BGH Beschluss v. - VI ZB 33/15

Umdeutung einer unzulässigen Hauptberufung in eine unselbstständige Anschlussberufung

Leitsatz

Eine unzulässige Hauptberufung ist in eine unselbstständige Anschlussberufung umzudeuten, wenn die Voraussetzungen für eine zulässige Anschlussberufung vorliegen und die Umdeutung von dem mutmaßlichen Parteiwillen gedeckt wird.

Gesetze: § 524 ZPO, § 140 BGB

Instanzenzug: Az: I-3 U 62/15vorgehend Az: 13 O 48/12

Gründe

I.

1Der Kläger begehrt von den Beklagten Schadensersatz, Schmerzensgeld und Feststellung aus einem Verkehrsunfall.

2Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Urteil des Landgerichts ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am und dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am zugestellt worden. Beide Parteien haben gegen das Urteil Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung um einen Monat bis zum zu verlängern. Die Vorsitzende des Berufungssenats hat daraufhin ein Schreiben an die Prozessbevollmächtigten mit folgendem Inhalt veranlasst:

"(...) wird auf Antrag von Rechtsanwalt B. die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis zum verlängert (...)"

3Nach Eingang der Berufungsbegründung der Beklagten setzte die Vorsitzende dem Kläger eine Frist zur Erwiderung auf die Berufungsbegründung bis zum . Ferner wies sie ihn darauf hin, dass seine Berufung nicht fristgerecht begründet worden sei. Mit am bei dem Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger seine Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

4Mit dem angegriffenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Antrag auf Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Gegen die Verwerfung seiner Berufung wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

5Die Rechtsbeschwerde ist von Gesetzes wegen statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO).

6Die Rechtsbeschwerde wendet sich nicht gegen die zutreffende Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger die Frist zur Begründung der (Haupt-)Berufung versäumt hat. Zu Recht rügt sie aber, dass der angefochtene Beschluss nicht bestehen bleiben könne, weil die unzulässige Berufung in eine zulässige Anschlussberufung im Sinne des § 524 ZPO umgedeutet werden kann und muss (vgl. BGH, Beschlüsse vom - III ZB 41/08, VersR 2010, 89 Rn. 10 ff.; vom - VII ZB 27/11, ZfBR 2012, 140; vom - VII ZB 15/14, NJW-RR 2015, 700 Rn. 15; jeweils mwN).

71. Auch im Verfahrensrecht kann der Gedanke des § 140 BGB (Umdeutung) herangezogen werden. Für die Umdeutung genügt es, wenn diese von dem mutmaßlichen Parteiwillen gedeckt wird. In aller Regel wird eine Partei eine unzulässige Hauptberufung als zulässige Anschlussberufung retten wollen ( IVb ZR 51/86, BGHZ 100, 383, 387 f.; Beschluss vom - III ZB 41/08, aaO Rn. 11). Dies hat der Kläger in der Rechtsbeschwerdebegründung auch ausdrücklich klargestellt.

8Soweit die Beklagten dagegen einwenden, der Wille des Klägers, seine unzulässige (Haupt-)Berufung als Anschlussberufung aufrechtzuerhalten, sei im Berufungsverfahren nicht ausreichend zum Ausdruck gekommen, ist das nicht erforderlich. Die Auslegung darf in Fällen der vorliegenden Art nur nicht ergeben, dass die Partei ausschließlich ein selbständiges Rechtsmittel einlegen und keinesfalls - etwa als ein Weniger oder hilfsweise - auch die Abhängigkeit von dem Rechtsmittel des Gegners gewollt hat (vgl. IVb ZR 51/86, aaO, 388). Das wird von den Beklagten nicht aufgezeigt und ist auch sonst nicht ersichtlich.

9Es trifft vor diesem Hintergrund entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht zu, dass der betroffenen Partei gestattet wäre, im Rechtsbeschwerdeverfahren noch Erklärungen abzugeben, die die Zulässigkeit des Rechtsmittels beeinflussen. Die in der Rechtsbeschwerdebegründung erfolgte Klarstellung, dass der Kläger seine unzulässige Hauptberufung als zulässige Anschlussberufung ansehen will, stellt nach dem Ausgeführten keine Voraussetzung für die Umdeutung dar.

102. Die formellen Voraussetzungen des § 524 ZPO sind im vorliegenden Fall - wovon auch die Beschwerdeerwiderung ausgeht - gewahrt, insbesondere bestehen gegen die Rechtzeitigkeit der Anschließung keine Bedenken. Auch wenn in den mit der klägerischen Berufungsbegründung angekündigten Anträgen eine Klageerweiterung liegen sollte, was hier keiner Klärung bedarf, wäre eine solche im Rahmen einer Anschließung zulässig (vgl. , BGHZ 4, 229, 234; Senatsurteil vom - VI ZR 152/10, VersR 2011, 882 Rn. 10; , GRUR 2012, 180 Rn. 22).

113. Der Streitwert war in Abänderung des Beschlusses des Senats vom auf 119.642,45 € festzusetzen, weil der Kläger mit der (Anschluss-)Berufung in der Hauptsache lediglich noch die geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz für den Verdienstausfall weiterverfolgt.

Galke                             Stöhr                             Offenloch

                Oehler                            Roloff

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:020216BVIZB33.15.0

Fundstelle(n):
NJW 2016 S. 1329 Nr. 18
NJW-RR 2016 S. 445 Nr. 7
FAAAF-68361