Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Zulässigkeit - grundsätzliche Bedeutung - revisibles Recht - Klärungsbedürftigkeit - Auseinandersetzung mit oberstgerichtlicher Rechtsprechung - insolvenzgeldliche Berücksichtigung von Urlaubsentgelt
Gesetze: § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 162 SGG, § 165 Abs 1 S 1 SGB 3, § 165 Abs 2 S 1 SGB 3
Instanzenzug: SG Würzburg Az: S 7 AL 56/13 Urteilvorgehend Bayerisches Landessozialgericht Az: L 10 AL 12/15 Urteil
Gründe
1Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger vom 15.5. bis zu zahlenden Insolvenzgelds (Insg).
2Der Kläger erhielt nach einem Insolvenzereignis seiner früheren Arbeitgeberin Insg. Dabei wurde ihm ausgefallenes Arbeitsentgelt für die letzten drei Monate in Form von ausgefallenem Nettoentgelt sowie von Teilen des Urlaubsgelds ersetzt. Nach dem maßgeblichen Tarifvertrag standen ihm im Jahr 2012 30 Urlaubstage mit einem Urlaubsentgelt in Höhe des 1,5-fachen durchschnittlichen Anspruchs auf Arbeitsentgelt ohne Aufwendungen für Mehrarbeit zu. Die Auszahlung der Urlaubsvergütung wurde so gehandhabt, dass das Arbeitsentgelt während des Urlaubs in Höhe des 1,0-fachen Arbeitsentgelts fortgezahlt wurde, während der 0,5-fache Betrag für den gesamten Urlaubsanspruch als Urlaubsgeld mit dem Gehalt für den Monat Juni eines jeden Jahres ausgezahlt wurde. Die Beklagte hat bei der Berechnung des Insg lediglich das Urlaubsgeld für die Tage berücksichtigt, in denen der Kläger im Insolvenzzeitraum Urlaub hatte, nicht aber das Urlaubsgeld für den gesamten Urlaubsanspruch berücksichtigt.
3Das SG Würzburg hat die auf höheres Insg gerichtete Klage abgewiesen (). Die Berufung hat das Bayerische LSG zurückgewiesen (Urteil vom ). Auf der Grundlage des anzuwendenden Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der bayerischen Metall- und Elektroindustrie vom 23.6./ (MTV) und der Betriebsvereinbarung 02/10 vom bei der Arbeitgeberin des Klägers sei die Auszahlung des Urlaubsgelds - unabhängig von der Inanspruchnahme des Urlaubs - mit der Entgeltabrechnung für den Monat Juni eines jeden Jahres erfolgt. Dadurch sei aber keine eigenständige, vom Urlaubsentgelt und von der Inanspruchnahme des Urlaubs unabhängige Sonderleistung "Urlaubsgeld" geschaffen worden. Vielmehr entstehe der Anspruch auf Urlaubsentgelt - wie im MTV geregelt - mit Inanspruchnahme des Urlaubs.
4Gegen die Entscheidung wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Er macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und wirft die Frage auf:
5"Kann durch Betriebsvereinbarung oder arbeitgeberseitige Praxis eine für den gesamten Betrieb geltende Stichtagsregelung zur Entstehung und Auszahlung eines Urlaubsgeldanspruchs geschaffen werden- wenn der den Urlaubsgeldanspruch normierende Tarifvertrag vorsieht, dass dieses zusätzliche Entgelt vor Eintritt des Haupturlaubs voll auszuzahlen ist, in einer Protokollnotiz aber eine Abweichungsmöglichkeit für den Auszahlungszeitpunkt des gesamten 'Urlaubsgeldes' (Urlaubsentgelt und zusätzliches 0,5-faches Urlaubsgeld) - durch Betriebsvereinbarung möglich ist, die Betriebsvereinbarung aber bestimmt, dass die Auszahlung des … Urlaubsgeldes nur in voller Gänze unabhängig von der zeitlichen Lage des Urlaubs mit der Entgeltabrechnung für den Monat Juni eines jeden Jahres zu erfolgen hat, während das originäre Urlaubsgeld jeweils entsprechend der realisierten Urlaubstage vergütet wird -sodass der im Einvernehmen mit dem Betriebsrat vom Arbeitgeber geschaffene Stichtag, wenn er im Insolvenzgeldzeitraum liegt, dazu führt, dass das … Urlaubsgeld im Insolvenzgeld auszuzahlen ist?"
6II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da der geltend gemachte Zulassungsgrund nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).
7Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine konkrete Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 12, 31, 59, 65). Diese Anforderungen sind vorliegend nicht erfüllt.
8Es ist schon fraglich, ob der Kläger eine Rechtsfrage zur Auslegung und Anwendung des nach § 162 SGG revisiblen Bundesrechts gestellt hat. Insoweit hat er zwar dargelegt, dass der hier anwendbare Tarifvertrag sowie die auf seiner Grundlage ergangene Betriebsvereinbarung Nr 02/10 sich zunächst auf das Land Bayern beziehen, aber auch Betriebe der Arbeitgeberin in Baden-Württemberg beträfen. Nach der Rechtsprechung des BSG kommt es für die Darlegung und Prüfung revisiblen Rechts nicht darauf an, dass zB ein Tarifvertrag auch außerhalb des auf ein Land beschränkten Geltungsbereichs Anwendung findet. Sein Geltungsbereich selbst muss sich entweder über das Gebiet eines Landes hinaus erstrecken oder es müssten in anderen Bundesländern nicht nur zufällig, sondern bewusst und gewollt inhaltlich gleiche Vorschriften vereinbart worden sein. Dass dies der Fall wäre, hat der Kläger nicht dargetan (vgl hierzu BSGE 56, 45, 50 f = SozR 2100 § 70 Nr 1; BSGE 79, 197, 198 f = SozR 3-4100 § 69 Nr 3). Entsprechendes gilt für den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung (vgl BSGE 50, 121, 123 f) und wäre ebenfalls darzulegen gewesen.
9Der Kläger hat auch die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht hinreichend bezeichnet. Er hat sich zwar mit dem - BSGE 102, 303 = SozR 4-4300 § 183 Nr 10) kurz auseinandergesetzt und vorgetragen, er könne der Entscheidung keine Maßstäbe dafür entnehmen, ob und wie das (zusätzliche) Urlaubsgeld zu behandeln wäre. Das BSG hat in der genannten Entscheidung allerdings wie folgt differenziert: Werde Urlaubsgeld als akzessorische Arbeitgeberleistung für die Dauer des Urlaubs gewährt, sei es insolvenzgeldrechtlich nur zu berücksichtigen, soweit es für die Zeit der Urlaubstage in den letzten drei Monate vor dem Insolvenzereignis vom Arbeitgeber zu zahlen gewesen wäre (BSG aaO mwN). Werde das Urlaubsgeld dagegen urlaubsunabhängig gezahlt, sei es wie jede andere jährliche Sonderzuwendung außerhalb des laufenden Arbeitsentgelts nur dann berücksichtigt, wenn es sich ganz oder anteilig den dem Insolvenzereignis vorausgehenden drei Monaten zuordnen lasse (unter Hinweis auf B 11a AL 65/05 R). Davon ausgehend hat es die Leistung als akzessorische Arbeitgeberleistung angesehen, die für die Dauer des Urlaubs zu gewähren sei.
10Der Kläger hat nicht näher erläutert, aus welchen Gründen sich die aufgeworfene Frage nicht anhand dieser Rechtsprechung des BSG beantworten lässt, oder die vom BSG geklärte Frage erneut klärungsbedürftig geworden wäre. Im Rahmen der Grundsatzrüge kommt es dagegen nicht darauf an, ob die Entscheidung des LSG im Einzelfall zutreffend sein sollte.
11Die nicht formgerecht begründete Beschwerde ist daher nach § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen.
12Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2016:070316BB11AL10315B0
Fundstelle(n):
QAAAF-72555