Erneute Bildung der Gesamtstrafe: Gesamtstrafenbildung nach Zurückverweisung; Beschwer des Angeklagten durch fehlerhafte Einbeziehung mehrerer, untereinander nicht gesamtstraffähiger Vorverurteilungen
Gesetze: § 54 StGB, § 55 Abs 1 S 1 StGB, § 349 Abs 2 StPO
Instanzenzug: LG Essen Az: 52 KLs 13/15
Gründe
1Das Landgericht hatte die Angeklagte mit Urteil vom wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Essen „vom “ (richtig: ) und der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Essen vom zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Ferner hatte es sie wegen Diebstahls in zwei Fällen und wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, sie im Übrigen freigesprochen und die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sowie den teilweisen Vorwegvollzug der Strafe angeordnet. Dieses Urteil hat der Senat mit Beschluss vom hinsichtlich der Verurteilung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten und im Maßregelausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2Nunmehr hat das Landgericht Essen die Angeklagte wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung „unter Einbeziehung der rechtskräftig verhängten Einzelstrafen aus der Verurteilung des Landgerichts Essen vom “ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
31. Schuld- und Strafausspruch wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung weisen keinen die Angeklagte beschwerenden Rechtsfehler auf (§ 349 Abs. 2 StPO).
42. Auch der Ausspruch über die Gesamtstrafe hat Bestand. Er ist zwar fehlerhaft, die Angeklagte ist hierdurch aber nicht beschwert.
5Die im Ersturteil des Landgerichts Essen vom verhängten Einzelstrafen (zwei Mal drei und einmal zwei Monate für am 13. und am begangene Taten), aus denen die Strafkammer dort die zweite Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten gebildet hatte, durfte das Landgericht im angefochtenen Urteil zwar nicht einbeziehen (vgl. zu der auch deshalb fehlerhaften, weil nicht nach § 55, sondern nach § 54 StGB vorzunehmenden Gesamtstrafenbildung: Fischer, StGB, 63. Aufl., § 55 Rn. 5 mwN). Denn insofern kam dem Urteil des Landgerichts Essen vom weiterhin Zäsurwirkung zu, da – worauf der Generalbundesanwalt in anderem Zusammenhang zutreffend abstellt – nach Aufhebung und Zurückverweisung für eine schon im ersten Urteil nach § 55 StGB gesamtstrafenfähige Entscheidung die Vollstreckungssituation im Zeitpunkt der früheren tatrichterlichen Entscheidung maßgeblich ist (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom – 4 StR 176/15; Fischer, aaO, § 55 Rn. 6a). Es ist deshalb ohne Bedeutung, dass die Angeklagte die im Urteil des Landgerichts Essen vom verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten inzwischen vollständig verbüßt hat (UA S. 7).
6Die Beschwer eines Angeklagten durch die unterlassene Einbeziehung von Einzelstrafen kann aber entfallen, wenn eine Zäsurwirkung für eine einzubeziehende Verurteilung hätte beachtet werden müssen und deshalb mehrere Gesamtstrafen zu bilden gewesen wären (vgl. etwa , NStZ-RR 2006, 232). Das ist hier der Fall.
7Denn für die wegen der mit Urteil des Landgerichts Essen vom abgeurteilten schweren räuberischen Erpressung verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren und die nunmehr wegen der versuchten gefährlichen Körperverletzung festgesetzte Freiheitsstrafe von drei Monaten könnte allenfalls eine (nachträgliche) Gesamtstrafe von zwei Jahren und einem oder zwei Monaten verhängt werden. Zudem würde die im Ersturteil des Landgerichts Essen vom verhängte zweite Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten fortbestehen, da mit den ihr zugrunde liegenden Einzelstrafen wegen der erst nach dem begangenen Taten keine Gesamtstrafenbildung nach § 55 Abs. 1 StGB möglich wäre. Ferner würde die Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Essen vom zwar nicht „wieder aufleben“, obwohl die dort verhängten Einzelstrafen fehlerhaft – weil eine Gesamtstrafenlage nach § 55 Abs. 1 StGB mit der am begangenen schweren räuberischen Erpressung tatsächlich nicht bestand – in die Entscheidung des Landgerichts Essen vom einbezogen worden waren; vielmehr hätte das Landgericht insofern selbst eine neue weitere Gesamtfreiheitsstrafe aus den dortigen Einzelstrafen von zwei Mal vier Monaten bilden müssen (vgl. , BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Strafen, einbezogene 7; zur Korrektur einer solchen fehlerhaften Gesamtstrafenbildung auch: III-3 Ws 254/13 u.a., NStZ-RR 2014, 75). Diese könnte jedoch nur fünf bis sieben Monate betragen. Damit würden bei richtiger Gesamtstrafenbildung mindestens zwei Jahre und ein Monat, sechs Monate sowie fünf Monate verhängt werden müssen bzw. fortbestehen. Die nunmehr bestehenden bzw. verhängten Gesamtstrafen von zwei Jahren und vier Monaten sowie sieben Monaten beschweren die Angeklagte daher nicht.
83. Auch die Nichtanordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat Bestand.
9Zwar kann das Revisionsgericht auf eine zulässig erhobene und die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht ausdrücklich vom Angriff ausnehmende Revision des Angeklagten das Urteil aufheben (vgl. , BGHSt 38, 362 f.), ohne dass es auf eine Beschwer des Angeklagten ankommt (vgl. , BGHR StGB § 64 Ablehnung 11 mwN). Jedoch ist die Wertung des Landgerichts, die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt biete keine hinreichende Erfolgsaussicht, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Bender
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:140116U4STR437.15.0
Fundstelle(n):
LAAAF-66081