Instanzenzug: ArbG Gießen Az: 10 Ca 122/11 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 6 Sa 358/13 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt des equal pay.
2Der Kläger ist seit November 2002 bei der Beklagten, die neben einem eigenen Produktionsbetrieb auch Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als Putzer von Gussteilen beschäftigt. In dem in die Revisionsinstanz gelangten Streitzeitraum - die Jahre 2008 und 2009 sowie Januar 2010 - war der Kläger mehrfach der F GmbH & Co. KG (fortan Entleiherin) überlassen und erhielt dabei einen Bruttostundenlohn von 10,00 Euro nebst Zuschlägen für Nacht- und Feiertagsarbeit. Von März bis September 2009 sowie im Dezember 2009 und Januar 2010 war der Kläger von Kurzarbeit betroffen.
3Dem Arbeitsverhältnis lag ein Formulararbeitsvertrag vom (im Folgenden AV 2002) zugrunde, in dem es ua. heißt:
4Am schlossen die Parteien einen neuen Arbeitsvertrag (im Folgenden AV 2010), der auszugsweise lautet:
5Mit Schreiben vom forderte der Kläger die Beklagte auf, ihm beginnend ab Januar 2007 für die Zeiten der Überlassungen an die Entleiherin „ordnungsgemäße Abrechnungen“ unter Berücksichtigung des Lohnrahmentarifvertrags für die Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen zu erteilen und „sich daraus ergebende Lohnansprüche“ auszugleichen. Dem kam die Beklagte nicht nach.
6Mit der am eingereichten Klage hat der Kläger zunächst dieses Begehr für die Zeit ab Januar 2008 weiterverfolgt. Nachdem er von der Entleiherin eine Auskunft nach § 13 AÜG eingeholt hatte, hat der Kläger mit Schriftsatz vom auf eine bezifferte Leistungsklage umgestellt und unter Berufung auf § 10 Abs. 4 AÜG für die Zeiträume der Überlassungen an die Entleiherin die Differenz zwischen der von der Beklagten erhaltenen Vergütung und dem Arbeitsentgelt, das die Entleiherin vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt haben soll, verlangt. Außerdem stünden ihm ein jährliches Urlaubsgeld in der von vergleichbaren Stammarbeitnehmern bezogenen Höhe sowie eine auf der Grundlage des Vergleichsentgelts berechnete „Kurzarbeitervergütung“ zu.
7Der Kläger hat - soweit die Klage in die Revisionsinstanz gelangt ist - zuletzt sinngemäß beantragt,
8Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, möglichen Ansprüchen des Klägers stünde die Abgeltungsklausel in § 23 Arbeitsvertrag 2010 entgegen. Jedenfalls sei Verfall nach der im ursprünglichen Arbeitsvertrag vereinbarten Ausschlussfristenregelung eingetreten.
9Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit sie in die Revisionsinstanz gelangt ist - stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten dem Kläger nur Zuschläge iHv. 1.968,84 Euro brutto nebst Zinsen zuerkannt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Gründe
10Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat - unter nicht tenorierter, aber sich aus den Gründen ergebender und rechtskräftig gewordener Zurückweisung der Berufung im Übrigen - der Berufung der Beklagten gegen die erstinstanzliche Entscheidung zu Recht in dem ausgeurteilten Umfang stattgegeben. Die Klage ist hinsichtlich der noch anhängigen Ansprüche unbegründet.
11I. Der Kläger hat für jede Überlassung für deren jeweilige Dauer Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 AÜG (vgl. - Rn. 24; - 5 AZR 135/12 - Rn. 27, BAGE 146, 217). Eine nach § 9 Nr. 2 AÜG zur Abweichung vom Gebot der Gleichbehandlung berechtigende Vereinbarung haben die Parteien im AV 2002 nicht getroffen.
12II. Den Ansprüchen des Klägers auf gleiches Arbeitsentgelt steht § 23 AV 2010 nicht entgegen.
131. Unabhängig von der Frage, ob die „Erledigungsklausel“ in § 23 Satz 1 AV 2010 überhaupt rechtsgeschäftliche Erklärungen enthalten soll, hätte ein - zugunsten der Beklagten unterstellter - rechtsgeschäftlicher Erklärungswert dieses Verbrauchervertrags (§ 310 Abs. 3 BGB) allenfalls die Bedeutung eines deklaratorischen negativen Schuldanerkenntnisses. Entsprechend ihrem Wortlaut hält die Klausel die übereinstimmende Auffassung der Parteien fest, dass mit der Ersetzung des AV 2002 durch den AV 2010 alle Ansprüche aus dem bisherigen Arbeitsvertrag „abgegolten und erledigt“ sind. Damit fixieren die Vertragsparteien typischerweise die von ihnen angenommene Rechtslage und dokumentieren das, wovon sie ausgingen: Es bestehen nach diesem Zeitpunkt keine Ansprüche aus dem „alten“ Arbeitsverhältnis mehr (vgl. - Rn. 16 ff., BAGE 146, 217; - 5 AZR 122/13 - Rn. 21).
142. Soweit § 23 Satz 2 AV 2010 die erst im neuen Arbeitsvertrag in Bezug genommenen tariflichen Regelungen aus der Leiharbeitsbranche rückwirkend zur Anwendung bringen soll, benachteiligt die Klausel den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist unwirksam, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Der Anspruch des Leiharbeitnehmers auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 AÜG entsteht als ein die arbeitsvertragliche Vergütungsabrede korrigierender gesetzlicher Entgeltanspruch mit jeder Überlassung ( - Rn. 42, BAGE 144, 306). Die rückwirkende Vereinbarung tariflicher Regelungen iSd. § 9 Nr. 2 AÜG zielt auf den Ausschluss der während der Geltung des AV 2002 bereits entstandenen Ansprüche des Klägers auf equal pay und damit auf einen Anspruchsverzicht. Ein solcher einseitig und kompensationslos den Leiharbeitnehmer treffender Entzug von erworbenen Ansprüchen auf gleiches Arbeitsentgelt widerspricht einer ausgewogenen Vertragsgestaltung und ist sachlich nicht zu begründen (vgl. - Rn. 20 ff.).
15III. Die Ansprüche des Klägers auf gleiches Arbeitsentgelt sind jedoch nach § 11 AV 2002 wegen nicht rechtzeitiger Geltendmachung verfallen.
161. Die arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung ist nach nicht angegriffener Feststellung des Landesarbeitsgerichts eine Allgemeine Geschäftsbedingung (§ 305 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB). Dafür begründet zudem das äußere Erscheinungsbild eine tatsächliche Vermutung (vgl. (F) - Rn. 17 mwN), der keine der Parteien entgegengetreten ist.
17Unter Zugrundelegung des für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen geltenden Maßstabs (dazu zB - Rn. 12 mwN, st. Rspr.), erfasst die Klausel den Anspruch des Leiharbeitnehmers auf gleiches Arbeitsentgelt. Denn zu den „beiderseitigen Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis“ gehören alle Ansprüche, welche die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsbeziehung gegeneinander haben, ohne dass es auf die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage ankäme (vgl. - Rn. 39, BAGE 144, 306).
182. Die Klausel ist nicht überraschend iSd. § 305c Abs. 1 BGB und damit Vertragsbestandteil geworden.
19Die Vereinbarung von Ausschlussfristen entspricht einer weit verbreiteten Übung im Arbeitsleben ( - zu IV 3 der Gründe, BAGE 115, 19; - 5 AZR 954/11 - Rn. 46, BAGE 144, 306). Die Regelung findet sich auch nicht an einer irgendwo im Arbeitsvertrag versteckten Stelle. Sie ist vielmehr in einem mit „Ausschlussfrist“ überschriebenen eigenen Paragraphen enthalten.
203. Die Regelung zur Geltendmachung von Ansprüchen auf „Zuschläge aller Art“ ist unwirksam, im Übrigen hält § 11 Abs. 1 AV 2002 der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB stand.
21a) Die erste Stufe der Frist zur Geltendmachung von Zuschlägen ist unwirksam nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, weil sie wegen ihrer Kürze den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Ihm verbleibt zur Geltendmachung nicht eine Mindestfrist von drei Monaten ab Fälligkeit des nicht erfüllten Anspruchs (vgl. - Rn. 34 ff., BAGE 116, 66; - 5 AZR 920/12 - Rn. 25).
22b) Die Unwirksamkeit der Frist zur Geltendmachung von Zuschlägen bedingt nicht die Unwirksamkeit der - den Anforderungen des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB genügenden - Frist zur Geltendmachung aller übrigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis. Die Klausel ist teilbar.
23aa) Ohne Verstoß gegen das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion ist bei einer teilbaren Klausel die Inhaltskontrolle jeweils für die verschiedenen, nur formal in einer Allgemeinen Geschäftsbedingung verbundenen Bestimmungen vorzunehmen ( - Rn. 32, BAGE 118, 36; - 3 AZR 900/07 - Rn. 23, BAGE 129, 121). Maßgeblich ist dabei die inhaltliche Teilbarkeit ( - Rn. 27, BAGE 146, 284; - Rn. 14 mwN; ErfK/Preis 16. Aufl. §§ 305 - 310 BGB Rn. 103; HWK/Gotthardt 6. Aufl. § 306 BGB Rn. 3; Bonin in Däubler/Bonin/Deinert 4. Aufl. § 306 BGB Rn. 12a). Deshalb können inhaltlich trennbare Regelungen in einer Verfallklausel nach Anwendung des sog. blue-pencil-Test wirksam sein ( - Rn. 37, BAGE 141, 340).
24bb) Gemessen daran ist § 11 Abs. 1 AV 2002 inhaltlich teilbar. Er enthält - sprachlich verschränkt und in einer Klausel zusammengefasst - für die erste Stufe der Geltendmachung zwei Ausschlussfristenregelungen, nämlich eine für Zuschläge, eine weitere für alle übrigen beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis. Eine solche Aufspaltung mag bei arbeitsvertraglichen Verfallfristen ungewöhnlich sein, in tariflichen Ausschlussfristenregelungen ist eine unterschiedliche Länge der Geltendmachungsfrist für verschiedene Arten von Ansprüchen nicht unüblich. So enthält der in § 12 AV 2002 erwähnte Manteltarifvertrag für das Metallbauer-, Maschinenbaumechaniker-, Werkzeugmacher-, Dreher-, Feinmechaniker-, Metallformer- und Metallgießerhandwerk für das Land Hessen in § 26 eine wortgleiche Ausschlussfristenregelung (zwischen Ansprüchen auf Zuschläge und „alle übrigen Ansprüche“ differenzierend zB auch § 22 MTV für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie). Bei einer Ausschlussfristenregelung müssen nicht zwingend alle Ansprüche einer Ausschlussfrist - noch dazu einer gleich langen - unterworfen werden. Auch ohne Ausschlussfristenregelung für Zuschläge enthält § 11 AV 2002 für alle Ansprüche, die nicht auf Zuschläge gerichtet sind, ein sinnvolles, in sich geschlossenes Ganzes.
25Der Teilbarkeit der Klausel steht nicht entgegen, dass der verbleibende Teil - Ausschlussfristenregelung für „alle übrigen beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ - wegen der Auflösung der sprachlichen Verschränkung auslegungsbedürftig wird. Dies lässt nicht die inhaltliche Eigenständigkeit der verbleibenden Regelung entfallen, sondern betrifft deren Transparenz.
264. Die in § 11 Abs. 1 AV 2002 verbleibende Regelung ist hinreichend transparent iSd. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
27a) Bei einer die Art und Weise der Geltendmachung eines entstandenen Anspruchs - und damit zugleich dessen Untergang - regelnden Klausel ist es erforderlich, dass der Arbeitnehmer bei Vertragsabschluss erkennen kann, was „auf ihn zukommt“: Es muss aus der Klausel ersichtlich sein, welche Rechtsfolge der Arbeitnehmer zu gewärtigen und was er zu tun hat, um diese Rechtsfolge zu verhindern ( - Rn. 48, BAGE 144, 306). Dabei führt die Auslegungsbedürftigkeit der Klausel nicht automatisch zu deren Intransparenz ( - Rn. 16 mwN, BAGE 139, 44).
28b) Diesen Anforderungen genügt die verbleibende Ausschlussfristenregelung.
29Die gedankliche Prüfung der Teilbarkeit einer Allgemeinen Geschäftsbedingung führt nicht dazu, dass der unwirksame Teil einer Klausel „unter dem blauen Stift verschwindet“. Vielmehr kann der Vertragstext weiterhin zur Auslegung der verbleibenden Regelung herangezogen werden. Für den durchschnittlichen Arbeitnehmer ist unbeschadet des späteren blue-pencil-Test erkennbar, dass mit der Formulierung „alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ all diejenigen gemeint sind, die nicht „Zuschläge aller Art“ zum Inhalt haben. Auch über den Rechtsbegriff der „Zuschläge“ ist der durchschnittliche Arbeitnehmer nicht im Unklaren und weiß, dass es sich dabei um über das Grundentgelt hinausgehende Vergütungen etwa für Arbeit zu besonderer Zeit oder unter besonderen Bedingungen handelt. Dementsprechend hatte der Kläger keine Schwierigkeiten, die vergleichbaren Stammarbeitnehmern von der Entleiherin gewährten (tariflichen) Zuschläge in seine Vergleichsberechnung einzubeziehen.
30Des Weiteren kann der Arbeitnehmer aus der Klausel ersehen, dass diese Ansprüche „ausgeschlossen“ sind (also - untechnisch - in Wegfall geraten), wenn sie nicht innerhalb bestimmter Fristen geltend gemacht werden.
31IV. Der Kläger hat keinen Anspruch auf neue Abrechnungen.
32Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO ist dem Arbeitnehmer „bei Zahlung“ des Arbeitsentgelts eine Abrechnung in Textform zu erteilen. Der Abrechnungsanspruch entsteht danach erst, wenn Arbeitsentgelt gezahlt wird und ist vorher nicht klagbar ( - Rn. 29; - 5 AZR 567/14 - Rn. 34 ff. mwN).
33V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:270116.U.5AZR278.14.0
Fundstelle(n):
BAAAF-73892