Rechtsweg - Verweisung durch ein Gericht, bei dem der Rechtsstreit nicht anhängig ist
Gesetze: § 48 Abs 1 ArbGG, § 17a Abs 2 GVG, § 36 Abs 1 Nr 6 ZPO, § 281 Abs 2 ZPO, § 506 Abs 1 ZPO, § 506 Abs 2 ZPO
Instanzenzug: ArbG Celle Az: 1 Ca 411/15 Beschluss
Gründe
1I. Mit ihrer im September 2014 beim Amtsgericht Celle eingegangenen Drittschuldnerklage verlangt die Klägerin vom Beklagten die Zahlung von rund 3.800,00 Euro gepfändeter Vergütung des Streitverkündeten - einem Arbeitnehmer des Beklagten - aus dem Zeitraum Januar 2011 bis Juni 2013. Im Oktober 2014 wurde über das Vermögen des Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet.
2Mit einer beim Amtsgericht im März 2015 eingegangenen Klageerweiterung begehrt die Klägerin vom Beklagten die Zahlung weiterer rund 3.000,00 Euro gepfändeter Vergütung des Streitverkündeten aus dem Zeitraum Juli 2013 bis zur Insolvenzeröffnung. Ferner begehrt sie Feststellung, dass die Ansprüche aus Klage und Klageerweiterung auf einer Forderung gegen den Beklagten aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung beruhen. Dieser sei ihr nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB schadensersatzpflichtig, da er die Abführung pfändbaren Arbeitseinkommens an sie vorsätzlich unterlassen habe.
3Der Beklagte hat geltend gemacht, nicht das Amtsgericht, sondern das Arbeitsgericht sei für den Rechtsstreit zuständig, da es um die Zahlung gepfändeten Arbeitsentgelts gehe. Hilfsweise werde die Zuständigkeit des Amtsgerichts gemäß § 23 Nr. 1 GVG gerügt, weil der Streitwert seit der Klageerweiterung 5.000,00 Euro übersteige und damit das Landgericht zuständig sei. Hierauf hat die Klägerin eine Verweisung „an das zuständige Gericht (Arbeits- oder Landgericht)“ beantragt.
4Mit Beschluss vom erklärte sich das Amtsgericht für unzuständig und verwies den Rechtsstreit gemäß § 506 Abs. 1 ZPO an das Landgericht Lüneburg, weil der Streitwert nach der Klageerweiterung über 5.000,00 Euro liege. Am gingen die Akten beim Landgericht ein.
5Das Landgericht sandte mit Verfügung vom die Akten an das Amtsgericht zurück und bat um Prüfung, ob der Abgabebeschluss vom nach Anhörung der Parteien aufzuheben sei. Da gepfändeter Arbeitslohn eingeklagt werde, sei eine Zuständigkeit des Arbeitsgerichts gegeben.
6Das Amtsgericht teilte den Parteien mit, dass es der Anregung des Landgerichts entsprechen wolle. Der Beklagte erklärte sein Einverständnis mit einer Abgabe der Sache an das Arbeitsgericht. Die Klägerin äußerte sich hierzu nicht.
7Mit Beschluss vom hob das Amtsgericht - vor Ablauf der von ihm gesetzten Stellungnahmefrist - seinen Verweisungsbeschluss an das auf, erklärte sich wiederum für unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Celle. Das Amtsgericht übersandte die Akte noch vor Zustellung des Beschlusses, der keine Rechtsmittelbelehrung enthielt, an das Arbeitsgericht.
8Das Arbeitsgericht sandte mit Beschluss vom die Akten an das Amtsgericht zurück, weil der Rechtsstreit mangels Eintritt der formellen Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses noch nicht bei ihm anhängig geworden sei. Ferner wies es darauf hin, dass der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts an das auch für das Amtsgericht bindend sei.
9Das Amtsgericht traf am einen neuen Beschluss, erklärte den beschrittenen Rechtsweg nach § 17a Abs. 2 GVG für unzulässig und verwies den Rechtsstreit (erneut) an das Arbeitsgericht. Der mit einer Rechtsmittelbelehrung versehene Beschluss wurde dem Beklagten am und der Klägerin am zugestellt. Diese legten keine sofortige Beschwerde hiergegen ein und äußerten sich nicht mehr.
10Bereits am - noch vor Zustellung des Beschlusses vom - gingen die Akten erneut beim Arbeitsgericht ein. Das Arbeitsgericht sandte die Akten wieder an das Amtsgericht zurück, da keine formelle Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses eingetreten sei.
11In der Folgezeit sandte das Amtsgericht die Akten nunmehr ein drittes Mal an das Arbeitsgericht, wo sie am eingingen. Mit Beschluss vom lehnte das Arbeitsgericht die Übernahme des Verfahrens ab und legte dem Bundesarbeitsgericht die Akten zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor.
12II. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens liegen vor.
131. Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG, § 48 Abs. 1 ArbGG sind rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Auch ein rechtskräftiger Verweisungsbeschluss, der nicht hätte ergehen dürfen, ist grundsätzlich einer weiteren Überprüfung entzogen. Nur bei krassen Rechtsverletzungen kommt eine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung ausnahmsweise in Betracht ( - Rn. 5).
142. In entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO hat die Bestimmung des zuständigen Gerichts zu erfolgen, wenn dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit notwendig ist ( - Rn. 6; - 5 AS 1/03 - zu B I 2 der Gründe mwN, BAGE 105, 305). Erforderlich ist, dass es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung von rechtskräftigen Verweisungsbeschlüssen kommt und keines der infrage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, der Rechtsstreit werde von diesem nicht prozessordnungsgemäß betrieben, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist. Zuständig für die Zuständigkeitsbestimmung ist derjenige oberste Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird.
153. Das zuständige Gericht ist das Landgericht Lüneburg. Die Verweisung des Rechtsstreits durch das Amtsgericht Celle an das Arbeitsgericht Celle ist offensichtlich unhaltbar. Bei Erlass der Verweisungsbeschlüsse vom und war der Rechtsstreit nicht mehr beim Amtsgericht anhängig. Das Amtsgericht war nicht befugt, seinen Verweisungsbeschluss an das aufzuheben.
16a) Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beklagten hindert nicht die Gerichtsstandsbestimmung entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO durch das Bundesarbeitsgericht, selbst wenn der Rechtsstreit noch unterbrochen wäre. Die Entscheidung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO betrifft nicht die Hauptsache selbst, sondern nur die Zuständigkeit und hat daher nur vorbereitenden Charakter (vgl. zu § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO - Rn. 7).
17b) Durch die Insolvenzeröffnung wird die Wirksamkeit des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Celle an das Landgericht Lüneburg vom und seiner weiteren Prozesshandlungen schon deshalb nicht infrage gestellt, weil keine Unterbrechung des Rechtsstreits vorliegt.
18aa) Soweit hinsichtlich der ursprünglichen Klageforderung der Rechtsstreit nach § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen war, hat die Klägerin ihn - nach unwidersprochen von ihr vorgetragener Anmeldung der Forderung zur Insolvenztabelle, deren Eintragung durch den Insolvenzverwalter und Bestreiten durch den beklagten (Dritt-)Schuldner - mit Schriftsatz vom gemäß § 184 Abs. 1 Satz 2 InsO aufgenommen. Dass die Klägerin ihren ursprünglichen Zahlungsantrag bislang noch nicht auf einen Feststellungsantrag umgestellt hat, ist im Gerichtsstandsbestimmungsverfahren nicht weiter zu erörtern.
19bb) Hinsichtlich der Klageerweiterung mit Schriftsatz vom ist von vornherein keine Unterbrechung nach § 240 Satz 1 ZPO eingetreten. Eine Unterbrechung des Rechtsstreits im Sinne dieser Vorschrift kann nur eintreten, wenn die Rechtshängigkeit vor Insolvenzeröffnung eingetreten ist (vgl. - Rn. 9 ff. mwN). Die Klageerweiterung wurde dem Beklagten jedoch erst nach Insolvenzeröffnung zugestellt. In Bezug auf die Klageerweiterung ist deshalb keine Unterbrechung eingetreten. Ob die Klageerweiterung zulässig ist (vgl. Zöller/Greger 31. Aufl. § 240 Rn. 4), war im Gerichtsstandsbestimmungsverfahren nicht zu entscheiden.
20c) Die Beschlüsse des und , mit denen es seinen Verweisungsbeschluss an das Landgericht aufgehoben und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen hat, beruhen auf einer krassen Rechtsverletzung, so dass eine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung ausnahmsweise in Betracht kommt. Da das Amtsgericht zum Zeitpunkt dieser Beschlüsse nicht mehr der gesetzliche Richter war, sind sie offensichtlich unhaltbar.
21aa) Durch den Verweisungsbeschluss des ist mit Eingang der Akten am beim Landgericht der Rechtsstreit dort anhängig geworden, § 506 Abs. 1, Abs. 2, § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO.
22(1) Die Verweisung des Rechtsstreits ist grundsätzlich unabänderlich und bindend für das verweisende Gericht. Dies gilt selbst bei einem nachträglich erkannten Rechtsirrtum, weil mit Eingang der Akten beim Landgericht die Anhängigkeit des Verfahrens beim Amtsgericht beendet wird (vgl. - zu II der Gründe; Stein/Jonas/Leipold 22. Aufl. § 281 Rn. 29 f.; Zöller/Greger § 281 Rn. 16). Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Willkür liegt nur vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. - Rn. 9).
23(2) Hieran gemessen war der Verweisungsbeschluss des bindend. Zwar hätte hinsichtlich der von der Klägerin gepfändeten Arbeitsvergütungsansprüche des Streitverkündeten eine Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nahegelegen, der Beschluss ist insoweit jedoch nicht offensichtlich unhaltbar und damit kein Beleg willkürlicher Rechtsfindung.
24bb) Hiernach ist der Rechtsstreit mit Eingang der Akten am beim Landgericht anhängig geworden (§ 506 Abs. 1, Abs. 2, § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO), zugleich hat die Anhängigkeit des Verfahrens beim Amtsgericht geendet. Bei Erlass der Beschlüsse des und , mit denen es seinen Verweisungsbeschluss an das Landgericht aufgehoben und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen hat, war der Rechtsstreit damit nicht mehr beim Amtsgericht anhängig. Die Verweisung eines Rechtsstreits durch ein Gericht, bei dem dieser Rechtsstreit nicht anhängig ist, verstößt gegen das grundgesetzliche Gebot des gesetzlichen Richters, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, und stellt eine krasse Rechtsverletzung dar. Ihr kommt keine Bindungswirkung nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG zu.
254. Der Senat konnte nach Anhörung der Parteien das Landgericht Lüneburg als zuständiges Gericht bestimmen. Zwar haben sich mit dem Amtsgericht Celle und dem Arbeitsgericht Celle zwei Gerichte für unzuständig erklärt, von denen gegenwärtig keines für den Rechtsstreit zuständig ist. Dagegen ist die bloße Rücksendung der Akten durch das Landgericht Lüneburg an das Amtsgericht Celle mit der „Bitte um Prüfung“ kein Beschluss, mit dem die Übernahme der Sache abgelehnt wird (vgl. Zöller/Greger § 281 Rn. 13, 19 mwN). Für die Zuständigkeitsbestimmung durch das im Rechtszug nächsthöhere Gericht setzt § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO jedoch nach seinem Wortlaut voraus, dass eines der Gerichte, die sich für unzuständig erklärt haben, zuständig ist. Danach müsste hier eine Gerichtsstandsbestimmung unterbleiben, eine Rückgabe der Sache erfolgen und dann ggf. eine Weiterleitung der Akten an das Landgericht erfolgen. Eines solchen Umwegs bedarf es aber nicht. Vielmehr kann der Senat - wie auch der Bundesgerichtshof in vergleichbaren Fällen (vgl. - zu 3 der Gründe, BGHZ 71, 69; - XII ARZ 2/93 - zu II der Gründe mwN) - im Interesse der Verfahrensbeschleunigung das zuständige Gericht selbst bestimmen, auch wenn dieses sich noch nicht für unzuständig erklärt hat, sofern den Verfahrensbeteiligten hierzu rechtliches Gehör gewährt wurde. Dies gilt umso mehr, als auf Antrag der Parteien bereits ein bindender Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Celle an das Landgericht Lüneburg ergangen ist.
265. Das Landgericht Lüneburg ist nach der Verweisung des Rechtsstreits durch das Amtsgericht Celle nach § 506 Abs. 1 ZPO nicht gehindert, seinerseits die Frage der Rechtswegzuständigkeit gemäß § 17a GVG zu prüfen (vgl. - zu II 4 b der Gründe; MüKoZPO/Prütting 4. Aufl. § 281 Rn. 46; Stein/Jonas/Leipold § 281 Rn. 39). Dabei wird es in den Blick zu nehmen haben, dass für einzelne Streitgegenstände eine Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen in Betracht kommt. Dies ist hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten gepfändeten Arbeitsvergütungsansprüche des Streitverkündeten naheliegend, § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a, § 3 ArbGG (vgl. GMP/Schlewing 8. Aufl. § 3 Rn. 9). Soweit die Klägerin im Rahmen ihrer Klageerweiterung den Beklagten wegen vorsätzlicher unerlaubter Handlung ihr gegenüber in Anspruch nehmen will, bedarf dies näherer Betrachtung, da es sich diesbezüglich nicht um einen ursprünglich dem Streitverkündeten als Arbeitnehmer des Beklagten zustehenden Anspruch handeln würde.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:211215.B.10AS9.15.0
Fundstelle(n):
BB 2016 S. 372 Nr. 6
NJW 2016 S. 8 Nr. 13
ZAAAF-49010