Bayerisches Landesamt für Steuern - S 0619.1.1-1/6 St42

Anfechtungsbeschränkung bei einheitlichen und gesonderten Feststellungsbescheiden

1. Beschränkung der Einspruchsbefugnis auf vertretungsberechtigte Geschäftsführer

Nach § 352 Abs. 1 Nr. 1 erste Alternative AO können gegen einheitliche Feststellungsbescheide die zur Vertretung berufenen Geschäftsführer Einspruch einlegen. Die Frage, wer zur Geschäftsführung und Vertretung berufen ist, richtet sich nach den zivilrechtlichen Vorschriften (§§ 709 ff. BGB für die BGB-Gesellschaft, §§ 114 ff. HGB für die OHG sowie §§ 164, 161 Abs. 2 und 114 ff. HGB für die KG), ggf. i. V. m. den gesellschaftsvertraglichen Regelungen. Sind mehrere Geschäftsführer vorhanden und nur gemeinschaftlich vertretungsbefugt, müssen alle vertretungsberechtigten Geschäftsführer der Einspruchseinlegung zustimmen.

Bei Einzelvertretungsmacht ist jeder vertretungsberechtigte Geschäftsführer zur Einspruchseinlegung befugt (, BStBl 1972 II S. 672).

Der zur Vertretung berufene Geschäftsführer handelt nicht im eigenen Namen, sondern als Prozessstandschafter der Gesellschaft und damit aller Gesellschafter (z. B. , BStBl 1989 II S. 326 und , BStBl 1990 II S. 333). Der von diesem eingelegte Einspruch ist ein solcher der Gesellschaft.

Die Einspruchsbefugnis des Inhabers des Handelsgeschäfts bei einer atypisch stillen Gesellschaft ist bei Anwendung des § 352 AO nicht mit der Einspruchsbefugnis des Geschäftsführers gleichzusetzen. Ein Gewinnfeststellungsbescheid kann daher vom Inhaber des Handelsgeschäfts nicht nach § 352 Abs. 1 Nr. 1 erste Alternative angefochten werden ( BStBl 1998 II S. 401).

Die Anwendung des § 352 AO ist nicht auf Feststellungsbeteiligte beschränkt, sondern gilt auch, wenn eine nicht der Gesellschaft angehörige Person vertretungsberechtigter Geschäftsführer ist. Dies sind z. B. Prokuristen, Handlungsbevollmächtigte und Generalbevollmächtigte.

Die beschränkte Einspruchsbefugnis gilt auch bei inländischen Gesellschaftern einer ausländischen Personengesellschaft (, BFH/NV 2016 S. 164).

2. Beschränkung der Einspruchsbefugnis auf Empfangsbevollmächtigte i. S. von § 183 AO bzw. § 6 Abs. 1 der VO zu § 180 Abs. 2 AO

Betrifft die einheitliche Feststellung eine Personengruppe, die keinen zur Vertretung befugten Geschäftsführer hat (z. B. eine atypisch stille Gesellschaft, Erbengemeinschaft, Miteigentümer-Vermietungsgemeinschaft u. ä.), so gilt nach § 352 Abs. 1 Nr. 1 zweite Alternative i. V. m. Abs. 2 AO in Anknüpfung an die Bekanntgabevereinfachungen nach § 183 AO und § 6 Abs. 1 der Verordnung (VO) zu § 180 Abs. 2 AO Folgendes:

  • Haben die Feststellungsbeteiligten gem. § 183 Abs. 1 Satz 1 AO bzw. § 6 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung zu § 180 Abs. 2 AO einen gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten bestellt, so ist nach § 352 Abs. 2 Satz 1 AO ausschließlich dieser einspruchsbefugt, soweit das Finanzamt dem Belehrungsgebot (vgl. Tz 2.1) nachgekommen ist und kein Sonderfall des § 352 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 AO vorliegt. Der gemeinsame Empfangsbevollmächtigte muss nicht von sämtlichen Feststellungsbeteiligten bestellt worden sein (vgl. AEAO zu § 122 AO Nr. 2.5.2), sondern vertritt dann nur die Beteiligten, die ihn bestellt haben. Seine Einspruchsbefugnis erstreckt sich nur auf diese Feststellungsbeteiligten. Die übrigen Feststellungsbeteiligten werden im weiteren Verfahren so behandelt, als sei kein Empfangsbevollmächtigter bestellt worden. Ihnen ist der Feststellungsbescheid einzeln bekannt zu geben. Sie sind jeweils einzeln befugt, Einspruch einzulegen.

  • Haben die Feststellungsbeteiligten keinen gemeinsamen Empfangsbevollmächtigten bestellt oder ist ein solcher (z. B. wegen Widerrufs der Empfangsvollmacht) nicht mehr vorhanden, steht, soweit vorhanden, die Einspruchsbefugnis dem nach § 183 Abs. 1 Satz 2 AO fingierten Empfangsbevollmächtigten (Vertretungs- bzw. Verwaltungsberechtigter) zu. Dies gilt nicht, wenn der gesetzlich fingierte Empfangsbevollmächtigte der Geschäftsführer ist; in diesem Fall richtet sich die Einspruchsbefugnis nach § 352 Abs. 1 Nr. 1 erste Alternative AO.

  • Ist auch ein fingierter Empfangsbevollmächtigter nicht vorhanden, kann die Finanzbehörde unter den Voraussetzungen des § 183 Abs. 1 Satz 3 bis 5 AO bzw. § 6 Abs. 1 Satz 3 bis 5 der VO zu § 180 Abs. 2 AO einen Empfangsbevollmächtigten bestimmen. Diesem steht die Einspruchsbefugnis zu, wenn das Finanzamt das durch § 183 AO bzw. § 6 der VO zu § 180 Abs. 2 AO vorgegebene Verfahren eingehalten hat (Aufforderung zur Benennung eines Empfangsbevollmächtigten durch die Feststellungsbeteiligten mit angemessener Fristsetzung und Mitteilung des Namens des vom Finanzamt vorgesehenen Empfangsbevollmächtigten – vgl. UNIFA-Vorlage „Benennung Empfangsbevollmächtigten” (Ordner Zentral-> Veranlagung-> Feststellungsverfahren), Hinweis im Feststellungsbescheid auf die Bekanntgabewirkung für und gegen alle Festsetzungsbeteiligten).

2.1. Belehrungsgebot

Die grundsätzliche Beschränkung der Einspruchsbefugnis auf den von den Feststellungsbeteiligten bestellten, den fingierten bzw. den von der Finanzbehörde bestimmten Empfangsbevollmächtigten greift nur ein, wenn die Beteiligten in der Feststellungserklärung des betreffenden Jahres oder in der Aufforderung zur Benennung eines Empfangsbevollmächtigten (§ 183 Abs. 1 Satz 3 und 4 AO, § 6 Abs. 1 Satz 3 und 4 der VO zu § 180 Abs. 2 AO) über die Einspruchsbefugnis des Empfangsbevollmächtigten belehrt worden sind. Diese Belehrung ist in der UNIFA-Vorlage „Benennung Empfangsbevollmächtigter” enthalten.

Bei Abgabe der Feststellungserklärung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung (§ 181 Abs. 2a, z. B. über das ElsterOnline-Portal oder mit Hilfe kommerzieller Steuersoftwäre) hat der Datenübermittler folgende Erklärung abzugeben:

„Ich bin bevollmächtigt, diese Feststellungserklärung elektronisch zu übermitteln, und versichere Folgendes: Der in der Feststellungserklärung benannte Empfangsbevollmächtigte wurde von sämtlichen Feststellungsbeteiligten bestellt. Alle Feststellungsbeteiligten wurden davon in Kenntnis gesetzt, dass – soweit kein vertretungsberechtigter Geschäftsführer vorhanden ist – dem benannten Empfangsbevollmächtigten die ausschließliche Einspruchs- und Klagebefugnis zusteht (§ 352 Abgabenordnung, § 48 Finanzgerichtsordnung). Ferner wurden sie darüber belehrt, dass die erteilte Empfangsvollmacht auch für künftige Feststellungszeiträume gilt, es sei denn, dass diese Empfangsvollmacht gegenüber dem Finanzamt widerrufen wird oder in der Feststellungserklärung für ein Folgejahr eine anderweitige Empfangsvollmacht erteilt wird oder dem Finanzamt eine auf einen anderen Empfänger lautende allgemeine, jahrgangsneutrale Empfangsvollmacht vorliegt. Falls ich selbst erklärungspflichtig bin, habe ich die Belehrung der Feststellungsbeteiligten vorgenommen. Falls ich Datenübermittler bin, ohne selbst Feststellungsbeteiligter zu sein, wurde mir von dem für die Erstellung der Feststellungserklärung Verantwortlichen bestätigt, dass er die Belehrung der Feststellungsbeteiligten vorgenommen hat.”

Ohne das Setzen des Häkchens im hierfür vorgesehenen Eingabefeld kann keine Datenübermittlung erfolgen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass die Belehrung durch den Auftraggeber des Datenübermittlers bzw. den Datenübermittler selbst vorgenommen hat.

Wurde die Feststellungserklärung auf Papier abgegeben, versichert der Unterzeichner, dass er die Feststellungsbeteiligten auf die Beschränkung der Einspruchsbefugnis hingewiesen hat, so dass davon ausgegangen werden kann, dass die Belehrung stattgefunden hat.

Entsprechend zu § 352 AO ist auch die in § 48 FGO geregelte Klagebefugnis beschränkt. Gem. § 48 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alternative FGO ist hinsichtlich der Beschränkung der Klagebefugnis auf den gemeinsam bestellten, fingierten bzw. den vom Finanzamt bestimmten Empfangsbevollmächtigten vorgeschrieben, dass die Beteiligten spätestens bei Erlass der Einspruchsentscheidung über die Klagebefugnis des Empfangsbevollmächtigten belehrt worden sein müssen (§ 48 Abs. 2 Satz 3 FGO).

2.2. Widerspruchsrecht

Ferner hat jeder Feststellungsbeteiligte das Recht, für seine Person der Einspruchsbefugnis eines fingierten bzw. von der Finanzbehörde bestimmten Empfangsbevollmächtigten (nicht aber der Einspruchsbefugnis eines von allen Feststellungsbeteiligten bestellten Empfangsbevollmächtigten) zu widersprechen. Der Widerspruch ist gegenüber dem das Feststellungsverfahren durchführenden Finanzamt zu erheben. Schriftform ist zwar nicht gesetzlich vorgeschrieben, wird sich jedoch zu Nachweiszwecken empfehlen. Ein mündlich oder fernmündlich erklärter Widerspruch ist unter Datumsangabe aktenkundig zu machen. Der widersprechende Beteiligte ist dann selbst einspruchsbefugt (§ 352 Abs. 1 Nr. 2 AO).

Auch ein bereits erklärter oder noch beabsichtigter Widerspruch gegen die Rechtsbehelfsbefugnis ändert nichts daran, dass der Feststellungsbescheid auch gegenüber dem widersprechenden Beteiligten durch Übermittlung an den Empfangsbevollmächtigten wirksam bekannt gegeben wird, soweit nicht ein Sonderfall des § 183 Abs. 2 AO (ernstliche Meinungsverschiedenheiten) vorliegt. Der Widerspruch gegen die Einspruchsbefugnis lässt die Empfangsvollmacht unberührt. Daher wird mit wirksamer Bekanntgabe des Feststellungsbescheids an den Empfangsbevollmächtigten die Einspruchsfrist auch gegenüber solchen Feststellungsbeteiligten in Lauf gesetzt, die der Einspruchsbefugnis des Empfangsbevollmächtigten widersprochen haben oder widersprechen wollen.

Damit vom Widersprechenden wirksam Einspruch eingelegt werden kann, muss der Widerruf dem Finanzamt vor Ablauf der Einspruchsfrist zugehen.

Der Widerspruch eines Feststellungsbeteiligten gegen die Klagebefugnis des Empfangsbevollmächtigten ist gegenüber dem Finanzamt und nicht gegenüber dem Finanzgericht zu erklären (§ 48 Abs. 2 Satz 2 zweiter Halbsatz FGO).

3. Einspruchsbefugnis der einzelnen Feststellungsbeteiligten

Ist weder ein zur Vertretung berufener Geschäftsführer noch ein Einspruchsbevollmächtigter i. S. d. § 352 Abs. 2 AO vorhanden, kann hilfsweise jeder Gesellschafter, Gemeinschafter oder Mitberechtigte, gegen den der Feststellungsbescheid ergangen ist oder zu ergehen hätte, Einspruch einlegen (§ 352 Abs. 1 Nr. 2 AO). Weitere Fälle der persönlichen Einspruchsbefugnis sind in § 352 Abs. 1 Nrn. 3 bis 5 AO genannt:

  • Einspruchsbefugnis des ausgeschiedenen Gesellschafters für ihn betreffende Feststellungsbescheide

  • Einspruchsbefugnis des einzelnen Beteiligten bei Fragen der Beteiligtenstellung und der Verteilung der Besteuerungsgrundlagen

  • Einspruchsbefugnis des einzelnen Beteiligten bei Fragen, die den Beteiligten persönlich angehen.

Die Regelung der Anfechtungsbeschränkung wirkt sich auch auf die Verpflichtung des Finanzamts zur notwendigen Hinzuziehung (§ 360 Abs. 3 AO) aus. So kommt z. B. grundsätzlich die Hinzuziehung weiterer Personen nicht in Betracht, wenn ein vertretungsberechtigter Geschäftsführer bzw. ein Einspruchsbevollmächtigter im Sinne des § 352 Abs. 2 den Einspruch eingelegt hat (Ausnahme: Fälle des § 352 Abs. 1 Nrn. 3 bis 5 AO).

Nach wirksamem Widerspruch gegen die Einspruchsbefugnis des fingierten bzw. von der Finanzbehörde bestimmten Empfangsbevollmächtigten ist aber der Einspruchsbevollmächtigte zum Einspruchsverfahren des Widersprechenden und der Widersprechende zu einem vom Einspruchsbevollmächtigten betriebenen Einspruchsverfahren notwendig hinzuzuziehen.

Ebenso ist jeder Feststellungsbeteiligte einspruchsbefugt und damit notwendig hinzuzuziehen, wenn das Belehrungsgebot nicht beachtet wurde (vgl. Tz 2.1).

4. Einspruchsbefugnis bei Liquidation der Gesellschaft

Im Stadium der Liquidation einer Gesellschaft erlöschen die bestehenden Geschäftsführungs- und Vertretungsverhältnisse. Die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis geht auf die Liquidatoren über; diese sind dann anfechtungsbefugt. Liquidatoren sind, sofern die Liquidation nicht durch Beschluss der Gesellschafter oder durch den Gesellschaftsvertrag einzelnen Gesellschaftern oder Dritten übertragen ist, grundsätzlich sämtliche Gesellschafter (in der KG auch die Kommanditisten). Die Liquidatoren handeln nicht im eigenen Namen, sondern als Prozessstandschafter der sich in Liquidation befindenden Gesellschaft (§ 352 Abs. 1 Nr. 1 AO; vgl. , BStBl 1982 II S. 506).

Die Liquidatoren haben grundsätzlich gemeinschaftlich zu handeln, also auch gemeinschaftlich Einspruch einzulegen.

5. Einspruchsbefugnis nach Vollbeendigung der Gesellschaft

Nach der handelsrechtlichen Vollbeendigung (Abwicklung) der Gesellschaft entfällt deren Beteiligtenfähigkeit (vgl. Tz 1 2. Absatz) und dadurch auch die Fähigkeit (durch die zur Vertretung berufenen Geschäftsführer; § 352 Abs. 1 Nr. 1 erster Halbsatz AO), die Gesellschafter im Wege der Prozessstandschaft zu vertreten (vgl. Tz 4). Anfechtungsbefugt sind nach Vollbeendigung/Abwicklung vielmehr die ehemaligen Gesellschafter (, BStBl 1990 II S. 333). Der Grundsatz, dass die steuerrechtliche Liquidation erst nach Beseitigung aller Rechtsbeziehungen zwischen Personengesellschaft und Finanzamt abgewickelt ist (, BStBl 1987 II S. 183), gilt nur für Verwaltungsakte, die die Gesellschaft selbst betreffen, z. B. Bescheide über Betriebssteuern.

Die Bekanntgabe von Feststellungsbescheiden bei Vollbeendigung einer Personengesellschaft richtet sich nach § 183 Abs. 2 und 3 AO. Wird gegen einen solchen Bescheid noch im Namen der bereits handelsrechtlich vollbeendeten Gesellschaft Einspruch eingelegt, ist dieser mangels Beteiligtenfähigkeit der Gesellschaft unzulässig. Soweit der Einspruch nicht von einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe eingelegt wurde, ist aber ggf. eine Umdeutung möglich in einen Einspruch aller Feststellungsbeteiligten (vgl. , BFH/NV 2000 S. 1074).

Wurden in Verwaltungsakten des Feststellungsverfahrens (Feststellungsbescheid, Einspruchsentscheidung) die vollbeendete Gesellschaft genannt, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der Verwaltungsakte, weil sich diese auch bei Benennung der nicht mehr existenten Gesellschaft an deren ehemaligen Gesellschafter als Inhaltsadressaten richten (vgl. , BFH/NV 1990 S. 208).

Ist die handelsrechtliche Vollbeendigung erst im Laufe des Einspruchsverfahrens gegen einen Feststellungsbescheid eingetreten, wird es unterbrochen (§ 239 ZPO analog) und kann von den ehemaligen Gesellschaftern als Rechtsnachfolger im Sinne des § 239 ZPO wieder fortgeführt werden. Eine notwendige Hinzuziehung ist danach nicht erforderlich (, BStBl 1989 II S. 326).

Zur Frage, wann eine Gesellschaft handelsrechtlich als vollbeendet gilt, vgl. , BStBl 1975 II S. 495), , BStBl 1981 II S. 186), vom (a. a. O.), , BFH/NV 1991 S. 429) und , BStBl 1991 II S. 401).

Ein Insolvenzverfahren gegen die Gesellschaft hat keine Auswirkungen auf die Einspruchsbefugnis gegen einheitliche und gesonderte Feststellungsbescheide; diese geht nicht auf den Insolvenzverwalter über.

Bayerisches Landesamt für Steuern v. - S 0619.1.1-1/6 St42

Fundstelle(n):
WAAAF-67285