Instanzenzug: S 21 R 99/11
Gründe:
1Mit Urteil vom hat das Schleswig-Holsteinische LSG einen Anspruch der Klägerin auf Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) im Wege des Überprüfungsverfahrens verneint.
2Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Sie beruft sich auf Verfahrensfehler.
3Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
4Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
5Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG nicht dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
6Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
7Die Klägerin rügt, das LSG habe in erheblichem Umfang gegen seine gesetzlichen Aufklärungspflichten verstoßen, insbesondere es unterlassen, die Klägerin über die Voraussetzungen der Darlegungslast aufzuklären und sie darauf hinzuweisen, dass sie ihrer Darlegungslast nicht ausreichend nachgekommen sei.
8Die Klägerin hat nicht ausreichend dargelegt, das LSG habe Hinweispflichten aus § 106 Abs 1, § 112 Abs 2 S 2 SGG verletzt. Denn die Tatsachengerichte sind nicht verpflichtet, auf die Stellung von Beweisanträgen hinzuwirken (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 13; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 20 S 32) oder im Rahmen von Beweisanträgen sonstige Formulierungshilfen zu geben (Berchtold in Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2. Aufl 2016, § 8 RdNr 141). Hält das Tatsachengericht eine Beweisaufnahme für notwendig, so hat es keinen entsprechenden Beweisantrag herbeizuführen, sondern den Beweis von Amts wegen auch ohne Antrag zu erheben. Lehnt es die Beweiserhebung dagegen ab, so muss es nicht kompensatorisch auf einen Beweisantrag hinwirken und damit helfen, eine Nichtzulassungsbeschwerde vorzubereiten (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 13; Becker, SGb 2007, 328, 331; Berchtold, aaO, § 8 RdNr 141; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX RdNr 132). Vertraut der Kläger darauf und unterlässt deshalb - prozessordnungskonforme - Beweisanträge, so kann er später im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht geltend machen, das LSG habe nicht gesetzesgemäß gehandelt (vgl Krasney/Udsching, aaO, Kap IX RdNr 127).
9Die Klägerin rügt weiterhin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Art 103 GG iVm §§ 62, 128 Abs 2 und § 107 SGG. Bereits das SG habe seine Erkenntnisse aus dem von der Shoah Foundation mit der Klägerin am geführten Interview lediglich der Beklagten mitgeteilt und nur dieser die Möglichkeit gegeben, zu den Erkenntnissen Stellung zu nehmen. Dieser Fehler habe sich im Berufungsverfahren fortgesetzt. Der Grundsatz der Waffengleichheit gebiete, dass das Gericht allen Beteiligten dieselben Informationen zukommen lasse.
10Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist ein Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens ("error in procedendo") im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl - SozR Nr 40 zu § 162; - SozR 3-1500 § 73 Nr 10; 9 B 3232.82 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 216; vgl auch: Krasney/Udsching, aaO, Kap IX RdNr 89; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 447; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160 RdNr 16a mwN). Nur ausnahmsweise kann auch ein Verfahrensmangel die Zulassung rechtfertigen, der dem SG unterlaufen ist, wenn dieser fortwirkt und insofern ebenfalls als Mangel des LSG anzusehen ist. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin durch das SG wäre nur dann denkbar, wenn das SG der Klägerin auf die Äußerung der Beklagten zu seiner Anfrage keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hätte. Dazu hat die Klägerin nichts dargetan. Es bleibt zudem offen, in welcher Weise sich der behauptete Mangel auf das Verfahrensergebnis ausgewirkt haben könnte.
11Die Klägerin rügt weiterhin, das LSG habe ihren Vortrag nicht vollständig berücksichtigt bzw einen erheblichen Teil ihres Vortrags, wonach sie für ihre Tätigkeiten im Ghetto ein Entgelt in Form von Lebensmitteln erhalten habe, völlig unberücksichtigt gelassen.
12Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) liegt ua vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist (sog Erwägensrüge, vgl BVerfG SozR 1500 § 62 Nr 13 S 12; BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 19 S 33 mwN) oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (sog Überraschungsentscheidung iS von § 128 Abs 2 SGG; vgl BVerfGE 98, 218, 263; BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Zur Begründung eines entsprechenden Revisionszulassungsgrundes ist nicht nur der Verstoß gegen diesen Grundsatz selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, welches Vorbringen ggf dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 36 S 53). Ferner ist Voraussetzung für den Erfolg einer Gehörsrüge, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35; vgl auch BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
13Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und erwogen hat. Daher muss die Beschwerdebegründung besondere Umstände des Einzelfalls aufzeigen, aus denen auf das Gegenteil geschlossen werden kann (vgl BVerfGE 54, 86, 91 f mwN). Derartige besondere Einzelfallumstände werden nicht ausreichend dargetan. Die in der Beschwerdebegründung angeführten Bezüge aus dem LSG-Urteil belegen vielmehr, dass die von der Klägerin beanstandeten Punkte wie Beschäftigung im Ghetto Gegenstand der Entscheidung gewesen sind, wenngleich auch nicht in ihrem Sinne. Dabei ist jeweils von der Rechtsauffassung des LSG auszugehen (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160 RdNr 23). Welche Schlussfolgerungen das Gericht aus den Tatsachen bzw Beweisergebnissen ziehen wird, muss das Gericht vorab nicht mitteilen (vgl - BeckRS 2007, 46399 RdNr 7). Insbesondere bietet der Anspruch auf rechtliches Gehör keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen (vgl BVerfGE 96, 205, 216). Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang der Auffassung ist, das LSG überspanne "die Anforderungen des BSG an die Glaubhaftmachung der Beschäftigung", greift sie im Kern ihres Vorbringens das Ergebnis der Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) des LSG an. Nach der ausdrücklichen Regelung des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann eine Verfahrensrüge hierauf nicht gestützt werden. Auch die - vermeintliche - inhaltliche Unrichtigkeit der Berufungsentscheidung kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angegriffen werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
14Die Klägerin rügt schließlich einen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz nach § 103 SGG. Sie - die Klägerin - habe bereits seit Beginn des Verfahrens fortwährend um einen richterlichen Hinweis gebeten, wenn weitere Informationen erforderlich seien. Dabei handele es sich um einen Beweisantrag iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.
15Mit diesem Vorbringen hat die Klägerin eine Verletzung des § 103 SGG nicht schlüssig bezeichnet, weil sie die besonderen Anforderungen dieser Rüge unbeachtet lässt. Denn nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann ein Verfahrensmangel "auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist". Der Beweisantrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung signalisieren, dass ein Beteiligter die gerichtliche Aufklärungspflicht noch für defizitär hält (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 21 und Nr 31 S 52). Diese Warnfunktion des Beweisantrags verfehlen Beweisgesuche, die lediglich in der Berufungsschrift oder sonstigen - die mündliche Verhandlung - vorbereitenden Schriftsätzen enthalten sind (BSG SozR 1500 § 160 Nr 67 S 73; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 21 und Nr 35 S 73). Sie sind nur als Hinweise oder bloße Anregungen zu verstehen (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 21 und Nr 35 S 73). Um die Warnfunktion zu aktivieren, muss ein rechtskundig vertretener Beschwerdeführer sein Beweisbegehren deshalb in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG als prozessordnungskonformen "Beweisantrag" im hier maßgeblichen Sinne der ZPO wiederholen und protokollieren lassen (§ 122 SGG iVm § 160 Abs 4 S 1 ZPO). Ohne eine solche förmliche Antragstellung ist grundsätzlich davon auszugehen (vgl § 202 S 1 SGG iVm § 295 Abs 1 ZPO), dass sie ihr Beweisverlangen nicht mehr weiterverfolgt, sondern fallengelassen hat. Diese erhöhten Anforderungen an Präzisierung und Formulierung eines Beweisantrags gelten zwar ausnahmsweise nicht, wenn Beschwerdeführer in der Berufungsinstanz - wie hier - nicht durch einen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten waren (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 5 und Nr 13 RdNr 11; Kummer, aaO, RdNr 733). Dann sind an Form und Inhalt eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags weniger strenge Anforderungen zu stellen (BSG Beschlüsse vom - B 2 U 80/03 B - Juris RdNr 4 und vom - B 2 U 403/05 B - Juris RdNr 5; Becker, SGb 2007, 328, 331). Hat ein unvertretener Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung keinen Beweisantrag zu Protokoll erklärt, so lässt sich daraus nicht zwingend schließen, er habe einen solchen Antrag nicht mehr weiterverfolgen wollen (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 5 mwN). Dass ein Beteiligter im Berufungsverfahren nicht rechtskundig vertreten war, setzt die in § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG normierten Anforderungen an eine Sachaufklärungsrüge andererseits aber nicht vollständig außer Kraft. Vielmehr muss auch ein solcher Beteiligter darlegen, einen konkreten Beweisantrag zumindest sinngemäß gestellt zu haben, und deshalb angeben, welche konkreten Punkte er am Ende des Verfahrens noch für aufklärungsbedürftig gehalten hat und auf welche Beweismittel das Gericht hätte zurückgreifen sollen, um welchen Sachverhalt weiter aufzuklären (BSG Beschlüsse vom - B 2 U 80/03 B - Juris RdNr 4 und vom - B 13 R 585/09 B - BeckRS 2010, 71863 RdNr 11). Deshalb müssen auch unvertretene Kläger dem Berufungsgericht verdeutlichen, dass und ggf wo sie die Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansehen und deshalb im Berufungsverfahren auf die Sachverhaltsaufklärung hinwirken, deren Unterlassen sie nunmehr rügen (BSG Beschlüsse vom - B 2 U 80/03 B - Juris RdNr 4 und vom - B 2 U 403/05 B - Juris RdNr 5; Kummer, aaO, RdNr 732). Denn § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG setzt einen Beweisantrag ohne jede Einschränkung voraus. Deshalb ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren detailliert und nachvollziehbar aufzuzeigen, dass und ggf wodurch diese Voraussetzung zumindest im oben genannten Sinne erfüllt ist. Ebenso wie bei vor dem LSG rechtskundig vertretenen Klägern im Rahmen der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde der Beweisantrag so genau zu bezeichnen ist, dass ihn das Revisionsgericht ohne weiteres auffinden kann (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5; Nr 21 RdNr 5), ist daher entsprechend modifiziert auch bei unvertretenen Klägern darzustellen, wann und wie sie dem LSG gegenüber den aus ihrer Sicht noch notwendigen Aufklärungsbedarf geltend gemacht haben (vgl zum Ganzen: Senatsbeschluss vom - B 5 RS 55/10 B - BeckRS 2011, 68263 RdNr 9). Daran mangelt es hier. Denn die Klägerin hat es versäumt, in der Beschwerdebegründung detailliert anzugeben, welcher Vortrag zu welchen Tatsachen und Beweismitteln an welcher (Fund-)Stelle in der Berufungsschrift oder in weiteren Schriftsätzen enthalten ist und aus welchen Begleitumständen das Berufungsgericht zwingend auf das (sinngemäße) Vorhandensein der geschilderten Beweisanträge hätte schließen müssen.
16Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
17Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstelle(n):
XAAAF-75376