Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Erforderliche Feststellungen für die Unterbringungsanordnung; symptomatischer Zusammenhang zwischen psychischer Erkrankung und Anlasstat
Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB
Instanzenzug: LG München I Az: 3 KLs 234 Js 156702/14
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten des Diebstahls in acht Fällen, davon in einem Fall versucht, in Tatmehrheit mit Computerbetrug in 16 tatmehrheitlichen Fällen, davon in drei Fällen versucht, unter Einbeziehung weiterer Strafen zu den Gesamtfreiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten und von zehn Monaten verurteilt. Zudem hat das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
I.
2Nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts leidet der Angeklagte an „einer schizophrenen Psychose vom paranoid-halluzinatorischen Typ mit einer Wahn- und Residualsymptomatik, welche sein seelisches Gefüge tiefgreifend veränderte, die Sinngesetzlichkeit seiner seelischen Vorgänge und Handlungsabläufe zerriss und die Wirksamkeit seiner normalen rationalen Kontrollmechanismen aufhob“ (UA S. 4). Aufgrund dieser seit 2001 bekannten Erkrankung befand sich der Angeklagte regelmäßig in psychiatrischer Behandlung; er nimmt Medikamente ein. Alkohol konsumierte der Angeklagte bis zu seiner Inhaftierung gelegentlich und „spielte an Automaten, wenn er Geld zur Verfügung hatte“ (UA S. 4).
3Im Zeitraum von März 2012 bis Juni 2014 entwendete der Angeklagte in sechs Fällen die Geldbörsen älterer Damen in Supermärkten und nahm anschließend mit den darin enthaltenen EC-Karten unter Verwendung der zugehörigen PIN-Nummer Abhebungen an nahegelegenen Geldautomaten vor oder versuchte dies. Feststellungen zum Zustand des Angeklagten zu den jeweiligen Tatzeitpunkten hat das Landgericht nicht getroffen, in den Gründen des Urteils aber ausgeführt, dass „zwar kein Zusammenhang zwischen der Wahnsymptomatik und den Taten besteht, jedoch aufgrund der chronischen Residualsymptomatik der Schizophrenie die allgemeine Lebensbewältigung des Angeklagten stark eingeschränkt ist, was sich in allgemeiner Unbekümmertheit, Ziel- und Haltlosigkeit und mangelnder Kontrolle des Angeklagten über seine Handlungen auswirkt“ (UA S. 11). Vor diesem Hintergrund sei die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten erhalten, seine Steuerungsfähigkeit jedoch erheblich vermindert gewesen.
II.
4Gegen diese Bewertung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung deshalb nicht stand.
51. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Hierfür muss vom Tatrichter im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. ; Beschlüsse vom – 2 StR 239/15; vom – 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015, 169, 170; vom – 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 76 und vom – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Insoweit ist insbesondere zu untersuchen, ob in der Person des Angeklagten oder in seinen Taten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 2 StR 420/14; vom – 4 StR 303/97, BGHR StGB § 63 Zustand 26; Urteil vom – 2 StR 53/97, NStZ 1997, 383).
6Dem werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht. Das Landgericht hat zwar dargelegt, dass der Angeklagte an einem unter die Eingangsmerkmale des § 20 StGB fallenden krankhaften Zustand von einiger Dauer leidet. Das Bestehen eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Wahnsymptomatik und den Anlasstaten hat es jedoch abgelehnt und die bei dem Angeklagten krankheitsbedingt eingetretene Grundbeeinträchtigung in seiner Lebensführung als ausreichend für die Anordnung der Maßregel gehalten. Dies ist rechtsfehlerhaft (vgl. zu den Darlegungsanforderungen bei Psychosen aus dem Formenkreis der Schizophrenie etwa BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306; vom – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142 und vom – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307 jeweils mwN).
7Das Landgericht war zur Begründung der Unterbringung gehalten, in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise zu erörtern, dass und weshalb zwischen dem Zustand des Angeklagten und den abgeurteilten Taten ein symptomatischer Zusammenhang besteht. Hierauf konnte angesichts der äußeren Umstände des Falles nicht verzichtet werden. Anhand des Tatbilds ist nicht erkennbar, dass den Handlungen eine schizophrene Psychose vom paranoid-halluzinatorischen Typ zugrunde lag. Denn der Angeklagte lebte in beengten finanziellen Verhältnissen und verwendete das durch die Taten erlangte Geld zur Bestreitung seines Lebensunterhalts. Er war nach den getroffenen Feststellungen über einen Zeitraum von zwei Jahren hinweg in der Lage, zu seinem Tatmuster passende Opfer sorgfältig auszuwählen und die jeweilige Tathandlung zielorientiert und unbemerkt auszuführen. In den Urteilsgründen des Landgerichts bleibt unklar, weshalb die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der rechtswidrigen Taten erheblich vermindert gewesen sein soll. Schließlich lässt auch die Feststellung, der Angeklagte habe an Spielautomaten gespielt, sobald er Geld zur Verfügung gehabt habe, eine rechtsfehlerhafte Anwendung des anzulegenden Maßstabs besorgen. Die Prüfung, ob in der Person und den Taten des Angeklagten letztlich nur Eigenschaften hervorgetreten sind, die sich im Rahmen des bei schuldfähigen Menschen regelmäßig anzutreffenden Ursachenspektrums für die Begehung von Straftaten halten oder ob die Taten auf einen psychischen Defekt zurückzuführen sind, ist dem Senat anhand der Urteilsgründe nicht möglich.
82. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Insbesondere der Strafausspruch kann bestehen bleiben. Soweit das Landgericht in für das Revisionsgericht nicht nachprüfbarer Weise die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht und unter Anwendung des vertypten Strafmilderungsgrundes alle Einzelstrafen den jeweils gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gesenkten Strafrahmen der § 242 Abs. 1 StGB und § 263a Abs. 1 StGB entnommen hat, ist der Angeklagte hierdurch nicht beschwert (vgl. BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 498/14, NStZ-RR 2015, 137, 138 und vom – 4 StR 358/07, insoweit in NStZ-RR 2008, 70 nicht abgedr.). Dass ohne die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus eine niedrigere Strafe verhängt worden wäre, vermag der Senat auszuschließen.
93. Der Senat hebt den Maßregelausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf, um dem neuen Tatrichter eigene, widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter wird sich unter Heranziehung eines Sachverständigen erneut mit der Erkrankung des Angeklagten und ihren Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit bei der Begehung der Taten auseinanderzusetzen haben.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2015:101115B1STR265.15.0
Fundstelle(n):
CAAAF-48371