:

7Die Arbeitgeberin stellte sich in einem Antwortschreiben vom auf den Standpunkt, bei der Übertragung der Leitung von Teams oder Organisationseinheiten bestünden keine Mitbeurteilungsrechte des Betriebsrats.

8Der Betriebsrat hat daraufhin beim Arbeitsgericht ein Beschlussverfahren eingeleitet mit dem Antrag, der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, Versetzungen oder Umgruppierungen vorzunehmen, sofern er die Zustimmung nicht erteilt hat oder im Verweigerungsfall die fehlende Zustimmung im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ersetzt worden ist. Zuletzt hat er erstinstanzlich neben einem ersten Hilfsantrag auf Feststellung, dass die Gewährung einer Zulage gemäß E-TV M/W/I Sana als Umgruppierung nach § 99 BetrVG mitbestimmungspflichtig ist, einen weiteren Hilfsantrag angebracht, dass die „Versetzung/Umgruppierung der Frau I der Zustimmung des Betriebsrats bedurft hätte“.

9Diesen weiteren - für die Rechtsbeschwerde allein noch maßgeblichen - Hilfsantrag hat er zuletzt dahin formuliert,

10Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, das Feststellungsbegehren sei unzulässig. Der Betriebsrat hätte die Aufhebung der personellen Maßnahme beantragen müssen.

11Das Arbeitsgericht hat sämtliche bei ihm anhängigen Anträge abgewiesen. Der Beschwerde des Betriebsrats, die er gegen die Abweisung des in die Rechtsbeschwerde gelangten Antrags beschränkt hat, hat das Landesarbeitsgericht stattgeben. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

12B. Die zulässige Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Antrag zu Unrecht entsprochen. Das Feststellungsbegehren des Betriebsrats ist bereits unzulässig. Es fehlt das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Interesse an alsbaldiger gerichtlicher Feststellung.

13I. Nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren geltenden § 256 Abs. 1 ZPO ist für die Zulässigkeit eines Feststellungsbegehrens ein besonderes rechtliches Interesse daran erforderlich, das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses durch eine gerichtliche Entscheidung feststellen zu lassen.

141. Für eine nur auf die Vergangenheit gerichtete Feststellung, aus der sich keinerlei Rechtsfolgen für die Zukunft mehr ergeben, besteht regelmäßig kein besonderes rechtliches Interesse. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, einem Beteiligten zu bescheinigen, dass er im Recht war, oder eine die Verfahrensbeteiligten interessierende Rechtsfrage gutachterlich zu klären. Auch fehlt das Feststellungsinteresse regelmäßig, wenn der Antragsteller sein Recht im Wege eines Leistungs- oder Gestaltungsantrags verfolgen kann und nicht Gründe der Prozessökonomie einen Feststellungsantrag ausnahmsweise als sachdienlich erscheinen lassen (vgl.  - Rn. 17 mwN).

152. Dementsprechend hat ein Betriebsrat grundsätzlich kein rechtliches Interesse iSv. § 256 Abs. 1 ZPO an einer gerichtlichen Feststellung, ihm habe bei einer bereits endgültig durchgeführten personellen Einzelmaßnahme ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG zugestanden. Im Hinblick auf die Möglichkeit des Betriebsrats, nach § 101 BetrVG vorzugehen, ist für einen Antrag auf Feststellung, die bereits durchgeführte Maßnahme sei mitbestimmungspflichtig gewesen, kein Raum; er ist unzulässig (vgl.  - Rn. 13; - 1 ABR 15/03 - zu B II der Gründe; - 1 ABR 36/90 - zu B I 4 der Gründe, BAGE 67, 236; - 1 ABR 27/84 - zu B I 2 a der Gründe, BAGE 51, 151).

16II. Hiernach hat der Betriebsrat kein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung.

171. Der Antrag bezieht sich nach seinem Wortlaut auf den Vorgang der Übertragung der Leitung des Teams im ZIR auf Frau I und der damit verbundenen Gewährung einer Funktionszulage ab dem . Wie sich aus dem Antrag - auch unter Hinzuziehung seiner Begründung - ergibt, soll festgestellt werden, dass diese konkrete personelle Maßnahme, die der Betriebsrat als Versetzung und Umgruppierung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG qualifiziert, seiner Mitbestimmung nach § 99 BetrVG unterlag. Die Übertragung der Teamleitung auf Frau I und die entsprechende Funktionszulagengewährung betreffen aber einen in der Vergangenheit liegenden Vorgang. Die Arbeitgeberin hat die Maßnahme endgültig und nicht nur vorläufig durchgeführt. Läge hierin eine Versetzung und eine Ein- oder Umgruppierung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, hätte der Betriebsrat gemäß § 101 Satz 1 BetrVG beantragen müssen, der Arbeitgeberin aufzugeben, die Versetzung aufzuheben und zu einer Ein- oder Umgruppierung seine Zustimmung einzuholen sowie im Falle seiner Verweigerung der Zustimmung das gerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren einzuleiten (vgl. zB  - Rn. 20). Dies ist das prozessuale Mittel, welches das Betriebsverfassungsgesetz dem Betriebsrat zur Verfügung stellt, wenn der Arbeitgeber personelle Einzelmaßnahmen ohne seine Zustimmung endgültig vorgenommen hat. Mit ihm kann der Betriebsrat erreichen, dass der betriebsverfassungswidrige Zustand beseitigt wird.

182. Der Antrag kann nicht dahingehend verstanden werden, der Betriebsrat wolle die zwischen den Beteiligten generell bestehende Streitfrage über ein Mitbestimmungsrecht bei der Übertragung der Leitung eines Teams im ZIR und der Gewährung einer Funktionszulage nach der Anlage 4.3 des E-TV M/W/I Sana losgelöst von der konkreten, Frau I betreffenden Einzelmaßnahme einer Klärung zuführen.

19a) Zwar kann ein in der Vergangenheit liegender Streitfall Anlass sein, das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts losgelöst von einem konkreten Ausgangsfall klären zu lassen, wenn die Maßnahme, für die ein Mitbestimmungsrecht in Anspruch genommen wird, häufiger im Betrieb auftritt und sich auch künftig jederzeit wiederholen kann ( - Rn. 17 mwN). Entsprechend kann der Betriebsrat auch die Frage, ob eine im Antrag näher beschriebene Maßnahme seinem Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG unterliegt, durch einen abstrakten Feststellungsantrag losgelöst vom konkreten Einzelfall zur gerichtlichen Entscheidung stellen ( - Rn. 15 mwN, BAGE 135, 291). Hiervon ausgehend können auf konkrete personelle Maßnahmen bezogene Feststellungsanträge ggf. als abstrakte Feststellungsbegehren auszulegen sein (vgl. zB  - zu B 2 der Gründe).

20b) Eine solche Auslegung des verfahrensgegenständlichen Begehrens ist vorliegend aber nicht möglich. Der Betriebsrat hat erstinstanzlich neben einem Unterlassungsantrag einen allgemein gehaltenen Feststellungsantrag gestellt, dessen Abweisung bereits nicht mehr Gegenstand seiner Beschwerde war. Diese hat er vielmehr ausdrücklich auf den hier anhängigen konkreten Feststellungsantrag beschränkt. Zwar hat er zu einer aus seiner Sicht gegebenen Wiederholungsgefahr der Fallgestaltung vorgetragen, sein allein auf die „Maßnahme Frau I“ bezogenes Feststellungsziel gegen die Einwände der Arbeitgeberin aber damit verteidigt, damit werde keine vom konkreten Einzelfall losgelöste Angelegenheit zur gerichtlichen Entscheidung gestellt. Daher kann seinem Begehren ohne Verstoß gegen § 308 ZPO kein anderer als der konkret auf die „Maßnahme Frau I“ bezogene Inhalt entnommen werden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:220316.B.1ABR19.14.0

Fundstelle(n):
BB 2016 S. 1651 Nr. 27
DB 2016 S. 1884 Nr. 32
NJW 2016 S. 10 Nr. 31
DAAAF-76466