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Auslegung eines Testaments
I. Definition der Auslegung eines Testaments
Hat der Testierende bei der Formulierung seines letzten Willens eine mehrdeutige, unklare Wortwahl getroffen, die seinen Willen nicht eindeutig erkennen lässt, oder sein Testament lückenhaft formuliert, muss das Testament ausgelegt werden, um den mutmaßlichen Willen des Testierenden zu bestimmen. In Betracht kommt eine erläuternde und eine ergänzende Auslegung. Kann der mutmaßliche Wille des Testierenden auch damit nicht ermittelt werden, stellt das Gesetz Auslegungsregeln zur Verfügung, mit denen der Erblasserwillen präzisiert werden kann.
II. Erläuternde Auslegung
Ein Testament ist erläuternd auszulegen, wenn die Bedeutung eines von dem Erblasser verwendeten Begriffs unklar ist. Da ein Testament eine nicht empfangsbedürftige, d. h. nicht an eine andere Person gerichtete Willenserklärung ist, richtet sich die Auslegung nach Maßgabe des § 133 BGB. Entscheidend ist mithin der wirkliche Wille des Erblassers und zwar unabhängig davon, ob dieser im Wortlaut der Erklärung zum Ausdruck gekommen ist. Anders als bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen gibt es nämlich keinen Erklärungsempfänger, der in seinem Vertrauen auf eine bestimmte Erklärungsbedeutung schutzwürdig sein könnte. Eine Ausnahme gilt insoweit lediglich für die Auslegung wechselbezüglicher Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten. Hier ist auf den objektiven Empfängerhorizont, d. h. auf die objektive Erklärungsbedeutung, abzustellen (§§ 133, 157 BGB).
Der Erblasser E hat in einem wirksam errichteten eigenhändigen Testament seine „Mutter” als Alleinerbin eingesetzt und zusätzlich verfügt, dass sein Sohn S lediglich den Pflichtteil erhalten soll.
Hier muss im Wege der erläuternden Auslegung ermittelt werden, ob der Erblasser E mit der Bezeichnung „Mutter” seine Ehefrau als Mutter seines Sohnes S gemeint hat oder ob er seine leibliche Mutter als Erbin einsetzen wollte. Maßgebend für die Auslegung ist, wie der Erblasser seine Ehefrau typischerweise bezeichnete.
III. Ergänzende Auslegung
Ein Testament ist ergänzend auszulegen, wenn es eine Regelungslücke enthält. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich in der Zeit zwischen der Testamentserrichtung und dem Tode des Erblassers die persönlichen oder sachlichen Verhältnisse grundlegend verändert haben. In diesem Fall kommt es entscheidend auf den hypothetischen Willen des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments an. Maßgebend ist also, was der Erblasser verfügt hätte, wenn er die eingetretene Änderung der persönlichen oder sachlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments gekannt hätte.
Der Erblasser E hat in einem wirksam errichteten eigenhändigen Testament bestimmt, dass seine gleichermaßen geliebten Kinder nach seinem Tode gleichwertig versorgt sind. Daher solle sein Sohn A sein gut laufendes Unternehmen, seine Tochter B das Hausgrundstück und sein Sohn C das ersparte Vermögen erhalten. Im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments ging E erkennbar davon aus, dass die vorgenannten Vermögenswerte in etwa gleichwertig seien. Dies erweist sich jedoch als Trugschluss, da der Wert des Unternehmens den Wert des Hausgrundstücks und der Ersparnisse bei weitem übersteigt. Vor diesem Hintergrund entspricht der Inhalt des Testaments nicht dem wirklichen Willen des Erblassers. Dementsprechend muss die testamentarische Regelung im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung dahingehend interpretiert werden, dass A in Höhe des Mehrwerts des Unternehmens seinen Geschwistern B und C zum Ausgleich verpflichtet ist. Schließlich kam es dem Erblasser in erster Linie darauf an, dass seine drei Kinder nach seinem Tode in gleichwertiger Weise versorgt sind.
Insbesondere bei der ergänzenden Auslegung stellt sich die Frage, ob der auf diese Weise ermittelte Wille des Erblassers auch formwirksam erklärt wurde. Dies ist nach der herrschenden Andeutungstheorie dann der Fall, wenn er in der förmlichen Erklärung in irgendeiner Art und Weise Ausdruck gefunden hat.
IV. Gesetzliche Auslegungsregeln
Führen die erläuternde bzw. ergänzende Testamentsauslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis, so ist auf die zahlreichen gesetzlichen Auslegungsregeln zurückzugreifen. Von besonderer Bedeutung sind insoweit insbesondere die folgenden Vorschriften:
1. Gesetzliche Erben des Erblassers
Hatte der Erblasser seine gesetzlichen Erben ohne nähere Bestimmung bedacht, so sind diejenigen, welche zur Zeit des Erbfalls seine gesetzlichen Erben sein würden, nach dem Verhältnis ihrer gesetzlichen Erbteile bedacht (§ 2066 Satz 1 BGB). Ist die Zuwendung unter einer aufschiebenden Bedingung oder Bestimmung eines Anfangstermins gemacht und tritt die Bedingung oder der Termin erst nach dem Erbfall ein, so sind im Zweifel diejenigen als bedacht anzusehen, welche die gesetzlichen Erben sein würden, wenn der Erblasser zur Zeit des Eintritts der Bedingung oder des Termins gestorben wäre (§ 2066 Satz 2 BGB).