Versäumung der Rechtsmittelfrist: Anforderungen an eine die allgemeine Ausgangskontrolle ersetzende mündliche Einzelweisung zur Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes
Leitsatz
Eine am Vortag des Fristablaufs erteilte mündliche Einzelanweisung des Rechtsanwalts, den Fristablauf am Folgetag zu beachten und den fristwahrenden Schriftsatz spätestens an diesem Tag an das Berufungsgericht zu faxen, ist nicht geeignet, allgemeine organisatorische Vorkehrungen für die Ausgangskontrolle zu ersetzen.
Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO
Instanzenzug: Az: I-12 U 182/14vorgehend LG Arnsberg Az: I-2 O 83/14
Gründe
I.
1Der Kläger nimmt den Beklagten auf Schadensersatz wegen mangelhafter Erstellung einer Bodenplatte in Anspruch.
2Mit Urteil vom hat das Landgericht den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 27.000 € nebst Zinsen und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten verurteilt. Es hat weiter festgestellt, dass der Beklagte alle weitergehenden Kosten zu tragen hat, die mit dem Austausch der betreffenden Bodenplatte im Zusammenhang stehen.
3Der Beklagte hat gegen das ihm am zugestellte Urteil fristgerecht Berufung eingelegt, mit der er Klageabweisung begehrt. Mit Schriftsatz vom , per Fax eingegangen am , hat er beantragt, die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat bis zum zu verlängern. Auf den Hinweis des Berufungsgerichts, dass der Verlängerungsantrag nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingegangen sei, hat der Beklagte am Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wiederholt. Am ist die Berufungsbegründung des Beklagten bei dem Berufungsgericht eingegangen.
4Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat der Beklagte im Wesentlichen Folgendes ausgeführt und durch anwaltliche Versicherung seiner Prozessbevollmächtigten sowie durch eidesstattliche Versicherung des freien Mitarbeiters K. glaubhaft gemacht: Der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist zum sei ordnungsgemäß im Fristenkalender notiert worden. Der Schriftsatz mit dem Antrag auf Fristverlängerung sei bereits am gefertigt und von der Prozessbevollmächtigten des Beklagten unterzeichnet worden. Diese habe den Schriftsatz sodann persönlich an den Mitarbeiter K. ausgehändigt mit der ausdrücklichen Anweisung, die am ablaufende Frist zu beachten, den Schriftsatz spätestens am an das Berufungsgericht zu faxen sowie am gleichen Tag das Original des Schriftsatzes nebst Abschriften postalisch zu versenden. Der langjährige und stets zuverlässige Mitarbeiter K. sei mit den Rechtsmittelfristen vertraut und auf die Bedeutung dieser Fristen immer wieder hingewiesen worden. Er bearbeite seit Jahren in Zusammenarbeit mit der Prozessbevollmächtigten des Beklagten die steuerrechtlichen Mandate und notiere und beachte die Fristen im Steuerrecht stets zuverlässig. Die Prozessbevollmächtigte des Beklagten, die am abwesend gewesen sei und den Büroablauf nicht selbst habe kontrollieren können, habe sich daher auf die Umsetzung ihrer Anweisung durch den Mitarbeiter K. verlassen dürfen. Es lasse sich heute nicht mehr feststellen, weshalb der Schriftsatz vom erst am an das Berufungsgericht gefaxt worden sei. Vermutlich habe der Mitarbeiter K. den mit dem verwechselt, zumal durch die Abwesenheit der Prozessbevollmächtigten eine gravierende Arbeitsbelastung angefallen sei.
5Mit Beschluss vom hat das Berufungsgericht das Wiedereinsetzungsgesuch und die Berufung des Beklagten verworfen. Mit Beschluss vom hat es die Gegenvorstellung des Beklagten vom zurückgewiesen, mit der der Beklagte zu den allgemeinen Vorkehrungen für eine Ausgangskontrolle in der Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten vorgetragen hat. Zur Begründung hat das Berufungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem dem Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Ver-schulden seiner Prozessbevollmächtigten beruhe. Die Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe nicht hinreichend Sorge dafür getragen, dass der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist rechtzeitig bis zum einging, und daher nicht auf eine Verlängerung vertrauen dürfen. Zu den Aufgaben eines Rechtsanwalts gehöre es, eine wirksame Ausgangskontrolle zu schaffen. Der Rechtsanwalt müsse sicherstellen, dass im Fristenkalender vermerkte Fristen erst gestrichen würden, wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt worden sei. Er müsse weiter sicherstellen, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders überprüft werde. Der Beklagte habe nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass seine Prozessbevollmächtigte die danach erforderlichen organisatorischen Vorkehrungen getroffen und den Mitarbeiter K. mit der Ausgangskontrolle anhand des Fristenkalenders betraut habe. Da aufgrund der Abwesenheit der Prozessbevollmächtigten des Beklagten am eine gravierende Arbeitsbelastung für den Mitarbeiter K. angefallen sei, habe die ihm erteilte mündliche Anweisung die fristgerechte Erledigung nicht hinreichend sicher gewährleisten können.
6Dagegen wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.
II.
71. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich. Der angefochtene Beschluss verletzt weder den Anspruch des Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).
82. Der Beklagte war nicht ohne sein Verschulden gehindert, die Frist für die Berufungsbegründung einzuhalten. Seine Prozessbevollmächtigte hat diese Frist schuldhaft versäumt; deren Verschulden muss sich der Beklagte gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
9a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen Rechtsanwälte in ihrem Büro eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hinausgehen. Bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax kommt der Rechtsanwalt seiner Verpflichtung, für eine wirksame Ausgangskontrolle zu sorgen, nur dann nach, wenn er seinen dafür zuständigen Mitarbeitern die Weisung erteilt, sich einen Einzelnachweis ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen und die Frist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen (vgl. Rn. 8; Beschluss vom - XII ZB 115/13, NJW-RR 2013, 1328 Rn. 6; Beschluss vom - I ZB 75/12, NJW-RR 2013, 1008 Rn. 6). Zu einer wirksamen Ausgangskontrolle gehört weiter eine Anordnung des Rechtsanwalts, durch die gewährleistet wird, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einem dazu beauftragten Mitarbeiter nochmals abschließend selbständig geprüft wird (, WM 2016, 563 Rn. 10; Beschluss vom - VI ZB 42/13, NJW-RR 2015, 442 Rn. 8; Beschluss vom - VIII ZB 38/14, NJW 2015, 253 Rn. 8; jeweils m.w.N.).
10Die Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat in ihrem Schriftsatz vom , mit dem sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt hat, nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sie eine Ausgangskontrolle in der dargelegten Weise organisiert hat. Sie hat lediglich glaubhaft gemacht, dass die Berufungsbegründungsfrist ordnungsgemäß notiert und der Schriftsatz mit dem Verlängerungsantrag rechtzeitig gefertigt und von ihr unterzeichnet wurde. Dagegen fehlen jegliche Ausführungen zu den allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen in ihrer Kanzlei für die Ausgangskontrolle.
11Soweit die Gegenvorstellung des Beklagten vom erstmalig Angaben zu einer Ausgangskontrolle enthält, kann die Rechtsbeschwerde hierauf nicht gestützt werden. Nach § 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 ZPO müssen alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, innerhalb der maßgeblichen Antragsfrist vorgetragen werden. Lediglich erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, dürfen nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden. Nach Ablauf der Antragsfrist nachgeschobene Tatsachen, die nicht der Erläuterung oder Ergänzung fristgerecht geltend gemachter Wiedereinsetzungsvoraussetzungen dienen, müssen indessen unberücksichtigt bleiben (, NJW 2000, 365, 366, juris Rn. 11; Beschluss vom - VI ZB 10/98, NJW 1998, 2678, 2679, juris Rn. 6; jeweils m.w.N.). Nach diesen Maßstäben sind die Angaben aus der Gegenvorstellung nicht zu berücksichtigen. Diese hat vielmehr neuen Tatsachenvortrag über allgemeine organisatorische Vorkehrungen für die Ausgangskontrolle in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten zum Gegenstand.
12Ungeachtet dessen hat der Beklagte auch in der Gegenvorstellung nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die von seiner Prozessbevollmächtigten organisierte Ausgangskontrolle den oben dargelegten Anforderungen entsprach. Die Gegenvorstellung beschränkt sich vielmehr auf die unzureichende Angabe, dass die Prozessbevollmächtigte des Beklagten in aller Regel den Schriftsatzausgang und das Austragen der Frist durch Abhaken persönlich kontrolliere und im Fall ihrer Abwesenheit die Kontrolle von dem Mitarbeiter K. vorgenommen werde.
13b) Auf die allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen für die Ausgangskontrolle kommt es allerdings dann nicht an, wenn im Einzelfall eine konkrete Anweisung erteilt wird, deren Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte ( Rn. 11; Beschluss vom - III ZB 42/15, aaO Rn. 12; Beschluss vom - XII ZB 47/10, NJW-RR 2013, 1393 Rn. 12; Beschluss vom - VIII ZB 46/12, NJW-RR 2013, 699 Rn. 13).
14Grundsätzlich darf ein Rechtsanwalt darauf vertrauen, dass ein zuverlässiger Mitarbeiter eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Er ist deshalb im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich anschließend zu vergewissern, ob eine erteilte Weisung auch ausgeführt worden ist ( Rn. 12; Beschluss vom - XII ZB 189/07, NJW 2008, 2589 Rn. 12; Beschluss vom - VI ZB 10/04, NJW-RR 2004, 1361, 1362, juris Rn. 4; jeweils m.w.N.). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Betrifft die Einzelanweisung einen so wichtigen Vorgang wie die Absendung eines Fristverlängerungsantrags zur Wahrung der Frist zur Begründung eines Rechtsmittels und wird sie nur mündlich erteilt, müssen ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die Anweisung nicht in Vergessenheit gerät und die Absendung unterbleibt ( Rn. 12; Beschluss vom - XII ZB 47/10, NJW-RR 2013, 1393 Rn. 12; Beschluss vom - VI ZB 27/11, NJW-RR 2013, 179 Rn. 12; Beschluss vom - XII ZB 165/11, NJW 2012, 1591 Rn. 31; jeweils m.w.N.). Hierzu genügt es regelmäßig, wenn die Anweisung hinreichend klar und präzise ist und das Büropersonal aufgefordert wird, den Auftrag sofort vor allen anderen Aufgaben zu erledigen ( Rn. 12; Beschluss vom - XII ZB 150/08, FamRZ 2009, 1132 Rn. 20; Beschluss vom - XII ZB 189/07, NJW 2008, 2589 Rn. 14; Beschluss vom - IX ZB 219/06, NJW 2008, 526 Rn. 12). Unterbleibt dagegen die Anordnung der sofortigen Ausführung der Anweisung, muss der Rechtsanwalt Vorkehrungen zur Sicherstellung der ordnungsgemäßen Ausführung treffen (vgl. Rn. 12; Beschluss vom - IX ZB 219/06, aaO; Beschluss vom - III ZB 85/06, NJW-RR 2007, 1430 Rn. 9).
15Eine diesen Anforderungen genügende, die allgemeine Ausgangskontrolle ersetzende konkrete Anweisung der Prozessbevollmächtigten des Beklagten liegt nicht vor. Nach dem Vorbringen des Beklagten erteilte seine Prozessbevollmächtigte dem Mitarbeiter K. nicht die Anweisung, den Schriftsatz vom sofort und vor allen anderen Aufgaben an das Berufungsgericht zu faxen und sodann postalisch zu versenden. Vielmehr lautete die Anweisung lediglich, die am ablaufende Frist zu beachten und den Schriftsatz spätestens an diesem Tag an das Berufungsgericht zu faxen. Sie erschöpfte sich daher darin, lediglich die Art und Weise, den (späteren) Zeitpunkt und den Adressaten der Übermittlung zu bestimmen. Dies konnte die Mechanismen einer allgemeinen Ausgangskontrolle nicht ersetzen, da die Gefahr bestand, dass die ordnungsgemäße Ausführung der Anweisung am nächsten Tag unterblieb. Dass seine Prozessbevollmächtigte sonstige Vorkehrungen getroffen hat, um sicherzustellen, dass die dem Mitarbeiter K. mündlich erteilte Anweisung nicht etwa in Vergessenheit geriet oder - wie hier vermutet - infolge eines Verwechslungsfehlers hinsichtlich des Datums verspätet ausgeführt wurde, hat der Beklagte nicht dargelegt. Die Anweisung der Prozessbevollmächtigten des Beklagten machte danach die allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen für die Ausgangskontrolle nicht entbehrlich.
16c) Nach alledem stellt sich die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht, wie der Beklagte meint, lediglich als Folge eines unvorhersehbaren Fehlers des zuverlässigen Mitarbeiters K. dar, sondern vielmehr auch als Folge einer unzureichenden Kanzleiorganisation, durch die eine wirksame Ausgangskontrolle im Zusammenhang mit fristgebundenen Schriftsätzen nicht sichergestellt wurde. Wären diese Organisationsmängel vermieden worden, ist nicht auszuschließen, dass der Fristverlängerungsantrag rechtzeitig eingereicht worden wäre (vgl. , NJW 2001, 76, 77, juris Rn. 12).
III.
17Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Eick Kartzke Graßnack
Sacher Wimmer
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:060416BVIIZB7.15.0
Fundstelle(n):
DB 2016 S. 7 Nr. 19
HFR 2016 S. 662 Nr. 7
NJW-RR 2016 S. 1262 Nr. 20
TAAAF-73377