BGH Beschluss v. - 3 StR 547/15

Unterbringung eines schuldunfähigen Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen an die Begründung einer schweren anderen seelischen Abartigkeit bei diagnostizierter kombinierter Persönlichkeitsstörung

Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 2 KLs 36/15

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung und versuchter sexueller Nötigung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

21. Nach den Feststellungen forderte der Angeklagte die Geschädigte unter Vorhalt eines Messers auf, sich auszuziehen. Er wollte sie einschüchtern, um sie nackt zu sehen und anschließend mit ihr - freiwilligen - Geschlechtsverkehr auszuüben. Die Geschädigte zeigte ihm daraufhin ihre nackte Brust, worauf er keine weiteren Forderungen mehr stellte (Tat II. 1.). Einige Wochen später lockte der Angeklagte eine weitere Geschädigte unter dem Vorwand, dass er einen Babysitter suche, in seine Wohnung. Er schloss die Wohnungstür ab, bedrohte sie mit einem Messer und fragte, ob er ihre Brust anfassen dürfe. Der Zeugin gelang es, den ihr körperlich überlegenen Angeklagten wegzustoßen, die Wohnungstür aufzuschließen und zu fliehen (Tat II. 2.). Der Angeklagte leidet an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, ängstlich-vermeidenden und narzisstischen Anteilen, Exhibitionismus sowie einer Alkoholabhängigkeit. Aufgrund der Persönlichkeitsstörung, die eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB darstelle, war nach Auffassung des Landgerichts die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der festgestellten Straftaten erheblich beeinträchtigt.

32. Der gesamte Rechtsfolgenausspruch hat keinen Bestand.

4a) Die Voraussetzungen für die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) sind nicht rechtsfehlerfrei dargetan.

5Die Anordnung nach § 63 StGB bedarf einer besonders sorgfältigen Prüfung und Begründung, weil sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Sie setzt unter anderem die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Zustandes des Täters voraus, der dazu führte, dass er - sicher feststehend - die Tat zumindest mit erheblich eingeschränkter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB beging (st. Rspr.; vgl. , BGHSt 34, 22, 27; Beschluss vom - 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385). Auch das Vorliegen einer nicht pathologisch bedingten Störung kann Anlass für eine Unterbringung nach § 63 StGB sein. Doch stellt die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung nicht ohne Weiteres eine hinreichende Grundlage für die Annahme einer relevanten Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters dar und rechtfertigt nur bei Vorliegen weiterer Umstände die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385, 386 f.; vom - 4 StR 424/03, NStZ 2004, 197, 198; vom - 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, 3385 mwN). Denn bei solchen Störungen besteht häufig die Gefahr, dass Eigenschaften und Verhaltensweisen, die sich innerhalb der Bandbreite des Verhaltens voll schuldfähiger Menschen bewegen, zu Unrecht als Symptome einer die Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigenden schweren seelischen Abartigkeit bewertet werden. Das gilt vor allem dann, wenn es um die Beurteilung kaum messbarer, objektiv schwer darstellbarer Befunde und Ergebnisse geht, wie es bei einer "kombinierten Persönlichkeitsstörung" der Fall ist (BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 424/03, NStZ 2004, 197, 198; vom - 4 StR 120/12, StraFo 2012, 275).

6Das sachverständig beratene Landgericht stützt die Anordnung der Maßregel vorliegend ohne nähere Ausführungen allein auf die Diagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, ängstlich-vermeidenden und narzisstischen Anteilen. Damit hat es die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit nicht rechtsfehlerfrei begründet. Insbesondere sind keine Umstände dargelegt, die darauf hindeuten, dass die Störung das Leben des Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen belastet oder einengt wie im Fall einer krankhaften seelischen Störung. Vielmehr beschränkt sich das Landgericht im Wesentlichen auf eine Wiedergabe der vom Sachverständigen gestellten Diagnose. Näherer Ausführungen hätte es vorliegend aber umso mehr bedurft, als bei der Verurteilung des Angeklagten im Jahr 2012 wegen Verbreitung pornographischer Schriften u.a. bei gleicher Diagnose das Vorliegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit verneint worden war, weil der Schweregrad der Störungen nicht ausreichend gewesen sei.

7b) Auch der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat die Strafe für die Tat II. 1. der Urteilsgründe dem Strafrahmen des § 240 Abs. 4 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 StGB entnommen. Es hat allerdings die Prüfung versäumt, ob von der Regelwirkung des § 240 Abs. 4 StGB abzusehen war. Hierzu hätte Anlass bestanden, weil der vertypte Milderungsgrund nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorlag und die abgenötigte sexuelle Handlung im unteren Bereich der Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nr. 1 StGB anzusiedeln ist. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Berücksichtigung dieser Umstände einen besonders schweren Fall der Nötigung verneint und deshalb im Strafrahmen des § 240 Abs. 1 StGB zu einer insgesamt milderen Strafe gelangt wäre. Damit hat die in diesem Fall verhängte Strafe keinen Bestand.

8Der Senat hebt auch die für den Fall II. 2. der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe auf, um der neu mit der Sache befassten Strafkammer eine insgesamt einheitliche Strafbemessung zu ermöglichen.

9Bei der neu zu treffenden Entscheidung wird Folgendes zu berücksichtigen sein: Sollte der Angeklagte die im Jahr 1993 abgeurteilte sexuelle Nötigung im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen haben, bedarf es besonderer Begründung, warum von der Aburteilung dennoch eine Warnwirkung ausgegangen sein sollte, die der Angeklagte bei den vorliegenden Taten missachtet hätte; allenfalls dann wird diese Aburteilung straferschwerend berücksichtigt werden dürfen.

Becker                       Schäfer                         Gericke

               Spaniol                        Tiemann

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:230216B3STR547.15.0

Fundstelle(n):
JAAAF-71435