BGH Beschluss v. - XII ZB 582/15

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Maßgeblichkeit der Zustellung an den Bevollmächtigten bei zusätzlicher Zustellung an den Beteiligten

Leitsatz

Im Rahmen von § 172 Abs. 1 ZPO dient eine zusätzliche Zustellung an den anwaltlich vertretenen Beteiligten regelmäßig lediglich seiner Unterrichtung und bleibt auf die Maßgeblichkeit der Zustellung an seinen Bevollmächtigten ohne Einfluss (im Anschluss an Senatsbeschluss vom , XII ZB 38/09, FamRZ 2011, 463).

Gesetze: § 172 Abs 1 ZPO, § 233 S 2 ZPO, § 113 Abs 1 S 2 FamFG

Instanzenzug: Az: II-12 WF 128/15vorgehend AG Brühl Az: 31 F 352/11

Gründe

I.

1Das Amtsgericht hat im Rahmen eines Verfahrens zur Überprüfung der Verfahrenskostenhilfe zulasten der Antragstellerin gemäß § 120 Abs. 4 Satz 1 ZPO eine Einmalzahlung in Höhe von 4.608,39 € angeordnet. Der Beschluss ist am der Antragstellerin persönlich und bereits am ihrer Bevollmächtigten aus dem Ausgangsverfahren zugestellt worden. Das Oberlandesgericht hat die nach einem Anwaltswechsel am eingegangene sofortige Beschwerde der Antragstellerin verworfen und ihren hilfsweise gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich ihre zugelassene Rechtsbeschwerde.

II.

2Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

31. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Antragstellerin habe die Beschwerdefrist nicht eingehalten. Diese sei mit Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung an ihre vormalige Bevollmächtigte, welche sie auch im Überprüfungsverfahren vertreten habe, in Gang gesetzt worden. Die Maßgeblichkeit dieser Zustellung werde nicht durch die spätere Zustellung an die Antragstellerin persönlich und den Meistbegünstigungsgrundsatz in Frage gestellt. Einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stehe jedenfalls ein zurechenbares Verschulden der vormaligen Bevollmächtigten entgegen. Diese habe die Antragstellerin über die Zustellung am nicht informiert.

42. Dies hält rechtlicher Überprüfung stand.

5a) Die Zustellung des erstinstanzlichen Beschlusses an die Bevollmächtigte der Antragstellerin aus dem Ausgangsverfahren am war wirksam.

6Gemäß §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 172 Abs. 1 ZPO sind Zustellungen in Familienstreitverfahren an den für den Rechtszug bestellten Bevollmächtigten vorzunehmen. Hat der Bevollmächtigte den Beteiligten bereits im Verfahrenskostenhilfebewilligungsverfahren vertreten, gilt dies auch für ein Überprüfungsverfahren, welches seinerseits zum Rechtszug gehört. Denn durch § 172 Abs. 1 ZPO soll im Interesse der Verfahrensökonomie und Privatautonomie sichergestellt werden, dass der für die Verfahrensführung verantwortliche Bevollmächtigte über den gesamten Verfahrensstoff informiert wird und sich alle Fäden in seiner Hand vereinigen (Senatsbeschluss vom - XII ZB 38/09 - FamRZ 2011, 463 Rn. 18 ff.).

7Zustellungen unter Umgehung des Bevollmächtigten sind unwirksam und setzen Rechtsmittelfristen nicht in Gang (Senatsbeschluss vom - XII ZB 151/10 - juris Rn. 30; - FamRZ 2007, 390 mwN). Kommt es - wie vorliegend - zu einer zusätzlichen Zustellung an den vertretenen Beteiligten, entfaltet diese im Verhältnis zur Zustellung an den Bevollmächtigten daher keine Wirkung. Denn sie dient regelmäßig lediglich der Unterrichtung, zu welcher der Bevollmächtigte aufgrund des Mandatsvertrags nach §§ 675, 666 BGB ohnehin verpflichtet ist ( - NJW 1996, 1847, 1848). Die Zustellung an die Antragstellerin am blieb daher auf die Maßgeblichkeit der nach § 172 Abs. 1 ZPO erfolgten Zustellung an ihre Bevollmächtigte am ohne Einfluss (vgl. MünchKommZPO/Häublein 4. Aufl. § 172 Rn. 20; Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. § 172 Rn. 1).

8b) Mit ihrer am eingegangenen sofortigen Beschwerde hat die Antragstellerin die Monatsfrist gemäß §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht eingehalten. Diese endete nach §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit Ablauf des .

9c) Auch der Grundsatz der Meistbegünstigung, auf den Rechtsprechung und Lehre bezüglich der Einhaltung der Rechtsmittelfrist im Fall einer zusätzlichen Zustellung an einen Beteiligten teilweise abstellen (OLG Bremen FamRZ 2008, 1545; OLG Brandenburg FamRZ 2009, 630, 631; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 74. Aufl. § 172 Rn. 36), steht dem nicht entgegen. Dessen Anwendungsbereich ist nach zutreffender Ansicht des Beschwerdegerichts nicht berührt. Denn der Grundsatz der Meistbegünstigung greift ein, wenn eine gerichtliche Entscheidung in einer fehlerhaften Form ergangen ist und sich infolgedessen Zweifel an der Statthaftigkeit eines Rechtsmittels ergeben (Senatsbeschluss vom - XII ZR 77/10 - FamRZ 2012, 1293 Rn. 16 mwN; Wieczorek/Schütze/Gerken ZPO 4. Aufl. Vor §§ 511-541 Rn. 85; Musielak/Voit/Ball ZPO 13. Aufl. Vor § 511 Rn. 33). Die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde steht vorliegend jedoch außer Frage.

10d) Zu Recht hat das Beschwerdegericht die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verneint. Insbesondere hat die Antragstellerin nicht dargelegt, dass sie gemäß §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 233 Satz 1 ZPO ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Beschwerdefrist gehindert gewesen wäre. Die Vermutung nach §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 233 Satz 2 ZPO greift insoweit nicht ein. Denn die Rechtsbehelfsbelehrung im erstinstanzlichen Beschluss war nicht fehlerhaft. Vielmehr knüpfte sie den Beginn der Rechtsmittelfrist entsprechend §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO zutreffend an die Zustellung des angefochtenen Beschlusses.

11Das Amtsgericht musste in der Rechtsbehelfsbelehrung keinen Hinweis auf möglicherweise unterschiedliche Zustelldaten bei der Antragstellerin und ihrer Bevollmächtigten geben. Der Auffassung, dass schon ein fehlender Hinweis zu einer Missverständlichkeit der Rechtsbehelfsbelehrung führe ( - juris Rn. 18; LAGRheinland-Pfalz Beschluss vom - 11 Ta 184/09 - juris Rn. 14), vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Der Grund für die obligatorische Zustellung an den Bevollmächtigten liegt in der Annahme, dass der Beteiligte durch die Erteilung der Verfahrensvollmacht das Betreiben des Verfahrens aus der Hand gegeben hat und deshalb durch seinen Bevollmächtigten und nicht durch das Gericht über den jeweiligen Stand des Verfahrens auf dem Laufenden zu halten ist (Senatsbeschluss vom - XII ZB 38/09 - FamRZ 2011, 463 Rn. 20 mwN). Die Bevollmächtigte der Antragstellerin wurde schon durch die unzweideutige Formulierung in der Rechtsbehelfsbelehrung in die Lage versetzt, das Ende der Beschwerdefrist bemessen an dem Datum der an sie gerichteten Zustellung zu errechnen. Blieb sie gleichwohl untätig, bedeutete dies ein Verschulden im Sinne der §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 233 Satz 1 ZPO, welches sich die Antragstellerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

12Auch das verfassungsrechtliche Gebot des fairen Verfahrens in seiner Ausprägung, wonach ein Gericht aus eigenen Fehlern bzw. Unklarheiten niemals Verfahrensnachteile zu Lasten eines Beteiligten ableiten darf (BVerfGE 110, 339 = NJW 2004, 2887; Stein/Jonas/Althammer ZPO 22. Aufl. Vor § 511 Rn. 38 mwN; Wieczorek/Schütze/Gerken ZPO 4. Aufl. Vor §§ 511-541 Rn. 85), kann eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht begründen. Denn eine Kausalität der späteren Zustellung an die Antragstellerin am für die Versäumung der Beschwerdefrist lässt sich nicht erkennen. Wäre sie nicht erfolgt, hätte die Antragstellerin angesichts der Untätigkeit ihrer vormaligen Bevollmächtigten ebenso wenig Kenntnis von der maßgeblichen Zustellung am erlangt und die Rechtsmittelfrist ebenfalls nicht eingehalten.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:110516BXIIZB582.15.0

Fundstelle(n):
NJW 2016 S. 10
NJW-RR 2016 S. 897 Nr. 15
CAAAF-75908