Fehlerhafte Gesamtstrafenbildung: Zäsurwirkung nicht einbeziehungsfähiger Straftaten; Beachtung des Verschlechterungsverbots; Nachholung der Festsetzung der Einzelstrafe durch das Revisionsgericht
Gesetze: § 54 StGB, § 55 Abs 1 StGB, § 354 Abs 1 StPO, § 358 Abs 2 StPO
Instanzenzug: LG Aachen Az: 64 KLs 3/15
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in jeweils fünf Fällen (Fälle II. 4-8 der Urteilsgründe; Freiheitsstrafen von dreimal einem Jahr und zweimal einem Jahr und drei Monaten) sowie wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II. 18 der Urteilsgründe; Freiheitsstrafe von zwei Jahren) unter Einbeziehung einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen aus einem Strafbefehl vom zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Bildung der Gesamtstrafe ist rechtsfehlerhaft. Die Tat im Fall II. 18 der Urteilsgründe wurde am und damit erst nach dem Erlass des Strafbefehls durch das Amtsgericht Heinsberg am begangen. Aufgrund der damit eingetretenen Zäsurwirkung wäre aus den für die Fälle II. 4 bis 8 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden sowie gesondert für den Fall II. 18 eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren zu verhängen gewesen.
32. Der Angeklagte ist durch die Verhängung nur einer Gesamtfreiheitsstrafe beschwert, weil bei Beachtung der Zäsurwirkung eine Gesamt- und eine Einzelfreiheitsstrafe hätten gebildet werden können, deren Höhen - anders als die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren - noch eine Strafaussetzung zur Bewährung ermöglicht hätten (vgl. BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Geldstrafe 3).
43. Wegen des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 StPO) darf die Summe der beiden zu bildenden Strafen die vom Landgericht rechtsfehlerhaft verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren nicht überschreiten (vgl. , NStZ-RR 2013, 6). Da die für den Fall II. 18 der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe zwei Jahre beträgt, ist aus den für die Fälle II. 4-8 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl eine Gesamtfreiheitsstrafe von höchstens einem Jahr zu verhängen. Dem steht nicht entgegen, dass die der neu zu bildenden Gesamtfreiheitsstrafe zugrunde zu legende Einsatzstrafe bereits ein Jahr und drei Monate (Fälle II. 5 und 7 der Urteilsgründe) beträgt. Denn die Regelung des § 54 StGB, wonach die Gesamtstrafe in einer Erhöhung der verwirkten schwersten Einzelstrafe, der Einsatzstrafe, zu bestehen hat, könnte hier nur unter Benachteiligung des Beschwerdeführers eingehalten werden. Sie hat deshalb zurückzutreten hinter dem Grundsatz, dass die Rechtsstellung eines Angeklagten, der durch einen nur von ihm angefochtenen Strafausspruch einen über das in §§ 53 bis 55 StGB vorgesehene Maß - infolge fehlerhafter Anwendung dieser Vorschriften - hinausgehenden Vorteil erlangt hat, durch eine neuerliche Gesamtstrafenbildung nicht mehr beeinträchtigt werden darf. Das Verbot der reformatio in peius geht insoweit dem sachlichen Recht vor (, BGHSt 8, 203, 205; Rissing-van Saan, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl. § 55 Rn. 44).
5Die nach alledem hinter der Einsatzstrafe gemäß § 54 StGB zurückbleibende, nach § 358 Abs. 2 StPO höchstmögliche Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr kann der Senat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst verhängen. Der neue Tatrichter wird nach alledem nur noch zu entscheiden haben, ob - was angesichts des Vorlebens des Angeklagten M. allerdings nicht nahe liegt - eine Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich der Freiheitsstrafen von einem Jahr und von zwei Jahren in Betracht kommt.
Fischer Appl Eschelbach
Ott Zeng
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:150316B2STR487.15.1
Fundstelle(n):
VAAAF-74908