BSG Beschluss v. - B 8 SO 85/15 B

Instanzenzug: S 16 SO 8/14

Gründe:

I

1Im Streit ist ein Anspruch des Klägers auf Übernahme der Kosten einer Gleitsichtbrille nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII). Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat auf die Berufung der Beklagten ein Urteil des Sozialgerichts (SG) Mainz vom aufgehoben (Urteil vom ).

2Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde und beantragt zugleich Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Rechtsanwalts. Er macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend; es stelle sich die Rechtsfrage, ob die Kosten für eine medizinisch notwendige Sehhilfe für Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in analoger Anwendung von § 31 Abs 1 Nr 3 SGB XII zu übernehmen seien.

3Die Problematik der Kostenunterdeckung bei der Beschaffung von Sehhilfen sei vom SG zutreffend beschrieben worden; das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe die Fachgerichte ausdrücklich aufgefordert, der Gefahr einer solchen Unterdeckung durch eine entsprechende Gesetzesauslegung entgegenzuwirken. Ob eine ergänzende Auslegung des § 31 SGB XII für die begehrte Sehhilfe geboten sei, sei bislang höchstrichterlich ungeklärt. Selbst wenn man - wie das LSG - davon ausgehe, dass es an einer relevanten Bedarfslücke bei ihm (dem Kläger) fehle, weil eine Gleitsichtbrille nicht notwendig sei, könne er aus dem Anteil im Regelsatz für Gesundheitspflege auch die Kosten für zwei einfache Brillen nicht tragen; insoweit habe wegen seiner übrigen Erkrankungen der Regelsatz bereits um 17 Euro pro Monat erhöht werden müssen. Im Übrigen rügt er die Verletzung des rechtlichen Gehörs und eine Verletzung der Pflicht des Gerichts, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären. Das LSG habe die Stellungnahme einer Ärztin verwandt, ohne sich in der mündlichen Verhandlung mit seiner Rüge, dieser fehle die notwendige Fachkunde, auseinanderzusetzen, und auf diese Stellungnahme - für ihn überraschend - gleichwohl sein Urteil gestützt. Zudem sei es seinen Anträgen vom ein Sachverständigengutachten einzuholen nicht nachgekommen. Außerdem liege ein absoluter Revisionsgrund vor, weil das LSG nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen sei. Es hätte über sein vor Eröffnung der mündlichen Verhandlung gestelltes Ablehnungsgesuch nicht in der mündlichen Verhandlung unter Beteiligung des abgelehnten Richters und der ehrenamtlichen Richter entscheiden dürfen; ein Grund, der eine sog Selbstentscheidung erlaubt hätte, habe nicht vorgelegen.

II

4Die Beschwerde ist unzulässig, weil die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und des Verfahrensfehlers (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.

5Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer deshalb eine konkrete Frage formulieren, deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit und (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (Breitenwirkung) darlegen.

6Es fehlt jedenfalls an einer ausreichenden Darlegung der Klärungsfähigkeit. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31): Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsbedürftigkeit - konkret-individuell sachlich entscheiden können (BSG SozR 1500 § 160 Nr 39; SozR 1500 § 160a Nr 31). Dies erfordert es, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (dazu BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 31).

7Der Kläger hätte daher den Sachverhalt und die Rechtslage so schildern müssen, dass der Senat in die Lage versetzt würde zu prüfen, ob und inwieweit Ansprüche auf Übernahme der begehrten Kosten bestehen könnten. Daran fehlt es vorliegend; der zur Entscheidung stehende Sachverhalt ist vielmehr nur rudimentär wiedergegeben. Der Kläger legt schon nicht dar, welche Leistungen im Einzelnen er von der Beklagten bezieht, sodass nicht nachvollziehbar ist, unter Berücksichtigung welcher sonstigen Bedarfslagen sich die von ihm gesehene Gefahr einer "Kostenunterdeckung" ergeben sollte.

8Die Beschwerde genügt den Begründungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG auch wegen der behaupteten Verfahrensmängel nicht. Voraussetzung für die Bezeichnung des Verfahrensmangels wäre, dass die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materiellen Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

9Wegen der behaupteten Verletzung der Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 SGG) durch das LSG setzt - wie bereits ausgeführt - die Rüge voraus, dass sich der Kläger auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kann ein anwaltlich vertretener Beteiligter dabei nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (vgl nur BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Der Kläger behauptet dies aber nicht einmal. Soweit er weiter geltend macht, das LSG hätte die bei den Akten befindliche ärztliche Stellungnahme bei seiner Entscheidungsfindung nicht verwenden dürfen, rügt er nur einen angeblichen Fehler in der Beweiswürdigung; nach der ausdrücklichen Regelung in § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist diese Rüge - Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) - aber ausgeschlossen. Mit dem Vorwurf, das LSG habe das rechtliche Gehör (§ 62 SGG) und insoweit insbesondere seine Hinweispflichten (vgl § 106 SGG) verletzt, weil es in der mündlichen Verhandlung nicht klargestellt habe, dass es die ärztliche Stellungnahme berücksichtigen werde, können die Voraussetzungen einer Rüge nach § 103 SGG nicht umgangen werden (vgl nur ).

10Soweit sich der Kläger auf eine fehlerhafte Besetzung der Richterbank beruft, genügen die Darlegungen ebenfalls nicht den gesetzlichen Anforderungen. Um mit Erfolg geltend zu machen, dass durch die Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz) verletzt worden ist, muss ein Beschwerdeführer wegen § 557 Abs 2 Zivilprozessordnung (ZPO), der über § 202 SGG anwendbar ist (vgl nur - mwN), schlüssig vortragen, dass die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs nicht nur fehlerhaft, sondern greifbar gesetzwidrig und damit willkürlich war (vgl zuletzt - mwN). Der Kläger macht insoweit geltend, dass der vom LSG in Bezug genommene Beschluss vom nicht geeignet gewesen sei, das Ablehnungsgesuch vom , das sich auf die sitzungspolizeiliche Verfügung vom bezogen habe, als rechtsmissbräuchlich und deshalb unzulässig zu werten. Es fehlen indes jegliche Ausführungen zum ersten Ablehnungsgesuch, die deutlich werden ließen, weshalb die Entscheidung unter Beteiligung des abgelehnten Richters (vgl zu dieser Möglichkeit insbesondere bei wiederholt angebrachten Gesuchen nur Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 60 RdNr 10d mwN) erst nach Eröffnung der mündlichen Verhandlung gestützt auf diese Begründung greifbar gesetzwidrig war.

11Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 SGG, § 114 Abs 1 ZPO) bietet, ist dem Kläger auch keine PKH zu bewilligen. Mit der Ablehnung von PKH entfällt auch die Beiordnung des Rechtsanwalts (§ 121 ZPO).

12Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Fundstelle(n):
OAAAF-71040